Die Streifen, auf die alle abfahren

Ich fahre wirklich gern Auto. Wenn es einmal ganz schlimm wird, lege ich die CD mit italienischen Hits der 70er Jahre ein und denke mich zurück an die Gardesana. Ich bin einmal mit einem Mädchen dort entlang gefahren und habe genau das gehört - unter anderem Fred Bongusto - und so schlimm kann es eigentlich gar nicht sein, dass mich das nicht ein wenig anhebt. Wenn es ganz übel kommt, denke ich mir: Die Villa, die ich mir einst dort kaufen wird, wird sich selbst beleuchten, wenn ich komme, und genau dieses Lied abspielen. Das hat beim Heimfahren geholfen. Zwischen den diversen Bildern von mal mehr, mal weniger schlimmen Unfällen. Was wollten die alle hier? Und warum genau fuhr ich überhaupt weg?



Besonders schön sind natürlich auch die Nachrichten nicht. Hat also Armstrong zugegeben, was nicht mehr zu leugnen war, und alle reden über den befleckten Radsport. Was er zweifelsohne ist, Doping war immer mit dabei, es ist nur irgendwann jemandem aufgefallen, und jetzt kommt das eben alles ans Licht. Ich wünschte mir, die Kollegen könnten so freundlich sein und von - ja, was nun - vielleicht professionellem Werbebannerdurchdiegegendfahren sprechen. Denn darum geht es im Kern. Um Markenbotschaften, die im TV erscheinen sollen. Dass da ein Radler mit dranhängt, interessiert nur in Form seiner Platzierung. Diese Differenzierung würde ich gern lesen.



Wobei: Natürlich sind Menschen für solche Stars auch beim Radfahren anfällig. 1999 hat Armstrong die Tour de France auf Laufrädern gewonnen, die zwar keine Rolf Verctor Pro waren, aber zumindest so aussahen. 1999 gewann jemand - bislang noch ohne dass man ihm Doping nachgewiesen hätte, dafür mit einer wenig beliebten Taktik des Hinterradlutschens - damit auch die Strassen-Weltmeisterschaft. Und deshalb findet man diese Laufreäder auch noch recht häufig; Menschen glauben eben gern, dass ihnen so etwas hilft, wie es scheinbar den Profis geholfen hat. Freundlicherweise muss man aber sagen: Hobbyradler kaufen Räder und keine Eigenblutbehandlung.



Noch etwas: Ja, die ganzen Fälle sind schlimm, und das alles sieht nach einem rabenschwarzen Zeitalter aus. Alle deuten auf die Radler und sagen, das sei, vielleicht neben China und der DDR, der absolute Sündenpfuhl. Mich erinnert das ein wenig an die früheren Fälle, als damals noch einzelne Nationen andere Nationen runtermachten; ihre Radler seien natürlich sauber. Und die Nationen - hier besonders Frankreich, Italien und Spanien - haben das bei ihren Göttern gern geglaubt. Was sich als Fehler herausgestellt hat, denn diese Perversion von Sport geht nun mal nur, wenn man in allen Bereichen an das Limit geht. Wundert sich eigentlich kein Fussballfan, dass das Siglo d'Oro des spanischen Fussballs justament zu der Zeit war, als Spanien auch beim Doping führend war? Solche Unsicherheiten gibt es jetzt auf zwei Rädern nicht mehr. Aber auf zwei Beinen sollte man vielleicht mal bedenken - und hier besonders die ganzen neuen Kickerfreunde, die viel Geld in den Stadien lassen - dass an der Spitze auch kleinste Vorteile viel ausmachen können. Man bedenke: In Deutschland dominiert Fussball so, dass dagegen alles andere kaum Bedeutung hat. Und so beinhart sind dann auch die Fans, wie in gewissen italienischen Regionen mit dem Profiradeln. Rückblickend glaubt dem Profiradsport kein Mensch mehr, und ich gehe gern radeln, weil es gesund hält und man etwas von der Landschaft sieht - sonst nichts.



Aber jene, die da singen, dass Fussball ihr Leben wäre, sollten bedenken, wie kurz das Leben sein kann, kurz wie die Beine von Lügen. Profiradler werden im Schnitt so schlecht bezahlt, dass manche Teams die Räder verkauften, um sich Doping leisten zu können. Fussballer dagegen...

Ich sage es mal so: In meinen Augen ist das wie bei den Bankstern. Es gab vor der Finanzkrise Möglichkeiten, die nicht sauber waren, aber alle machten mit, weil sie gar nicht anders konnten. Intern wie extern. Sobald die Möglichkeiten da sind, werden sie auch genutzt. Viele Profiradler, viele Leichtathleten waren mit dabeu, und alle anderen stehen beiseite und sagen: Nein, wir nicht. Als ob jemand, der einem anderen mit voller Wucht die Beine wegtritt, dann plötzlich den Moralischen kriegt, wenn es um EPO geht.

Der Radsport hat es hinter sich. Was bleibt, ist der Breitensport, und das würde ich auch den ganzen Stadiongehern raten. Fangt an, Euch selber gut zu finden, statt Hemden von Idolen zu tragen, die gar keine andere Möglichkeit haben, als das Letzte aus sich heraus zu holen. Redet am Montag über Eure Bergwanderungen, über den Dauerlauf am See oder am Fluss, über die Radtour zu einem Biergarten, raucht und trinkt weniger, findet Euch selber gut. Man braucht keine WCS-Streifen und kein Gegröle. Kaum etwas ist so hässlich wie ein Betonklotz mit Zigtausend Menschen, die sich nicht benehmen, oder ein Alpenpass voller Brüllaffen. Es geht auch ohne. Das ist die Lektion beim Radeln, denn egal was war: Es ist beliebt, die Leute machen es gern auch ohne Idole. Und vielleicht kann man davon etwas lernen, wie vielleicht der ein oder andere Bolzer von Armstrong gelernt hat.

Samstag, 19. Januar 2013, 00:04, von donalphons | |comment

 
Da stimme ich vollkommen zu. Wunderte mich schon gelegentlich, dass Fussball "sauber" sein sollte, während in so vielen anderen Sportarten mit weniger finanziellen Chancen gedopt wird. Dass Doping bei Mannschaftssportarten nichts nütze, glaubt wohl niemand mehr, der gesehen hat, wie fertig Fussballer in der Pause der Verlängerung aussehen. Gerade für ältere Spieler ist es offensichtlich interessant, ihre Karriere zu verlängern.
Und gerade im Fussballbreitensport ist bekannt, dass vor den Spielen Schmerzmittel genommen werden.

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Man schaue sich nur einmal Lionel Messis Halsumfang im Laufe der Jahre an. Keine weiteren Fragen.

Und was ist schon so eine Midlife-Crisis oder Burnout gegen den täglichen Tropfen Armstrong'schen Olivenöls (= Mikrodosis Testosteron) unter der Zunge?

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Übrigens ist auch im Radsport sehr vieles Taktik, wie etwa der Sprinterzug - und Sprinter sind die ersten, bei denen man dennoch an Doping denkt. So ein Fussballer ist im Jahr allenfalls eine Stunde tatsächlich im Ballbesitz, und da muss er so schnell wie möglich alles aus sich herausholen. Insofern ist da schon eine Nähe zum Radsport gegeben.

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Auch wenn der Spitzensport sicher generell nicht sauber ist, macht das die Situation im Radsport nicht besser. Und im Fall Armstrong geht es nicht nur um Sport. Armstrong ist in den USA viel mehr als ein Sportidol. Er hat nicht nur gedopt, sondern gelogen, diffamiert, bedroht und beleidigt. Das betrifft nicht nur seinen Status als Sportler, sondern vor allem sein Bild als einflussreiche öffentliche Persönlichkeit.

"Was bleibt, ist der Breitensport, und das würde ich auch den ganzen Stadiongehern raten. Fangt an, Euch selber gut zu finden, statt Hemden von Idolen zu tragen... "

Es stehen bestimmt zehnmal so viele Leute wöchentlich als Amateur-, Jugend-, und Freizeitfußballer auf dem Platz als in Bundesligastadien. Das Interesse am Spitzensport ist kein Gegensatz zum Breitensport - im Gegenteil, viele Fans sind selber Sportler. Man muss solche Massenveranstaltungen nicht mögen, aber es scheint halt ein universelles Phänomen zu sein, dass viele Menschen sich für Sportwettkämpfe begeistern.

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Ich bin mal vor einiger Zeit zufällig in einem anscheinend vor allem von US-Leuten bevölkerten Forum gelandet, wo grad über den Fall Armstrong und Doping diskutiert wurde. Das war so um die Zeit herum, als sie ihm den Titel aberkannt haben.
Da gab es von Verschwörungstheorien ("Weltverschwörung") über "Glaube überwindet alles, und ich glaube an ihn" bis hin zu "Ist doch egal, aber er hat gewonnen und sieht gut dabei aus" alles mögliche an positiven Stellungnahmen, während der Poster der Ausgansmeldung oder -frage regelrecht fertiggemacht wurde. Für mich gibt es keinen Zweifel, Armstrong ist für eine Reihe Leute dort eine Art Lichtgestalt, oder es zumindest gewesen.
In DE hingegen wird zumindest nach meiner Wahrnehmung sicher auch diskutiert, aber sehr viel desillusionierter/resignierter und auch gnadenloser. Armstrong ist vielleicht deshalb nicht so ein Reizwort, da kein Deutscher, aber es gibt in DE genug andere Fälle.
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Ich bin wirklich kein sportlicher Mensch, und das mag meine Urteilskraft beeinflussen, aber der Verdacht drängt sich schon auf, dass im Spitzensport auf Europa- bzw. Weltniveau praktisch jeder "was macht". Der Übergang zwischen "optimaler medizinischer Betreuung" und Doping dürfte auch fließend sein.
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Ich denke, der Mensch muss da Grenzen akzeptieren lernen, auch bei sich selbst. Nicht alles, was geht, muss auch gemacht werden. Insofern passt ein Fall Armstrong auch zu einer Gesellschaft mit dem höchsten Drogenverbrauch der Welt und einer "Deine Armut kotzt mich an und ich bin reich und habe Recht, weil Gott mich liebt und Du bist arm, weil nicht" Einstellung. Womit wir wieder bei der Mini-fahrenden Ellenbogentussi aus dem anderen Beitrag wären.

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Stimmt, Armstrong passt bestens zu uns und den Leistungsidealen der Zeit. Ein Held unserer Tage.

"es scheint halt ein universelles Phänomen zu sein, dass viele Menschen sich für Sportwettkämpfe begeistern."

Ich denke, das wird explizit von den Medien und Teilen der Politik auch so gesteuert. "Finale dahoam" war das beste Beispiel für eine ganz schlechte Entwicklung.

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panem et circenses!
Nichts neues!

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Der Don als Säge an den Stützen der Gesellschaft: Deutscher Vereinsmeierei und Idol- (um nicht zu sagen: Führer-)kult.

Die meisten können sich nicht selbst gut finden, denn sie sind ständig auf der Flucht vor sich selbst und suchen, was sie bei sich nicht finden bei irgendwelchen "Stars", egal ob die Liedchen trällern, Bälle schubsen oder mit dem Rad schnell fahren. Und das wird sich (leider) auch nicht ändern, sind wir realsitisch. Nur dieses eine Mal.

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Ich schaue täglich hier hinein

http://delightfulcycles.tumblr.com/

und frage mich, warum man sich an so etwas, wenn man es selbst tut, nicht auch erfreuen kann. Wer braucht Tore, wenn drüben auf dem feldweg eine Frau mit Strohhut entlangradelt und man merkt, dass man die 70, 100 Kilometer schafft und den Pass auch noch?

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...und es geht Ihnen da nur um die guten Interviews, äh, die schön fotografierten Räder?

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Was hat der Radsport hinter sich?
Das Doping?
Oder die Einsicht, dass eh alle dopen?

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Die Erkenntnis, dass das keine Helden sind, sondern eine Vermarktungsmaschine.

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und wer hätte den journis dann ihre private tour de france, mit hotels entlang der route, weinverkostung und lecker essen bezahlt ?
Jeder wusste es, aber sponsoren, journis, athleten, rennställe, alle haben brav die fresse gehalten. das die seifenblase platzen muss war klar, aber bitte jetzt noch nicht, ja?

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Breitensport…
…ist soo sauber auch nicht. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten im Ü30-Amateur-Radelnd sind verdächtig nahe an der Profi-Pace. Da wird auch kräftig gedopt.
(Ich gebe zu: das ist auch nicht mehr Breitensport, sondern privater Spitzensport.)

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Sobald man andere übertrupfen will, kommt das natürlich ins Spiel. Aber das will ich ja gar nicht. Ich will mich in schöner Landschaft bewegen.

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Ja, das macht den Unterschied. So hochkompetitiv bin ich auch nicht unterwegs, dass ich mich zwanghaft an jedes Hinterrad klemme, das mir vor die Linse kommt. Den meisten Spaß an der Sache habe ich, wenn ich meinen eigenen Stiefel fahren kann.

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Wobei der Bloginhaber ja selbst schon gesehen wurde, als er diese Dopingklinik betrat!
http://tinyurl.com/buedoro

Und dann wahrscheinlich diese Dopingsubstanzen zu sich nahm:
http://tinyurl.com/a7keagu

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Heroenkult!
Nach Laizisierung breiter Gesellschaftsschichten brauchen die Leut halt Gestalten, an die sie glauben und die sie verehren koennen - eben Messi et consortes

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Na ja, zu Leuten wie Armstrong, Ulrich etc. wäre mal festzuhalten, dass die Radprofis in den Pausen das Essen grundsätzlich als Infusion in die Vene bekommen, weil für einen Teller Spaghetti nicht die Zeit da ist und die auch viel zu sehr am Schnaufen sind um noch essen zu können. Ob da Dopingmittel mit drin sind oder nicht kriegen die selbst u.U. gar nicht mit, und dann ist bei Infusionsnahrung sehr relativ, wo da das Doping anfängt und aufhört.


Btw: Unsereins, Bergsteiger, haben damit gar keine Probleme, Eisentabletten, Gelnahrung, Cocablätter, das gibt es alles.

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Hey, c'mon.
Jeder hat doch mal Zahnschmerzen.

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Soll noch einmal jemand sagen, die Zahnheilkunde wäre früher schlechter gewesen.

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Da kann der Breitensport durchaus verschiedene Bedeutungen haben ...

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Nicht die Wintersportarten vergessen
Biathlon, Eisschnelllauf, diverse Langlauf-Weltcups ...

Da wird immer schon im Vorfeld schön an die Grenze herangedopt.

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gibt es irgendeinen leistungssport bei dem nicht rumgemacht wird ? ich glaube nicht. davor schützt nichtmal der amateurstatus. wenn schon kein sponsor treibt wird man irgendwann vom eigenen ego gepackt.

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evtl. noch ein gesichtspunkt:
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"Armstrong ist in den USA viel mehr als ein Sportidol. Er hat nicht nur gedopt, sondern gelogen, diffamiert, bedroht und beleidigt. Das betrifft nicht nur seinen Status als Sportler, sondern vor allem sein Bild als einflussreiche öffentliche Persönlichkeit."
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"eigentlich" so ein mögliches europäisches vorurteil, "hat er sich doch damit lediglich genau so verhalten, wie es ein waschechter yankee nun einmal tun sollte. und wohin sollen die usa denn eigentlich am ende noch kommen, wenn nun auch noch dies letzte perfekt an die political correctness opfern wollen?"
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"and ok, we all know, there is always a next inauguration". und "der könig ist tot - lang lebe der könig". but too much seems to be too much.
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und weiter "da könnten sie von unseren südeuropäern, unseren welschen, aber noch was lernen. das das immer so ist und nicht geändert werden kann. das das leben show ist und anstrengung und wahrheit und betrug und glaube und gemeinsamkeit und buße und wiedergutmachung (im stillen). und das man darum gesellschaftlich zusammenhält. es also keine aufklärer geben kann. von innen heraus von nirgendwo.
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aber armstrong hat noch ein stück weges vor sich. wir würden noch nicht wetten darauf, wie es ausgeht. er kann ja noch was ganz großes werden. oder als "elder statesman" in die geschichte einehen. wir sehen ihn schon vor uns, mit 84 oder 88 in den talkshows der zukunft: durch andauernde öffentliche abbitte am ende doch noch zum ewigen held: "ein vorbild, ein großes vorbild!"
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denn, jetzt haben wir es, sein fehler war, dass er sich erwischen ließ. und darum auch musste alles so sein. inkl. der herorischen aufklärungs- u. reinigungsarbeit. ein richtiger, ein waschechter yankee aber lässt sich nicht erwischen: genau da läge der unterschied(!)
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und die rolf vector pro sind und waren einfach großartig. (wenn auch etwas rauh in den lagern,*g*)

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es ist doch alles nur chemie!
und chemie ist wiederum natur!
irgendwann wird man das alles aktzepieren, als eine normale evolution!
ironie aus!
oder doch nicht?

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ist doch schon akzeptiert. diejenigen die sich jetz aufregen schleifen ihr kind doch schon gestern zum arzt um die adhs diagnose (und damit ritalin) durchzuboxen.
man schaue sich doch mal den konsum von "neuro-enhancern" in den staaten an (und hier wirds auch so kommen)

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