Vielleicht waren sie nicht amoralisch genug.

In der New Economy wurde so ziemlich alles versucht, was ein denglisches Branding hatte. Vornerum schöne Worte, hintenrum schlecht versuchter Analgebetrug unter Vorspielung grenzwertiger Steuersparmodelle. Das hat nicht geklappt.

Andere hatten mehr Glück. Bankraub wird bis heute unverändert betrieben. Veruntreuung ebenso. Und auch das Eröffnen einer Cafekette scheint zu funktionieren, solange man nicht gross von Franchising blubbert, sondern mit schönen, alteuropäischen Worten die Kundschaft ausnimmt wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans.



In der Kurfürstenstrasse in Berlin a.d.Spree, gleich neben dem Strassenstrich in einem Haus, das früher mal was anderes war, ist eine Filiale des Cafe Einstein. Während B2C-Läden wie Snacker.de hypermodern mit viel Advertising in den Boden gingen, gibt man sich beim Einstein erst mal stucklastig alt und gediegen, bis die Karte kommt. Selbst gestandenen Münchner Heavy Loungern fällt bei den Preisen erst mal die Kinnlade runter. Tee über 5 Euro, mit den Worten, man gedenke, immer das Beste vorzuhalten, ja ja. Best Experience, Best Practice, Both eyes 2 the Customer, hiess das früher, 1999.

Sandwich mit Parmesan und Ruccola heisst ein Einstiegsangebot, das dann in etwa die Konsistenz einer Brokat-Aktie hat: Kümmerlich im Format und Gewicht, lauwarm serviert, innendrin ein paar grüne Blätter und schlechter Käse. Parmesan? Dieses unwürzige, angeschmolzene Geraspel, das in Mewngen aus den lapprigen Brötchen fiel, zu 4,80 Euro? Wenn das Parmesan war, dann war Pit Kabel ein erfolgreicher Unternehmer.

Dass der Laden trotzdem recht voll ist, mit den "schönen Müttern" von Mitte, die ganz erstaunliche genetische Konzepte abgeben - Frontend-Pferdegebiss, dann erhebliche Mengen Milchkuh, mit dem Backend eines Brauereigauls - sowie den Vätern, die kretinös grinsend den Nachwuchs ablichten, der wiederum die selben Schlabberklamotten wie Papa trägt - das alles macht den Laden zusätrzlich unerträglich. Der Rest der Besatzung dürfte hier vor allem eintrudeln, weil hier in berlin "überteuert" immer gern mit "exclusiv" gleichgesetzt wird. Die selbe Gruppe also, die 1999 an den Neuen Markt glaubte.

Diese Kette begann ihren Aufstieg parallel zur New Economy. Sie arbeitet mit den gleichen Methoden, wendet sie nun wirklich konsequent und kundenverachtend an, verwendet aber andere Claims und einen anderes Image - und schon funktioniert es. Aus der Sicht eines Vertreters der New Economy, der ich einer bin, ist das ungerecht. Zumal die positiven Worte in Reiseführern ähnlich den Jubelorgien über Caatoosee im Managermagazin entstanden sein dürften.

Bei Snacker hätte man eine Kritik im Netz schreiben können, sogar über den lausigen Service und das dämliche Gehabe der Gründer, beim Cafe Einstein ist alles offline. Wiegesagt: Niederträchtiger, konsequenter als die New Economy. Und das Essen ist erheblich schlechter.

Samstag, 14. Februar 2004, 21:15, von donalphons | |comment

 
Das Café Einstein hat in (West)Berlin als Intellektuellen-Café eine schon etwas längere Tradition. Es ist benannt nach Carl Einstein, einem anarchistischen Literaten und Kritiker der zwanziger Jahre, der sich - wie Benjamin u.a. - auf der Flucht vor den Nazis umbrachte. 1984 war`s, als von dort mal Berlinale-Nacht-Diskussionen gesendet wurden.

Vom Szene-Faktor (alter Westberliner Zeiten) her ist dieses Café eigentlich nur mit dem Café M (ehedem für Mitropa) in der Goltzstraße zu vergleichen. Das Café in der Kurfürstenstr. ist das Original. Wie die Stimmung dort heute ist, weiß ich nicht. Ich hatte neulich tatsächlich das etwas zweifelhafte Vergnügen, einen Blick in die Speisekarte der vom Ambiente her weniger gelungenen " Zweigstelle" in der Lindenallee zu werfen (Hauptgerichte ab 18 Eur). "Café Einstein" hat also für Berliner einen "guten Namen" (gehabt), oder wie man heute sagt, ein gutes "branding". Vielleicht hat sich die Kette aber auch übernommen und ist beim Touristen-Nepp gelandet. Schade.

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amoralisches Vorspiel ?
... hintenrum schlecht versuchter Analgebetrug...was auch immer das sein soll - *g* Berlin macht Spass. Das Einstein hat vielleicht momentan `nen Hänger, das gibt es (auch woanders). Es hat sicher eine lange Tradition, und wer es früher kannte, erinnert sich gerne.

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Selbstreferentielle Scheisshausmentalität
Nego et adnego. Andersrum: blumiger Blödsinn.

Wir wollen unserem Neu-Berliner einiges nachsehen. Und ihm, was manchen erst eine längere Abwesenheit von Bln. lehrt, gerne zugestehen, daß man die selbstreferentielle Scheisshausmentalität, die seit ewigen Zeiten in Berlin herrscht, nicht mögen muss.

Beim Einstein aber müssen wir widersprechen. Nachdem die Vorgänger wie das Romanische Cafe im Alten Westen, das Cafe Josti und andere am Potsdamer Platz spätestens 1945 ihre Existenz und ihren Geist aufgaben, war das Einstein in der Kurfüstr. die Arche Noah des Restintellektes der späten Berliner Mauerjahre, Sammelbecken für die Überbleibsel alter Zeiten und später das Urhaus eines neues eigenen Berliner Selbstverständnisses. Zuerst hockten dort diejenigen, die viel schreiben mussten oder wollten, und zogen später aus tout Berlin die wenigen anderen Reste aus Medien und diversen Szenen hinterher. Das war nicht viel, gewiss, aber es war ein Anfang.

Das Cafe Einstein aber, angefangen mit der Geschichte seines Hauses im alten Geheimratsviertel und der seiner ehemaligen Bewohner war für jeden, der erst in den 80er nach Berlin kam, ein Sinnbild dessen, wie die Bedeutung des anderen Berlin (von Benn bis Brecht, von Fallada bis Lasker-Schüler) hätte verlaufen können ohne die unsägliche Zeit vor und unter Adenoid Hynkel. Es war eine Institution.

Erst in den späten Neunzigern kam das Einstein “Unter den Linden” für die Politbramabarsierer von nebenan hinzu. Dann folgten seelenlose Clone in der Friedrichstr. und in den besetzen Gebieten jenseits des Fernsehturmes. Nur leider konnten die sommers herausgestellten Stühle beim Einstein Unter den Linden nie mit dem Garten in der Kurfürstr. konkurrieren; das wusste auch Karasek, der dort jahrelang spätmittags meist alleine seinen Kaffee schlürfte... . Mögen Westerwelle und Glos und die Händel und Intrigen gerne in der geclonten Ostfiliale bleiben.

Dieses Einstein hat auch mitnichten etwas mit der NE zu tun. GAR NIX! Zudem war die NE-Partyszene, wie man sie in M. kannte, in B. schlechterdings kaum existent, eher miefig und mit dem Buchhaltercharme der IBB-Pappnasen gesegnet. P. Kabel ging woanders hin.

Wir wollen nicht den alten Gegensatz BLN und MUC heraufbeschwören und begegen dem Verfasser dieses Blogs durchaus mit Sympathie, aber wenn wir MUC mit einigen Lokalitäten so kurzgreifend kritisieren würden wie es hier bei diesem Einstein mit BLN geschieht, würden wir zu Recht Prügel beziehen. Plakative Gesten ersetzen kein Verhalten, kurzes Hinrotzen keine Substanz und modische Drehereien nicht die Kenntnis über die Zeit. Die Heavy Lounge bricht nicht die Historie. Snacker, Caatoosee und Konsorten schon gar nicht.

Allerdings liegt DA leider teils richtig. Vom Potsdamer Platz bis zur Knesebeckstr., von Wannsee bis Wedding: die Beliebigkeit der Architektur, der Bewohner und des Niveaus des NEUEN BERLINS seit 1998 ist erschreckend. Da hilft kein Politraumschiff, kein BussiBussiBerlinale-Blabla, kein HighTech-Adlershof, die nur lokal bedeutsamen Filmfritzen aus Babelsberg, kein Zuzug von Coca-Cola, MTV oder BND. Jeder Besuch bei einem S-Bahn-Zeitungskiosk in HH oder M schmerzt, weil es dort Zeitschriften gibt, die in ganz Berlin nirgendwo ausliegen.

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I don´t give a damn about history. Wenn sie pleite wären; eine abgeschlossene Geschichte, wär´s ok - aber wenn sie mir heute Raspelkäsesurrogat als Parmesan andrehen wollen, kriegen sie aktuell die Meinung. Und mit ihrem NE-Kettentum geben sie auch leidlich an.

Was Brecht angeht: Der war in ganz anderen Läden, aber nicht in so mattgelben Rokkoko-Nachbau-Interieur.

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Komm zurück, Don. Am Samstag war ich in einer weiteren neuen, hipp aussehenden Café-Lokalität - MIT NETTER BEDIENUNG! Mag sein, dass München langsam den letzten Rest Stolz verliert.

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Dauert noch, sorry. Minimum eine Woche, aber eher mehr.

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