Sehr zu empfehlen - Ratschlag für dunkle Tage

Es war in Berlin, Anfang letzten Jahres. Auf dem Antikmarkt an der Strasse des 17. Juni, den die Eingeborenen und runtergekommenen Zuwanderer als teuer und die Münchner mit Schweizer Arbeitgeber als sehr billig empfinden. Kurz, man kann dort mit 70 Euro jede Menge Spass haben und tütenweise Zeug heimschleppen, wenn man sie denn hat. Mit 70 Euro kommt man bei mir daheim oft noch nicht mal halb zum ersten Silberhändler.

Ich stand an einem Tisch hinter einem Paar und schaute zu. Es ist wie im Alptraum, man steht da und die anderen nehmen das Teil in die Hand, das man als nächstes gesehen hätte, die Augen folgen und sehen sofort: Kerzenhalter, massiv Silber, 1910-1930. keine Delle, angelaufen aber prima erhalten, der stand sicher die ganze Zeit im Schrank und wurde nie verwendet, denn es ist ja ein gutes Stück. Das jetzt dieses Berliner Paar in der Hand hielt, betatschte, rumreichte, die Silbermarke entdeckte und beschloss, das Teil eventuell zu kaufen. Wieviel?

40 Euro sagte der Händler, es traf mich wie ein Faustschlag, denn 40 Euro bedeuten letztendlich maximal 25, das ist ein völlig klarer Kauf, schon das Material ist mehr wert. Die Schmerzen koste ich in solchen Momenten aus bis zur Neige, damit ich mir angewöhne, das nächste Mal früher aufzukreuzen. Worauf die Frau sagte: e, zu teuer, 10 Euro. 10 Euro ist natürlich eine gnadenlose Unverschämtheit, da stimmte ich innerlich dem Händler zu, der zwar schnell mit dem Preis herunterging, aber bei 25 Euro erwartungsgemäss die Lust verlor. Worauf sie ihn recht unhöflich darauf hinwies, dass an dem Leuchter ja die Tropfschalen fehlten. Tatsächlich hatte der Leuchter rund um die Kerzenaufnahmen lediglich eine Verjüngung, aber keinerlei Schalen. Das würde, so die Frau, ihr tropfendes Wachs beschehren, so sei das Ding eben nur 10 wert, ok, sie sei nicht so, 12, aber dann ist Schluss.

Der Händler blieb stur, sie auch, stellte den Leuchter zurück und ging mit ihrem Kerl weiter, um wahrscheinlich später nochmal vorbeizukommen und das Ding für 15 Euro zu ergeiern. Ich nahm das Ding, warf einen Blick auf die Punze - 830er - bedauerte den Händler wegen dieser Kundschaft, er jammerte ebenso über diese Mentalität, solche Tropfschalen brächte man doch nicht wirklich, ich pflichtete bei - und nahm ihn für 25.



Liebe Leser, sollte Euch jemals so ein Leuchter ohne Tropfschalen, aber mit Verjüngung um die Kerzenhalterung unterkommen: Da fehlt nichts. Die müssen so sein. Als man sie hergestellt hat, waren in den besseren Häusern Kronleuchter üblich. Auch Kronleuchter haben Tropfschalen - aus Glas. Um einen einheitlichen Eindruck im Raum zu schaffen, lieferte man die Kerzenleuchter ohne Tropfschalen, die man nach dem Kauf dann in Glas, passend zu den Exemplaren am Kronleuchter ergänzte. Die Dinger gibt es für ein paar Euro auf den Antikmärkten, sie sehen prima aus, sind absolut tropfsicher und kinderleicht zu reinigen, zu ersetzen,mit Kristallen auszugestalten - kurz, es ist eine wunderbare Lösung. Die wussten damals, was sie taten. Man muss es nur kennen und verstehen. Gerade jetzt in dieser Jahreszeit, wann der Kerzenverbrauch wieder ansteigt.

Und seit nett zu den Händlern, die 7 Stunden in der Kälte frieren. Auch und gerade in Berlin.

Sonntag, 12. November 2006, 19:20, von donalphons | |comment

 
Rat befolgt. An mir hat auf eben jenem Markt heute ein Händler verdient. Nicht viel, aber ein Nerz-Muff und ein großer Robbe & Berking Servierlöffel (Jahrhundertwende) haben die Besitzer gewechselt.

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Das ist schön. Meine Schwester hat ihren Luxusnerz auch von dort - allerdings habe ich sie nach dessen Erwerb zu Fuss nach München ins Hotel laufen lassen.

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Verständlich. Einen Nerz trägt in Berlin nur, wer schon von Kindesbeinen an kyrillische Buchstaben lesen kann. Aber einen Muff fand ich mondän.

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Oh ja, keine Frage. Man kann Dolche darin verstecken, Thermoskännchen , oder einen Flachmann. München ist, was Pelz angeht, leider immer noch ein ungeistiger Abklatsch Italiens.

Ich dagegen habe heute gekauft:

1 französischen Korkenzieher mit Wurzelholz, wie ihn meine Eltern früher hatten: 1 Euro
1 Herder, Der Cid, Geistinger, Wien 1815: 2 Euro
1 nordindische Statuette: 12 Euro
1 kleiner Rokokospiegel, süddeutsch um 1760: 3 Euro.

Es geht also auch ohne Berlin:-)

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Wer braucht schon Berlin...
Das klingt nach herrlichen Schnäppchen, wobei die Statuette nach Eso-Nippes klingt. Was mich bei Dir allerdings wundern würde.

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Das tragische ist doch, dass alles, was man aus seiner Heimat reisst, irgendwie zum Nippes verkommt.

Und die Statue... vor etwas mehr als einem Jahr ist mein Onkel gestorben, ein Weltenbummler seinesgleichen, double income, no kids. Der war vor allem in Asien unterwegs. Die Verwandtschaft konnte mit den Mitbringseln nichts anfangen, jemand wollte es sogar bei Ebay verkaufen, also habe ich das alles schnell an mich gebracht und den Flur asiatisch gestaltet. Furchtbares durcheinander, aber ich habe eine geheime Passion für diesen Kulturkreis, ich ban da so vernagelt wie die alten Aufklärer, ich mag deren Kunst und Frauendarstellungen und täusche mich damit über deren Realität hinweg.

Nippes also durchaus - wenngleich in einer geistigen Sphäre. Der Rokokospiegel jedenfalls passt zu meinen chinesischen Schnitzereien - über die jetzt schon seit Wochen ein Beitrag auf Halde liegt.

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Das mit den Tropfschalen passend zum Kronleuchter hatte ich nicht gewußt, danke für die Aufklärung. Jetzt bin ich umso erstaunter, daß es diese Glasscheibchen sogar bei IKEA gibt, ein Riesen-Anachronismus.
Und Flohmarktverkäufer verdienen alleine schon fürs unchristlich frühe Aufstehen Respekt.

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Wer seine Händler gut behandelt, fährt langristig sicher besse. Ausserdem geht man da hin, um seinen Spass zu haben, und nicht wegen des Streits.

Ikea - hm. Ich habe ja einen Händler, der immer am ersten Sonntag im Monat an der gleichen Stelle ist und dergleichen dabei hat. Dauert länger, unterstützt aber keine Schmutzholzspanzusammenkleber. (womit wir wieder beim Thema Killbilly wären)

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Ich war neulich (aus einem sehr schwäbischen Grund) in einem klassischen Möbelhaus, und habe mir dann auch den zweifelhaften Spaß gemacht, einmal durch die Möbelausstellung zu laufen.

Gegenüber dem, was es dort gibt, ist IKEA schon fast wieder Gold wert.

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Ikea kann man auch umgehen. Ich kauf Tropfschalen immer bei CriCri, die haben auch meist mehrere Modelle zur Auswahl.

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... und immer wieder: nein, nix Kristall - was hier an die scheusslichen Leuchter zu Dekozwecken heranappliziert wird ist Glas, also willens- und richtungslos erstarrte - im einfachsten Falle - silikatische Schmelze (jaja mit allerlei Zuschlagsstoffen), also billigster Massendreck (kaum etwas anderes kommt in der Erdkruste haeufiger vor) - und da kann man noch soviel daran herumschleifen und polieren, es wird dadurch weder schoener noch wertvoller - und kristallin schon mal gar nicht nie nicht, niemals. Insofern ... koennte ja fast vom Schweden kommen ....

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Also
so Tropfschalen finde ich irgendwie komisch - das ist wie bei Großmuttern und schließlich hat man doch eine Haushälterin die die vollgetropften Leuchter wieder sauber aufpoliert (oder das Wachs aus den Tischdecken bügelt).

Aber die Statuette macht sich gut (ich sehe du hast etliche von diesen Pseudomarmordingern gekauft, die du auch im Bad installiert hast) - aber dies Kirschjoghurtlila würde mir wirklich aufs Gemüt schlagen...

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Ich fand es anfänglich auch ganz grässlich, aber nachdem die Wohnung sonst sehr dezent-klassisch eierschalenfarben/gelblich/hellrot ist und auch noch einen blaugrünen Raum bekommt, finde ich es als Kontrast ganz ok. Mal abgeshen davon, dass der Farbton durchaus historisch ist. So sieht das zwischen Flur und Bad aus:



Kirsch-Bananen-Saft :-). Im Enst, wenn man drin steht, ist die Farbe weitaus dezenter als auf dem Bild.

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Flohmarktgeschichten...
Berlin verfügt ja nun über 100+ Flohmärkte, da fällt die Auswahl schwer. Flohmärkte sind etwas für Abenteurer: man(n) zieht los, um Beute nach Hause zu bringen. Befriedigt in mir ein archaisches Bedürfnis nach Jagen und Sammeln. Kunstmarkt Straße des 17. Juni ist ein Touri-Treff, aber ganz bestimmt nicht unattraktiv. Faszinierender finde ich aber eher die volksnahen Flohmärkte, also z.B. vor dem Rathaus Schöneberg oder Rathaus Steglitz. Wenig Profi-Händler, aber einiges an Privatpesonen und Haushaltsauflösern mit Schatzkisten. Wenn man die Geduld und Zeit hat, Bananenkisten mit Zeugs für die Deponie zu scannen, bleiben Erfolgserlebnisse sicher nicht aus. Hier meine Top 4 der letzten Jahre:
1.) Drei gleiche Walzenstühle (Gründerzeit) zu 15€. Ich sagte der Studentin: "willst du die wieder minehmen, oder lieber 15€ verdienen".
2.) Spieluhr ca. 1880 ("Zwei lieb Mädchenaugen") im Sockel einer mittelgroßen Obstschale, vom ignoranten Händler unentdeckt. Läuft, wenn man die Schale anreicht. Reich beschnitzt. 7€
Ich sagte (aus Bananenkiste hochhaltend): "was kostet denn die olle Holzschale?"
3.) Briefmarkenalbum 64 Seiten mit Marken ca. 1871-1930. 8€
Auf den ersten 2 Seiten hatte der Enkel seine Kosmonauten-Marken eingesteckt. Ich sagte, die erste Seite aufklappend: " Was sollen denn die Kindermarken kosten?"
4.) Über 60 original RAF-Fahndungskarten des BKA aus den 70ern in Einsteck-Etui mit Namen des Beamten. Inkl. Flugblatt "Wie erkenne ich konspirative Wohnungen". Drollige handschriftliche Anmerkungen des Beamten: "verhungert", "Kopfschuss" usw. 2€
Ich sagte benommen: "was kostet das"

Das sind dann Tage, wo ich glücklich und mit trocknenden Händen nach Hause gehe.

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