Stoff für Träume

Man merkt, dass es München gut geht - der Stoffladen hat sich vergrössert, und es gibt hier einfach Leute, die für einen Meter Brokat 200 Euro oder mehr bezahlen können und wollen. Und erst die Kissen - man braucht heute viele Kissen. Das sieht man so in den Zeitschriften, die man wohl aktuell liest, und in München ist zwar nicht jeder so reich, aber das reiche Klientel ist da. Und diese Ecke der Stadt sieht zudem erfreulicherweise noch so aus, als könnten kleine Handwerker überleben, selbst wenn das nur noch für jene stimmt, die die Herrschaften beliefern, die weiter oben residieren.



Studenten, fürchte ich, gibt es hier so gut wie keine mehr. Seit damals, als ich hier öfters war, sind die Mieten zu sehr gestiegen, und die Zahl derer, die für eine kleine Wohnung 300.000 Euro ausgeben, ist vermutlich noch kleiner als die Kundschaft des Stoffhändlers. Das muss man erst mal verdienen, und wie man weiss, ist diese Summe über dem, was heute in diesem Lande allein schon als reich gilt - trotz der unsicheren Mühlsteinwährung, die ab Januar noch mehr internationales Gewicht für den Freischwimmer im Finanzstrudel bekommt. Gerne kaufen würden würden vermutlich viele, aber können - das ist eher unwahrscheinlich. Sollten hier doch noch Studenten eigene Wohnungen gemietet haben, also nicht WGs, was heute wohl Standard ist, dann kostet das ungefähr so viel wie H4. Es war übrigens mal ein lustiges Viertel, auch für Ärmere. Das ist es schon etwas länger nicht mehr. Dafür leistet man sich roten Samt mit Granatapfelmotiv, und Knotenschnüre aus Seide. Auch eine Art Aphrodisiakum.



Das wird man auch brauchen, wenn es so weiter geht. Statt sich wie die Italiener damit abzufinden, dass das Wohnen nun mal so teuer ist, und man dafür Opfer zu bringen hat in Form von Verschuldung und Genüg- und günstiger Zweisamkeit, wird mehr verlangt und gefordert. Ich hatte hier, in dieser Stadt vor zwei Monaten ein ziemlich komisches Erlebnis mit jemandem, der unbedingt etwas tun wollte - aber eben nicht für den Preis, den er dafür hätte erzielen können. Da half auch kein Erklären, wie sich das insgesamt alles anders als schlechte Angebot erklärt, nein, da wurde gedrückt und dieser unerfreuliche Eindruck vermittelt, man sei gar nicht der Chancengewährer, sondern nur derjenige, der sich auch noch zu bedanken habe. Ich weiss nicht, wo die das lernen - aber es zieht bei mir nicht. Vielleicht, weil es mir selbst unendlich peinlich wäre. Vermutlich aber auch, weil so ein Verhalten für mich jede Menge unangenehme Folgeerscheinungen hat. Ich kann es in gewisser Weise nachvollziehen, es mag nötig sein. Blöd nur, wenn ich angesichts der Anforderung selbst nicht schlecht bin, es eigentlich gar nicht brauche und obendrein Zeit und Nerven kostet. Auch das macht dieser soziale Umschwung aus Leuten, die einen werden gierig, und die anderen misstrauisch.



Ich stehe ziemlich lang allein vor dem Schaufenster und überlege mir, was mir gefallen könnte - keine Sorge, so viel Geld würde ich für Stoffe nicht ausgeben, aber so als Inspiration ist es ganz hübsch. Der Laden, fällt mir später auf, sollte vielleicht WLAN anbieten, denn das zieht die Leute wirklich an, selbst wenn sie dann nicht auf die Produkte schauen, sondern auf ihre Endgeräte. Aber so kommen dann viele Leute mit einem eher leeren und mit gleichmachenden Dingen befüllten Raum zusammen. Ich lebe ja nicht mehr in München, bei uns ist das alles noch recht anders. Mehr so rotbrokatig denn frierend hoffen, dass der Akku reicht. Auch das ist eine Form von Arm und Reich dicht beieinander.



Ich sollte wieder öfters nach München, heraus aus meiner Wohlfühlblase, und mich dem Zeitgeist stellen. Allerdings ist es kalt, es kommt der Schnee, und der Münchner in die Berge zum Rodeln - ich wäre also nicht klug, meine Brokatstühlchen zu verlassen und meine Füsse weg vom Seidenteppich zu bewegen. Zwei Tage München reichen dann auch.

Freitag, 26. Dezember 2014, 18:10, von donalphons | |comment

 
Diese Stoffe! Ich bin ganz verliebt...

Für 2015 wünsche ich mir wieder etwas mehr Foodp*** (Sie wissen schon)

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Bin gerade in meiner eigenen Wohlfühl-Blase beim Rekuperieren. Da war ich dieses Jahr nicht sehr lange, und Urlaub gab es auch nur eine Woche am Stück. Womit wir auch beim Vorsatz für 2015 wären: "Ich nehme mir wieder mehr Zeit für mich und die meinen. Und wenn es dann meinen Job erwischt, dann ist das halt so. Es ist ein Job und kein Beruf."

München ist tot. Da bieten nicht mehr Münchner gegen Münchner, oder Deutsche gegen Deutsche, sondern Einheimische gegen globales Fluchtschwarzgeld. Da bei der nächsten Korrekturrunde eher das Geld inflationiert wird, als dass Immobilienpreise nach unten korrigiert werden ((*) da würde es Banken erwischen, Basel III, sie wissen schon...) wird es ein Ghetto für gelangweilte Reiche und und reiche Alte werden. Wahrscheinlich irgendwann mit geheizten Gehsteigen ("bevor wir es vererben oder dem Staat lassen"), aber im Durchschnitt stinkreich und stinklangweilig. Und der tipping point war 2007.

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Wirklich schade um diese Ghettos für Symbolkonsum. Preise sind irrelevant - sie richten sich schon längst nicht nach dem Wert der Ware. Jedenfalls in diesem Segment.
eine gute metapher - Ja.

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Unbedingt kaufen
Egal, mit was der Stuhl oder Sessel bespannt ist, dieses Handwerk stirbt gerade aus. Ich bin ja in einer ehemaligen Textilgegend aufgewachsen (Westfalen) und habe als 12jähriger gelernt mechanische Stofflegemaschinen zu bedienen. Das waren die Mitgänger-Geräte, wo man die Stoffbahnen fußläufig mit dem Legegerät links und rechts in sogenannte Fänger arretierte. Der Zuschneider konnte dann nach Auflegen der Papierschablone die Einzelteile heraussägen. Bei den gemusterten Stoffen mussten wir immer erst die Schablone lesen, damit die Muster auch an der passenden Stelle waren. Diese Gewerke gibt es heute nach meiner Beobachtung nicht mehr oder nur ganz vereinzelt. Das wird ein Nischenmarkt. Mein Schwiegervater selig, Tischlermeister, hat sich als Rentner dumm und dämlich verdient mit der Rekonstruktion der Holzgehäuse alter Kuckucksuhren.

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Wo wir grad dabei sind - gibt es hier Empfehlungen für einen Handwerker im Raum München, am besten Innenstadt, der einen alten Polster-Schaukelstuhl und eine alte Chaiselongue, beide mit Federkern, revidieren und ggfs. neu aufpolstern kann?

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Vielleicht der?
= Paul Winkelmann (56), Geschäftsführer des Stoff- und Möbelgeschäftes „Winkelmann und Sohn“ (allerdings in Berlin; aber er reist auch gerne gen Süden).

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