: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 27. Oktober 2013

Der Berliner in München

Es fängt schon damit an, dass der Berliner S. um Sekunden, wirklich nur um Sekunden den Zug verpasst. Frechheit, wie kann der es wagen, auf die Minute genau abzufahren? Das ist blöd, denn er muss am Abend zu einer Debatte in München sein. Und da muss er sein, weil die Veranstalter das Ticket zahlen und wenn die das nicht tun, kann er Berlin nicht verlassen. Wütend nimmt der Berliner also, vorempört über diese Ungerechtigkeit, einen anderen Zug. Während dieser Zug sehr langsam Richtung Bayern und einer gehörigen Verspätung rollt, könnte sich der Berliner überlegen, dass das vielleicht damit zu tun hat, dass die Anbindung seines Slums an die zivilisierten Regionen des Landes für Letztere keine nennenswerte Bedeutung hat. Wer dorthin zieht, hat bald kein Geld mehr, um sich die Zugfahrt nach München leisten zu können und somit ist das überflüssig.



Jeder Münchner wüsste natürlich, dass Ausgehen in München nun nicht gerade zu den billigsten Freuden gehört, und so ein Fetzenrausch in der Schotterebene, auch wenn man es in Relation zu Berlin und dem dortigen Nichteinkommen berechnet, sehr teuer ist. Es gibt zwar Ausnahmen wie die mitgeschleppte Wodkaflasche an der Isar, aber dafür ist es jetzt zu kalt, also wird das kostspielig und, so man sich nicht mal die Bahnkarte leisten könnte, ruinös. Aber wenigstens hat er den Rausch vertwittert! Damit die in Berlin wissen, dass am Berliner Asiwesen die Münchner gern verwesen, oder so.

Am Morgen dann die Entdeckung, dass, Wohnen in München vorausgesetzt, das Wetter im Oktober keine graugelbe Abgasdecke über der Stadt sein muss. Fast ist es Sommer! Der Berliner S. bekleidet sich leicht und bald noch leichter, denn wie sich zeigt, hat sein Schuhwerk den Abend nicht überlebt. Er fragt sich nicht, wie zum Teufel man eigentlich nur mit einem Paar Schuhe verreisen kann, oder warum er keine Schuhe eines vernünftigen Schusters besitzt, sondern fragt bei Twitter, ob jemand weiss, wo es billige Schuhe gibt. Im Euroindustriepark vielleicht, würde man ihm antworten, aber jemand anderes empfiehlt einen nicht ganz billigen Laden in der Stadfmitte. Es endet bei 29 Euro teuren Turnschuhen, deren Produktion so nachhaltig wie die eines Berliner 1,50.Euro-Döners sein dürfte. Und vermutlich auch ähnlich lang halten.



Dann setzt er sich in den englischen Garten und plant den kommenden Abend. Jemand empfiehlt die wirklich gute FM4-Party. 20 EURO!!!!!1!!elf!! Das geht nicht, das ist - aus Berliner Sicht - zu viel. Dass das Motto in München nicht "Das kann ich mir nicht leisten" heisst, verschweigt man ihm gnädigerweise, man ist ja nett und freundlich zu Fremden. Ja, das Leben in München ist etwas teurer, aber diese 20 Euro des österreichischen Jugendsenders sind fast noch ein Sonderangebot. München ist halt etwas gehoben. Aber deshalb ist man ja auch hier, wenn man hier ist, und bleiben kann. Und deshalb kein ultraemocooler Hauptstädter ist.

In diesem Gefühl schreitet S. als kleiner König dieser Spiesserwelt weiter: Die Maximiliansstrasse ist Münchens erste Adresse. Man muss das nicht mögen, man kann sie meiden, und vielleicht ist die Strasse auch nicht erbaut, von Berliner Hipstern betreten zu werden. Vor allem nicht, wenn sie danach ihre Berliner Anhängerschaft wissen lassen, dass sie nun durch das Bertrachten der Strasse allein zum Kommunisten geworden sind. Das ging aber schnell! Dabei waren sie noch gar nicht bei Dallmayr, wo man für 20 Euro ein paar gute Pralinen bekommt, oder gar beim Käferstand in der Oper, an dem man wirklich zur Bombe greifen will, so fragwürdig wie da die Qualität und der Service ist, fast so gut wie in einem Berliner sog. "Nobelrestaurant". Käfer ist ja eigentlich auch nur was für Berliner, sowas wie die Real Life Neutrality für alle, die zu viel Geld haben.



Zwischenzeitlich hat der S nach seiner Zugfahrt auch seine Unterkunft irgendwie verpasst und obendrein sagen Leute ihre Treffen mit ihm ab. Ob das daran liegt, dass man an einem schönen Oktobertag in München keinen genervten, an Geldmangel plakativ leidenden Miesmacher sehen möchte? Komischer Gedanke, Emopostings sind doch das Salz in der Nudelsuppe der gekonnten Inszenierung eines Berliner Nonkonformisten, das muss so sein und in Berlin ist es doch nicht wichtig, ob jemand reich ist, solange auf der Sklavenseite nur die richtigen Neigungen stehen, und Essen kann man doch wirklich aus dem Styropor vom Inder! Immer diese Vorbehalte dieser verklemmten Münchner. Diese Münchner sind einfach nicht cool, sie ertragen es nicht, wenn jemand cool ist und deshalb sagen sie ab, ja, so muss das sein.

Tags darauf ruckelt der langsame Zug zurück in den Berliner Spreesumpf, und der Berliner versteht inzwischen auch, warum dieses Westdeutschland so schlecht an Berlin angebunden ist: da hält es ja kein normaler Mensch dauerhaft aus, da gibt es nicht an jeder Ecke Bierflaschen, die man mit sich herumtragen kann und diese ganzen saturierten Reichen, die alle Arbeit haben und nicht ständig schauen müssen, wie sie den Abend ohne Geld, aber mit ordentlich Dröhnung durchbringen - die wissen echt nichts vom Leben. Null. Die können gar nicht mitreden, wenn es um die Zukunft des Landes geht. Zum Glück ist das aber ganz weit weg vin der Haupstadt und hat hier nie eine Chance.

Und dass das alles Faschisten, Nazis, Macker, Kapitalisten, Sexisten und fiese Unterdrücker jeglicher freien Meinung sind, merkt man ja auch an den übersauberen Strassen. Und wird es gerne nochmal bestätigen, wenn man nochmal die Fahrt bezahlt bekommt, und sich irgendwo einqartieren kann.

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