Tag der Arbeit

Wo ich gerade bin - in einem verschlafenen, Schweizer Provinznest mit Modelleisenbahnanschein - gibt es noch nicht mal den Tag der Arbeit. Es ist 1. Mai, und alles hat hier offen, der Wochenmarkt findet statt, und übersaturierte Wohlstandskinder schieben überteuerte Räder durch die Stadt, deren Reflektoren eine ganz andere Sprache sprechen, als ihre martialischen Formen und Reifen. Hier zündet niemand ein Auto an, hier prügelt niemand ritualisiert auf die Polizei ein. Und selbst, wenn ich hier einige Aspekte ziemlich abscheulich finde, weil zu viel und zu dumm zufrieden, ist es in gewisser Hinsicht besser als in Berlin, wenngleich auch schlechter als in Deutschland.



Denn in Deutschland ist "Tag der Arbeit". Ich finde diesen säkularen Feiertag als Machtdemonstration der Beschäftigten enorm wichtig, und als ich bei der grossen Autofabrik Werksstudent war, ging ich natürlich auch mit zum Paradeplatz. Wenn man mit Medien und ihrer Korruption zu tun hat, weiss man nur zu gut, wie leicht es die andere Seite hat, sich Einfluss und Stimmen zu kaufen; die meisten Wirtschaftsredaktionen sind gespickt mit Arschkriecherkohorten, die geradezu danach gieren, jeden journalistischen Standard für Billighäppchen zu verraten und zu verkaufen. Reise- und Autoressorts sind vielleicht auch widerlich in ihrer Selbstzuhaltung, aber die Wirtschaftsredaktion hat leider einen gewissen Einfluss, den sie anbietet. Und da ist es nur hilfreich, wenn einen Tag lang das Pack still ist und sich anhört, was man ihm zu sagen hat. Aktuell ist das ja eine ganze Menge, Stichworte Hartz IV, Förderung des Binnenkonsums, Bekämpfung der Raubbanken.

Aber das spielt heute alles keine Rolle mehr. Wichtiger als die Arbeiter sind ein paar versiffte Arschkrampen in Berlin, die Arbeit scheisse finden, Leute um Geld anhauen, bestenfalls mit Scheibenwaschdiensten belästigen und dann am 1. Mai die Sau rauslassen. Das will jeder sehen, das ist Event, Spektakel, Kamera drauf, ein brennendes Auto sagt mehr als eine Stunde Analyse der Spätfolgen der Bankenkrise. Die angeblichen Revolutionäre liefern genau das, was die Medien brauchen, um auch noch am 1. Mai von ernsten Themen abzulenken, sie stehen dann für den Sinn des Tages, wie er medial rüberkommt, sie diskreditieren genau die arbeitenden Menschen, die sie selbst nicht sind, und die sie verachten. Sage bitte keiner, dass die Autonomen eine Revolution wünschen, bei der sie dann an die Werkbänke dürfen - das wollen die ebensowenig wie ihre Neffen, die Berliner Blogunterschichtler, die nach Grundeinkommen ohne Bedingung plärren. Dazu gibt es dann noch lustige Gegenveranstaltungen, Naziaufmärsche, alles, was man braucht. Den perfekten Mix für die Medien.

Etwas Besseres kann jenen, die nicht über Umverteilung und Ungerechtigkeit nicht reden wollen, eigentlich gar nicht passieren, und die Kosten für die Ablenkung trägt auch noch der Staat. Noch ein paar Jahre Randale, und wir werden dann auch eine Debatte um die Abschaffung des 1. Mai erleben, zumal man dann sicher auch wieder irgendwie Arbeitgeber entlasten kann. Insofern ist mein Mitleid für die gezielt in Kauf genommenen Opfer des Konflikts mit der Polizei am 1. Mai, vorsichtig gesagt, eher begrenzt. Schliesslich weine ich ja auch nicht, wenn ein Bankster vor Gericht landet.

Sonntag, 2. Mai 2010, 00:40, von donalphons | |comment

 
Absolute Zustimmung! Insofern bin ich einigermaßen froh dass es dieses Jahr scheinbar ein wenig ruhiger zugegangen sein soll. Nicht nur dass diese "Demonstranten" keines, aber auch gar keines, von den Zielen der Linken und der Arbeitnehmer teilen, noch dazu liefert man der Gegenseite, von konservativ über NeoLib bis braunem Sumpf, grundlos Argumente gegen eine Mitgestaltung der Gesellschaft durch den "kleinen Mann".
Ich sitze gerade in Athen und was in diesem Land an Korruption statt findet ist in Westeuropa kaum vorstellbar - Bayern und Österreich vielleicht ausgenommen. Was hier an Gewaltpotential vorhanden ist, hilft auch nicht die alten, elitären Krusten zu durchbrechen, dass ist eben der Unterschied zwischen bierseligem Revoluzzertum und Revolution. Und - auch oder deshalb weil soviel über die '68er hergezogen wird - der Unterschied zwischen "Es satt haben" und "Satt sein".

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Obwohl ich da auch nicht alles gutheisse, scheint es zumindest in Frankreich so zu sein, dass die Arbeiter wissen, wie man Druck macht und Ziele erreicht. Griechenland ist da sicher nochmal eine andere Sache, gerade wegen der Steuerhinterziehung und Korruption.

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Griechenland ist über den Berg, das Handelsblatt hat sich der Sache angenommen: "Ich kaufe Griechenland-Anleihen, weil der Euro das beste europapolitische Projekt seit dem Zweiten Weltkrieg ist." (!)

(handelsblatt.com/politik/deutschland/handelsblatt-aktion-wir-kaufen-griechische-staatsanleihen;2572833;8#bgStart)

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Ds kann man nun so und so verstehen, aber es wird am Ende des Landes nichts ändern. (Ausser man macht den Euro kaputt)

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Hi hi. Das ist wirklich eine tolle Formulierung.

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Den Vogel hat jedoch gestern zweifelsohne Herr B. von der F.A.S. abgeschossen, nachdem er sich vor ein paar Wochen, so konnte man lesen, "billig" mit Griechenlandanleihen eingedeckt hatte:
"... meine Anleihe ist kein Spekulationsobjekt, sondern nur eine Versicherung: Wenn die Bundesregierung mein Geld für die Griechenland-Rettung ausgibt, bekomme ich es über die Anleihe wieder zurück."

Da fällt einem wirklich nichts mehr zu ein.

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Europa, wie es ist.

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Da die Berichterstattung über die traditionellen Krawall-Festspiele in Berlin und anderen Städten nach meinem Eindruck eher unter ferner lief, kann ich nicht ganz nachvollziehen, auf was sich des Dons Aufregung beziehen soll. Griechenland dominiert landauf, landab die Schlagzeilen. Meist falsch und schlecht, aber immerhin :)

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Was war denn los am 1.Mai?
Ich habe darüber trotz intensivster Suche eher wenig gelesen. Mir scheint, dass sich dieser Text vor 2 bis 3 Jahren an dieser Stelle besser gemacht hätte. Dieses Jahr haben sich sowohl Autonome als auch Medien ja nahezu zurückgehalten. Nicht mal im Vorhinein Angst machende CDU-Politiker wurden von Medien all zu Ernst genommen.

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Klar, der 1. Mai wurde generell überlagert.

Aber der erste Mai der Gewerkschaften kam relativ - zumindest so, wie ich das fern der Heimat im Internet erlebte - weit hinter den Randalen. Übrigens auch in der Heimatzeitung, wo das ferne Berlin mit den paar Deppen weit vor den Arbeiutern kam. Wenn man mal die Grössen vergleicht, kann man sich schon fragen, warum die paar hundert Hansel so viel Aufmerksamkeit b ekommen, und hunderttausende nicht.

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Ok, von der Warte aus betrachtet ... wobei ich, ganz ehrlich, es mich nicht verwundert, wenn die Sonntags- bzw. Samstagsreden des DGBs auch nur unter "ferner liefen" abgehandelt werden.

Da kommt nix mehr. Nur noch einstudierte Rethorik, nur noch Selbstbestätigung für die eigenen Anhänger, zumindest nach meinem Empfinden so gut wie keine gesellschaftliche Strahlkraft mehr. Keine Vision, keine Alternativen, nur more of the same old. Man lebt von der Vergangenheit und bietet kaum eine Perpektive für die Zukunft. Warum sollte man einem so obsoleten Verein (und damit meine ich nicht Gewerkschaften prinzipiell, sondern ganz explizit nur den DGB und viele seiner Sub-Gewerkschaften) mehr Berichterstattung widmen?

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Weil es eine reizvolle Sache sein könnte, sich zu diesem Anlass neben der Sonntagsreden ein paar kluge Köpfe rauszusuchen und mit denen mal ein wenig zu reden?

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Gibt es bei den Gewerkschaften kluge Köpfe? Zugegeben, ich habe in letzter Zeit nicht wirklich dort gesucht :)

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Ich gehe ja als Gewerkschaftsmitglied jedes Jahr brav auf die DGB-Demo und -Kundgebung - und frage mich jedesmal hinterher, warum ich mir das eigentlich antue. Vor ein paar Jahren rief einer vom Balkon "Alaaf!!!" herunter, als die Demo vorbeizog, und besser hätte ich mein Gefühl bei der ganzen Sache auch nicht ausdrücken können.

Dieses Jahr war ich, wie der Don, im Ausland; und ging auf die 1. Mai-Demo in Dijon. Das war jetzt auch nicht wirklich wahnsinnig prickelnd, aber es waren - trotz Regen - wirklich Massen unterwegs; und es ging um klar benannte politische Anliegen, nicht um ein Familienfest mit ökumenischem Gottesdienst. Irgendwie hat sich in Deutschland der 1. Mai immer noch nicht davon erholt, daß die Nazis aus dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse einen "Tag der Arbeit" gemacht haben.

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alterbolschewik,
der nazispruch arbeiter der stirn und arbeiter der faust war leider klug genug ausgedacht.
welche linke sollen sogar bis heute noch das schaffende vom raffenden kapital zu unterscheiden wissen.

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