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Donnerstag, 12. März 2020

Wir werden die Zeit schon herumbringen

Zum Glück habe ich sogar einen Innenhof, in dem ich herumlaufen kann, wenn es ganz schlecht wird - man weiss ja nicht, was genau kommt. Und ich habe endlich einen Rollentrainer besorgt und obendrein in einer Kiste auf dem Schrottplatz viele Teile gefunden. Dann bastle ich halt was.



Ich habe Kannen und ich habe Tee, viel Tee, genug für zwei Monate, und auch Spiritus für die Stövchen. Ich werde also auch kaum verdursten.



Vorräte habe ich auch, eintöniger könnte es natürlich schon werden, weil Trüffel jetzt nicht zwingend das erste Importgut ist, an das man denken würde. Ich habe aber noch etwas Paste und zufällig in Italien auch grosse, eingeschweisste Käsebrocken gekauft. Ausserdem kann ich beim Kochen improvisieren.



Ich bin gespannt, ob der Lockdown von Zensurmassnahmen begleitet sein wird. Zum Glücl ist der Internetzugang hier nicht mit meiner Person zu verbinden - das ist dann sehr angenehm, und die sichere Software ist auch auf dem Rechner. Für den Fall der Fälle.

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Mittwoch, 11. März 2020

Für eine Handvoll Euro

bekam man das 1993 nicht, da musste man schon deutlich tiefer in die Tasche greifen, und grosse Rabatte am Jahresende waren damals auch unüblich. 1295DM wollte der Fachhändler damals für dieses Scott Cheyenne. Gefahren wurde des danach kaum, es stand nur herum und wurde jetzt, wie so vieles in der kleinen, dummen, reichen Stadt an der Donau - weggeworfen.





Meine Erklärung für dieses Rad und andere exzellent erhaltene MTBs der frühen 90er Jahre ist, dass damals a) die Technik ausgereift war, b) hohe Stückzahlen produziert wurden und c) jeder so etwas haben musste. Vermutlich wanderten damals unbemerkt die alten Oparäder auf den Schrott, die 10-Gang-Peugeots und die Rixe-Räder. Heute fällt es auf, weil das nicht direkt ins Altmetall geht, sondern vorsortiert werden muss, und dabei fallen dann solche Stücke aus dem Verwertungskreislauf.





Was damit tun? Keine Ahnung. Ich gehe aber stark davon aus, dass sich in diesem Frühjahr sehr viel ändern wird. Vielleicht werde ich viel Zeit in der Roten Zone zum Schrauben und Radeln haben, vielleicht ist es auf Feldwegen besser als auf Strassen, wo die Sperren sein könnten. Man weiss es nicht. Heute morgen ist hier auf der Strasse der Verkehr zusammengebrochen, weil viele Eltern ihre Kinder mit dem auto brachten, und trotzdem ist das Klassenzimmer unter mir nur schlecht gefüllt. Da ist etwas im Anmarsch. Es ist nie verkehrt, etwas Bastelarbeit und Mobilität jenseits des Üblichen zu haben. Oh, natürlich ist das nur der Worst Case, natürlich sind wir "bestens vorbereitet" und müssen keine Angst haben.



Wenn alles gut gegangen ist, verschenke ich es vielleicht. Wenn alles schlecht geht, werden bald viele Keller und Garagen vom Opa ausgeräumt.

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Dienstag, 10. März 2020

Wenn Prophezeiungen wahr werden

In meinem ersten Beitrag zur Coronaseuche - und ich denke wirklich, man sollte es als Seuche bezeichnen - habe ich ausgeführt, warum manche alten, weissen Leute nicht zwingend sterben: Weil sie sich gar nicht infizieren. Dabei nahm der rollende Virenfilter Auto breiten Raum ein, und der Umstand, dass bei uns der ÖPNV eh nur rudimentär ausgebildet ist - der schaukelt nur Schüler und Touristen.



Dass so eine Eisenröhre mit vielen Menschen, die nicht davonlaufen können, und mässiger Durchlüftung, egal ob auf Schienen, auf Rädern, auf dem Wasser oder in der Luft, neben Kindergärten und dem CCC-Kongress das Lieblingsareal von Viren sind, ist jetzt nicht ganz neu; beim CCC spricht man sogar von der Congressseuche. Aber gefühltes Wissen ist nur das eine und Wissenschaft das andere, und dazu gibt es jetzt eine spannende Fallstudie aus China, die sich mit der Infektion bei längerem Aufenthalt in einem Bus beschäftigt. Die Ergebnisse sind jetzt eher so, dass man besser sofort in den Keller gehen und sein Rad aufpumpen sollte, auch wenn es draussen regnet. Wie so oft - es ist schlimmer als die übelsten Befürchtungen.



Das Virus kommt in so einer Eisenröhre bis zu 4,5 Meter weit. Die Entfernung an sich spielt dabei keine erkennbare Rolle. Das Zeug ist unter solchen Bedingungen höllisch ansteckend, was vermutlich auch die vielen Fälle bei Webasto und im Club Trompete erklären kann.Es erträgt an der Luft Temperaturen bis zu 37 Grad und kann bis zu 30 Minuten, einmal ausgehustet, herumschwirren. Es bleibt auf glatten Oberflächen bis zu 3 Tage aktiv. Von denen gibt es in Bussen, Bahnen und Flugzeugen jede Menge. Das sind alles so Faktoren, die es beim Rad nicht gibt, da ist man allein und an der frischen Luft und hat niemand neben sich. Es grabbelt einen auch keiner an. Es gibt auch keine Kontaktflächen mit anderen Gegenständen (ausser jemand fährt einen vom Rad).



In Büros gibt es Vorschriften für den Raum, den jeder Mitarbeiter haben muss -auch das mag vielleicht etwas wenig und damit riskant sein. Aber der ÖPNV ist nun mal schwer belastet, speziell die Münchner Stammstrecke zum Beipiel, oder der Berliner Ring. Die Seuche hat dort weniger Zeit, aber viel mehr mögliche Opfer. Im Büro kennt man wenigstens die Leute und kann sie beobachten - im ÖPNV ist das unmöglich. Bezeichnenderweise haben die Südtiroler als erste Masnahme die Maximalkapazität ihrer Skigondeln auf 1/3 reduziert. Das sagt einem die Regierung in Deutschland nicht so überdeutlich, aber: Wer irgendwie kann, sollte besser das Rad nehmen. Das Rad, weil es im Gegensatz zum Auto nicht zum Zusammenbruch des Verkehrs führt. Oder einfach daheim bleiben.



(Dreist gestohlen bei der italienischen Kampagne iorestoacasa)

Weil die, die als geheilt entlassen werden, zwar die Antikörper haben. Aber die weiteren Folgeschäden sind noch reichlich unbekannt. Also einfach nicht anstecken. Und aufpassen.

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Montag, 9. März 2020

Es sind die kleinen Dinge

Wie schon mal erwähnt, der Übergang meiner Blogs von der FAZ zur Welt vor zwei Jahren war für mich keine gosse Sache: Ich bekam eine längere Mail von der FAZ, und während ich noch nicht einmal wusste, was genau die wollten - die Botschaft war im letzten Absatz verborgen und auch nur so mittelklar in ihrer Intention - hatte ich schon das Angebot, zur Welt zu wechseln. Dort sah ich die Paywall zuerst als drohendes Elend, aber inzwischen erspart sie mir, würde ich sagen, 75% der Shitstorms und jede Menge üble Nachrede.



Mir ist klar, dass das manche ausschliesst, weshalb sich hier jetzt auch wieder ein wenig die Vorhänge heben. Die wichtigen Grundinformationen zu COVID19 bringe ich auch bei Twitter, weil vieles in Deutschland kaum in den Medien steht. Aber nach den zwei Jahren ist es vielleicht ganz interessant zu sehen, wo ich gerade so stehe. Das hier war bei der FAZ der letzte Beitrag, bevor es etwas lauter wurde, und er kam auf über 60.000 Klicks und 645 Kommentare. Er war damit überdurchschnittlich, 40.000 Klicks und 400 Kommentare sind in der Spätphase bei der FAZ normal gewesen. Nach einem Tag bei der Welt sieht ein sehr gut laufender Beitrag jetzt so aus.



Ja, ich weiss, die Kommentarsoftware ist immer noch eine Pest und ich weiss auch, dass in anderen Bereichen der Welt zu rigide eingegriffen wird - letzthin hat mal jemand einen Ausschnitt meines Beitrags im kommentar zitiert und wurde dann gelöscht. Aber ich kümmere mich darum und die Löschquote liegt momentan bei 0,3%. Was man bei der Welt nicht sieht, sind die Klickzahlen, aber ich kann sagen: Obwohl der Beitrag hinter der Paywall liegt, waren es deutlich mehr als bei der FAZ. Und die Verweildauer ist, obwohl die Beiträge deutlich länger sind, so an die 15000-18000 Zeichen, sehr gut. Die Leute lesen das wirklich, und diesmal hat der Beitrag auch sauber Abos verkauft, im Bereich mittlerer Zweistelligkeit: Keiner von den Neuen hat sich beschwert, das hätte sich jetzt nicht gelohnt - was ansonsten immer so eine Urangst ist.



Sieht nicht o aus, als böte ich zu viel Anlass zur Unzufriedenheit auf allen Seiten. Es geht voran. Eventuell überleben Medien doch im Internet, und die kommenden Wochen, wenn hier die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, werden zeigen, wie es sich ohne Papier so ausgeht. Die FAZ kommuniziert nicht umfassend, wie es bei F+ so läuft, aber man wird sehen, wie sich das entwickelt. Eine Art Ersatz für mich in Sachen Aktivität sehe ich da jedenfalls bislang noch nicht.

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Freitag, 6. März 2020

Dinge, die der Geschichte egal sein werden

Ich habe das studiert: In 500 Jahren kommt niemand und sagt, ah, schön, sie haben sich zurückgehalten und immer nur das Schlichte genommen, sie warteten geduldig auf das Ende und richteten ihre Gedanken auf die Ordnung ihrer Dinge - Quatsch! In 500 Jahren kommen die Archäologen, die meisten sind jung und werden von der Arbeit schlank und sexy, und wenn sie die Überreste der Leichen im blauen Müllsack oder in der Obstkiste in den Bauwagen getragen haben, grillen sie davor und denken gar nicht mehr an das Tagwerk in der Leichengrube. sondern an ganz andere Dinge. So ist das Leben, wenn die Knochen im Bauwagen liegen.



Wenn ich irgendwas im Studium gelernt habe, neben Grabfeldanalysen, etwas Allgemeinbildung und Sterbetabellen auswerten und einer längeren Arbeit über historische Seuchen, dann ist es das: Niemand interessiert sich wirklich dafür, wie man gelebt hat. Mit ein paar Jahren abstand gibt es für den Prasser nicht weniger Schulterzucken als für den Sparsamen, der Sexbesessene wird genauso apathisch betrachtet wie der Beichtbruder. Ruf ist nur das, was die Leute sagen, die selbst noch nicht unter der Erde sind, und wenn sie es sind, hat sich das auch mit dem Ruf.



Sicher, mitunter kommen einem selbst auch Zweifel, ob es das Stückerl Strudel noch sein muss, und ob man diese eine verschnörkelte und jetzt nicht absolut geschmackvolle Kanne wirklich braucht. Aber es tut keinem weh, die Kalorien gleichen sich zwischen Null beim Tee und Vielen beim Strudel aus, und ein wenig Fett ist auch nur Preppern am eigenen Körper. Also nicht darüber nachdenken, was an Giftspritzen in diesen Moraltagen der Seuche aus den Löchern kriechen mag. Nehmen, was man kriegen kann.

Es gibt einem sonst keiner.

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Mittwoch, 4. März 2020

Ohne Sex und Alkohol, mit Pollen und Viren

Was haben die Leute früher gemacht, als es Winter war, als es kalt war, als es ständig dunkel war?

Sex, Saufen, Kartenspielen und Handwerk. Es ist wirklich so, denn mit wärmendem Alkohol kam man gut über den Winter, war zudem enthemmt, und es gibt historisch belegbar eine Geburtenschwemme gegen Oktober, wenn die Erntearbeiten vorbei waren. Wie man vielleicht weiss, trinke ich nicht, vertrete aber liberale Positionen beim Sex - nur momentan nicht. Ich glaube, man ist gut beraten, momentan für ein paar Monate auf Sex mit weniger gut Bekannten zu verzichten. Das ist einfach zu viel Kontakt. Kartenspielen ist nicht so meins, bleiben also: Handarbeiten.



Da kommt man keinem zu nah, speziell nicht auf dem Schrottplatz in der frischen Luft, und in meiner Werkstatt. Über den Winter kam viel rein, was noch auf Retaurierung wartet - natürlich nichts wie dieser hübsche, unzerstörbare Dynamo an einem Damenrad, sondern Sportgerät. Beispielsweise Mountainbikes und Systemlaufräder für Rennräder. Die sind halt etwas anfällig, manchmal bricht die hintere Naben und manchmal verzieht sich die vordere Felge: Also gibt es auf dem Schrottplatz haufenweise Paare, die nicht passen. Aber ich habe seit langem ein Viner Evolution, das ich nur gebaut habe, um ein paar Reste unterzubringen, und um zu zeigen, was unter 200 Euro geht. Da waren die klassischen Laufräder relativ teuer, und nun bekam ich ein ungleiches Paar, Shimano 550 hinten und Citec Air vorne, für 10 Euro. Nur die sehr unterschiedlichen Aufkleber störten. Aber deren Entfernung ist keine grosse Sache, und jetzt sieht es so aus:



Jetzt passen auch die hohen Felgen zum Rahmen. Das sind so die kleinen Freuden in einer Zeit, da man ahnt, dass es böse enden wird, und die Frage ist nur noch: Wie böse. Da wissen wir alle ungefähr gleich wenig, aber der Umstand, dass man in Südtirol 1 Infizierten mit Corona gefunden hat, aber 4 Feriengäste in Südtirol haben den Virus mitgebracht - das gibt zu denken. Wir wissen wirklich nicht viel, und das macht die Sache so problematisch. Bei einem Laufrad kann ich die Speichen prüfen und sagen: Wird schon halten. Tut es dann auch meistens. Aber das hier ist nun mal eine andere Kategorie, und zum ersten Mal seit 15 Jahren werde ich vermutlich eher nicht den Frühling in Italien verbringen. Hallo Pollen, hallo Heuschnpfen.



Das wird wenig erbaulich, vielleicht lasse ich mir ein Trikot mit der Aufschrift besticken: JA MEINE AUGEN TRÄNEN NEIN ES IST NICHT COVID19 NUR DER HEUSCHNUPFEN. Ich werde es, sofern ich in diesem Mastjahr rausgehen kann, brauchen. Glücklicherweise haben wir wenigstens Klimaerwärmung: Frühblüher sind jetzt schon weg, Erle ist gerde da und den Rest schaffe ich auch noch. Oder ich sitze halt in der Werkstatt, werde fett, womit das Entfallen von Sex auch nicht mehr so schlimm ist, und schraube an Rädern und Beiträgen. Ohne italienische Sonne.

Ernsthaft. Was soll das alles? Das habe ich alles nicht erwartet.

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Samstag, 29. Februar 2020

Seuche statt Beben

Das letzte grosse Erdbeben in Oberitalien war vor über 400 Jahren, und es war eine mehr als hässliche Erfahrung: Nach dem ersten Beben hatte man ein paar Jahre Zeit, alles wiederaufzubauen, und dann kam das zweite, genauso schlimme Beben. Zum Glück hatten manche Städte damals aber schon sicher gebaut, und zwar so sicher, dass das Gemäuer auch 2012 nochmal gehalten hat. Ferrara stand recht gut da, aber ein par Dörfer weiter sanken Bauten des 20. Jahrhunderts in Schutt und Asche nieder.



Für den neuen Beitrag in der Welt, der sich noch einmal umfassend mit den Tücken des italienischen Medizinsystems auseinander setzt, habe ich ein paar Bilder aus der damaligen Zeit gebraucht. Dafür musste ich die SD-Karte einlegen, die ich eigentlich nicht so gern durchschaue - es ging mir damals nämlich nicht sonderlich gut. Es war 2012 nicht schön, das Land in so einem Zustand zu sehen, und bei ein paar Bildern sagte man auch bei der FAZ, dass sie etwas zu hart seien. Die Zeit hat sich bei mir so eingeprägt, dass ich auch nach 8 Jahren noch weiss, wo in dem einen riesigen, 8GB grossen Ordner welches Bild sein muss, aber es ist keine schöne Prägung.



Wir haben damals öfters, weil es nichts Vergleichbares gab, über das alte Beben gesprochen, und dass ich wohl diesmal, wenn alles fertig wäre, wieder kommen müsste, um den nächsten Niedergang abzulichten. Aber wie man sieht, Geschichte macht es einem bei den Wiederholungen nicht so einfach, und jetzt könnte man in Italien praktisch alles buchen: Die Seuche ist da, und die Touristen schauen, dass sie, mit Virus oder ohne, über den Brenner nach Hause kommen. Zurück bleibt ein Land, das damit überhaupt nicht gerechnet hat. Und die üblen Nachrichten reissen gerade nicht ab.



Und für mich macht es diesmal keinen Sinn, dorthin zu fahren. Mehr als Strassenposten und Kliniken von Aussen könnte ich auch nicht ablichten. Die Italiener informieren wirklich zum ersten Mal seit dem Beginn des Virus richtig umfassend, und nicht mit Lügen wie China oder der Iran. Es gibt also keinen Grund, sich selbst in Gefahr zu begeben. Ein Erdbeben, eine Flut, ein Feuer kann man kalkulieren, aber einen Virus? Ich will hier gar nicht weiter in die Tiefe gehen, warum das alles noch deutlich schlimmer wird. Nur eines ist klar: Diesmal komme ich wahrscheinlich nicht. Ich mache das, wenn überhaupt, von Deutschland auch. Was überhaupt nicht meine Art ist.



Aber auch so wird das alles vermutlich ein Megaexperiment in Sachen Home Office, denn ich glaube nicht, dass es in Newswooms gerade viel sicherer als in Bussen und Zügen ist. Am Rande, mein Beitrag wurde schon von der Realität eingeholt: Den ersten deutschen Flixbuserkrankten gibt es mittlerweile auch schon. Also dableiben und allen Freunden in Italien sagen, dass man sie liebt, und sie gut auf sich aufpassen sollen.

Trotzdem ist da dieses Gefühl eines Verrats, klein und schäbig.

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Freitag, 28. Februar 2020

Ich liebe Italien, aber nicht das Gesundheitssystem

Wohin geht man in Deutschland, wenn man richtig krank ist? Zum Arzt.

Wohin geht man in Italien, wenn man richtig krank ist? Erst mal nicht zum Arzt, das Gesundheitssystem in Italien ist nicht sonderlich gut, es gibt wirklich scheussliche Krankenhäuser, und Termine sind auch nicht so leicht zu bekommen. In Italien googelt man eher, geht in die Apotheke und kauft dort, was einem der Apotheker empfiehlt.

Das ist anonym, man kann es im Zweifelsfall sogar über einen Mittelsmann machen, und die Rezeptpflicht wird oft durch das Versprechen ersetzt, man habe das Rezept daheim vergessen - sofern man überhaupt danach gefragt wird. Ich mache das auch so, nachdem mir mein Hausarzt in Deutschland ein Atemmitel verschrieben hat, gegen das ich allergisch bin, und ich in italien Ventolin problemlos bekomme. Warum soll ich eine teure Stunde unter Kranken im Wartezimmer sitzen und dann eine deutsche Winzdosis mit langen Ermahnungen erhalten, wenn es auch so geht, Anhalten an einer Apotheke und kaufen für 3 Euro?



Das alles ist ziemlich harmlos, Italien hat halt einen Teil der Gesundheitsvorsorge an die Apotheken ausgelagert, und deshalb gibt es dort auch so viele. Bei den kleineren Problemen kann der Arzt auch nicht mehr tun, als irgendwelche Mittel zu verschreiben, die man in Deutschland ohne Konsultation nie bekäme. In Italien verkauft das halt der Apotheker, und wenn man Italiener kennt, dann sagen sie einem auch, welcher Apotheker besonders abgabefreudig ist. Meiner in Staggia zum Beispiel ist es überhaupt nicht, da wird wirklich nur nach Rezept verkauft. Aber der ist eine Ausnahme, und als ich Ende Januar in Modena war, bekam ich auch ein *besonders gut wirkendes* Mittel gegen meine Erkältung.

Das heisst, man kommt in Italien deutlich länger um einen Besuch beim Arzt herum, als in Deutschland. Und wenn die Erkrankung Grippe gleicht, und man ein Mittel bekommt, das die Symptome reduziert, mag es sein, dass eine Infektion mit dem Coronavirus erst mal gar nicht besonders auffällt: Der Arzt wird nicht gefragt, das Krankenhaus wird nicht aufgesucht, es fühlt sich für viele auch nicht schlimmer an. Mit dieser italienischen Eigenheit kann man vielleicht erklären, waum in den letzten 72 Stunden die Lage ausser Kontrolle geraten ist: Sie war nie unter Kontrolle. Jetzt merkt man das eben, weil doch viele zum Arzt gehen.



Das ist übrigens auch ein Klassenproblem, denn in Italien gibt es viele Leute, die sich nicht mehr als den staatlichen Grunddienst leisten können - alles, was darüber hinaus geht, muss bezahlt werden. Clandestini, nicht oder nur teilweise erfasste EU-Migranten und abgelehnte Flüchtlinge fallen zudem auch aus diesem System heraus. Für die gibt es an manchen Orten Notfallkliniken in privater Trägerschaft, oder eben den Apotheker. Und diese Leute haben auch ihre Gründe, das normale System zu meiden.

Das sind dann auch diejenigen, die bei Reisen Methoden bevorzugen, bei denen keine Registrierung im klassischen Sinn nötig ist. Das sind dann halt keine Fluggäste und auch eher nicht Zugfahrer, sondern diejenigen, die den Flixbus direkt und bar beim Busfahrer bezahlen. Oder halt all die anderen Busse, die zwischen Deutschland und Italien verkehren. Es gibt ja noch genügend private Kleinunternehmen, die das auch machen, und als ich das mal benutzt habe, hat uns auch niemand kontrolliert. Und selbst wenn man als Nicht-EU-Ausländer kontrolliert wird: Nach allem, was man so hört, ist es in Italien nicht wirklich schwer, deutsche Dokumente aus dem dysfunktionalen Asylsystem zu bekommen. Wer mit dem eigenen Auto aus Italien kommt, wird ohnehin nicht angehalten, egal ob Deutscher oder Italiener. Die Deutschen können das wegen der fehlenden Grenze zu Italien bei den Deutschen nicht einmal feststellen.



Da kommen also zwei Dinge zusammen: Ein Gesundheitssystem, das bei einer grippeartigen Erkrankung von der grossen Mehrheit unterlaufen wird, weil es geht, und sogar von vielen unterlaufen werden muss. Und offene Grenzen ohne Registrierung der Reisenden.

Israel steckt Einreisende aus Italien 14 Tage in die Quarantäne, Deutschland verteilt freiwillig auszufüllende Aussteigerkarten - wenn man sie gedruckt haben wird. Der enorme Anstieg der Fälle in Italien, und der Umstand, dass reisende Menschen aus Italien gerade in vielen Länder als erste Coronafälle auftauchen, müsste eigentlich zu denken geben, und das oben Gesagte sollte dabei in die Enscheidungsfindung einfliessen. Was sich in Italien jenseits des Gesundheitssystems speziell bei Jüngeren und Ärmeren und Unregistrierten abspielt, ist nicht abzuschätzen. Deshalb haben auch so viele in Italien Angst vor den Zuständen in Mailand, wo es auch viele Ecken gibt, die der Staat mehr oder weniger aufgegeben hat, und in denen Menschen ohne die jetzt eigentlich nötigen, sanitären Einrichtungen leben. Bis zu meinem Erdbebeneinsatz konnte ich mir das Ausmass auch nicht vorstellen, aber dann war ich in ein paar Lagern für Pakistanis und Afrikaner: Schon damals hatte man Angst vor der Ausbreitung von Seuchen in all den Ruinen, die immer noch als illegale Unterkünfte benutzt werden. Diese Leute sind auch diejenigen, die wegen fehlender sozialer Bindungen als erste die Regionen verlassen, in denen es kritisch wird. Das war so beim Erdbeben in Oberitalien, das wird jetzt auch nicht viel anders sein. Tests kann man bislang nur bei Menschen machen, die den Test haben wollen. Das dafür nötige Bewusstsein kann man bei denen, die von der Hand in den Mund leben und Taschentücher auf der Strasse verkaufen, wahrlich nicht erwarten. Und diese Leute sind die grosse Unbekannte bei den Zahlen aus Italien. Und warum sollte sich auch der aus dem System Gefallene im Alter von 25 dafür interessieren, was sein Schnupfen 2 Wochen später bei einem deutschen Rentner bewirken kann.

(Ich schreibe das hier auf der Probebühne, weil ich bei der Welt mit diesen Überlegungen vermutlich nur zur Panik beitragen würde, und um danach sagen zu können, schaut her, das hätte man in Deutschland bedenken müssen. M.E. bräuchte man rigide Grenzkontrollen schon in der Schweiz und in Österreicht, den wie schlimm es in Oberitalien wirklich ist, weiss noch niemand.)

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