: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 13. Oktober 2006

Bestiarium

Es gibt immer etwas, das man neu entdeckt. Selbst in St. Zeno vor den Toren des mittelalterlichen Verona, einem der Höhepunkte der lombardischen Romanik, in der ich sicher schon ein halbes Dutzend mal war. Jedes Kapitel erzählt einen Roman, in allen Ecken wuchern Geschichten, Erlogenes und Erfundenes, und plötzlich springt einen die Bestie an.



Die hätte ich gern mitgenommen. Am Besten den Körper noch aus dem roten Marmor des Thrones gemeisselt, aus dem sie herausschaut. Und dann mit über die Alpen genommen. Ich könnte schwören, dass sie sich Nachts in Fleisch und kochend giftiges Blut verwandelt, und dann durch die Finsternis jagt. Ich würde sie mit Anjatanjaschinken füttern und ihr eine Monstystation bauen, aus der sie Salpetersäure lecken kann. Und wenn das Schwarz der Nacht durchschnitten wird vom eisigen Grau der Nebelschwaden, würde ich sie in meine Barchetta setzen, das Dach wegklappen und dann durch die Feuchtigkeit brausen, um bezechte Passanten zu erschrecken. Sie würde mit den Katzen spielen, und sich auf die Gröler und Vandalen auf der Strasse stürzen, wenn ich mit den Fingern schnippste, und sich keine Gewissensbisse machen, denn Cangrande della Scala, den sie gut kannte, war ja auch nicht zimperlich. Tagsüber würde sie mordsdekorativ aussehen, und ich würde ihr über den glatten Marmorkopf streicheln und Besuchern erzählen, dass sie sich wegen der Gerüchte in diesem Viertel keine Sorgen machen brauchte, die abgenagten Knochen im Hof jedenfalls kämen nicht von Menschen.

Da bin ich mir eigentlich recht sicher.

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Ich bin wieder da

und flösse an der Blogbar einem gewissen PR-Chef einen Schwedentrunk ein.

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Drei welke Blätter

sind in nur 4 Stunden auf dem Kofferraum liegen geblieben, trotz unfassbar italienischblauem Himmel und gefühltem Sommer. Aber das Gefühl ist nicht die Realität des Absterbens und Vergehens.



Es ist das letzte Bild, das der Akku hergab, vor dem letzten Einladen, Wein, Öl, Essig, Kaffee, was man so mitbringt, wenn neben den neuen Schuhen im neuen Koffer noch Platz ist. Danach kommen 600 Kilometer nach Norden, zwei Pässe in der Nacht und ein Bilderrauschen, die einen nicht schlafen lässt, während draussen der Nebel nördlich der Alpen die plötzliche Tristesse in Verona zur einer Gewissheit werden lässt, die drei Tage zuvor fern aller Möglichkeit erschien.



Man sollte solche Reisen öfters machen. Und länger bleiben. Irgendwann heute oder morgen gibt es mehr davon, wenn der Gast wieder auf Reisen nach Norden, noch weiter Norden ist.

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Sonntag, 8. Oktober 2006

Reise ins Unbekannte

In den nächsten Tagen geht es hier weiter, ab hier. Dank Strappato und seiner UMTS-Karte bisweilen wohl auch tagsüber, solang der Akku hält. Der Gardasee wird die Basis sein, aber alles andere ist unklar. Der Begleiter will mit Blick auf den See lesen, dem Manne kann geholfen werden. Ich aber würde sterben, wenn ich den ganzen Tag dasitzen würde, obwohl Mantua und Verona nicht weit entfernt sind, und die Barchetta darauf wartet, ihr Temperament auszuleben.

Solange es noch geht. Irgendwann kommt das Ende, schneller als man denkt. Ich stumpfe gegen sowas ab, denn wer neben einer Heiratskirche lebt, denkt darüber irgendwann wie einer über Tiere, wenn er neben dem Schlachthof wohnt. Aber gestern war es extrem, Heiraten im Halbstundentakt, und der Himmel weinte über die versammelten Provinzler, die endlich mal ihre geschmacklosen Hüte ausführen konnte.



Beständig soll es sein, das gemeinsame Reisen durch das Leben, aber was heisst das schon, wenn die erste Karre geborgt oder mit Überführungskennzeichen ausgestattet ist. Die zertretenen Blumen halten nicht so lang, das ist sicher, mehr aber auch nicht, wenn die Beteiligten überhaupt darüber nachdenken - nicht wenige, die den Weg antraten, betranken sich vorher. Heute beginnen dann die Verpflichtungen, während ich nur eine Aufgabe habe, den Gast wohlbehalten über die Alpen zu den guten Cafes in Sterzing zu bringen. Nicht ganz wenig, aber auch keinesfalls zu viel. Scheitern unwahrscheinlich. Wenn ich dagegen so an die Scheidungsquote denke, na, dann freue ich mich fast auf die möglichen Schneetreiben auf dem Penser Joch.

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Samstag, 7. Oktober 2006

Extreme Klowanding

an der Blogbar.

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Samstag, 7. Oktober 2006

Manchmal kommt es wieder über mich

Ich bin etwas mehr als 5 Jahre draussen, und ich werde nie wieder ein Steuer in die Hand nehmen. Ich bin den damals den ganzen Weg in die Finsternis geflogen, ich bin derjenige gewesen, der es heraus geschafft hat, andere hatten weniger Glück. Es ist fünf Jahre her, irgendwann ist das alles vergessen, verlernt, ich bin ein anderer Mensch als damals.

Fast. Blöderweise, wie ich heute gemerkt habe, kann ich immer noch in 10 Minuten Leuten eine webbasierte Geschäftsidee verkaufen. Nur aus Spass und der Lust an der Destruktion eines schlechteren Gegners. Wie es ausschaut, werde ich in Italien einen kleinen Plan für andere Piloten schreiben.

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Unfair

Und ewig lockt die Elite, diese ominöse Gruppe, der das Geld so leicht im LV-Geldbeutel liegt und der tausende von Luusfirmen in Form von Anzeigen hinterher laufen. All die Langhaarclons der Rechtsanwältinnenszenen, der Beraterinnen und Geschäftsführerinnen, diese Analphabeten des Business, die seit Jahren kein Buch mehr auf die Reihe bekommen und, wenn die SETC SATC-DVDs alle geguckt sind, was auf den italienischen Nobelsofas zum Durchblättern und Entspannen brauchen. Und für die hat der Verlag Conde Nast genau das Richtige: Einen grossen, alten Namen, Ambitionen, ein üppiges Berliner Büro und einen Chefredakteur. Fehlt eigentlich nur noch die Reality Soap für RTL II.

Vanity Fair wird in Deutschland auf ein interessantes Phänomen stossen: Die schon lange aktiven und begeisterten Leser von VF. Allerdings der amerikanischen Ausgabe. Das Problem kennen auch Vogue, Elle und Architectural Digest; die eigentliche Kernzielgruppe der deutschen Produkte findet die deutschen Ableger grauenvoll spiessig und auf Tipsenniveau geschrieben. Was die poshe Vorstadtnutte begeistert, "so ficken Sie Promis im P1 mit dem neuesten Nietengürtel über den Pradaleggins platt", kommt vor allem bei denen an, die sich bei Theresa allenfalls die Reststücke leisten können. Natürlich gibt es auch noch die geldige Gruppe "Zu blöd für Englisch", aber zusammengenommen sind diese Zielgruppen nicht das, was man für ein Projekt wie die VF bräuchte.



Die Elite in Deutschland, die anzusprechen man sich anschickt, hat für potentielle Anbieter zwei gosse Probleme: Ihre Inhomogenität und ihre Provinzialität. Wer das Pech Glück hat, enorm reiche bayerische Kiesgrubenbesitzer und ebenso enorm reiche Berliner Berater zu kennen, sollte wissen, dass es da keinen Spagat geben kann. In der Mehrheit sind übrigens die Kiesgrubenbesitzer. Das Geld, auf das VF mit seiner 6-Millionen-Zielgruppe schielt, ist in Deutschland ein Thema der Speckgürtel und der Provinz. Es gibt hier keine Kombination aus Wohnsitzen auf Long Island und Park Avenue, nur die Koksstrecke Elbvororte-Sylt und die Pralinenroute Haidhausen-Tegernsee, und die sind beide nicht schick, sondern lediglich werberverseucht oder omainfiziert.

Vanity Fair hat in den USA über 90 Jahre Tradition. In Deutschland haben sie Nichts, Nichts und Nichts sowie einen Chefredakteur, der beim Süddeutschen Magazin einen Kritikererfolg und eine Riesenpleite - Sichwort Tom Kummer - hatte, und seitdem bei der Welt aktiv war. Jetzt wird er gefeiert, grad so, als ob das mit diversen rechten Knallchargen verseuchte Springerblättchen ein Megasuccess gewesen wäre. Die Personalie ist für Leute, die "damals" in München waren, ein Zeichen für das, was aus Berlin kommen wird. es wird abgehoben sein, aber nicht auf der Höhe der Penthäuser, sondern einfach ohne Bodenhaftung. Berlin ist das Pflaster, das einem einen falschen Eindruck von diesem Land und seiner sog. "Elite" verschafft. Wenn die leitende Mannschaft von VF Deutsch ihren Einstand im Berliner China Club feiert, sollten sie sich genau umschauen: Denn dort bröckelt genau das Geschäftsmodell, das ihnen voschwebt.

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Freitag, 6. Oktober 2006

Nächste Woche

Entfliehen



Schauen



Essen



Herzeigen



Der Rote im ersten Bild und Linke bin jeweils ich, der andere ist noch eine Überraschung.

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Tote Freundinnen

- Ursache textlich-geistige Magersucht, nehme ich an - an der Blogbar zu bestaunen. Dito CEO-Blogs

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Mittwoch, 4. Oktober 2006

Die Republikaner werden siegen!

Nanu? Warum schweigen eigentlich sog. Publizisten wie Broder, Schröder, Liza ;-), Iblis und andere Freunde des Freien Westens, wenn der finale Sieg der Grand Old Party in Amerika unmittelbar bevorsteht? Vor Freude verrückt geworden? Oder doch von linksradikalen Islamversteherdhimmis gekauft? Na egal, ich halte die Südstaatenflagge hoch und verkünde es hier: Das einzigartigen Jugendprogramm der Republikaner wird auf Dekaden ihre Herrschaft sichern!

Denn die Republikaner tun was für junge Leute: Während bei uns Tausende von Akademikern enttäuscht dem Land den Rücken kehren, bietet Bush sogar den Minoritäten Urlaub im Ausland an! Zu diesem Zweck gibt es lustige Camping Aktivitäten im mittleren Osten mit viel Spass, Spiel und Freizeit. Coole Sache, das. Zurück geht es wahlweise im Flugzeug oder im Krankheitsfall auf einer bequemen Liege. Sage noch einer, man kümmere sich nicht um die sozial Benachteiligten - das Programm kostet buchstäblich Milliarden.

Für die Daheimgebliebenen kein Grund zur Traurigkeit! Denn Bush sorgt dafür, dass es spassig und züchtig zugeht. Sex and the City wird zwar entschärft, aber dafür darf man jetzt wieder zügellos mit scharfer Munition ballern. Besser als Ficken, sagt der Mittlere Westen. Was wäre ein Schüler heute ohne Knarre in der Diskussion um bessere Noten?

Die Latinos und Schwarzen waren schon immer ein Problem für die GOP, mal abgesehen von exilkubanischen Drogenbaronen. Aber auch dafür hat man inzwischen eine Lösung gefunden -Vice President Dick Cheney wurde mit seinem Schrotflintenschiessen auf einen Buddy zum Helden der Vorstädte. Drive by shooting ist out, downcheneying ist Kult in der Bronx, East L.A. und Wahington D.C..

Bleibt nur nich die eigentliche Zielgruppe, die WASPs. Deren Nachwuchs tendiert ja schon länger zu den gottverdammten Demokraten, zu Multikulti und Rassenschande. Man könnte sie dafür in ein Boot Camp stecken, aber hey, auch die Grand Old Party passt sich dem Trend an: Liebevolle Chatgespräche mit einem Abgeordneten namens Mark Foley, der aufgrund seiner Tätigkeit als Kinderschützer genau weiss, wie man mit ihnen umgehen muss, geben Geborgenheit und Anteilnahme. Ja, selbst die Jugendsprache mit Begriffen wie "geiler Hengst" wird eingesetzt, um Knaben bei der Stange zu halten. Die haben dann einiges zu erzählen, wenn sie daheim ihre neumodischen Blogs lesen und mit Content beliefern - auch dieses Politikfeld macht man den Demokraten streitig.

Noch ein Monat zur Wahl. Wenn jetzt nur noch ein Regierungsmitglied sich um ostasiatische Migranten kümmert - sagen wir mal, Frau Rice macht ihrem Namen Ehre und bezahlt ein Heer von illegal ein geschleusten Chinesen zur Betreuung ihrer von befreundeten Unternehmern gespendeten Villen nobel und kukturell angepasst mit einer Schale Reis pro Woche - dann können die Demokraten einpacken.

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Das braune Austria

Man fragt sich hierzulande, wie das passieren kann: Rechtsextremisten mit zusammen 15% im österreichischen Bundesparlament. Nachdem ich eine Weile in Österreich gearbeitet habe, zur heissen Zeit im Jahr 2000, und das noch dazu als Vertreter der verhassten Ostküste, habe ich mir damals eine Antwort darauf gezimmert, die ich immer noch für halbwegs tragfähig halte.

Das Kernproblem ist, dass es nach Ansicht sehr vieler Österreicher, wahrscheinlich der grossen Mehrheit, keine Rechtsextremisten sind, die da als FPÖ und BZÖ in die Parlamente einziehen. Das war im Übrigen in Deutschland auch nicht anders, die FDP und die CDU waren teilweise die Parteien der alten Nazis, politisch gestützt von Altnazis in den Medien - und das ging durchaus bis zum Spiegel.

Es gibt da aber ein paar Unterschiede in der historischen Entwicklung, die weit in die Geschichte zurückreichen.

1. Nach dem ersten Weltkrieg kämpften drei Gruppierungen in Österreich um die Macht: Die Sozialdemokraten, der ÖVP-Vorgänger der Christlichsozialen Partei und die NSDAP. Noch vor der sog. Machtergreifung in Deutschland werkelte die CSP zusammen mit ihren Paramilitärs, den Kirchen und reaktionären Gruppen am Austrofaschismus mit allem, was dazu gehört: Massaker an Zivilisten, Parteiverbote, Entmachtung des Parlaments, Arisierungen. Österreich war ganz vorne mit dabei. Verboten wurden dagegen Sozialdemokraten und NSDAP - was neben dem späteren "Anschluss" auch die Folge hatte, dass die CSP sowie später die ÖVP für Sozialdemokraten und das freiheitliche Naziauffangbecken ein gemeinsames Feindbild war. Im Gegensatz zu Deutschland, wo nachträglich alle gegen die Nazis gewesen sein wollen, gibt es in Österreich eine eigene faschistische Tradition, die nur wenig hinterfragt wird.

2. Das hat auch mit dem österreichischen Status als angeblich erstes Opfer des III. Reiches zu tun. Nazis waren die Deutschen, man selbst hat vielleicht mitgemacht, aber es ging halt nicht anders - das hört man in Österreich bis heute von den meisten Medien. Es ist eine blanke Lüge, mit der man sich prima eingerichtet hat, denn die Nazis waren die Deutschen, die Österreicher hatten sowas nicht, und deshalb steht auch heute keiner in dieser Tradition - im Gegenteil, man ist Patriot. Dass Haiders Reichtum einer Entjudungsaktion entspringt, gegen die erfolgreich vorzugehen in Österreicht rechtlich nicht möglich war, ist da nur eine Lappalie - in der Österreicher Augen. Tatsächlich will man in Wien auch gar nicht so genau wissen, wem eigentlich die Häuser gehörten - der Juden gestohlene Anteil liegt in manchen Strassen bei mehr als 40%.

3. Der historische Wendepunkt in Deutschland waren die Auschwitz-Prozesse in Freankfurt Anfang der 60er Jahre, und die davon inspirierte 68er-Generation. Es ist in Deutschland gelungen, das Nazipack aus ihren Stellungen zu vertreiben und in der Öffentlichkeit zu diskrefitieren. Dass Rechtsextremismus heute in den etablierten Parteien kaum Chancen hat, dass Organisationen wie der Stahlhelm und Weikersheim weitgehend machtlos sind und Hohmann gekickt wurde, ist ein Verdienst der 68er und dem Willen, diesen Leuten keinen Raum zu geben. Diese Generation fehlt in Österreich. Und zwar komplett. Bis 2000 gab es immer wieder Versuche, dem Euthanasiearzt Gross in Wien den Prozess zu machen, der - erwartungsgemäss - an seinem Gesundheitszustand scheiterte. Dieser Herr wurde jahrzehntelang von seiner Partei, der SPÖ (!), beschützt und trotz aller bekannten Vorwürfe geehrt. Erst im Frühjahr 2000 distanzierte sich Gusenbauer von Gross und entschuldigte sich im Namen seiner Partei. Wie das bei ÖVP und den Kackbraunen ausschaut, mag sich jeder selbst vorstellen.

Ich durfte 30 Jahre in Deutschland ohne besonderen Antisemitismus leben. Die Monate in Wien haben mich dann alles nachholen lassen. Es gibt in Österreich kaum Bewusstsein für das Problem des Rechtsextremismus und faschistischer Tendenzen, das hat sich alles erst in den letzten Jahren entwickelt und ist bei weitem nicht stark genug, die Braunen in die Ecke zu treiben. Dass mit der ÖVP die nächste politische Kraft die Nachfolger der Austrofaschisten sind, macht die Sache auch nicht besser. Und die Klüngelei politischen Pack jeglicher Coleur in den Ringstrassencafes lässt vermuten, dass es auch keinen Willen gibt, an diesem System etwas zu ändern.

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Dienstag, 3. Oktober 2006

Potschamperl

Als chronischem Nachtarbeiter und ebensolcher Spätaufsteher kann ich mit Lärm zu später Stunde eher leben als mit, sagen wir mal, wohlgelaunten Gerüstabbauern, die schon um 7 Uhr, nach Ende der offiziellen Nachtruhe der Provinz, Stahlstangen schmeissen. Ohnehin ist der Trend zum Spätaufstehen an dieser kleinen Stadt spurlos vorüber gegangen. In München-Schwabing bekam man so gegen 9 Uhr problemlos die später begehrten Parkplätze, hier hingegen sollte man sich so um 6 Uhr auf den Weg machen, wenn man dem Parkverbot und dem Strafzettel entgehen will. Dafür kann man auf dem Heimweg gleich Semmeln und Käse einkaufen. Und sich anhören, dass man schlecht ausschaut, was um die Tageszeit ohne Schlaf jetzt nicht so sehr verwundert, und an die Sozialkontrolle hier gewöhnt man sich besser, wenn man überleben will. Man versuche hier mal, die Hautür offen zu lassen - sofort eilt ein Nachbar herbei, wittert Ungemach und Gefahr, schliesst die Tür und weist einen beim nächsten Treffen auf die Problematik solchen Tuns hin, selbst wenn man nur schnell etwas im Kartoffelkammerl abgestellt hat.

Die Sozialkontrolle aber greift nicht mehr in der Nacht und schon gar nicht zu Zeiten des Volksfestes, mit dem der Pöbel aus dem Umland beweist, dass es sich auch ohne japanische und australische Gäste gnadenlos daneben benehmen kann. Wer nicht im Sanka abtransportiert wird, oder beim Ausparken erst den Vordermann und dann den Hintermann rammt und der Polizei dann mit den Worten "Des woa scho so, Ia kennz ma nixn, I bin da Büagamoaschta vo Grossdingshausen" (Name des Ortes geändert, Geschichte durch die damals mein Bett zierende Tochter aber verifiziert, die dann ein halbes Jahr lang Papis Mercedes fahren konnte) - wenn man also nicht durch die kleinlichen Racheversuche des Schicksals aufgehalten wurde, zieht man zu später Stunde weiter in Kneipen, die an diesem Abend das Fehlen einer anständigen Türkontrolle bitter bereuen. Um halb drei dann, zu meiner Hauptarbeitszeit findet sich das Pack dann unter meinem Fenster ein, und während ich eine Wahlanalyse über das braune Pack in Österreich auf Englisch schreibe, sucht man mir mit lauten, nicht immer gesetzeskonformen Gesängen zu beweisen, dass die Probleme des Nachbarlandes auch bei uns zu finden sind. Mitunter suchen sie an der Haustür auch ein Urinal, und dann mache ich sicherheitshalber Festbeleuchtung im Gang und drehe Torelli LAUT auf.

In früheren Tagen gab es noch eine Art Waffengleichheit auf zwei Ebenen. Zum einem, wenn es ganz hart kommen sollte, gab es in diesem Haus mit seinen passionierten Viecherabknallern eine grosse Menge an Schiessprügeln, Schrotflinten und auch Gerätschaften, die heute gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstossen würden. Dessen Einsatz hätte fraglos gewirkt, aber es gab noch eine niedrigere Eskalationsstufe: Das Potschamperl, ein mit Rokokodekor verziertes Porzellangefäss, das seinen Namen der liebevoll-bayerischen Verballhornung des französischen Wortes "Pot de Chambre" verdankt - die eigentliche Übersetzung in unseren Dialekt wäre dagegen Brunzkachel. Das sagt man aber in den besseren Häusern nicht. Nur zu Menschen, da kann man das sagen. Etwa, wenn man den aus warmen Wasser und etwas Essig bestehenden Inhalt des gut sichtbaren Potschamperls auf die Schreihälsen platschen lässt.

Gestern Abend habe ich so ein Potschamperl dringend vermisst. In irgendeinem der vielen Wandschränke müsste es aber noch sein und auf neue Abenteuer warten. Vielleicht liegt ja auch noch irgendwo eine Flinte herum. Gehackte Sauborsten und Salz, das soll wirken. Und ich will eigentlich gar nicht wissen, woher ich das alles weiss, eigentlich wäre es schon in Ordnung, wenn die da unten einfach ihr Maul halten würden und mit ihren gepimpten Kleinwägen den Versuch starteten, die Strecke nach Neuburg mit neuen Marterln zu versehen.

P.S.: Etwas nördlich, bei den Beutebayern Franken ist es auch nicht besser.

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Dienstag, 3. Oktober 2006

Aus gegebenem Anlass

Katharina Hacker Rezension.

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Sehr zu empfehlen - Puzzle für Innendekoration

Berlin sollte nur 3 Monate dauern - es dauerte anderthalb Jahre, bis das Projekt wieder auf stabil und sauber lief, und ich die Stadt endlich verlassen konnte. Bilder habe ich kaum mitgebracht, zu unstetig und vorübergehend war der Aufenthalt. In München waren die Wände weitgehend voll mit Moderne, und in der Provinz über der Stadt war an den Wänden mit ihren Schrägen nicht viel Platz. Aber irgendwann, das wusste ich, würde ich genug Wände haben. Bilder gehören zu den Gegenständen, die man bedenkenlos auf Vorrat kaufen kann, solange sie nicht gerahmt sind, bis zum Moment der Hängung reicht ihnen eine weitgehend staubdichte, leicht durchlüftete Kiste aus schädlingsresistenten Holz als Ort der Aufbewahrung. Stiche zumal machen alles klaglos mit, denn ihr Papier, so es vor 1850 geschöpft wurde, kann Jahrtausende überdauern, und selbst die fein schwellenden Linien meines 400 Jahre alten Goltzius haben der Zeit problemlos widerstanden.

Hinweggefegt aber hat die Zeit zumeist die Rahmen, und die nun gilt es nachzukaufen, auszuprobieren und einzufügen. Was im ersten Moment nach einer leichten Aufgabe klingt, erweist sich schnell als nie enden wollende Plage. Denn DIN-Normen kannten die Alten nicht, und neue Rahmen ohne Patina und Macken lassen den ehrwürdigsten Triumpf von Alexis Loir grauenvoll kitschig aussehen. Was bleibt, ist die beschwerliche Suche nach alten Rahmen, und die sind mitunter alles andere als billig. Denn im Wissen um das Problem haben sich Händler gefunden, die Abhilfe schaffen - und zwar in der Form, dass sie am frühen Morgen die Flohmärkte abgrasen und das Erworbene danach mit hohem Gewinn weiterverkaufen. Unsereins muss dagegen lange suchen, bis sich Entsprechendes findet, das einen nicht gleich ruiniert.



Idealerweise hat so ein alter Rahmen ein Glas, ein Passepartout, und eine Rückseite aus stabilem Karton. Perfekt wäre es, wenn der die richtige Grösse hätte, doch da beginnt das Übel: Nachdem man kaum mit Butzenden von Bildmassen die Märkte absuchen kann, kauft man, was man kriegen kann, und versucht dann, die passenden Stiche zu finden. Mitunter fällt der Denker nach Giovanni Barbieri geradezu in den Rahmen, das dunkle Braun der Druckfarbe ergänzt sich fein mit dem hellbraunen Deckblatt - andererseits gibt es da diese römische Statue um 1680, die sich seit nunmehr 8 Jahren jedem Rahmen verweigert. Oder das fränkische Rokokoportal. Oder der Kostümumzug in Amsterdam.

Was zur Folge hat, dass sich zu den unpassenden Stichen irgendwann auch nicht passende Rahmen gesellen. Gesehen, gehofft, gekauft, zu gross, zu klein, zu schmal, nicht harmonisch oder einfach die falsche Farbe, es gibt immer wieder Kombinationen, die einen kapitulieren lassen. Und die Folge? Das nächste Mal sieht man einen Stich und denkt - da hätte ich den passenden Rahmen dafür. Vielleicht gibt es irgendwann eine Grenzmenge an Rahmen und Stichen, bei der man statistisch nichts mehr falsch machen kann, wo so viele Vorräte da sind, dass es keinen Fehlkauf mehr geben kann. Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg.

Egal. Ein paar Wände habe ich noch.

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Real Life 1.10.06 - Finale, Allegro

Noch ein paar Sekunden steht der Hall der Trompeten im Raum, aber da bricht auch schon der Applaus los, verscheucht die feine Harmonie aus den prachtvoll verzierten Wänden und lobpreist die Damen und Herren, die fünf Monate lang, Sonntag für Sonntag, dem Spiesser der kleinen Stadt etwas klassische Kurzweil zwischen Gottesdienst und Schweinshaxn verschafft hat. Noch einmal ist der Saal bis zu den Stehplätzen gefüllt mit denen, für die es dazu gehört, oder anderen, die mitgeschleift werden, um danach die heile Familie zu präsentieren. Manche fehlen, wie etwa die Frau mit der Tochter und deren Tennislehrer und einem vor kurzem empfangenen Sohn, der sicher mal, wenn die väterlichen Gene durchschlagen, ein witziges Kerlchen wird - sein Papa jedoch ist, erzählt dir Iris im abflauenden Applaus, ab diesem Sonntag in einem Club in Norddeutschland zu Gange, wo er eine Knabenmannschaft trainiert. Dabei wippt sie fröhlich mit ihren schwarzen Lackballerinas, und die Schnürchen federn im Takt mit, ein Tänzchen der Bosheit zum Hohne derer, die aus religiösen Irrsinn heraus dieses Gebäude erschaffen haben. Hoch sind die Ideale, niedrig die Motive und der Schmutz, der uns bekotet, ist immer noch besser als der Staub der Langeweile. Lieber den Schweiss der Erregung abwischen, die Galle der Bosheit gegenüber ehemalig angeheirateten Moralisten, als im reinen Wasser der Unschuld eingelegt zu verschrumpeln.



Ihr verlasst den Raum, werft einen recht ansehnlichen Betrag in das Weidenkörbchen, das prall gefüllt ist mit den Zuwendungen der anderen, und tretet hinaus in das immer gleissende Sonnenlicht. Fast immer scheint die Sonne in diesem Moment, als wolle das Schicksal seine immerwährende Bevorzugung dieses Fleckens jeden Sonntag aufs Neue beweisen, zur Freude der Spiesser, die trockenen Fusses zu den schweren Wägen gelangen, um dann wieder in die Vorstädte zu entschwinden. Es ist alles wohlgeordnet, passend und korrekt. Probleme gibt es woanders, allein das Thema mit den Siemens-Handies verstört manchen, aber sowas gibt es hier nicht. Auch kein Handygebimmel während des Konzerts. Alles so still hier.

Übrigens sagt Iris, kennst du eigentlich die S.? und weist mich auf eine nicht mehr ganz junge Frau hin, die in einem Pulk von bekennenden Müttern und bisweilen flennenden Blagen umgeben ist. Vom Sehen, sagst du, aber du kannst Sie nicht zuordnen, die Stadt ist voll mit diesen abgemagerten, energischen Frauen um die 40 auf der Suche nach Ablenkung vom Hausfrauendasein. S., erzählt Iris, habe gerade einen Laden für bessere Kinder aufgemacht. Schuhe, Hosen, Röcke, Oberteile fernab des Looks, mit dem sich heute schon 10-jährige als Gangster oder Ghettobitch aufstylen. Kleidung, die ihnen sicher kein Fleischklops aus den Blocks entreisst. Stil eben.

Du erinnerst dich, du bringst das Gesicht mit einem Laden zusammen und mit einem Luxusgefährt, das allenthalben mikt Strafzetteln bewehrt im Parkverbot nicht weit von dir steht. S. nun ist eine Freundin des Clans, aus dem Iris kommt, und habe ihr angeboten, ihre nun doch schon etwas längere Phase der Untätigkeit nach der Scheidung mit einer kleinen Beteiligung an diesem Zukunftsgeschäft zu beenden. Das muss ein Erfolg werden, man kann es den reichen Eltern dieser Stadt nicht zumuten, ihren Nachwuchs nicht von Kindesbeinen an der ihnen vorbestimmten Position zuzuführen. Diese Leute wollen Beratung, sie wollen einen stimmigen Gesamtauftritt, viel und lang und mit Juchzern, wenn sie was sooo Süüüses gefunden haben, da muss alles sitzen, und die Sozialkontrolle des Luxuskindergartens im Grünen werde schon ihr Übriges tun, dass bislang auch abstinente Mütter in Scharen bei ihr einlaufen.

Du denkst an die Apothekerstochter G., die ihren mühsam erschlafenen Beitrag zur Arterhaltung in einem 1000 Euro teuren Sportkinderwagen durch die Parks rollt, an die Grossbauerntochter H., die gerade ein Baugrundstück verkauft, um dem Nachwuchs ein Polster mitzugeben, und all die unausgelasteten Gebärmutterträgerinnen ohne Job aber mit Gatten im gehobenen Management, die irgendwas mit ihrer Zeit anfangen müssen, und an Kinder, die wahrscheinlich die Klamotten hassen, aber wenn sie mal einen Nachmittag nicht lernen müssen, damit sie auch ja die richtige Note in der Endabrechnung haben, um Medizin studieren zu können, freiwillig in die Stadt gehen werden, du denkst an V., der nach dem Tod seiner strengen Mutter Playboy hätte werden können und nun den Porsche Boxter gegen einen Cayenne eingetauscht hat, zwecks Familientransport, und an die Geschäftsmodelle, die...

Dummerweise, sagtr Iris, hasse ich Kinder. Wir grüssen höflich die Geschäftsfrau, begeben uns in Richtung Konditorei, während hinter uns Blagen quengeln, die später sicher mal erstklassige Stützen der Gesellschaft sein werden. Tennislehrer sind out, aber Golflehrer werden ihren Platz einnehmen auf den Dreilochplätzen dieser kleinen, privilegierten Stadt am Rande der einzigartigen greater Munich Area.

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