Nation Abreissing

Es ist manchmal ganz erstaunlich, wie historische Erfolge blind machen für die Probleme der Gegenwart. Ich hatte heute ein berufliches Gespräch mit einem Bekannten, der in meiner Zeit auch in Berlin war, und der jetzt in Washington und mit humanitären Aufgaben im Irak beschäftigt ist. Damit meine ich nicht "Geld an US-Firmen schleusen", sondern das, was man als Nation Buildung bezeichnet: Zivile Infrastrzkturen aufbauen, politische Prozesse begleiten, mit Geld behutsam eingreifen und versuchen, die Leute für eine demokratische Zivilgesellschaft zu gewinnen. Also alles, was Im Deutschland des Jahres 0 und mit dem Marshall Fund erst mal prima geklappt hat.

Es gibt Leute, die fragen sich, ob die Niederläge nicht hätte härter ausfallen müssen, oder ein langsamer Sieg besser gewesen wäre; einer, der in jedem Dorf gezeigt hätte, dass Widerstand zweklos ist, und gleichzeitig so, dass man Respekt vor den Kämpfern hat. Es gibt Leute die sagen, man hätte die Massaker besser ausschlachten müssen, und andere, man hätte schon vorher die Leute wissen müssen, die die Sache im Irak managen können. Das mit der Entwaffnung hat nicht funktioniert, das rächt sich jetzt. Zu schnell war es, zu hastig, nach dem Ende der Kämpfe gingen die Kämpfe weiter, da entstand der Hass, der die amerikanischen Truppen jetzt zum Spielball in einem religiös motivierten Bürgerkrieg macht.

Für diejenigen Verantwortlichen, die daran glauben, dass der westliche Weg sicher nicht 1:1 übernommen werden kann, die Grundsätze wie Demokratie, Gleichberechtigung und Menschenrechte aber fraglos gelten müssen, ist der Irak eine real gewordene Alptraumvision. Es fängt schon damit an, dass die Ansprechpartner nichts von diesen Werten wissen wollen, weder im Kampf gegen feindliche Clans, noch im Inneren, womit ihre Herrschaft bedroht wäre. Der Irakkrieg ist in abertausende Kriege im Irak zerfallen, die neuen Machthaber sind Warlords, es ist kein Vietnam, sondern schlimmer, es ist gigantisches Afghanistan, in dem jede Aufbauleistung jenseits der von den USA massiv kontrollierten Gebiete sofort missbraucht werden, versickern, nicht mehr als wirkungslose Bestechung sind.

Es wird sehr schwer mit dem Abzug der Amerikaner, so jedenfalls wird es kein Spaziergang wie 1948 in Deutschland, das ist allen Beteiligten klar, wenn die ganze Aktion nicht als grösster und teuerster politischer Fehlschlag in die Geschichte der USA eingehen soll. Langsam reift in mir aber eine Idee heran, die tatsächlich so etwas wie eine stabile Situation bringen könnte: Denn wenn man genau hinschaut, hat nicht nur der Marshall Fund Deutschland gestützt, sondern auch das feindliche System der Sowietunion und ihres Satelliten, der DDR. Wie also wäre es, Sunniten, Shiiten und Kurden tatsächlich in eine Autonomie zu entlassen, gezielt als Staaten aufzubauen, und Bagdad als neues Berlin zu errichten, mit einer Bagdader Mauer zwischen den Zonen? Klare Fronststellungen würden shon dafür sorgen, dass sich jede Partei intern einigen muss, um der anderen zu widerstehen, man bräuchte die Hilfe der Grossmächte, und die wiederum könnten ihre Vasallen dann zügeln.

Das erzähle ich meinem Bekannten, aber der findet die Idee extrem zynisch, und will davon nichts wissen.

Dienstag, 28. November 2006, 00:42, von donalphons | |comment

 
Tolle Idee...
aber die hatte, wenn auch in grösserem Umfang, schon mal jemand:
http://www.armedforcesjournal.com/2006/06/1833899
(ist es erlaubt hier einen Link zu posten?)

man beachte vorallem die beiden Karten rechts oben...

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Hm, Imperialismus 2.0, wie mir scheint. ich frage mich, ob man die Blöcke nicht noch kleiner machen müsste.

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nette Idee,
setzt aber eine sehr deutsche Treue zum jeweils mächtigen großen Bruder voraus.
Und woher die geschlossenen feindlichen Systeme nehmen?
wir haben doch nur noch konkurrierende Märkte.

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China, Iran, Russland für die Schiiten, der Westen für die Sunniten (da hat man ja schon Erfahrungen), und auf das wilde Kurdistan wird keiner spekulieren, der noch halbwegs im Besitz seiner geistigen Kräfte ist.

Politik ist auch nur ein Markt.

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so geschlossen scheinen mir die aufgezählten Gebilde nicht. Alle haben doch damit zu kämpfen das die üblichen Grenzen durch Markt und Internet in ständiger Auflösung und Veränderung begriffen sind.

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Würde so eine Zoneneinteilung dann nicht erst richtig für Vertreibungen der jeweils "falschen" Minderheiten sorgen, so wie auf dem Balkan?

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Das wird ist ja in den USA ein Vorschlag, der aber nur zögerlich diskutiert wird. Denn alle mühevoll erarbeiteten Vereinbarungen wären dann hinfällig.

Meine Einschätzung, nach dem was man so vom Irak liest: Am Ende wird es daruf hinauslaufen. Einzig die Frage der Verteilung der Öleinnahmen wäre sicher ein ständiger Streitpunkt.

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Oder man schickt die UNO mit einem robusten Mandat als Puffer da rein, wo die Ölquellen sind ;-)

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Dann könnte der Zaun gegen Mexico also ein Testlauf sein, ob eine Mauer als Eingeständnis des Scheiterns gewertet wird? Ich finde den Lösungsvorschlag irgendwie traurig. Hatte demnach Saddam die einzig mögliche Methode erkannt, wie man dieses Land regieren kann?

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Saddam hat dasLand erst zu dem gemacht, was es heute ist.
Wer jahrzehnte lang Gruppierungen untereinander ausspielt oder gezielt Gruppen (wie Schiiten und Kurden) massiv unterdrückt, der braucht sich nicht zu wundern, wenn diese Gruppen nach Wegfall der Diktatur ihr eigenes Süppchen kochen wollen. Siehe auch Jugoslavien, das nach dem Tode Titos in Windeseile und blutigem Bürgerkrieg auseinandergefallen ist.

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250 Srebenicas
ich glaube auch, dass es so kommen wird, aber ich glaube auch, das wird ein Yugoslawien in Potenz.

Das wird der fragmentierte Horror und der Startschuss zur 'ethnischen Säuberung' ohne Bremsvorrichtung.

Kurden, Sunniten, Schiiten, das sind ja keine homogenen Teilgesellschaften mit klarer politischer Ausrichtung, das sind Fleckerlteppiche ethnischer und religiöser Minderheiten, Clangesellschaften und jeder Trottel hat eine Panzerfaust unterm Sofa.

Beispiel Kirkuk; eine turkmenische Stadt mit kurdischer und arabischer Bevölkerung, Christen Jesiden, Schiiten, Sunniten, seit neuestem Wahabisten. Wird aktuell 'kurdisiert' wegen der Ölvorkommen.

Südlich von Bagdad gibts eine Vielzahl von sunnitischen Örtchen und Städtchen, die ihre eigenen Republica Srepskas haben wollen werden, mit freundlicher Unterstützung von Saudi Arabien.

Im sunnitischen Dreieck gibt es nix zu holen und trotzdem bekämpfen sich dort inzischen die alteingesessenen Clans mit den importierten Wahabistensöldnern Taliban/Quaida/Tschetschenen.

In Bagdad geht es genau darum jetzt schon; linkstigris wollen die Sunni die Macht, rechtstigris die Schiiten. Aber in den meisten Stadtvierteln ist die Bevölkerung gemischt. Es gibt ja auch noch drei dutzend andere Religionsgruppen, Armenier, Turkmenen, Bagdader Kurden, die da seit 100 Jahren leben. Da geht es Strasse gegen Strasse.

Es gibt aktuell mehr Binnenflüchtlinge als direkt nach dem Krieg.

Nation-Building, Entwaffnung? Bruhaha.

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Hi betty, schön, wieder was von Dir zu lesen, aktuelle Lageberichte sind erwünscht!

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Es gibt durchaus Planungen in den USA, die auf so etwas hinauslaufen. Meines Wissens befürwortet Powell derartige Pläne. Kurdistan Azadi, für das ich mal gekämpft habe, könnte so ja Wirklichkeit werden. Ansonsten sehe ich die Situation im Irak mit großer Skepsis, vgl. hier, und bitte auch die weiterführenden Links (insbesondere bettyford) beachten, da wird es erst wirklich interessant:

http://che2001.blogger.de/stories/615066/

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Sind nicht so an die zwei Dutzend afrikanische Staaten in vergleichbarer Situation? Die Gleichgültigkeit darüber finde ich eigentlich noch viel zynischer, denn schliesslich hätte deine Vorstellung wenigstens ein politisch anerkanntes Kurdistan zur Folge...

Ob die Türken und Iraner das dann auch so toll finden?

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Mein Freund Mahmood sagte einmal: "You couldn´t call the Tchad, Mali or Niger countries. There are a lot of so called countries which are only a mixup of tribal areas."


Und leider, leider würde ich zusammenfassend zu diesen Ländern, Afghanistan und Irak sagen: "Rival teams of bandits will be the only choice. Even if the people had a bill of rights, and even if the people had a voice."


Was die Türken und Iraner zu einem freien Kurdistan sagen, ist das Gleiche, was die Syrer und die Jordanier zu einem unabhängigen Israel sagen. Wer nun deshalb gegen Kurdistan argumentiert, müsste zwangsläufig auch....


Mir ist jeder Nationalstaat im Prinzip schnurzegal, aber wenn Souveränität Voraussetzung ist, um keinem Völkermord ausgesetzt zu sein, stellt sich die Frage nunmal anders.

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ist doch schon längst...
vorher von Briten gemacht worden. Die gesamten Grenzziehungen des Nahen Ostens und in Afrika/ Indien waren ja eh schon an der Maxime "Teile und Herrsche" orientiert.
Da wurde auf nicht mal auf die Zugehörigkeit zu den moslemischen oder hinduistischen Glaubensrichtungen allzu viel Rücksicht genommen. Und ein Statthalter für das jeweils neu erfundene Staatsgebiet wurde immer gefunden.

Den Salat hat man jetzt 90 Jahre später immer noch.

Im Irak kollidiert das für die Türken wegen den Kurden, den Jordaniern wegen den Sunniten und den Persern wegen den Shiiten.

Viel Freude beim Brand des gesamten Orients.
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die Franzosen nennen den Tschad seid jeher: le bordell.

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Der schöne alte Orient, mit seiner Neigung zum fraktalen Feudalismus...
Ziehst du da eine Grenze, um diese Ethnie-plus-Religionszugehörige vor deren Unterdrücker zu retten, bekommst du hier ein neues Staatsgebiet, dessen nun emporkommene Volksschicht Gewalt im miesesten Sinne über ihre Minderheiten üben wird.
Es ist schon übel genug, dass allein die Angehörigen der verschiedenen Stämme sich untereinander, der vielen Sprachen, all der Religionen, nicht riechen können, sogar die mannigfaltigen Unterkategorien können Fehden hervorrufen (mit Zugehörigkeits-"gefühlen" am Rande, wie Landschaft etc. möchte ich erst gar nicht anfangen), deren Bizarrheit uns zum Lachen brächte, wenn das Ganze nicht so traurig wäre.
Die Definition des Individuums ist bei uns etwas anderes. Die Eigenschaften und Möglichkeiten eines Menschen sind abzählbar und ergeben sich aus verschiedenen Anordnungen (und nicht beliebiger Kombination) jener Klassifizierungen der Gesellschaft, die sich aus der oben beschriebenen "Vielfalt" halt so ableiten. Diese durch und durch permutativ geprägten Gruppen Einzelner, können von ihren Führern (ich sage bewusst nicht Stammesführer. Auch das Zugehörigkeitsgefühl zum Stamm, der stärkste Kitt, kann gelegentlich sich lösen, wenn, sagen wir mal ein religiöser Orden, eine politische Partei mit "charismatischem" Führer -Charisma bedeutet immer: wie viel Beute aus Plünderungen, Ausbeutungen, Bestechungen etc. verspricht er uns!- Befreiung -ja, ja, ein Begriff, der in unseren Gefilden oft nur ein pervertierter Euphemismus ist- verheißt) zu jeder beschissenen Tat benutzt werden (hmm, je konfuser die Gedenken, desto verschachtelter die Sätze ;-).
Was ich eigentlich sagen wollte: Der gute alte Orient kommt zur Ruhe, wenn, um Deine Satire aufzugreifen, jedes Dorf zum autonomen Staat wird... Ach was, es gibt Ruhe, wenn eigentlich jeder Mann (und in sehr seltenen Fällen jede Frau), ob Arm oder Reich, mitsamt der Familie sich in den Status eines kleinen und feinen Staates erhebt (was ja ironischerweise für die muslimischen Männer im weitesten Sinne, wenn sie sich nur Scharia unterordnen, auch gilt)...

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Historisch gesehen gab es durchaus funktionierende Zivilgesellschaften in dieser Region, ich sehe also nicht, wieso das nicht irgendwann wieder klappen sollte - allrdings denke ich auch, dass man den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten irgendwann als Deckel auf dem brodelnden Topf entdecken wird.

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