: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 1. März 2013

Die 40 Geraden

Nach dem 41. Kontakt nehme ich die Anzeige wieder runter. Drei Stunden, nachdem ich sie aufgegeben habe.

Es ist keine so gute Idee, mir in der ersten Zeile gleich zu sagen, dass man als Autoverkäufer 3500 netto im Monat verdient. Das ist so ein "Du willst es doch auch"-Spruch. Wir, die Top Dogs. Ich die Kohle und Du mein Facility Management mit der Adresse, die im Büro gut ankommt.

Es ist keine so gute Idee, sich mir gegenüber als anspruchsvoller Aufsteiger zu prösentieren, der eine adäquate Bleibe sucht, bevor ihn der Weltkonzern schnell weiter schickt.

Es ist keine gute Idee, mir den Eindruck zu vermitteln, dass ich froh sein sollte, welche tollen Kunden ich haben kann. Ich glaube, das lernen sie bei Vorstellungsgesprächen, das Schnelle, Direkte, den Hook, die Punchline, die Bullet Points.



Bekommen hat sie der, bei dem klar war, dass er sich riesig freuen würde. Im Prinzip ist bei mir die Entscheidung nach 5 Minuten gefallen: Die sind es. Der Nebeneffekt der Erfolgreichen und Direkten ist leider, dass andere, die mit Sicherheit keine schlechteren, sondern sogar bessere Mieter im Sinne der Verständigung wären, angesichts der geldscheinwedelnden Drängler letztendlich die schlechteren oder teureren Wohnungen nehmen müssen. Ich hatte mal einen Massentermin mit vielen Geldscheinwedlern, und ich wusste: So, wie die um die Wohnung kämpfen, würden sie auch kämpfen, wenn es um das Herausholen weiterer Vorteile geht. Ich will aber keinen Performancejunkie, der immer das Beste herausholen will und einen ganzen Abend nervt, nur damit dieses und jenes auch noch geht. Ich will einen Mieter, mit dem ich gut kann. Deshalb mache ich auch nur Einzeltermine, und halte mich an meine Grossmutter, die gesagt hat: Man muss reden mit den Leuten. Ich erzähle viel von mir selbst, dann sieht man, ob es passt.



Es sollen unsere Erben sein. Dass diese Viertel diesen entspannten Ruf haben, liegt ganz sicher nicht darn, dass es damals, vor 25 Jahren, die Strassen der Jungmanager und Vorstandsassistentinnen waren. Wer hier einzog, wollte etwas erleben. Das war nicht nur Studium und Beruf, das war vor allem das Leben, das uns lockte.Die richtige Infrastruktur lag vor der Haustür, das Leben war leicht und schnell und sorglos, und mangels Netz und Mobiltelefonen auch recht stressfrei, und nicht so zerhackt wie heute. Es würde sich wie ein mieser Verrat anfühlen, würde ich jetzt meine alte Wohnung jemandem überlassen, der eine gute Adresse auf seiner Visitenkarte haben will, und dem Viertel der nächste Mörder seines Flairs sein wird. Ich wollte nie einer der 45-jährigen werden, die im Parkcafe an der Bar den Mädchen hinterhergafften, ich wollte dann angemessen leben, und anderen Platz machen. Meine Geschichten werden verschwinden wie der Lärm im Parkcafe verhallte, und es sollen neue Geschichten kommen, Hoffnungen, Freuden und Leben. Nicht Leute, deren erster Satz ihr Einkommen ist, und stets bereit sind, sich finanziell vollkommen nackich zu machen.



Mein Lebensweg war nicht gerade, der Lebensweg meiner Mieter ist es auch nicht wirklich. Wir sind die Krummen. Lasst es krachen, sage ich ihnen. Macht da weiter, wofür wir zu alt geworden sind. Lasst nichts aus, und wenn ihr mit einem Gehörsturz nach Hause kommt, sagt in 30 jahren, dass euch nicht das Alter taub gemacht hat, sondern die Jugend. Wir leben heute lang, sehr lang, viel zu lang, und sehr viel Zeit davon im Zustand der schwindenden Möglichkeiten. Die Wohnungen sind nicht so teuer, dass nur die Bestverdiener sie beziehen könnten, aber auch nicht so billig, dass ihr es euch leisten könntet, auf einen Vorteil zu verzichten, den das Leben hier bietet. Das ist die beste Lage für das beste Leben. Unsere Geschichten waren laut und schrill, wir standen in Gaultier und Alaia auf den Boxen und wo ihr stehen werdet, das bleibt euch überlassen. Aber bitte nicht in diesem Alter unter den Zwängen der Ökonomie. Es hätte so viele andere gegeben, so viele Gerade. Aber ihr seid krumm und die Richtigen.



München belastet mich, weil mich dort meine eigene Geschichte verfolgt. Nicht ohne Grund, aber ohne den schlimmsten aller Gründe: Dass ich dort etwas verpasst hätte und nun unter dem Zwang stünde, das nachzuholen. Ich bin nicht allzu gern dort, auch, weil sich so vieles verändert hat. Es macht keinen Spass zu sehen, wie die Antiquariate verschwinden. In meinem Viertel hätte man sich diee Pinakothek der Moderne wirklich sparen können, das war eins zu viel, dieser glatte und nun schon wieder marode Marketingklotz neben der halben Ruine der Alten Pinakothek und dem gammligen 70er-Jahre-Flair der Neuen Pinakothek. Früher war das die Maxvorstadt, fertig. Heute ist es das Museumsviertel. In der Abgusssammlung bin ich immer noch allein, zum Glück. Wenn ich das nächste Mal dort bin, werde ich sie wieder besuchen. Ich hatte viel Spass mit den Koren aus Gips und denen aus Fleisch, ich war sehr glücklich in München. Und für die 40 Geraden findet sich sicher auch ein Platz. Da muss man sich keine Sorgen machen.

Tut mir Leid, dass ich nicht schrftlich abgesagt habe, aber auch ich muss leben.

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Vielleicht

ist morgen der Tag nicht der Leistungsschutzrechthaberei (FAZ-Version, LSR-fragwürdige Version, bei der die Kommentare funktionieren) sondern auch der Tag, da die guten Leute unter den Onlinern begreifen werden, dass es so nicht weitergehen kann. Sie können sich nicht immer als Geiseln nehmen lassen für jeden Blödsinn, den ein paar Leute aushecken, die weder unsere Welt noch die unserer Leser verstehen. Niemand liest einen Internetauftritt für einen Döpfner oder einen Keese, man liest das wegen denen, die sauber liefern. Es kann auch der Tag werden, an dem sie ihnen die Pistole auf die Brust setzen und sagen: Dummes Middle Management gibt es wie Sand am Meer und Euch am Arbeitsamt. Aber wir sind eine seltene Spezies. Und wenn wir uns zusammentun, warum sollte man Eure miese Propagananda, Eure DPA-Abschreiberei, Eure angenehmen Umfelder noch lesen?

Ich habe für den Beitrag lang recherchiert, und es sind viele, die so denken.

Das Einzige, was vielleichtvom Leistungsschutzrecht bleibt, ist der Kulturkampf innerhalb der Medien, und der hat gerade erst begonnen. Ich bin da wirklich froh, im Feuilleton der FAZ zu sein.

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