Real life 30.01.2004 - Agentenjagd

In der Pause gehe ich vor aufs Podium und frage, ob ein bestimmter Typ da ist. Ne, meint eine der Semiglatzen, der ist heute nicht da, aber morgen im Kaffee Burger. Und schreibt mir die Adresse auf. Ich beschaffe mir was mittenüberteuertes zum Trinken und warte, bis das Lesen weitergeht.



Dann geht es weiter, einer nach dem anderen kommt vor, liest, haspelt, performed, und das Mädchen in der Runde sprudelt Mikrophonangst und Lampenfieber, bleibt an ihren Worten hängen und rudert mit der Stimme. "Unverbraucht" nannte man das früher in den späten 60ern, heute heisst sowas "authentisch".

Dann sind sie fertig, viel netter Applaus für houseliche Gemütskrankenpflege hier in Mitte, es war auch sehr nicht.comerziell, finden manche.

Besonders die Sparausgabe von Jana Pallaske, die sich den Hinterkopf an der Wand während der Lesung ordentlich verstrubbelt hat. Das sollten die Verlage doch mal bringen, statt dem ganzen blöden Scheiss, gellt sie in die Runde von Leuten, die sich alle nicht kennen, und die Töne zerbersten an den dicken Backsteinmauern, die wohl lieber die Fickgeschichten der Bierbrauer hören würden, die früher hier arbeiteten.

Von allen Seiten wird die Stille ein paar Sekunden zugebrabbelt, dann sage ich: Sorry, aber sowas lese ich jeden Tag ein paar Dutzend mal. Das wäre vor drei Jahren sicher verwertbar gewesen, als alle den Hype wollten. Aber heute ist das sowas von durch, es gibt Dückers, Kaminer, Wetzel, Boehning, schiessmichtot, absolut kein USP, den die Verlage brauchen.

Wieder Stille. In den Köpfen der mir Unbekannten knattern Gedanken im Takt eines Maschinengewehrs. Der da redet von USP, hat ein Busiensshandy, trägt Anzug und Dufflecoat, liest täglich Dutzende von...

Bist Du Agent? platzt es gierig aus dem Mädchen heraus.

Nein, nur Journalist, sage ich. Hätte ich zugegeben, dass ich Herausgeber bin, wären sie über mich gekommen und hätten mich mit den Notizbüchern und CD-Roms voller Kunstliteraturprojekte vollgestopft, die in den Tiefen jeder zweiten Tasche dieser Gegend auf den Moment warten, dass man sie einem wichtigen Verlagsmenschen zustecken kann. Was in München die Stories vom VC am Nebentisch sind, der einem ein paar Millionen nach 5 Minuten Gespräch gibt, ist hier die Fama vom Agenten, der Jungautoren vom off-Kastanienbroadway aufsammelt.

Auf dem Weg zum Auto komme ich an einem halben Dutzend orange erleuchteter Kneipen vorbei, in der dritten oder vierten sitzt eine einsame Frau mit viel Haut und Intellektuellenbrille auf einem Barhocker und schreibt was in einen Notizblock.

Sonntag, 1. Februar 2004, 13:08, von donalphons | |comment