: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Das Haus der Lügen

Das Rote Kreuz, den Fussballverband und den Pfarrer darf man nicht angreifen, auch wenn einer unterschlägt, Staatsgelder abzweigt oder Kinder missbraucht. Das war lange so, das ist wohl teilweise noch immer so, aber es ändert sich langsam. Irgendwann hat der hehre Zweck aufgehört, die Funktionäre zu schützen.

Am Rande: Ich finde es übrigens gar nicht so schlimm, wenn ein Bischof 32 Millionen für seine Butze ausgibt; das ist, wenn man die Residenzen in Eichstätt, Würzburg, Bamberg und Pommersfelden kennt, noch nicht mal Kleingeld; was ein echter Schönborn ist, hätte sich geweigert, in so einem kabuff zu wohnen, und die katholiken bekommen jetzt auch nur einen Anschein von dem, was ihre Religion die letzten 1500 Jahre ausgemacht hat.



Aber egal, es geht um Bücher, oder genauer, die Messe, die jetzt beginnt, um das Heil neuer Bestseller zu verkündigen. Was Bücher und den Handel damit angeht, bin ich ja nicht sonderlich betroffen, denn was ich schätze, kommt gar nicht so oft aus dem normalen Buchladen, und falls doch, sind es Bücher, die nicht jeder liest (wobei ich heute mit "Blasmusikpop" vermutlich sogar ein wirklich beliebtes Buch erworben habe, 10. Auflage, alle Achtung). Das hat den Nebeneffekt, dass ich für die Durchsagen des Handels, seine Aufsteller und Listen vollkommen unempfindlich bin; ich nehme das nicht zur Kenntnis und wundere mich, dass andere das tun.

Aber diese Epoche der angenehmen Ahnungslosigkeit ist wohl auch langsam vorbei, denn das Buchgeschäft fängt an, in einen Bereich zu wuchern, den ich nun wirklich recht gut kenne: Das Internet und seine Publikationsformen. Und da werden mir p0lötzlich neue Influencer vorgestellt, die mich ganz fatal an die Geschichten um gewisse Blogs wie "Schlaflos in München" erinnern, die völlig banale Inhalte aufwiesen, kaum erkennbare Beteiligung, und Zahlen in die Welt pusteten, die nach allem menschlichen Ermessen vielleicht zu erreichen wären, wenn sie sich nackt, Freibier ausschenkend, an den Ausgang vom Oktoberfest gestellt und dabei noch Geldscheine in die Luft geworfen hätte. Bloggen und Leserbeteiligung ist nicht ganz einfach, und nach einer Weile hat man es im Gefühl, wie die Debatten funktionieren: 100.000 Zugriffe und 0 Kommentare und 0 sonstige relevante Verbreitung sind in einem normalen Blog einfach nicht drin. Alles, was 5-stellig ist (SEO mal rausgerechnet) ist schon exorbitant gut. Oder halt, wie manche das machen, mit Clickbots, schliesslich beschwert sich niemand über gute Zahlen. Und bis sich Google mal ärgert, dauert das schon ein wenig.

Solche unglaubwürdigen Monsterzahlen höre ich gerade wieder, von Leuten, die angeblich Literaturchannels im Netz betreiben. Experten stellen sich hin und ernennen neue Entscheider zum Wohl und Wehe von Büchern, und die wiederum warten dann mit Reichweiten auf, die ich nicht habe. Und die FAZ im Feuilleton auch nicht Und Spiegel Online in ihrem sog. Kulturteil auch nicht. Nicht mal zu turbulentesten Hegemannzeiten mit 500+ Kommentaren. Wie ist das möglich?

Die Literaturchannelbetreiber kooperieren mit den Experten, die sie promoten.

Das ist der ganze Witz.

Das ist so, als würde man den Dreck glauben, den Pleitier Lobo damals, bevor er damit auf die Schanuze flog, über die gewesenen Adical-Blogs verbreitet hat.



Natürlich sind Medien auch oft nicht gerade gut, wenn es darum geht, Literatur im Netz begreifbar zu machen, man könnte mehr machen und vieles konsequenter umsetzen, aber diese immens grossen Leserzirkel, die sich da gebildet haben sollen, die alle nur folgen und nie etwas sagen: Die gibt es nicht. Zumindest ist da nichts verifizierbar. Da wird mit Zahlen jongliert, die irgendwie gut aussehen, da befördern sich neue Stars gegenseitig und mit etwas Pech werden mir morgen dann solche über den Weg laufen und erzählen, sie seien ganz wichtuge Blogger und müssten sofort mit der PR-Frau... und dass sie wichtig sind, steht doch auch da und dort... fragt ja keiner nach.

Ist das ein Problem? Für die Verlage vermutlich nicht, die decken ohnehin ein, was nicht bei 3 auf dem nächsten Baum ist, und die Medienkrise hat diesen Trend eher verstärkt, weil es weniger Journalisten gibt. Für mich sicher auch nicht, weil ich arge Zweifel habe, dass so ein Experte jemals die Gelegenheit bekommen wird, seine Zahlen unter Realbedingungen unter Beweis zu stellen.

Es zeigt nur, dass im Gegensatz zur Annahme, dass alles irgendwo im Netz stünde, an jener Stelle, wo der Literatur ein Platz vorbehalten sein sollte, ganz seltsame Gestalten sind. Und es zeigt die Unfähigkeit von Medien und Bloggern auf, so etwas zu machen. Das mag auch seine guten Gründe haben; ich zum Beispiel informiere mich einfach nicht zu diesem Thema im Netz. Aber es ist wie so oft: Wo man dem Geschmeiss diesen Freiraum überlässt, breitet er sich aus. Mir ekelt es deshalb ein wenig vor dieser Messe, auf der man lügende Buchschmarotzer nicht als solche bezeichnen darf. Es ist wie früher auf dem Dorf. Es sind ja Buchfreunde. da darf man nichts sagen.

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