: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 1. Dezember 2006

Aus der Geschichte lernen

Show me the guns, boy!
Winston Churchill 1940 beim Besuch einer Spitfire-Squadron


Wer mich kennt, weiss, dass ich Respekt vor Rober Basic und seiner Leistung habe. Weniger, weil er täglich 10 Beiträge rausballert, sondern weil er meistens eine fundierte Meinung hat. Meistens. Aber nicht immer. Sein aktuelles Stück über die Frage, ob StudiVZ untergehen wird, ist offen gesagt von einer überraschenden Kurzsichtigkeit. Robert glaubt einerseits an die Lernfähigkeit des Managements und der Firma, andererseits an die schiere Zahl der Nutzer.

Ich sehe das bei dieser krisengeschüttelten Firma anders. Wie immer bei Startups ist es sinnvoll, sich das Ding als Offensivwaffe vorzustellen, am Besten als grossen Bomber, der eine gewisse Geschwindigkeit (Wachstum) Höhe (stabile Nutzerbasis), eine Route (Umsatz, Gewinn) und ein gewisses Ziel (Exit, Börsengang) erreichen muss, um erfolgreich zu sein. Nebenbei sollte er auch noch heil zurückkommen. Denn die Isions und Comroads der ersten Runde der New Economy haben gezeigt, dass auch nach dem IPO alles schief gehen kann. Man sehe mit die Metaphorik nach, es war einfach in meinen alten Kreisen so üblich und auch nicht falsch.

Nachdem StudiVZ jetzt noch 24 Stunden down sein dürfte, fliegen wir doch mal eine Runde um diesen Bomber und schauen ihn uns an: Bislang hat sich das Ding gut entwickelt, es hat eine hohe Geschwindigkeit auf grosser Höhe erreicht. Die Motoren der User und des Mund-zu-Mund-Marketings laufen immer noch rund, auch wenn an der ein oder anderen Stelle inzwischen schwarzer Rauch austritt - inzwischen gibt es nämlich auch eine gewisse Vorsicht bei manchen Beteiligten. Trotzdem, wie Robert sagt, die Leistung und Tragfähigkeit ist unvergleichlich.

Was aber überhaupt nicht mehr funktioniert, ist das, was sich im Rumpf dieses Bombers abspielt. Seit vier Wochen wird StudiVZ ununterbrochen unter Beschuss genommen, Gegenwehr gibt es praktisch nicht mehr. Die Initiative des Handelns liegt voll und ganz auf Seiten der Blogger, wir entscheiden über Zeitpunkt und Intensität des Angriffs, inzwischen ist es ein Selbstläufer geworden, und trotz gewisser Appeaser aus den üblichen Scharlatan- und Pleitierskreisen sieht es nicht so aus, als sollten die Angriffe abflauen.

Vor allem nicht, weil es im Cockpit nicht mehr stimmt. Wir können offen drüber reden: Die alte Pilotencrew hängt ziemlich ramponiert in den Sitzen: Dariani ist nach dem Völkischen-Beobachter-Skandal abgezogen worden, dann hat es mit der Stalker-Gruppe seinen Copiloten Michael Brehm erwischt, und von Coder Dennis Bemman hört man nach den diversen Sicherheitslücken auch nichts mehr. Dazu kommt das glaubwürdige Gerücht, dass man PR-Mann Tilo Bonow den Fallschirm verpasst hat. Die neue Mannschaft in der Öffentlichkeit ist der Ex-PRler Dario Suter, der sog. Datenschutzbeauftragte Manfred Friedrich und in der Technikzentrale der zugekaufte Troubleshooter Arash Yalpani. Sprich, die Angriffe auf das Cockpit hatten erhebliche Wirkung weit über die öffentliche Darstellung hinaus. Offensichtlich hat man es vesäumt, sich mal die Flugleistungen und Kapriolen - unbedingt lesen, da hat der VC voll versagt - mancher Leute am Steuer genauer anzuschauen.

Das Problem, militärisch gesprochen, war, dass StudiVZ über Wochen unverändert den Kurs gehalten hat, als wäre es 1940 im Führerauftrag in der Luftschlacht über England unterwegs. Die dauernde Propaganda, alles wäre sicher, es gäbe keine Sicherheitsprobleme, die Gegner wären bedeutungslos, hat sie berechenbar gemacht. Sie sind uns direkt vor die Bordkanonen geflogen. Und erst nach ein paar Salven durch das Cockpit versucht jetzt die neue Crew den Turnaround: Suter, Friedrich und Yalpani reissen das Ruder herum, schalten StudiVZ ab und versuchen, die Gegner mit einer Pressemitteilung und 128 Euro, später dann 256 Euro pro aufgedecktem Fehler an ihre Seite zu ziehen. Mit der Folge, dass sich beim Einschalten vermutlich einige Leute eingeladen fühlen, zu zeigen, was sie können. Das ist eine Todsünde, ein Verbrechen an den ihnen anvertrauten Daten, ihre Nutzer so für ihre Zwecke und ihr Versagen zu verheizen. Absolut irrwitzig. Unfassbar. Sowas habe ich noch nicht mal in der New Economy erlebt. Und spätestens jetzt sollte eigentlich jedem Verteidiger klar sein, dass es keinen Platz für die geben darf.

Das alles verbraucht enorme Mittel, das geht ziemlich auf die Tanks. StudiVZ verliert dadurch an Zeit, an Organisation, neue Strukturen müssen geschaffen werden, und all das im laufenden Betrieb. Das alles stand so sicher nicht im Fahrtenbuch, dafür wurde sicher nicht genug Venture Capital getankt. Gleichzeitig wurden auch die europäischen Töchter, die den grossen Zuwachs bringen sollten, nach einer PR-Tour in die Länder erst mal dicht gemacht. Sie kommen weit von der geplanten Route ab.

Ich hatte oft genug mit solchen Situationen zu tun. Wenn in so einem Ding erst mal Panik ausbricht, und die VC-Basis wütend Befehle ins Mikrofon brüllt, dann geht nichts mehr. Das ganze Verhalten zeigt etwas überdeutlich, und da muss ich nicht mal wissen, dass mancher ehemalige Posterboy flennend versucht hat, meine Telefonnummer zu bekommen:

Sie haben den Glauben verloren, es zu können

Und das ist das Schlimmste, was bei einem Startup passieren kann: Ein Team, das dem Druck nicht mehr gewachsen ist. Motorenleistung ist nichts ohne gute Leute am Steuer. Diese Leute waren nicht gut, und sie werden nicht besser. Diese Leute müssen raus und Geschäfte machen, Kunden gewinnen, denn bislang ist StudiVZ ein reines Verlustgeschäft, im Januar wollten sie anfangen, Werbung zu schalten, aber daraus wird wohl nichts werden, mit verheerenden Folgen für den Cash Flow. Wenn sie jetzt neu coden müssen, bleibt weniger Zeit und Geld für die Analyse und das Profiling, und damit sinkt die alles entscheidende Fähigkeit, etwas anderes als Totalverluste zu generieren. Ohne Einnahmen sind 1 Million Nutzer lediglich ein enormer Kostenfaktor, und damit ein Fall für die gnadenlose Schwerkraft. Sonst gar nichts. Desto weniger Daten sie online haben, desto schwieriger wird es für StudiVZ, sie zu vermarkten. Und Venture Capital ist da absolut unforgiving, spätestens denen geht es nur um Gewinne, und Verlierer wie StudiVZ sind einfach eingepreist. Das eigentliche Ziel, der Verkauf der Firma, liegt damit in weiter Ferne.

Robert redet sich in seinem Beitrag mit diesem Argument heraus: "Letztlich haben die Blogger mitgeholfen, dass StudiVZ als Unternehmen gnadenlos nach vorne gepeitscht wurde, was die kaufmännischen, EDV-technischen und Marketing-bezogenen Aspekte angeht." Keine Ahnung, wo Robert die Fortschritte sieht. Alle Reaktionen zeugen bislang von gnadenloser Inkompetenz, und die Hoffnung, das Thema sei ausgelutscht, ist vergebens, solange noch Kugeln in den Magazinen sind. Sie sind sehr weit oben. Es wird lang dauern, bis sie runterkommen. Es wird schlimm für die Beteiligten, aber vielleicht schafft man es, sie über den Kanal zurückzujagen und über der eigenen Basis zur Bruchlandung zu zwingen. Vor vier Wochen war StudiVZ das beste Flugzeug der deutschen Web2.0-Luftflotte, und Blogger nur ein paar Nörgler in kleinsten Maschinen. Keiner hätte das heutige Ergebnis vor vier Wochen für möglich gehalten. Die Blogger haben in den letzten Wochen sehr viel dazu gelernt. StudiVZ nicht. Und neue Geschwader sind im Anflug. Ich weiss, wer die sind. jetzt kommt der Hauptgang. Wäre ich bei denen im Bomber, würde ich mich nach dem Fallschirm umschauen.

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