Die Feinde Europas.

Ich frage mich, wie ein Bewohner eines Vielvölkerstaates Europa wahrnimmt, wenn er, wie ich gestern, von Bayern über Tirol nach Oberitalien fährt. Todgeweiht, vermutlich.

Dass man in Bayern auf maximale Eigenständigkeit pocht und in Brüssel den Hort des Bösen sieht, dass der dort amtierende Ministerpräsident a. D. als sowas wie der heilige Georg gilt, der den Bürokratiedrachen abmurkst, ist nichts neues. Brüssel ist hierzulande nur ein anderes Wort für Bürokratie, ganz so, als hätte sich Bayern aufgrund von Rivalitäten (unter Einschluss des aktuellen Staatsparteichefs) nicht eine Weile zwei konkurrierende und ineffektive Agenturen für Industrieansiedlung geleistet. Und wehe, wenn Brüssel mal was an der Milchquote dreht, dann wird sofort jedes Vorurteil rausgeholt. Lobbyismus braucht kein Brüssel, aber die Illusion, dass dort verbrochen wird, was die Staatspartei dann von Berlin vorgesetzt bekommt, ist nützlich.

Gleich hinter der Grenze glotzen einen dann Kuhaugen an. Sie gehören dem regionalen Vertreter der FPÖ, jener ewiggestrigen Partei, die sich so wohl nur in Österreich halten kann. Und diese Person hat genau drei Themen: Sicherheit für Tiroler (damit ist eher nicht das gegenseitige Verbringen in Keller gemeint), die Abwehr von Muezzingesängen, ein in tiroler Bergdörfern und ihrer zu 100% katholischen Bewohnerschaft drängendes Problem, und die enormen Aufwendungen für die EU. Ganz so, als würde die tiroler Bergbauernschaft noch irgendwie ohne die Agrarbeihilfen existieren können. In Innsbruck dann die Ankündigung, dass demnächst auch noch der Ober-FPÖler Strache, der neue Herr der unerträglichen Sager aufkreuzt. Von dem ich vermute, dass er nicht mal den Unterschied zwischen Allah Akbar und Sch´ma Isroel kennt, es ihm aber lieber wäre, wenn gar nichts davon zu hören ist.



Sterzing ist prima, sauber und schön, aber schon ab Bozen kommen dann Schmierereien, die Italiens Rechtsextreme vermutlich für legitime Wahlwerbung halten. Ultras aus diversen Regionen, Faschisten und besonders die Lega Nord. Oder LBGA NORD, wie ein besonders fähiges Mitläuferlein seine Schulbildung unter Beweis stellt. Bruxellani eunt domus, oder so. Jeder will sein Bröckchen Land, bayern den Bayern, Titol den Tirolern, Republica del Nord ohne Mezzogiorno oder gar Sizilien, Berlin, Wien und Rom als Statthalter eines Europa, das als Zumutung gesehen wird, als zwangseinigende, teure Klammer, die es zu sprengen gilt, wenn sich das Lossagen, das Unsolidarische, das Egoistische schon nicht in einem "Europa der Regionen" machen lässt. Rechte Idioten legen darauf wert, selbst wenn ihre durchschnittliche Sozialstruktur die Frage aufwirft, ob sie uns nicht teurer kommen, als alle Fehlentscheidungen Brüssels.



Man muss die Europäische Einigung nicht mögen, es geschehen Fehler, Einflussnahmen und ganz klar kriminelle Handlungen. Brüssel ist suboptimal, aber dieser extreme Antagonismus zwischen den Rechten und der einigenden Idee, die mangelnde Bereitschaft, das als Geschenk zu betrachten, und das Vergessen eines Europa, dessen Nationalstaatsideologie zu allen Zeiten weitaus schlimmer und teurer war als alles, was Brüssel je in den Sand gesetzt hat - das nervt. Europa ist und bleibt vermutlich bis zu unser aller Ableben und lange danach der Kontinent, der weltweit die besten Chancen, den grössten Reichtum und Stabilität bietet. So viel Stabilität, dass es auch die paar rechten Feinde überstehen wird, und irgendwann auf ihre Gräber pinkelt. Aber mit diesem Pack an der Macht und mit ihren dummen Claqueren wird es länger dauern, als es uns allen lieb sein kann.

Mittwoch, 14. Mai 2008, 22:03, von donalphons | |comment

 
Ich halte es ganz wie François Bayrou, der die Europäische Union „als die schönste Konstruktion der ganzen Menschheit“ bezeichnet hat.

Mittlerweile haben wir schon mehr als 50 Jahre Frieden auf europäischem Boden, das ist mehr, als unsere Väter und Großväter auch nur zu erträumen wagten. Nie wieder werden Deutsche gegen den Erbfeind Frankreich ins Feld ziehen, nie wieder wird Deutschland eine Gefahr für sich und die Welt darstellen - wie man das schlecht finden kann, ist mir wahrlich schleierhaft. Vor 3 Wochen habe ich einen Vortrag von Günther Verheugen gehört, der etwas umfangreicher das gesagt hat, was ich hier so platt formuliert habe - bei Gelegenheit fasse ich das mal ausführlicher zusammen.

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J'avoue que je suis un <<transfrontalier>>
Der Don hat mal in anderem Zusammenhang München als "angenehm" bezeichnet. Das trifft ziemlich genau meine Empfindung, was das (wirtschaftlich und verwaltungstechnisch) ziemlich vereinigte Europa angeht. Wohnen in Deutschland, arbeiten in Luxemburg, einkaufen in Frankreich, Urlaub an der belgischen Küste - dass das alles ohne eine einzige Passkontrolle geschweige denn des Wechselns von klingenden Münzen möglich ist, wird m.E. nicht einmal ansatzweise angemessen gewürdigt. Dieses unbeschreibliche Ausmaß an Freizügigkeit, gepaart mit tatsächlich liberaler Gesellschaft (forget about America!) und stabilen Verhältnisse ist schon bemerkenswert.

Wie der Hausherr es ganz richtig darstellt: Ohne die benefits der EU würden selbst die dumm aussehen, die sie populistisch in den Dreck zu ziehen versuchen. Mal ganz von den beruhigenden Wirkungen des doppelt ausgeführten Repräsentativsystems abgesehen. Auf einen Berlusconi kommt eben immer auch ein Zapatero, auf einen Sarkozy gottseidank ein Cowen, auf jede Ferrero-Waldner eine Wallström.

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Die Frage ist halt, ob das so ausgewogen bleibt, oder es nicht irgendwann wieder einen Backlash gibt. Es soll ja Politiker geben, die eine Menge Profilierungswuensche in die akteuelle Situation mitbringen. Und es braucht nur einer Mist bauen, um alle, wirklich alle Europaer zu nerven, und zurueck faellt es auf alle Beteiligten.

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Brüssel muss man wirklich nicht mögen und leider muss man auch konstatieren, dass sich Europa unter der Ägide des Dicken aus der Pfalz weit wegbewegt hat von einer wie auch immer gearteten politischen Einigung hin zu einem "bloßen Wirtschaftsunterfangen" (zugegebenermaßen sehr zugespitzt polemisiert).

Aber!

Wenn man mal die Geschichte betrachtet und die Tatsache, dass es wohl keinen Quadratmeter europäische Erde gibt, der nicht durchtränkt ist mit Blut und wenn ich mich gleichzeitig daran erinnere, dass mein sozialdemokratischer Urgroßvater noch mit Überzeugung und Begeisterung gegen "den Franzmann" in den Krieg gezogen ist, dann....ja dan, halte ich die europäische Idee bei all ihren Fehlern und Widrigkeiten für die beste politische Idee, die Europa je zu bieten hatte.

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Ja, die Idee dahinter
kann man nicht laut genug preisen, so sehr es bei der konkreten Umsetzung auch hapern mag. Ansonsten darf ich den geschätzten Vorkommentator daran erinnern, dass die EU ja mal lange Zeit EWG hieß, das wirtschaftliche Unterfangen also von Anfang an den Vorrang genoss vor dem politischen Annäherungsprozess.

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Wirtschaft muss ja nichts schlechtes sein, aber dass das Schlechte so in den Vordergrund gestellt wird von Leuten, die es problemlos aendern koennten, nervt.

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Die Freiheit, in einem anderen Land ohne erheblichen bürokratischen Mehraufwand zu wohnen, zu studieren, zu arbeiten, die Möglichkeit von Granada nach Helsinki zu reisen, ohne seinen Pass dabei zu haben und (ausser in Dänemark!) und mit derselben Währung bezahlen zu können, faszinieren mich an Europa immer wieder.
Und wenn in Brüssel zweimal im Jahr die neuen Praktikanten der Kommission eintreffen - alle mindestens zweisprachig, im Ausland studiert, engagiert, dann hoffe ich, dass sie die zukünftige Politik beeinflussen. Klar gibt es da auch Idioten, klar gibt es in Europa Fehlentscheidungen, aber die europäische Idee hat in den letzten 50 Jahren viel gut gemacht.

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