Nymphenburg

Eine gängige Theorie in der Urgeschichte besagt, dass sich die menschliche Kultur rund um das Essen entwickelt hat. Nicht um die Fortpflanzung oder den Tod, sondern um die Nahrungsaufnahme. Wir erinnern uns: Zuerst war da der Apfel. Und dann erst die Scham, und schliesslich auch die Sterblichkeit. Ausserdem neigt man erst dann zu Gedanken um Sex und den Sinn des Lebens, wenn man satt ist. Insofern ist es nur logisch, wenn man dort auch mit der Kultur beginnt.Und wir sind weit gekommen.





So weit, dass mitunter enorme Diskrepanzen zwischen der Kultur und der eigentlichen Tat liegen. In einem Auktionshaus am Elisabethmarkt ist dieses entzückende Service für 12, und daneben auf Eis der tote Kalamar. Das bringen wir zusammen. Hier das lustige Leben der Vögel auf den Bäumen, ihr Liebesspiel und den Gesang - und den aus dem Wasser entführten und getöteten Fisch, der zerstückelt und in den Mund geschoben wird. Das also ist Kultur. So in etwa.





Ich packe Fisch nicht. Ich habe dagegen wirklich eine Aversion, schon immer. Eine Freundin wäre beinahe mal an einem Aal erstickt, das war, trotz der hochentwickelten japanischen Kulturverpackung, kein Vergnügen. Wenn ich ehrlich bin, ekelt es mir inzwischen auch vor Fleisch, aber zu Fisch und auch Geflügel hatte ich mein ganzes Leben lang kein gutes Verhältnis. Ich mag den Geruch nicht, und da, wo dann ein ganzes totes Vieh auf dem Teller liegt, wankt dann auch mein Kulturbegriff.Es gab im Altmühltal ein Lokal, in dem man sich den Fisch noch lebendig heruassuchen konnten; da konnten meine Eltern nur einmal mit mir hingehen. Dann nie wieder. Kulturhistoriker fragen sich, warum so viel Schmerz in der christlichen Kunst ist. Ich frage mich, warum beim Verzehr von Tieren so viel Freude vorgetäuscht wird.





Das soll kein Beitrag über Vegetarismus werden, aber insgesamt ist es trotz der in Schwabimng wie eine Epidemie auftretenden japanischen Lokalen so, dass es wieder mehr Grund gibt, solche Service zu kaufen, wodurch sie für mich unerschwinglich werden: Weil sich das langsam alles wieder fügt und in den Metzgereien die Käsetheken in letzter Zeit länger und umfangreicher werden. Kultur macht es ja leicht, Dinge zu tun, die man sonst eher nicht machen würde; momentan kommt es mir aber so vor, als würde dieser kulturelle Zwang zur Ignoranz bröckeln. Sicher, auf dem Weg hierher sah ich die Boulevardzeitung, auf deren Titel die Werbung verkündete, wie billig in diesem Laden ein Kilo Hackfleisch sei. Aber wer das dort kauft, hat nicht so ein Service.





Historiker haben ja oft diesen Hang zu langen Zeiträumen. Die Zeit von 1950 bis heute ist, wenn man das Ganze betrachtet, eine krasse Anomalie. Eine Zeit, in der es grenzenlos so viel Angebote gab, dass es gar nicht mehr nötig war, das extra herauszuheben, oder gar dafür zu beten, Tägliches Brot wurde vom Glück zur Banalität. Wenn sich diese Bewusstseinsbeule wieder eindengeln würde - und dafür muss ja keiner hungrn, nur ein wenig aufpassen - dann wäre das schon eine feine Sache. Es ist schon übel genug, dass uns die Produktions- und Tötungsmethoden davonlaufen. Fängt man erst mal den Geist ein, der die Kultur bedingt, kommt das andere vermutlich auch wieder nach.

Freitag, 25. Januar 2013, 23:13, von donalphons | |comment

 
Und was soll dann aus uns Viehzüchtern werden?

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Na ja HM555, wir brauchen doch die Tierhäute für handgenähnte Schuhe und auch Merinowolle für Kleidung!

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Dann ist ja gut.

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In großem Stil Schweine züchten funktioniert wie Fracken.
"Das Produkt geht in den Export, die Scheiße bleibt hier."

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Och, ich denke mal, zu meinen vorher entbeinten und mit in Super Cassis eingeweichten Pflaumen (Rezept aus dem Périgord) gefüllten Gänsekeulen am kommenden Sonntag, würde sich obiges Porzellan auch gut machen.

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Wer hätte nicht mit dem da über die Anwendbarkeit phrenologischer Charakteranalyse auch bei Schweins- und Schafsköpfen diskutieren wollen?
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http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Struve

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Zu dem abgebildeten Porzellan, ist dies nicht von Herend, Rothschild?

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Ich dachte, das ist Nymphenburg, aber ich kann nachschauen. Limit ist 1400, aber das wird so nicht bleiben.

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Essen ist nicht nur Nahrungsaufnahme. Wie wir essen, was wir essen, ist Kultur. Dazu braucht es in unseren Tagen allerdings einen Verein wie Slow Food, um uns daran zu erinnern, dass es schon einen Unterschied macht, ob man selbst gekocht vom Teller und am Tisch sitzend, oder eben auf dem Boden hockend Fraß aus der Plastikpackung vom Lieferdienst in sich hineinschlürfend zu sich nimmt.

Und es muss ja gar nicht immer die handgestreichelte Karotte mit dem in artesischem Wasser gebadeten bei Vollmond geschlüpften Stubenküken serviert auf Meißner sein.

Für den Fortgeschrittenen: Mahl und Repräsentation - Der Kult ums Essen. Die 1. Auflage von 1999 gibt es mittlerweile im Netz, die 2. Aufl. von 2002 noch zu kaufen.

Was den Fisch angeht - Ich kenne das auch aus dem Fränkischen, wo mit den Großeltern gerne Karpfen und Forelle gegessen wurde. Die konnte man sich im Bassin aussuchen. Wir europäer müssen uns also nicht über irgendwelche asiatischen Sitten pikieren, die haben wir selber.

Dem Kalmar tun Sie allerdings unrecht, ein Fisch ist er nicht.

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Gegen barockes Prunkgeschirr
Als stillos, ablenkend und deshalb unpassend empfinde ich heute kakelbuntes historisches Prunkgeschirr. Den optischen Auftritt bestimmt heute die Nahrung auf dem Teller, grelle Piepvögel und Insekten (!) stören, besonders wenn es sich bei den Porzellanmalern um zweitklassige Kunsthandwerker handelt. Die Eßkultur hat sich nämlich weiter entwickelt und verlangt einen neutralen Teller, der nicht das Bild des kunstvoll Aufgetischten dergestalt verunstaltet, daß manches neben bunter Farbigkeit wie schon mal gegessen aussieht. Daß Porzellan ein ernsthaftes und interessantes Sammelgebiet ist, will ich aber nicht bestreiten.

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