Mittwoch, 14. Juni 2006
Real Life 11.06.06 - 30 Hektar
Am Ende des perfekten Tages meint Iris, dass sie jetzt eigentlich nicht in ein stickiges Gasthaus will. Vielleicht, sagt sie, schafft ihr es ja noch hinauf auf eine Hügelkuppe, um den Sonnenuntergang anzuschauen. Kommt ihr mit, fragt sie die D.-Schwestern, die eine in Ascot-Apricot und die andere ganz in Schwarz, weil sie im Chor gesungen hat, und sie glüht gerade noch vom Auftritt und will eigentlich dringend was Süsses, das braucht sie jetzt. Etwas Süsses, sagst du, hast du im Wagen, beim Gartenfest deiner Mutter ist heute viel übrig geblieben, man könnte also beides haben, Torte und Sonnenuntergang. Gero und Sylvia sagen spontan zu, weil es einfach zu schön ist, um jetzt irgendwo rein zu gehen. Ihr geht zu den Autos, trefft euch unten am Dorfplatz, die Strecke zieht sich kurvenreich durch das schon dunkle Tal und zwei verschlafene Dörfer, bis sie in zwei scharfen Serpentinen auf die Jurahöhe führt.
Hinter der Kuppe fährst du auf einen Feldweg, die anderen halten hinter dir. Du steigst aus, öffnest den Kofferraum, holst die Decke und den Kuchen, der eigentlich für 12 reichen könnte. Die D.-Schwestern, Gero und Sylvia stehen etwas unschlüssig vor der Auswahl, und um die Befangenheit zu nehmen, erzählst Du von dieser grossartigen nacht in Berlin, 3 Uhr war es und schneidend kalt, als ihr zu viert am Heck dieses Wagens gestanden seid und die Kuchenreste verteilt habt, und weil es zu viel war, um das alles aufgetürmt zu schleppen - drei Stücke übereinander gehen noch, vier sind zu viel - habt ihr sie gleich dort gegessen, die Strasse lag wie ausgestorben da, und erst langsam stellte sich bei den Marzipanrollen heraus, wer mit wem diese Nacht wo verbringen würde. So war das, in kalten, finsteren Berlin, also greift zu, Freunde, es geht auch ohne Teller und Gabeln.

Sylvia hat auch noch eine Decke im Auto, und Viola, die jüngere der D.-Schwestern, erweist sich als echte Chorsängerin, als sie aus den Untiefen des Wagens eine Flasche Sekt zaubert. Da sitzt ihr dann, am Rande des Feldwegs und der gesellschaftlichen Verpflichtungen, eine Hand hält den Kuchen und die andere ist drunter, damit es keine allzu grosse Sauerei gibt, Champagnercreme ist da übrigens besser, da kompakter als gedeckte Apfeltorte. Hanna, die ältere der D.-Schwestern, überlegt sich, ob sie nicht vielleicht eine Bar aufmachen soll, in der Altstadt, und eigentlich fehlt da wirklich was, ein Ort, der nicht so pseudomodernistisch gemütlich ist, sondern einfach einen gewissen Anspruch hat.
Dann knirschen Reifen auf dem Feldweg, ein schwerer Geländewagen hält an, es ist der Onkels der D.´s, der ihren Wagen erkannt hat. Er steigt aus, ist ein wenig unschlüssig, ob er sich zu uns setzen soll, so steif, grau und mit roter Krawatte, wie er ist, aber als du ihn bittest, nimmt er auch ein Stück Torte, setzt sich, und beginnt zu erzählen.
Von dem Wald da unten, der ihm gehört. Vier Quadratkilometer. Das war übrigens damals die Jagd von deinem Grosswater, erzählt er, da hinten, Richtung Stadt, da haben sie in seiner Jugend oft zusammen geschossen im Morgengrauen, das war ein feiner Mann und ein guter Schütze. Die D.-Schwestern, leicht anämische Blondinen und durch das Blut hineingeheirateter Franken verseucht, essen kein Fleisch und schauen etwas betreten, als ihr Onkel die Abstinenz der heutigen Jugend von solchen Vergnügungen bedauert, es sei so schön im Hochstand, wenn der Dunst noch auf den Wiesen liegt, allein mit ein paar Freunden und den Hunden, er versteht nicht, wieso wir das heute nicht mehr machen, und gerade du, der du so deinem Opa nachkommst, ein echter Porcamadonna, das wäre doch was für dich, dein Opa liebte die Waffen und das Wildfleisch.
Du sagst wenig, und er redet wieder über den Wald, und dass viele gar nicht wissen, was das bedeutet. Die Rendite ist niedrig, die Arbeit ist hart, man braucht starke Traktoren mit guten Bügeln da drinnen, aber da stehen buchstäblich Millionen, es ist der Kern der Sicherheit, dieser dunkelgrüne Teppich, der im Gegenlicht tiefschwarz wird, bis auf die golden schimmernden Spitzen. Und wenn Viola und Hanna mal heiraten, wird er jeder 30 Hektar mitgeben, so gehört sich das, man darf nicht vergessen, wo man herkommt, man braucht etwas, das einen an das Land erinnert, und natürlich eine Sicherheit, denn nach dem Krieg war das Land die einzige Sicherheit, und wer Verwandte hatte, der musste damals nicht leiden. 1945, 46, da waren die Wälder voller Wild, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, aber das war einer der Gründe, warum es bei ihnen und auch bei uns immer etwas Fleischigs auf den Tisch gab, in der schlechten Zeit.
30 hektar Wald, ist das gut? fragt er, die D.-Schwestern lächeln ein wenig einfältig, aber die Frage hat er an dich gerichtet, und du sagst, ja, es ist gut, das ist etwas, das einem keiner nehmen kann und das immer bleiben wird, und du glaubst auch daran, denn wer sollte es nicht glauben, wenn der Wald auf der Hügelkuppe im letzten Licht funkelt wie eine dünne Brilliantkette. Du gefällst ihm, sagt er, du bist wie dein Grossvater, du wirst einmal ein feiner Mann. Und er schaut seine Nichten auf eine Art an, die dir nicht wirklich gefällt, und einen Moment wünscht du dich zurück nach Berlin, in die kalte Winternacht und den Moment, als jemand drei Nougatrollen aufeinander stapelt und dieses fragile Gleichgewicht mit grosser Könnerschaft nach Hause trägt, um dieselben dann im Bett zu essen, denn alles Gold dieser warmen, unfassbar schönen Welt, in der alles stimmt und jeder seine Geschichte und seinen Platz hat und auch noch in Jahrzehnten haben wird, wenn dann die alt gewordenen Enkel erzählen werden, wie man hier Ehen einfädelt und Dynastien verknüpft, all der Reichtum und die Offenheit der Menschen ist erkauft durch Unabänderliches, und der kleine, zaudernde Moment, bevor Viola sich überwand, den Kuchen zu undamenhaft mit der Hand zu nehmen, ist das Spiegelbild deines eigenen Zögerns, dich auf diese Welt einzulassen - so hübsch ihre spitze, arrogante Nase ist und so golden ihre Stimme klingt, wenn sie Rossini singt, so ist doch eine undurchdringliche Glasplatte zwischen euch, und dem Wald wird es egal sein, denn er denkt nicht in den kurzen Zeiten unseres Lebens, er kennt keine Begierden und Einsamkeit und auch keinen Besitzer, er ist einfach da und wird noch da sein, wenn wir und unsere Wägen und selbst unsere Häuser längst zerfallen sind.
Hinter der Kuppe fährst du auf einen Feldweg, die anderen halten hinter dir. Du steigst aus, öffnest den Kofferraum, holst die Decke und den Kuchen, der eigentlich für 12 reichen könnte. Die D.-Schwestern, Gero und Sylvia stehen etwas unschlüssig vor der Auswahl, und um die Befangenheit zu nehmen, erzählst Du von dieser grossartigen nacht in Berlin, 3 Uhr war es und schneidend kalt, als ihr zu viert am Heck dieses Wagens gestanden seid und die Kuchenreste verteilt habt, und weil es zu viel war, um das alles aufgetürmt zu schleppen - drei Stücke übereinander gehen noch, vier sind zu viel - habt ihr sie gleich dort gegessen, die Strasse lag wie ausgestorben da, und erst langsam stellte sich bei den Marzipanrollen heraus, wer mit wem diese Nacht wo verbringen würde. So war das, in kalten, finsteren Berlin, also greift zu, Freunde, es geht auch ohne Teller und Gabeln.

Sylvia hat auch noch eine Decke im Auto, und Viola, die jüngere der D.-Schwestern, erweist sich als echte Chorsängerin, als sie aus den Untiefen des Wagens eine Flasche Sekt zaubert. Da sitzt ihr dann, am Rande des Feldwegs und der gesellschaftlichen Verpflichtungen, eine Hand hält den Kuchen und die andere ist drunter, damit es keine allzu grosse Sauerei gibt, Champagnercreme ist da übrigens besser, da kompakter als gedeckte Apfeltorte. Hanna, die ältere der D.-Schwestern, überlegt sich, ob sie nicht vielleicht eine Bar aufmachen soll, in der Altstadt, und eigentlich fehlt da wirklich was, ein Ort, der nicht so pseudomodernistisch gemütlich ist, sondern einfach einen gewissen Anspruch hat.
Dann knirschen Reifen auf dem Feldweg, ein schwerer Geländewagen hält an, es ist der Onkels der D.´s, der ihren Wagen erkannt hat. Er steigt aus, ist ein wenig unschlüssig, ob er sich zu uns setzen soll, so steif, grau und mit roter Krawatte, wie er ist, aber als du ihn bittest, nimmt er auch ein Stück Torte, setzt sich, und beginnt zu erzählen.
Von dem Wald da unten, der ihm gehört. Vier Quadratkilometer. Das war übrigens damals die Jagd von deinem Grosswater, erzählt er, da hinten, Richtung Stadt, da haben sie in seiner Jugend oft zusammen geschossen im Morgengrauen, das war ein feiner Mann und ein guter Schütze. Die D.-Schwestern, leicht anämische Blondinen und durch das Blut hineingeheirateter Franken verseucht, essen kein Fleisch und schauen etwas betreten, als ihr Onkel die Abstinenz der heutigen Jugend von solchen Vergnügungen bedauert, es sei so schön im Hochstand, wenn der Dunst noch auf den Wiesen liegt, allein mit ein paar Freunden und den Hunden, er versteht nicht, wieso wir das heute nicht mehr machen, und gerade du, der du so deinem Opa nachkommst, ein echter Porcamadonna, das wäre doch was für dich, dein Opa liebte die Waffen und das Wildfleisch.
Du sagst wenig, und er redet wieder über den Wald, und dass viele gar nicht wissen, was das bedeutet. Die Rendite ist niedrig, die Arbeit ist hart, man braucht starke Traktoren mit guten Bügeln da drinnen, aber da stehen buchstäblich Millionen, es ist der Kern der Sicherheit, dieser dunkelgrüne Teppich, der im Gegenlicht tiefschwarz wird, bis auf die golden schimmernden Spitzen. Und wenn Viola und Hanna mal heiraten, wird er jeder 30 Hektar mitgeben, so gehört sich das, man darf nicht vergessen, wo man herkommt, man braucht etwas, das einen an das Land erinnert, und natürlich eine Sicherheit, denn nach dem Krieg war das Land die einzige Sicherheit, und wer Verwandte hatte, der musste damals nicht leiden. 1945, 46, da waren die Wälder voller Wild, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, aber das war einer der Gründe, warum es bei ihnen und auch bei uns immer etwas Fleischigs auf den Tisch gab, in der schlechten Zeit.
30 hektar Wald, ist das gut? fragt er, die D.-Schwestern lächeln ein wenig einfältig, aber die Frage hat er an dich gerichtet, und du sagst, ja, es ist gut, das ist etwas, das einem keiner nehmen kann und das immer bleiben wird, und du glaubst auch daran, denn wer sollte es nicht glauben, wenn der Wald auf der Hügelkuppe im letzten Licht funkelt wie eine dünne Brilliantkette. Du gefällst ihm, sagt er, du bist wie dein Grossvater, du wirst einmal ein feiner Mann. Und er schaut seine Nichten auf eine Art an, die dir nicht wirklich gefällt, und einen Moment wünscht du dich zurück nach Berlin, in die kalte Winternacht und den Moment, als jemand drei Nougatrollen aufeinander stapelt und dieses fragile Gleichgewicht mit grosser Könnerschaft nach Hause trägt, um dieselben dann im Bett zu essen, denn alles Gold dieser warmen, unfassbar schönen Welt, in der alles stimmt und jeder seine Geschichte und seinen Platz hat und auch noch in Jahrzehnten haben wird, wenn dann die alt gewordenen Enkel erzählen werden, wie man hier Ehen einfädelt und Dynastien verknüpft, all der Reichtum und die Offenheit der Menschen ist erkauft durch Unabänderliches, und der kleine, zaudernde Moment, bevor Viola sich überwand, den Kuchen zu undamenhaft mit der Hand zu nehmen, ist das Spiegelbild deines eigenen Zögerns, dich auf diese Welt einzulassen - so hübsch ihre spitze, arrogante Nase ist und so golden ihre Stimme klingt, wenn sie Rossini singt, so ist doch eine undurchdringliche Glasplatte zwischen euch, und dem Wald wird es egal sein, denn er denkt nicht in den kurzen Zeiten unseres Lebens, er kennt keine Begierden und Einsamkeit und auch keinen Besitzer, er ist einfach da und wird noch da sein, wenn wir und unsere Wägen und selbst unsere Häuser längst zerfallen sind.
donalphons, 14:07h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Donnerstag, 11. Mai 2006
Real Life 07.05.06 - Paid Sex in the City
Danach tretet ihr aus der Kirche, wo schon die Honoratioren stehen und den neuesten Tratsch austauschen. Noch im Dunkel der Vorhalle setzt du die Sonnenbrille auf, um die meisten angemessen und höflich ignorieren zu können; irgendwelche Pseudofachkunde über die Sangeskunde der nächsten Generation der gegenüber liegenden Schule für bessere Töchter sind das letzte, was du jetzt brauchst. So ein Chor bügelt jede individuelle Stimme platt, jedes Kompliment an Frau D. juniorissama wäre eine einfache, platte, dumme Lüge. Ausserdem stehen da ein paar Leute, mit denen du definitiv nicht gesehen werden willst. Und reden schon mal gar nicht, weil du dann wieder den Mund nicht halten kannst. Iris an deiner Seite, gerade aus schauend, pro forma nickend, unverbindlich aber doch so, dass es als Gruss ausgelegt werden kann, brichst du durch den Halbkreis auf der Strasse. Zur Haustür sind es ja nur ein paar Meter.
An besagter Haustür stehen welche beim Weinstock. Du kennst sie, sie kennen dich, und sie labern dich an. Könnte schlimmer sein, die Welt ist voller religiös-fanatischer Arschgeigen, manche lauern hier unten, weil sie mal reinschauen wollen. Da waren schon welche, die im bekannten Raum mit dem berühmten Kadaver auf die Knie gegangen sind und ihren christofaschistischen "An unserem Wesen soll die Welt genesen"-Dreck abgezogen haben. Seitdem bist du vorsichtig, und lässt keinen mehr rein. Manchmal musst du auch so Freaks aus dem Hausgang zerren, die sich reingeschlichen haben. Du bist nicht tolerant, es gibt auch keinen Grund, gegenüber dieser Bande tolerant zu sein, für die nächsten 2 mal 1000 Jahre.
Die da, die dich anlabern, sind auf ihre Art, na, fragwürdig. Er ganz in Beige mit lachsfarbener Krawatte, Mrs. Beige in rosa und schwarz Miss beige junior 1 und 2 in schwarz, schliesslich haben sie gerade gesungen. Der alte Mr. Beige, der Vater von Mr. Beige, galt in den 50er Jahren als Playboy, hat erst kurz vor der Geburt geheiretat, widerwilig, sagt man, sein Sohn hat schnell geschwängert und ist mitsamt Töchtern auf der anderen Seite angekommen. Es gibt hier keine schlechten Gymnasien, wer seine Blagen hier in eine katholische Schule schickt, ist entweder ein bigotter Spiesser und/oder weiss um den Umstand, dass notorische Sitzenbleiber anderer Schulen hier zu Stars werden. Die Klosterschule verhält sich leistungsmässig zu normalen Gymnasien wie Hamburg zu Bayern. Wenn´s hoch kommt. Es kommt alles wieder hoch. Bei dir. Während er dich zutextet. Wie schön dass doch ist, dass du dich kümmerst, ein Juwel in der Stadtmitte. Wo es doch alle Touristen sehen wollen.
Du sagst ihm, dass es noch viele andere Juwele zu machen gäbe, einfach die Strasse runter, da sind ein paar Bruchbuden, die auf die Restaurierung warten und nachher sicher besser sind als Vorstadthäuser, zumal die Töchter zur Schule nur über die Strasse müssten. Nein, wo denkst du denn hin, sagt er, er ist der einzige der etwas sagt, seine Frau schweigt wenn der Mann spricht und die Töchter sind angeödet, in die Stadt, da würde er nie ziehen, zu laut, zu wenig Freiraum, und ausserdem, also, das mit dem hm Bordellähbetrieb, der hier, also hast du schon gehört?
Es ist das grosse Thema. Keiner, der in der Stadt wohnt, konnte es übersehen. In der Fressgasse der Stadt, wo sich ein Lokal an das andere reiht, und in direkter Linie mit dem Rathaus, am hinteren Ende in idealer Lage, war ein Haus, bei dem die Tür am Abend offen war. Und rotes Licht im Eingang. Jeder wusste es. Es hat nur drei Wochen gehalten.

Vielleicht hatten sie einfach nicht die richtige Stammkundschaft. Jedenfalls marschierte nach drei Wochen die Polizei auf und stellte fest, dass in diesem Haus sexuelle Handlungen gegen Bezahlung vorgenommen wurden. Im Industriegebiet vor der Stadt ist ein Bordell am nächsten, aber das hier war als Partnervermittlung registriert, und das darf nicht sein.
Ist doch abartig, nicht wahr. Sowas. Mitten in der Stadt. Das darf nicht sein, sagt Mr. Beige, nachdem er dir die Geschichte auch erzählt hat, weniger deutlich in der töchtertauglichen Version. Und schaut dich beifallheischend an. Du, der du hier Miete kassierst, musst ein Interesse daran haben, dass es so etwas nicht gibt. Offenbar weiss er nicht so viel über dich, wie du über ihn. Dabei hat das in den 50er und 60er Jahren die Runde gemacht, denn von deiner Grossmutter ging der Untergang des Abendlandes aus.
Deine Grossmutter war nach 45 beyond everything und hat sich um ihr Ansehen bei den Mördern, die dein Grossvater leider nicht den Amis überstellen konnte und sich auch nicht zufällig zu Tode gestürzt hatten, was zwischen 45 und 48 ziemlich oft passiert ist, einen Dreck gekümmert. Irgendwann meldeten sich die zugezogenen Schauspieler vom Stadttheater, die keiner nehmen wollte, weil die ja andersrum sind, ned woa, auf eine Annonce bei ihr und fragten, ob sie eine Wohnung haben könnten. Und, ahem, ob Männerbesuch erlaubt sei. In der Folge liess deine Grossmutter die Räume ausbauen, in denen du jetzt wohnst. Es war DER Skandal der frühen 60er Jahre. Die lokale Schwulenbewegung hatte ihren erstes festes Quartier in der Stadt. Und alle alten Naziweiber, alle Besuche der Kirche und der lokalen Würdenträge konnten nichts daran ändern.
Irgendwann in den späten 70ern hatte man sich an all das gewöhnt, auch wenn das Abendland der alten Nazis tatsächlich, wie befürchtet, untergegangen war. Das oberste Geschoss blieb weiterhin vermietet, einer hielt es sich aus nostalgischen Gründen, aber die Zeit der wilden Orgien, deren Relikte du beim Restaurieren gefunden hast, war vorbei. Offenbar gibt es ein paar Leute, die heute wieder anders denken. Na schön.
Nun, sagst du mit den gespitzten Lippen des Kulturhistorikers, es ist eigentlich daran nichts auszusetzen, denn wir wissen aus dem christlichen Mittelalter, dass man damals die Prostitution innerhalb der Stadt haben wollte. Nicht nur wegen der Steuereinnahmen. Es war eine gute Gelegenheit, arme Witwen und unverheiratete Frauen unterzubringen; also durchaus vergleichbar mit der heutigen Hartz-IV-Prostitution. Das Hurenhaus in der Stadt erlaubte leichte Kontrolle der Zuhälter, die im übrigen, das mag Ihnen jetzt etwas komisch vorkommen, Mr. Beige, aber es war wirklich so in dieser Leitkultur, oft genug von der Kirche oder auch dem Synagogenvorstand gestellt wurden. Wenn Sie sich - wie ich - mit der Thematik beschäftigt haben, wissen sie, dass es eine ausgesprochen sinnvolle Einrichtung war.
Und auch heute sehe ich wirklich nur Vorteile. Wenn es in der Fressgasse ist, muss keiner der dortigen Säufer - sie wissen ja, wie das hier so läuft, gell - unter Alk ins Industriegebiet fahren. Es ist zentral, es gibt kurze Wege auch für die Bewohner die Innenstadt, Sex macht hungrig, das ist gut für die Gastronomie. Ich sehe das also nicht ls Problem, sondern einfach als Rückbesinnung auf die alten, vom gesunden Menschenverstand geprägten Werte des Abendlandes.
Und sagst du schnell noch dazu, als er den Mund aufmacht, um eine Entschuldigung zu suchen, die ihm die Flucht erlauben würde, früher war das doch auch normal, bis Mitte der 80er war da, wo das Stadtcafé ist, doch auch ein Bordell, das Bxxxx ist zwar heute eine Bar, war früher aber auch ein Puff, ach so, und sie kennen doch das Eckhaus da vorne, wenn sie da runtergehen gleich rechts, da war sogar noch Anfang der 90er ein grosses Bordell, das nur aufgehört hat, weil der Herr K., dem das Bxxxx bis heute gehört, na sie wissen, der FW-K., ist der nicht auch bei Ihnen draussen im Gemeindevorstand, das alles an einen Investor verkauft hat, doch, das hat der K. damals vermietet, doch, das können sie mir glauben, meine Oma war da bestens informiert, jedenfalls ist das ein Schritt zurück in die Normalität, und es ist absolut zu verurteilen, wenn man dergleichen sinnvolle Einrichtung jetzt dergestalt schliesst. Nicht wahr? Ein Skandal. Wo es doch so schwer ist, ordentliche, korrekt zahlende Mieter zu finden. Schönen Sonntag, Mr. und Mrs. Beige, ihre Töchter haben ganz wun-der-bar gesungen, am Mitwoch dann im Konzertverein, Ciao, servus, tschüssi!
Weisst du, sagt Iris, igendwann werden sie dich teeren, federn und auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Oder noch schlimmer: Mich nicht mehr zum Tee einladen und aus dem Konzertverein ausschliessen, sagst du. Jetzt aber die Torte.
An besagter Haustür stehen welche beim Weinstock. Du kennst sie, sie kennen dich, und sie labern dich an. Könnte schlimmer sein, die Welt ist voller religiös-fanatischer Arschgeigen, manche lauern hier unten, weil sie mal reinschauen wollen. Da waren schon welche, die im bekannten Raum mit dem berühmten Kadaver auf die Knie gegangen sind und ihren christofaschistischen "An unserem Wesen soll die Welt genesen"-Dreck abgezogen haben. Seitdem bist du vorsichtig, und lässt keinen mehr rein. Manchmal musst du auch so Freaks aus dem Hausgang zerren, die sich reingeschlichen haben. Du bist nicht tolerant, es gibt auch keinen Grund, gegenüber dieser Bande tolerant zu sein, für die nächsten 2 mal 1000 Jahre.
Die da, die dich anlabern, sind auf ihre Art, na, fragwürdig. Er ganz in Beige mit lachsfarbener Krawatte, Mrs. Beige in rosa und schwarz Miss beige junior 1 und 2 in schwarz, schliesslich haben sie gerade gesungen. Der alte Mr. Beige, der Vater von Mr. Beige, galt in den 50er Jahren als Playboy, hat erst kurz vor der Geburt geheiretat, widerwilig, sagt man, sein Sohn hat schnell geschwängert und ist mitsamt Töchtern auf der anderen Seite angekommen. Es gibt hier keine schlechten Gymnasien, wer seine Blagen hier in eine katholische Schule schickt, ist entweder ein bigotter Spiesser und/oder weiss um den Umstand, dass notorische Sitzenbleiber anderer Schulen hier zu Stars werden. Die Klosterschule verhält sich leistungsmässig zu normalen Gymnasien wie Hamburg zu Bayern. Wenn´s hoch kommt. Es kommt alles wieder hoch. Bei dir. Während er dich zutextet. Wie schön dass doch ist, dass du dich kümmerst, ein Juwel in der Stadtmitte. Wo es doch alle Touristen sehen wollen.
Du sagst ihm, dass es noch viele andere Juwele zu machen gäbe, einfach die Strasse runter, da sind ein paar Bruchbuden, die auf die Restaurierung warten und nachher sicher besser sind als Vorstadthäuser, zumal die Töchter zur Schule nur über die Strasse müssten. Nein, wo denkst du denn hin, sagt er, er ist der einzige der etwas sagt, seine Frau schweigt wenn der Mann spricht und die Töchter sind angeödet, in die Stadt, da würde er nie ziehen, zu laut, zu wenig Freiraum, und ausserdem, also, das mit dem hm Bordellähbetrieb, der hier, also hast du schon gehört?
Es ist das grosse Thema. Keiner, der in der Stadt wohnt, konnte es übersehen. In der Fressgasse der Stadt, wo sich ein Lokal an das andere reiht, und in direkter Linie mit dem Rathaus, am hinteren Ende in idealer Lage, war ein Haus, bei dem die Tür am Abend offen war. Und rotes Licht im Eingang. Jeder wusste es. Es hat nur drei Wochen gehalten.

Vielleicht hatten sie einfach nicht die richtige Stammkundschaft. Jedenfalls marschierte nach drei Wochen die Polizei auf und stellte fest, dass in diesem Haus sexuelle Handlungen gegen Bezahlung vorgenommen wurden. Im Industriegebiet vor der Stadt ist ein Bordell am nächsten, aber das hier war als Partnervermittlung registriert, und das darf nicht sein.
Ist doch abartig, nicht wahr. Sowas. Mitten in der Stadt. Das darf nicht sein, sagt Mr. Beige, nachdem er dir die Geschichte auch erzählt hat, weniger deutlich in der töchtertauglichen Version. Und schaut dich beifallheischend an. Du, der du hier Miete kassierst, musst ein Interesse daran haben, dass es so etwas nicht gibt. Offenbar weiss er nicht so viel über dich, wie du über ihn. Dabei hat das in den 50er und 60er Jahren die Runde gemacht, denn von deiner Grossmutter ging der Untergang des Abendlandes aus.
Deine Grossmutter war nach 45 beyond everything und hat sich um ihr Ansehen bei den Mördern, die dein Grossvater leider nicht den Amis überstellen konnte und sich auch nicht zufällig zu Tode gestürzt hatten, was zwischen 45 und 48 ziemlich oft passiert ist, einen Dreck gekümmert. Irgendwann meldeten sich die zugezogenen Schauspieler vom Stadttheater, die keiner nehmen wollte, weil die ja andersrum sind, ned woa, auf eine Annonce bei ihr und fragten, ob sie eine Wohnung haben könnten. Und, ahem, ob Männerbesuch erlaubt sei. In der Folge liess deine Grossmutter die Räume ausbauen, in denen du jetzt wohnst. Es war DER Skandal der frühen 60er Jahre. Die lokale Schwulenbewegung hatte ihren erstes festes Quartier in der Stadt. Und alle alten Naziweiber, alle Besuche der Kirche und der lokalen Würdenträge konnten nichts daran ändern.
Irgendwann in den späten 70ern hatte man sich an all das gewöhnt, auch wenn das Abendland der alten Nazis tatsächlich, wie befürchtet, untergegangen war. Das oberste Geschoss blieb weiterhin vermietet, einer hielt es sich aus nostalgischen Gründen, aber die Zeit der wilden Orgien, deren Relikte du beim Restaurieren gefunden hast, war vorbei. Offenbar gibt es ein paar Leute, die heute wieder anders denken. Na schön.
Nun, sagst du mit den gespitzten Lippen des Kulturhistorikers, es ist eigentlich daran nichts auszusetzen, denn wir wissen aus dem christlichen Mittelalter, dass man damals die Prostitution innerhalb der Stadt haben wollte. Nicht nur wegen der Steuereinnahmen. Es war eine gute Gelegenheit, arme Witwen und unverheiratete Frauen unterzubringen; also durchaus vergleichbar mit der heutigen Hartz-IV-Prostitution. Das Hurenhaus in der Stadt erlaubte leichte Kontrolle der Zuhälter, die im übrigen, das mag Ihnen jetzt etwas komisch vorkommen, Mr. Beige, aber es war wirklich so in dieser Leitkultur, oft genug von der Kirche oder auch dem Synagogenvorstand gestellt wurden. Wenn Sie sich - wie ich - mit der Thematik beschäftigt haben, wissen sie, dass es eine ausgesprochen sinnvolle Einrichtung war.
Und auch heute sehe ich wirklich nur Vorteile. Wenn es in der Fressgasse ist, muss keiner der dortigen Säufer - sie wissen ja, wie das hier so läuft, gell - unter Alk ins Industriegebiet fahren. Es ist zentral, es gibt kurze Wege auch für die Bewohner die Innenstadt, Sex macht hungrig, das ist gut für die Gastronomie. Ich sehe das also nicht ls Problem, sondern einfach als Rückbesinnung auf die alten, vom gesunden Menschenverstand geprägten Werte des Abendlandes.
Und sagst du schnell noch dazu, als er den Mund aufmacht, um eine Entschuldigung zu suchen, die ihm die Flucht erlauben würde, früher war das doch auch normal, bis Mitte der 80er war da, wo das Stadtcafé ist, doch auch ein Bordell, das Bxxxx ist zwar heute eine Bar, war früher aber auch ein Puff, ach so, und sie kennen doch das Eckhaus da vorne, wenn sie da runtergehen gleich rechts, da war sogar noch Anfang der 90er ein grosses Bordell, das nur aufgehört hat, weil der Herr K., dem das Bxxxx bis heute gehört, na sie wissen, der FW-K., ist der nicht auch bei Ihnen draussen im Gemeindevorstand, das alles an einen Investor verkauft hat, doch, das hat der K. damals vermietet, doch, das können sie mir glauben, meine Oma war da bestens informiert, jedenfalls ist das ein Schritt zurück in die Normalität, und es ist absolut zu verurteilen, wenn man dergleichen sinnvolle Einrichtung jetzt dergestalt schliesst. Nicht wahr? Ein Skandal. Wo es doch so schwer ist, ordentliche, korrekt zahlende Mieter zu finden. Schönen Sonntag, Mr. und Mrs. Beige, ihre Töchter haben ganz wun-der-bar gesungen, am Mitwoch dann im Konzertverein, Ciao, servus, tschüssi!
Weisst du, sagt Iris, igendwann werden sie dich teeren, federn und auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Oder noch schlimmer: Mich nicht mehr zum Tee einladen und aus dem Konzertverein ausschliessen, sagst du. Jetzt aber die Torte.
donalphons, 13:34h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Samstag, 6. Mai 2006
Real Life 04.05.06 - Die NichthartzIVReise, Teil II
Da steht dieser Crossfire, breit, schwarz, niedrig, energiegeladen, und kommt nicht weiter. Das hat man davon, wenn die Karre niedriger als ein mittleres Kind ist, im Gedränge geht sie unter. Und die Stelle am Ausgang des Wochenmarktes ist sehr eng, da herrscht viel Gedränge. Endlich hat eine Mama ihren Kinderwagen beiseite geschoben, da beugt sich das nächste Muttervieh zur Seite, packt ihr Balg, schiebt es vor die Karre mitsamt dem darin kochenden Jungdynamiker, zeigt darauf und sagt; Schau, was für ein tolles Auto. Oh ja, sagt das Balg, geht hin und tatscht drauf rum. Drinnen platzt einer vor Wut.
So wie vorgestern Abend, als du endlich, nach langer Schleichfahrt, in München angekommen bist. Kurz vor dem Tagungsort ist dieser dunkelgrüne Jaguar an dir und deiner Begleiterin vorbeigeprescht, um dann vor der Tiefgarage des Hotels eine Vollbremsung hinzulegen. In der Einfahrt steht ein Mercedes Cabrio, und an dessen Lenkrad klammert sich eine recht auffällige Frau orientalischer Herkunft, die offensichtlich mit den Rasern auf dieser Strecke überfordert ist. Sie schaut sich immer wieder um, fährt etwas an, bremst, rollt zurück, schaut wieder, und als der Jaguarfahrer dann auch noch hupt und nebenbei ein paar japanische Touristen erschreckt, verliert sie endgültig die Nerven, schreit etwas, das wenig fein klingt, und gibt bei nächster Gegelegenheit richtig Gas, eine Kalligraphie in schwarzem Gummi auf dem Aspahlt hinterlassend. Der Jaguar nimmt einem Radler die Vorfahrt, und donnert in das schwarze Loch der Einfahrt. Sind die hier immer so drauf, fragt Iris, und du sagst: Immer. Willst du wirklich da rein, oder sollen wir nicht doch lieber raus nach Starnberg und Essen gehen?
Ein Portier nimmt euch die Entscheidung ab und sagt, wo die verbeulte Karre hin soll. Du parkst zwischen einem Audi A8 und einem wenig dezenten Ferrari ein, und noch bevor du Iris sagen konntest, beim Aussteigen vorsichtig zu sein, die Tür schwingt leicht auf, klackt die schartige Kante des Fiatbleches an das polierte Pininfarina-Rot irgendeines durchlöcherten Prollspoilers, derer der Ferrari viele besitzt. Dieses eine Mal gewint der Barchetta-Hersteller Maggiora - mutmasslich - vollplastisch gegen die verhasste Konkurrenz. Du lässt also die Handbremse los, der Wagen rollt etwas zurück, so dass die kleine Verformung nicht an der Stelle ist, wo die Tür aufgeht. Iris nimmt es locker und bemerkt, dass die mit ihren Eltern befreundeten Ferrarihändler sowieso eigentlich davon abraten, sowas zu kaufen.
Auf dem Weg zum Aufzug kommt der Jaguar von vorhin wieder vorbei, schneidet euch und fährt in eine Parklücke. Du drehst dich nicht um, hast du einen gesehen kennst du alle. Hinten klappt die Tür, kurze schnelle Schritte, die Wichtigkeit vortäuschen. Dabei seid ihr erst 40 Minuten zu spät, allenfalls die Key Notes und die Schleimerei für die zahlenden Machthaber habt ihr verpasst, das Buffet macht erst in einer halben Stunde auf, frühestens. Ihr tretet in den Aufzug, aber der Liftboy wartet noch, und dann hetzt, die Einladungskarte schwingend, auch noch der Herr der Hupe in die mit sanftem easy listening akustisch ausgeschlagene Marmorspiegelkabine.
Er ist gnomenhaft klein, wegen seiner - hierzulande nicht atypisch - kurzen Stummelbeine, das dunkelblaue Hemd ist einen Knopf zu weit offen, das Goldketterl hat er vielleicht zu Hause gelassen, und zum Friseur hat er es auch nicht mehr geschafft. Der hätte ihm beim Rasieren auch den Hals durchschneiden können, um ihm den Auftritt im senfgasgrünen Pepitasakko zu ersparen, das nicht in der Lage ist, den Spitzbauch ganz zu umschliessen. Nichts an ihm lässt aber auf die fraglos angebrachte Erkenntnis schliessen, dass er seine besten Tage längst hinter sich hat. Mit einem Schnauferer greift er nach hinten an die schwarze Hose und zieht sie hoch, so dass sie logischerweise vorne nach unten sinkt und Teile des wenig sorgsam hineingestckten Hemdes zum Vorschein bringt. Er schiebt vorne die Hemdschösse wieder rein, zerknittert bei der Aktion die Einladung, starrt euch dann an, entdeckt eure Einladung und sagt: Ah, se san a aufm Weg zua Supawichtig Late evenenig Lounge des Digital Brunzbiesl Summits?, steckt zu dir seine Pranke, die gerade aus der Zwischenhölle von Hose und Wanst kommt, überlegt es sich unter Zuhilfenahme seiner Restkinderstube - oder vielleicht des Benimmseminars? - nochmal anders und leitet sie in Richtung Iris um, die dieselbige vorsichtig wie eine scharfe Handgranate mit den Fingerspitzen berührt - aber erst, als die Hand schon fast zum Tittengrapschen übergeht.
Es wird nicht besser, Freunde. Teil drei kommt morgen.
So wie vorgestern Abend, als du endlich, nach langer Schleichfahrt, in München angekommen bist. Kurz vor dem Tagungsort ist dieser dunkelgrüne Jaguar an dir und deiner Begleiterin vorbeigeprescht, um dann vor der Tiefgarage des Hotels eine Vollbremsung hinzulegen. In der Einfahrt steht ein Mercedes Cabrio, und an dessen Lenkrad klammert sich eine recht auffällige Frau orientalischer Herkunft, die offensichtlich mit den Rasern auf dieser Strecke überfordert ist. Sie schaut sich immer wieder um, fährt etwas an, bremst, rollt zurück, schaut wieder, und als der Jaguarfahrer dann auch noch hupt und nebenbei ein paar japanische Touristen erschreckt, verliert sie endgültig die Nerven, schreit etwas, das wenig fein klingt, und gibt bei nächster Gegelegenheit richtig Gas, eine Kalligraphie in schwarzem Gummi auf dem Aspahlt hinterlassend. Der Jaguar nimmt einem Radler die Vorfahrt, und donnert in das schwarze Loch der Einfahrt. Sind die hier immer so drauf, fragt Iris, und du sagst: Immer. Willst du wirklich da rein, oder sollen wir nicht doch lieber raus nach Starnberg und Essen gehen?
Ein Portier nimmt euch die Entscheidung ab und sagt, wo die verbeulte Karre hin soll. Du parkst zwischen einem Audi A8 und einem wenig dezenten Ferrari ein, und noch bevor du Iris sagen konntest, beim Aussteigen vorsichtig zu sein, die Tür schwingt leicht auf, klackt die schartige Kante des Fiatbleches an das polierte Pininfarina-Rot irgendeines durchlöcherten Prollspoilers, derer der Ferrari viele besitzt. Dieses eine Mal gewint der Barchetta-Hersteller Maggiora - mutmasslich - vollplastisch gegen die verhasste Konkurrenz. Du lässt also die Handbremse los, der Wagen rollt etwas zurück, so dass die kleine Verformung nicht an der Stelle ist, wo die Tür aufgeht. Iris nimmt es locker und bemerkt, dass die mit ihren Eltern befreundeten Ferrarihändler sowieso eigentlich davon abraten, sowas zu kaufen.
Auf dem Weg zum Aufzug kommt der Jaguar von vorhin wieder vorbei, schneidet euch und fährt in eine Parklücke. Du drehst dich nicht um, hast du einen gesehen kennst du alle. Hinten klappt die Tür, kurze schnelle Schritte, die Wichtigkeit vortäuschen. Dabei seid ihr erst 40 Minuten zu spät, allenfalls die Key Notes und die Schleimerei für die zahlenden Machthaber habt ihr verpasst, das Buffet macht erst in einer halben Stunde auf, frühestens. Ihr tretet in den Aufzug, aber der Liftboy wartet noch, und dann hetzt, die Einladungskarte schwingend, auch noch der Herr der Hupe in die mit sanftem easy listening akustisch ausgeschlagene Marmorspiegelkabine.
Er ist gnomenhaft klein, wegen seiner - hierzulande nicht atypisch - kurzen Stummelbeine, das dunkelblaue Hemd ist einen Knopf zu weit offen, das Goldketterl hat er vielleicht zu Hause gelassen, und zum Friseur hat er es auch nicht mehr geschafft. Der hätte ihm beim Rasieren auch den Hals durchschneiden können, um ihm den Auftritt im senfgasgrünen Pepitasakko zu ersparen, das nicht in der Lage ist, den Spitzbauch ganz zu umschliessen. Nichts an ihm lässt aber auf die fraglos angebrachte Erkenntnis schliessen, dass er seine besten Tage längst hinter sich hat. Mit einem Schnauferer greift er nach hinten an die schwarze Hose und zieht sie hoch, so dass sie logischerweise vorne nach unten sinkt und Teile des wenig sorgsam hineingestckten Hemdes zum Vorschein bringt. Er schiebt vorne die Hemdschösse wieder rein, zerknittert bei der Aktion die Einladung, starrt euch dann an, entdeckt eure Einladung und sagt: Ah, se san a aufm Weg zua Supawichtig Late evenenig Lounge des Digital Brunzbiesl Summits?, steckt zu dir seine Pranke, die gerade aus der Zwischenhölle von Hose und Wanst kommt, überlegt es sich unter Zuhilfenahme seiner Restkinderstube - oder vielleicht des Benimmseminars? - nochmal anders und leitet sie in Richtung Iris um, die dieselbige vorsichtig wie eine scharfe Handgranate mit den Fingerspitzen berührt - aber erst, als die Hand schon fast zum Tittengrapschen übergeht.
Es wird nicht besser, Freunde. Teil drei kommt morgen.
donalphons, 16:51h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Freitag, 5. Mai 2006
Real Life 04.05.06 - Die NichthartzIVReise, Teil I
Sie kommt gleich, sagt er. Und mustert wenig angetan das Auto. Er weiss nicht, was er davon halten soll, vom Roadster, von dir, vom Trip nach München, der familienintern als Versuch, irgendwie eine geregelte Arbeit zu bekommen, ausgegeben wird. Es gibt durchaus Freunde in der Stadt, über die man etwas erreichen könnte, es hätte halt nichts mit dem Studium zu tun, aber halbtags irgendwas, da findet sich schon was, und vielleicht auch ein befreundeter Sohn, der ihr den Kopf wäscht und das mit der Ehe nochmal mit ihr übt. Man würde sogar jemand akzeptieren, der nicht ganz aus der Scjicht kommt und noch kein Abo beim Konzertverein hat. Trotz deiner idealen Vorraussetzungen auf dem Papier kommst du auf diesem Heilsplan nur als das nacheheliche gschlamperte Verhältnis vor, das einzuladen man, ups, wie könnte das passieren, das tut uns so leid, vergessen hat.
Umgekehrt weisst du zu viel über ihn und die Familie. Dunkelvioletter Lacoste-Pulli beim Rosenschneiden an der Einfahrt für S-Klasse und Shopping-SUV, das geht gar nicht. genauso wie Gespräche zwischen jemanden, der 18 Jahre woanders war und einem, der hier in einem Haus und in einer Firma mit einer Frau Karriere gemacht hat. Die Welt ist was für Vertriebler, drei Wohnsitze statt der sicheren Nachfolge im provinzfamiliären Clan ist was für Zigeuner oder Playboys, bekanntermassen eine in mal in Lissabon, dann wieder Berkeley und gerade in Südspanien lebende Freundin haben und trotzdem mit seiner Tochter nach München fahren ist unsittlich, mindestens, und dann auch noch in diesem verbeulten Roadster, aber sie ist auch über 30, da kann man ihr nicht mehr einreden.
Du plauderst mit ihm über den Garten, an dem drei Generationen gelangweilter Ehefrauen ihren Frust abgearbeitet haben und betonst, dass diese Pracht nur durch Alter und Kontinuität zu erreichen ist, nichts kann das ersetzen, so wie bei den K.s, die ihrem Sohn bei deinen Eltern um die Ecke zwar 1300 m² gekauft und eine Villa hingeklotzt haben, aber trotz aller Bemühungen eines Landschaftsarchitekten sieht es einfach, eana deaf Is sogn, wirst du vertraulich, so gschissn aus wia da neie Rodhausplods. Die Abendsonne scheint, eine Amsel zerrt einen Wurm aus dem schwarzen Boden der Tiefebene, das Leben ist schön, und die Treppe herunter, eine viertel Stunde zu spät, kommt Iris, in leicht, hell, durchscheinend und frühlingshaft. Das letzte Angebot, doch den schwarzen 500er zu nehmen, lehnst Du charmant ab, und dann geht es los.
Fahr nicht so schnell, jammert Iris, als es sie schon bei Tempo 90 durchbläst. Ach komm, beruhigst du sie, das passt so, du wirkst dann nicht so streng, eher so, als hättest du gerade Sex gehabt, sowas kommt da an, glaub mir. Don, verweist sie dich, ich will aber nicht wirken wie deine alten PR-Huren. Was weisst du schon über meine - setzt du an, aber da fällt dir ein, dass sie tatsächlich was darüber weiss, viel sogar, du und deine grosse 2001er Munich Area Klappe, also hältst du den Mund, gehst runter auf 75 und lässt dich von Familienvätern überholen, deren grösster Traum, nach ihrem verkniffenem Gesichtsausdruck zu schliessen, das Vorbeirasen an einem Roadster in ihrem weissen Opel Kombi war. Vor euch, in der Hochebene, liegt München, ein Abend und eine immer noch andauernde Geschichte mit einem senfgasgrün gekleideten Jaguarfahrer und seiner bekreuzten Gattin sowie viele andere Gestalten, deren Freakshow vorzuführen du irgendwann nicht umhin können wirst, im bald folgenden zweiten Teil.
Umgekehrt weisst du zu viel über ihn und die Familie. Dunkelvioletter Lacoste-Pulli beim Rosenschneiden an der Einfahrt für S-Klasse und Shopping-SUV, das geht gar nicht. genauso wie Gespräche zwischen jemanden, der 18 Jahre woanders war und einem, der hier in einem Haus und in einer Firma mit einer Frau Karriere gemacht hat. Die Welt ist was für Vertriebler, drei Wohnsitze statt der sicheren Nachfolge im provinzfamiliären Clan ist was für Zigeuner oder Playboys, bekanntermassen eine in mal in Lissabon, dann wieder Berkeley und gerade in Südspanien lebende Freundin haben und trotzdem mit seiner Tochter nach München fahren ist unsittlich, mindestens, und dann auch noch in diesem verbeulten Roadster, aber sie ist auch über 30, da kann man ihr nicht mehr einreden.
Du plauderst mit ihm über den Garten, an dem drei Generationen gelangweilter Ehefrauen ihren Frust abgearbeitet haben und betonst, dass diese Pracht nur durch Alter und Kontinuität zu erreichen ist, nichts kann das ersetzen, so wie bei den K.s, die ihrem Sohn bei deinen Eltern um die Ecke zwar 1300 m² gekauft und eine Villa hingeklotzt haben, aber trotz aller Bemühungen eines Landschaftsarchitekten sieht es einfach, eana deaf Is sogn, wirst du vertraulich, so gschissn aus wia da neie Rodhausplods. Die Abendsonne scheint, eine Amsel zerrt einen Wurm aus dem schwarzen Boden der Tiefebene, das Leben ist schön, und die Treppe herunter, eine viertel Stunde zu spät, kommt Iris, in leicht, hell, durchscheinend und frühlingshaft. Das letzte Angebot, doch den schwarzen 500er zu nehmen, lehnst Du charmant ab, und dann geht es los.
Fahr nicht so schnell, jammert Iris, als es sie schon bei Tempo 90 durchbläst. Ach komm, beruhigst du sie, das passt so, du wirkst dann nicht so streng, eher so, als hättest du gerade Sex gehabt, sowas kommt da an, glaub mir. Don, verweist sie dich, ich will aber nicht wirken wie deine alten PR-Huren. Was weisst du schon über meine - setzt du an, aber da fällt dir ein, dass sie tatsächlich was darüber weiss, viel sogar, du und deine grosse 2001er Munich Area Klappe, also hältst du den Mund, gehst runter auf 75 und lässt dich von Familienvätern überholen, deren grösster Traum, nach ihrem verkniffenem Gesichtsausdruck zu schliessen, das Vorbeirasen an einem Roadster in ihrem weissen Opel Kombi war. Vor euch, in der Hochebene, liegt München, ein Abend und eine immer noch andauernde Geschichte mit einem senfgasgrün gekleideten Jaguarfahrer und seiner bekreuzten Gattin sowie viele andere Gestalten, deren Freakshow vorzuführen du irgendwann nicht umhin können wirst, im bald folgenden zweiten Teil.
donalphons, 12:44h
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Donnerstag, 4. Mai 2006
Real Life 03.05.2006/2001 - Die andere Seite
der Strasse ist gesäumt mit den ehemaligen Häusern der Professoren. Die Gebäude stammen aus dem späten Mittelalter, die barocken Giebel hat man erst später aufgesetzt. In den letzten Jahren wurde das Wohnen in der Altstadt modern; wer hier einziehen will, braucht viel Geld. Manche Studenten-WGs nehmen in dieser Ecke, kurz vor den hoch aufragenden Palästen der Kapuziner, der Franziskanerinnen und der Gesellschaft Jesu 180 Euro für ein 10 m²-Zimmer.

Das Kopfsteinpflaster leuchtet in der späten Sonne golden, als du zum Bäcker gehst. Am Eck, beim Tor, vor der Kneipe auf silbigren Aluminiumstühlen sitzt eine Gruppe von Beratern und assessmentgecenternden Nachwüchsern, eindeutig, die Hunde des Wirtschaftskrieges, diese Mormonenanzüge, die immer gleichen Haarschnitte, die dezenten Krawatten, die Haltung, fast alles Jungs, nur eine Frau ist dabei und auch die übersieht man leicht, weil sie der gleiche Typ ist. Du weisst nicht, warum die her schauen, du siehst sie nur aus den Augenwinkeln an, vielleicht ahnen sie, dass du trotz der weissen Hose, dem weichen, hellbraunen Sakko mit den Lederknöpfen, den altmodischen Budapestern und dem offenen, einfachen Hemd nicht immer so gewesen bist, vielleicht erfühlen sie deine schlammgrüne Anwesenheit wie du sie, du könntest sogar darauf wetten, dass es keine McKs sind, dafür sind sie zu auffällig, BCGs schon eher oder E&Y, da rennen sie so rum, Post Thermonuclear New Economy Meltdown Outfit, die McKs sind immer schwarz geblieben wie sie waren, aber die anderen verstrahlten Jungs, die hingen 2003ff. anzugtechnisch in den Modeseilen. Könnte auch sein, dass es welche aus der Munich Area sind, du schaust etwas genauer hin, aber du kennst keinen von denen, und die meisten sind ohnehin aufgebohrte Studis in den letzten Unitagen. Sofort kommt alles wieder hoch, die Luft schmeckt so wie vor fünf Jahren, als im Sommer alles schwarz wurde, so lang ist das schon her, also rein zum Bäcker, verdrängen, an die Semmeln denken und den Apfelkuchen, raus, nicht rüberschauen, oder doch, sie schauen schon wieder her. Vielleicht hätten sie etwas weiter hinterherschauen sollen, um die Ecke, denn da, wo ein paar typische Münchner Dienstwägen der gehobenen Klasse im Parkverbot stehen, wurde gerade aufgeschrieben.

C. hat in diesem Sommer vor 5 Jahren mal erzählt, wie sie eine Aufschreiberin angefahren hat. Ganz leicht nur. Blauer Fleck, mehr nicht. Hinter dem ersten Büros gab es keine richtigen Parkplätze, also haben sie sie täglich aufgeschrieben. Und eines Tages war der Wagen weg, abgeschleppt. Es ging C. nucht um das Geld, es ging um die Demütigung da raus zu müssen, in ihrer Freizeit, und es zu holen. Ein paar Tage später ging die altbekannte Aufschreiberin unvorsichtig an der Ecke auf die Strasse, und C. nutzte die Gelegenheit, sie mit Schwung ihrem Aussenspiegel vorzustellen. Danach ging es ihr prima. Es gibt einen gewissen Typ Mensch, der einfach nicht damit fertig wird, dass er sich unterordnen muss, wenn er wenige Stunden davor ein paar Dutzend High Potentials restrukturiert hat. C. war so ein Fall. Wenn etwas nicht möglich war und mit ihrem Willen kollidierte, musste es eben möglich gemacht werden. Letztendlich hat sie auch die kognitive Dissonanz umgebracht, die Mischintoxination war nur das Mittel zum Zweck. Im verfluchten Sommer des Jahres 2001.

In dem du fast nie den Sonnenuntergang gesehen hast. In dem die Tasks die Kontrolle übernahmen, in dem du dachtest, ihr könntet so punktgenau den Flug beenden, so sauber runterkommen wie die Taube auf dem Kamin, zum turteln. Die anderen haben eine Punktlandung hingelegt, senkrecht in den Boden rein. Du bist ausgestiegen. Das Beste, was man tun kann, solange man einen Fallschirm hat. Und den einzigen lichten Moment nach Monaten der Finsternis, in dem man begreift.

Das Kopfsteinpflaster leuchtet in der späten Sonne golden, als du zum Bäcker gehst. Am Eck, beim Tor, vor der Kneipe auf silbigren Aluminiumstühlen sitzt eine Gruppe von Beratern und assessmentgecenternden Nachwüchsern, eindeutig, die Hunde des Wirtschaftskrieges, diese Mormonenanzüge, die immer gleichen Haarschnitte, die dezenten Krawatten, die Haltung, fast alles Jungs, nur eine Frau ist dabei und auch die übersieht man leicht, weil sie der gleiche Typ ist. Du weisst nicht, warum die her schauen, du siehst sie nur aus den Augenwinkeln an, vielleicht ahnen sie, dass du trotz der weissen Hose, dem weichen, hellbraunen Sakko mit den Lederknöpfen, den altmodischen Budapestern und dem offenen, einfachen Hemd nicht immer so gewesen bist, vielleicht erfühlen sie deine schlammgrüne Anwesenheit wie du sie, du könntest sogar darauf wetten, dass es keine McKs sind, dafür sind sie zu auffällig, BCGs schon eher oder E&Y, da rennen sie so rum, Post Thermonuclear New Economy Meltdown Outfit, die McKs sind immer schwarz geblieben wie sie waren, aber die anderen verstrahlten Jungs, die hingen 2003ff. anzugtechnisch in den Modeseilen. Könnte auch sein, dass es welche aus der Munich Area sind, du schaust etwas genauer hin, aber du kennst keinen von denen, und die meisten sind ohnehin aufgebohrte Studis in den letzten Unitagen. Sofort kommt alles wieder hoch, die Luft schmeckt so wie vor fünf Jahren, als im Sommer alles schwarz wurde, so lang ist das schon her, also rein zum Bäcker, verdrängen, an die Semmeln denken und den Apfelkuchen, raus, nicht rüberschauen, oder doch, sie schauen schon wieder her. Vielleicht hätten sie etwas weiter hinterherschauen sollen, um die Ecke, denn da, wo ein paar typische Münchner Dienstwägen der gehobenen Klasse im Parkverbot stehen, wurde gerade aufgeschrieben.

C. hat in diesem Sommer vor 5 Jahren mal erzählt, wie sie eine Aufschreiberin angefahren hat. Ganz leicht nur. Blauer Fleck, mehr nicht. Hinter dem ersten Büros gab es keine richtigen Parkplätze, also haben sie sie täglich aufgeschrieben. Und eines Tages war der Wagen weg, abgeschleppt. Es ging C. nucht um das Geld, es ging um die Demütigung da raus zu müssen, in ihrer Freizeit, und es zu holen. Ein paar Tage später ging die altbekannte Aufschreiberin unvorsichtig an der Ecke auf die Strasse, und C. nutzte die Gelegenheit, sie mit Schwung ihrem Aussenspiegel vorzustellen. Danach ging es ihr prima. Es gibt einen gewissen Typ Mensch, der einfach nicht damit fertig wird, dass er sich unterordnen muss, wenn er wenige Stunden davor ein paar Dutzend High Potentials restrukturiert hat. C. war so ein Fall. Wenn etwas nicht möglich war und mit ihrem Willen kollidierte, musste es eben möglich gemacht werden. Letztendlich hat sie auch die kognitive Dissonanz umgebracht, die Mischintoxination war nur das Mittel zum Zweck. Im verfluchten Sommer des Jahres 2001.

In dem du fast nie den Sonnenuntergang gesehen hast. In dem die Tasks die Kontrolle übernahmen, in dem du dachtest, ihr könntet so punktgenau den Flug beenden, so sauber runterkommen wie die Taube auf dem Kamin, zum turteln. Die anderen haben eine Punktlandung hingelegt, senkrecht in den Boden rein. Du bist ausgestiegen. Das Beste, was man tun kann, solange man einen Fallschirm hat. Und den einzigen lichten Moment nach Monaten der Finsternis, in dem man begreift.
donalphons, 00:06h
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Dienstag, 25. April 2006
Real Life 24.04.06 - Die Amsel
Eigentlich musst du fünf Löcher bohren, in ein Brett, um die Regale seitlich abzustützen. Aber dann wartest du noch etwas, setzt dich auf den Liegestuhl und schaust zu, wie der Abendflug aus Nordwesten seine weisse Linie zieht und das Firmament langsam tief blau wird, und hörst auf das Gewirr der Vogelstimmen.

Das mit dem Regen morgen kannst du nicht glauben, die Schwalben fliegen viel zu hoch, 20 Meter über dem Stadtpalast. Auf dem Kamin singt eine männliche Amsel nach einem Weibchen, und lässt sich vom Rauschen des Staubsaugers nicht stören. Der verrichtet, von einer Elitesse geschoben, einen zweifelhaften Kampf gegen den Schmutz im zweiten Stock des Wohnheims. Ein Student kommt dazu und spricht sie an. Er trägt einen blauroten Trainingsanzug mit den drei Streifen, sie einen weissen Rock, ein rosa T-Shirt und Stränchen in den schulterlangen, blonden Haaren. Sie reden eine Weile miteinander, er draussen auf dem Gang, sie drinnen in ihrer Wohnung, und als sie nochmal rauskommt und vor ihm ihren Fussabstreifer ausschüttelt, ist klar, dass das heute nichts mehr wird mit den beiden.
Dann gehen sie in ihre Wohnungen, und überlassen der Amsel das Feld. Nach einer Weile fliegt sie auf das Hausdach neben der Dachterasse, und wenige Momente später landet die Angebetete ein paar Meter weiter. Er sagt jetzt fast gar nichts mehr, schaut sie an, und sie ignoriert ihn. Dann stürzt sie sich in steilem Flug hinunter in die Schlucht zwischen den Palästen, und er jagt sofort hinterher. Du störst jetzt niemanden mehr, also holst du das Brett und bohrst im letzten Licht des Tages fünf Löcher.

Das mit dem Regen morgen kannst du nicht glauben, die Schwalben fliegen viel zu hoch, 20 Meter über dem Stadtpalast. Auf dem Kamin singt eine männliche Amsel nach einem Weibchen, und lässt sich vom Rauschen des Staubsaugers nicht stören. Der verrichtet, von einer Elitesse geschoben, einen zweifelhaften Kampf gegen den Schmutz im zweiten Stock des Wohnheims. Ein Student kommt dazu und spricht sie an. Er trägt einen blauroten Trainingsanzug mit den drei Streifen, sie einen weissen Rock, ein rosa T-Shirt und Stränchen in den schulterlangen, blonden Haaren. Sie reden eine Weile miteinander, er draussen auf dem Gang, sie drinnen in ihrer Wohnung, und als sie nochmal rauskommt und vor ihm ihren Fussabstreifer ausschüttelt, ist klar, dass das heute nichts mehr wird mit den beiden.
Dann gehen sie in ihre Wohnungen, und überlassen der Amsel das Feld. Nach einer Weile fliegt sie auf das Hausdach neben der Dachterasse, und wenige Momente später landet die Angebetete ein paar Meter weiter. Er sagt jetzt fast gar nichts mehr, schaut sie an, und sie ignoriert ihn. Dann stürzt sie sich in steilem Flug hinunter in die Schlucht zwischen den Palästen, und er jagt sofort hinterher. Du störst jetzt niemanden mehr, also holst du das Brett und bohrst im letzten Licht des Tages fünf Löcher.
donalphons, 01:58h
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Mittwoch, 19. April 2006
Real Life 19.04.06 - 160 Jahre
Bücher kauft man nach Empfehlung, und auch, wenn die Empfehlung per Mail und Amazonlink kam, so gehst du doch ganz klassisch den grossen Bogen durch dein Altstadtquartier zum Buchhändler deiner Wahl; einem Rebellen, der hier in diesem geistig verkommenen, rabenschwarzen Spiessermoloch einen linken Buchladen eröffnet hat, in dem du als Schüler rote Sterne gekauft hast, die dir damals im Konflikt mit der Schulleitung und all ihren Uralt-, Mittelalt- und Neocons eröffnet hätten, in welcher Welt du lebst - hätte es dir die Familiengeschichte nicht schon lange anderweitig bewusst gemacht. Hier also kehrst du ein; du weisst, es ist ein Buch, das dem Händler gefallen wird, und deshalb hat er es sicher auch da. Und tatsächlich, es ist vorrätig.

alessandro piperno, mit bösen absichten, fischer 2006, bin auf seite 70, brilliant!
Ihr unterhaltet euch ein wenig über den Betrieb; er hat es in der FAZ gelesen und fragt, wie es so läuft. Gut läuft es, keine Frage, 70 Leute sind in den grossen Städten kein Problem, aber auch in kleineren Orten scheint es zu gehen...
Es entsteht eine kleine, gedankenschwere Pause, bis er anhebt und sagt, dass diese Stadt hier mit ihren 30 Lesungen pro Jahr gar nicht gut ist und sowieso nur die alten Leute kommen. Immer die gleichen Gesichter, die man ohnehin aus dem Theaterabo kennt und aus dem Konzertverein. Du sagst, dass du hier auch auf keinen Fall lesen wolltest, hier kennt dich jeder, du hast einen Clan, der es nicht lieben würde, würde man hier vor Ort die schmutzige Wäsche des Kaffs vortragen, derer du so viele kennst, zum Beispiel die Sache mit dem neuen Haus des Sohnes der Erfolgreichen und seinen Gone-with-the-wind-Säulen in pastellorange und den drei Edelstahlringen als Kapitelle. Oder die späte Schwangerschaft von Frau H., deren bigotter Mann ganz sicher nichts vom Tennislehrer der ältesten Tochter ahnt.
Du breitest etwas Schmutz und Schund aus der letzten Konzertpause aus, hinten im Laden spitzt eine alte Schachtel die Ohren, und die Azubine, ein hübsches junges Ding, kichert hinter der Säule. Oh, Publikum, dankbares, interessiertes Publikum. Dennoch. Hier also würdest du ganz sicher nicht lesen wollen, wer weiss, ob überhaupt jemand käme, nicht wirklich, ausserdem, ohne Partner ginge das auch nicht.
Nun, sagt der Buchhändler, man könnte natürlich mal mit der Stadtbibliothek reden... Und eigentlich, sagst du, wäre das kein Risiko, denn den Raum hättest du sogar, nämlich im Juni, wenn die Wohnung im zweiten Stock halbwegs fertig ist, dann könnte man Saal und Essimmer - 55m² - eigentlich schon was machen, schliesslich gäbe es was zu feiern, 160 Jahre gehört der Stadtpalast jetzt uns, 160 Jahre in diesem Dreckskaff mit all der Korruption, da könnte man auch mal die Geschichte von der alten S. erzählen, und wie sie damals auf der Flucht vor den Amerikanern in den Schlossgraben...
Das wäre auch mal was anderes, meint der Buchhändler, und ihr vertagt das Gespräch auf später, denn gerade kommt ein Elitestudent herein, sieht ungeduldig aus und fragt gleich nach einem Fachbuch.

alessandro piperno, mit bösen absichten, fischer 2006, bin auf seite 70, brilliant!
Ihr unterhaltet euch ein wenig über den Betrieb; er hat es in der FAZ gelesen und fragt, wie es so läuft. Gut läuft es, keine Frage, 70 Leute sind in den grossen Städten kein Problem, aber auch in kleineren Orten scheint es zu gehen...
Es entsteht eine kleine, gedankenschwere Pause, bis er anhebt und sagt, dass diese Stadt hier mit ihren 30 Lesungen pro Jahr gar nicht gut ist und sowieso nur die alten Leute kommen. Immer die gleichen Gesichter, die man ohnehin aus dem Theaterabo kennt und aus dem Konzertverein. Du sagst, dass du hier auch auf keinen Fall lesen wolltest, hier kennt dich jeder, du hast einen Clan, der es nicht lieben würde, würde man hier vor Ort die schmutzige Wäsche des Kaffs vortragen, derer du so viele kennst, zum Beispiel die Sache mit dem neuen Haus des Sohnes der Erfolgreichen und seinen Gone-with-the-wind-Säulen in pastellorange und den drei Edelstahlringen als Kapitelle. Oder die späte Schwangerschaft von Frau H., deren bigotter Mann ganz sicher nichts vom Tennislehrer der ältesten Tochter ahnt.
Du breitest etwas Schmutz und Schund aus der letzten Konzertpause aus, hinten im Laden spitzt eine alte Schachtel die Ohren, und die Azubine, ein hübsches junges Ding, kichert hinter der Säule. Oh, Publikum, dankbares, interessiertes Publikum. Dennoch. Hier also würdest du ganz sicher nicht lesen wollen, wer weiss, ob überhaupt jemand käme, nicht wirklich, ausserdem, ohne Partner ginge das auch nicht.
Nun, sagt der Buchhändler, man könnte natürlich mal mit der Stadtbibliothek reden... Und eigentlich, sagst du, wäre das kein Risiko, denn den Raum hättest du sogar, nämlich im Juni, wenn die Wohnung im zweiten Stock halbwegs fertig ist, dann könnte man Saal und Essimmer - 55m² - eigentlich schon was machen, schliesslich gäbe es was zu feiern, 160 Jahre gehört der Stadtpalast jetzt uns, 160 Jahre in diesem Dreckskaff mit all der Korruption, da könnte man auch mal die Geschichte von der alten S. erzählen, und wie sie damals auf der Flucht vor den Amerikanern in den Schlossgraben...
Das wäre auch mal was anderes, meint der Buchhändler, und ihr vertagt das Gespräch auf später, denn gerade kommt ein Elitestudent herein, sieht ungeduldig aus und fragt gleich nach einem Fachbuch.
donalphons, 13:41h
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Mittwoch, 5. April 2006
Real Life 04.04.06 - Gemüsebratling
In diesem Teil der Prenzlauer Allee, fast schon an der Grenze zum weitaus weniger beliebten Pankow, gibt es zwar alte spanische Spiegel in grossen Mengen, aber nur wenige Restaurants. Nachdem die Einkäufe im Auto verstaut sind, gehst du die Strasse hinunter, wo dir schon vorher, beim Weg zur Bank, ein paar typische orientalische Schnellrestaurants aufgefallen sind. Im Süden der Republik ist fast alles beser als hier, nur Falafel und andere vegetarische Köstlichkeiten gibt es dort weder in der Berliner Qualität noch in dieser Auswahl.
Der Weg ist doch recht weit, und weil du keine Lust mehr hast zu laufen, gehst du gleich in den ersten Imbiss, ohne weiter auf den Polizeiwagen mit Blaulicht und den Krankenwagen zu achten, die kurz davor abgestellt sind. Der Eingang führt direkt zur Theke, wo die von einem drahtigen Koch ordentlich aufgetürmten Zutaten auf die Gäste warten. Du bestellst, ohne gross nachzudenken, einen Falafel, schaust dich dann aber noch etwas um und siehst, dass es auch Gemüsebratlinge im Brot gibt. Du änderst die Bestellung, und der Mann hinter der Theke kommt dem Wunsch sehr fahrig nach, er schaut über deine Schulter in den Gastraum des Lokals, der im Dunkeln liegt und aus dem ein Gemurmel kommt, und dann, laut, genervt und deutlich, ein "jetzt kommen se mit".
Du schaust dich um, und dort sitzen vier Penner, alle vom Schmutz so dunkel wie der Gemüsebratling, alt, bärtig, mit einigen Flaschen vor und erkennbar viel Inhalt in sich. Neben ihnen steht ein Polizist, starrt einen Penner an, der starrt mit rotunterlaufenen Augen zurück. Der Mann hinter der Theke lächelt gezwungen und wendet sich zum Fettbad, in das er den Bratling legt. Sogleich steigen zischend Blasen aus dem Metallbecken nach oben. Der Mann geht weiter zur Spülmaschine und schaltet sie ein, legt ein Fladenbrot in den heissen Toaster, und von hinten wird das Grummeln plötzlich laut, deutlicher, noch lauter, eine Stimme schält sich dunkel und vielfach gebrochen heraus, mit einigen slawisch anmutenden Kieksers dieses Dialekts, um in ein Det mach ich nich zu münden und dann ein lauten Du Arschloch zu enden.
Der Beamte sagt gar nichts, aber ein Penner bemerkt, das sei Beleidungs von Amtspersonen, und einanderer erwidert, ne, das sei Widerstand gegen die Polizeigewalt, wa. Der Beamte sagt nocheinmal, der Penner soll mitkommen, aber der ist mittlerweile in Rage und sagt
2,10 Euro sagt der Mann hinter der Theke zu dir, und du reichst ihm das Geld und das Trinkgeld, er bedankt sich, Du Arschloch det biste insistiert der Penner und Du Paule, jetzt halt aba mal die Schnauze versucht ein anderer ihn zu beruhigen, aber zu mehr reicht es nicht, er und die anderen sitzen starr vor ihren Flaschen, eigentlich schon weit weg von diesem Imbiss und der Not ihrer Tage in einem mollebraunen Traum vom nicht endenden, warmen Delirium, keiner untenimmt etwas, und so bleibt der Polizist mit dem Penner am vordersten Tisch allein. Der Man hinter der Theke ergreift mit einer Zange den Gemüsebratlting und lässt das heisse Fett abtropfen, Du Arschloch, jetzt reicht es, sagt der Polizist, aufstehen, mitkommen, Du kannst mich mal, Du Arschloch, der Mann hinter der Theke stopft den Bratling nervös in das heisse Fladenbrot, welche Sosse? Kräuter bitte. Salat komplett? Mensch Paule jetzt mach nich son Aufstand. Alles ausser Zwiebeln. Du Arschloch.
Der Mann hinter der Theke hantiert geschickt mit der Zange und dem Salat, geschickter auf jeden Fall als der Polizist, aber der hat es ja auch nicht mit Kraut und Tomaten, sondern einem betrunkenen Penner zu tun, zu besoffen um sich zu wehren, aber immer noch bei all dem billigen Fusel in seiner ruinierten Leber und seinem verseuchten Blut so bei Bewusstsein, um Widerstand zu leisten. Während sich das Fladenbrot mit dem saftigen Grün füllt, quietscht hinten ein Stuhl auf den Fliessen, gleich essen oder Mitnehmen, Du Arschloch hör auf verpiss Dich, Zum Mitnehmen bitte, und da macht es auch schon Plomp, denn der Penner ist vom Stuhl gefallen und nutzt die Gelegenheit, sich an einem Tischbein festzuhalten, während der Polizist am anderen Arm zieht. Auf dem Tisch wackeln die Flaschen "Berliner Kindl", eine fällt um, rollt langsam in Richtung Nebentisch, und der Penner dort glotzt sie an, ohne zu reagieren, sie rollt weiter in Richtung Tischkante, wird langsamer, weil am Tisch nicht mehr geruckelt wird, aber der Schwung reicht noch, sie kippt, sie fällt, ihr Sturz wird von allen Augen im Lokal begleitet, keiner tut etwas, sie zerschellt in viele Splitter, aber es bleibt trocken, denn das Bier ist längst getrunken und der Trinker brüllt jetzt noch einmal aus Leibeskräften Du Arschloch, von hinten sagt ein anderer, das sei jetzt aba wirklich Beamtenbeleidigung.
Der Koch schlägt das Brot in ein silberglänzendes Alupapier ein, reicht es über die Theke, du wünscht ihm einen schönen Tag und verlässt das Lokal, nicht ohne einem weiteren Polizisten beim Betreten des Lokals die Tür aufzuhalten, auf dein "Bitte" kein Wort des Dankes zu erhalten, und noch einmal hörst Du diese dunkle, vielschichtige, vom Alkohol und Zerstörung durchnässte Stimme, rau und ungebildet, die Ihr Arschlöcher schreit. Draussen ist es noch sonnig, aber im Westen deuten sich bereits die Hagelwolken an. Der Gemüsebratling schmeckt gut, er ist leicht scharf gewürzt, der Salat ist frisch, und der Mann hinter der Theke hat mit der Kräutersosse nicht gespart.
Der Weg ist doch recht weit, und weil du keine Lust mehr hast zu laufen, gehst du gleich in den ersten Imbiss, ohne weiter auf den Polizeiwagen mit Blaulicht und den Krankenwagen zu achten, die kurz davor abgestellt sind. Der Eingang führt direkt zur Theke, wo die von einem drahtigen Koch ordentlich aufgetürmten Zutaten auf die Gäste warten. Du bestellst, ohne gross nachzudenken, einen Falafel, schaust dich dann aber noch etwas um und siehst, dass es auch Gemüsebratlinge im Brot gibt. Du änderst die Bestellung, und der Mann hinter der Theke kommt dem Wunsch sehr fahrig nach, er schaut über deine Schulter in den Gastraum des Lokals, der im Dunkeln liegt und aus dem ein Gemurmel kommt, und dann, laut, genervt und deutlich, ein "jetzt kommen se mit".
Du schaust dich um, und dort sitzen vier Penner, alle vom Schmutz so dunkel wie der Gemüsebratling, alt, bärtig, mit einigen Flaschen vor und erkennbar viel Inhalt in sich. Neben ihnen steht ein Polizist, starrt einen Penner an, der starrt mit rotunterlaufenen Augen zurück. Der Mann hinter der Theke lächelt gezwungen und wendet sich zum Fettbad, in das er den Bratling legt. Sogleich steigen zischend Blasen aus dem Metallbecken nach oben. Der Mann geht weiter zur Spülmaschine und schaltet sie ein, legt ein Fladenbrot in den heissen Toaster, und von hinten wird das Grummeln plötzlich laut, deutlicher, noch lauter, eine Stimme schält sich dunkel und vielfach gebrochen heraus, mit einigen slawisch anmutenden Kieksers dieses Dialekts, um in ein Det mach ich nich zu münden und dann ein lauten Du Arschloch zu enden.
Der Beamte sagt gar nichts, aber ein Penner bemerkt, das sei Beleidungs von Amtspersonen, und einanderer erwidert, ne, das sei Widerstand gegen die Polizeigewalt, wa. Der Beamte sagt nocheinmal, der Penner soll mitkommen, aber der ist mittlerweile in Rage und sagt
2,10 Euro sagt der Mann hinter der Theke zu dir, und du reichst ihm das Geld und das Trinkgeld, er bedankt sich, Du Arschloch det biste insistiert der Penner und Du Paule, jetzt halt aba mal die Schnauze versucht ein anderer ihn zu beruhigen, aber zu mehr reicht es nicht, er und die anderen sitzen starr vor ihren Flaschen, eigentlich schon weit weg von diesem Imbiss und der Not ihrer Tage in einem mollebraunen Traum vom nicht endenden, warmen Delirium, keiner untenimmt etwas, und so bleibt der Polizist mit dem Penner am vordersten Tisch allein. Der Man hinter der Theke ergreift mit einer Zange den Gemüsebratlting und lässt das heisse Fett abtropfen, Du Arschloch, jetzt reicht es, sagt der Polizist, aufstehen, mitkommen, Du kannst mich mal, Du Arschloch, der Mann hinter der Theke stopft den Bratling nervös in das heisse Fladenbrot, welche Sosse? Kräuter bitte. Salat komplett? Mensch Paule jetzt mach nich son Aufstand. Alles ausser Zwiebeln. Du Arschloch.
Der Mann hinter der Theke hantiert geschickt mit der Zange und dem Salat, geschickter auf jeden Fall als der Polizist, aber der hat es ja auch nicht mit Kraut und Tomaten, sondern einem betrunkenen Penner zu tun, zu besoffen um sich zu wehren, aber immer noch bei all dem billigen Fusel in seiner ruinierten Leber und seinem verseuchten Blut so bei Bewusstsein, um Widerstand zu leisten. Während sich das Fladenbrot mit dem saftigen Grün füllt, quietscht hinten ein Stuhl auf den Fliessen, gleich essen oder Mitnehmen, Du Arschloch hör auf verpiss Dich, Zum Mitnehmen bitte, und da macht es auch schon Plomp, denn der Penner ist vom Stuhl gefallen und nutzt die Gelegenheit, sich an einem Tischbein festzuhalten, während der Polizist am anderen Arm zieht. Auf dem Tisch wackeln die Flaschen "Berliner Kindl", eine fällt um, rollt langsam in Richtung Nebentisch, und der Penner dort glotzt sie an, ohne zu reagieren, sie rollt weiter in Richtung Tischkante, wird langsamer, weil am Tisch nicht mehr geruckelt wird, aber der Schwung reicht noch, sie kippt, sie fällt, ihr Sturz wird von allen Augen im Lokal begleitet, keiner tut etwas, sie zerschellt in viele Splitter, aber es bleibt trocken, denn das Bier ist längst getrunken und der Trinker brüllt jetzt noch einmal aus Leibeskräften Du Arschloch, von hinten sagt ein anderer, das sei jetzt aba wirklich Beamtenbeleidigung.
Der Koch schlägt das Brot in ein silberglänzendes Alupapier ein, reicht es über die Theke, du wünscht ihm einen schönen Tag und verlässt das Lokal, nicht ohne einem weiteren Polizisten beim Betreten des Lokals die Tür aufzuhalten, auf dein "Bitte" kein Wort des Dankes zu erhalten, und noch einmal hörst Du diese dunkle, vielschichtige, vom Alkohol und Zerstörung durchnässte Stimme, rau und ungebildet, die Ihr Arschlöcher schreit. Draussen ist es noch sonnig, aber im Westen deuten sich bereits die Hagelwolken an. Der Gemüsebratling schmeckt gut, er ist leicht scharf gewürzt, der Salat ist frisch, und der Mann hinter der Theke hat mit der Kräutersosse nicht gespart.
donalphons, 11:46h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Freitag, 31. März 2006
Real Life 30.03.06 - Und der Haifisch der hat Zahnweh
weil ganz plötzlich eine Füllung im Boeuf hängen blieb, bei dem gierigen Kauen aber erst zwei, dreimal im Mund zwischen die Zähne geriet, sich wohl mit einem daran haftenden, scharfkantigen Zahnfragent in die Zungenspitze bohrte und erst dann entsetzt auf den feinen Teller gespuckt wurde, aber da war es dann auch schon zu spät, und aus dem Mund quoll das Blut. Auf das Dessert habt ihr dann verzichtet, und seid lieber zu einem Notdienst gefahren, durch die traumhaft schönen Strassen der einzigartigen Munich Area und ihrem Regenglanz.

Später dann, auf der Heimfahrt, erzählte der Haifisch von seinem Problem, obwohl es ist gar nicht so sehr sein Problem, sondern das einer Mandantschaft weil: Sie hat nach der Scheidung wieder geheiratet, und hat einiges mitgebracht. Bei der Trennung bekam sie so gut wie alle Fonds, und er konnte das Haus behalten. Jetzt ist es aber so, dass das Geld nicht nur weg ist, sondern auch noch bis zu 30000 Schulden auf 50000 verschwundenem Vermögen sind. Sie hat zehn solche faule Eier, die paar Aktien reichen da nie. Einfach nicht darum gekümmert, so sind sie halt, wenn sie an die Hauptstadt glauben und den Betrug nicht riechen. Der neue Gatte, der eine gute Partie machen wollte, schaut jetzt dank der Berlinimmobilien blöd aus der Wäsche. So ist das, in Grünwald, heutzutage. Vergiss, was Du über die Morde aus Habgier weisst. Heute würde man eher morden, um den Schulden zu entgehen. Das ist die neue Wirtschaft, Don. Sagt er, und lacht schon wieder.

Später dann, auf der Heimfahrt, erzählte der Haifisch von seinem Problem, obwohl es ist gar nicht so sehr sein Problem, sondern das einer Mandantschaft weil: Sie hat nach der Scheidung wieder geheiratet, und hat einiges mitgebracht. Bei der Trennung bekam sie so gut wie alle Fonds, und er konnte das Haus behalten. Jetzt ist es aber so, dass das Geld nicht nur weg ist, sondern auch noch bis zu 30000 Schulden auf 50000 verschwundenem Vermögen sind. Sie hat zehn solche faule Eier, die paar Aktien reichen da nie. Einfach nicht darum gekümmert, so sind sie halt, wenn sie an die Hauptstadt glauben und den Betrug nicht riechen. Der neue Gatte, der eine gute Partie machen wollte, schaut jetzt dank der Berlinimmobilien blöd aus der Wäsche. So ist das, in Grünwald, heutzutage. Vergiss, was Du über die Morde aus Habgier weisst. Heute würde man eher morden, um den Schulden zu entgehen. Das ist die neue Wirtschaft, Don. Sagt er, und lacht schon wieder.
donalphons, 04:19h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Samstag, 11. März 2006
Real Life 10.03.06 - Richtung Süden
Auch 20 Jahre später ist es immer noch ein erhebendes Gefühl, die abgefuckte Amüsiermeile der Leopoldstrasse mit ihren Tourinepps, den billigen Kleiderläden und den drittklassigen Pseudomedien hinter sich zu lassen, und hineinzuschiessen in die enge Kanüle der Ludwigsstrasse, vorbei am teuren Prunk der Staatsbauten, der sich langfristig amortisiert hat. Von Norden her muss man München betreten, nach Osten hin, auf der Prinzregentenstrasse muss man es verlassen, die alte Handelsstrasse von Nürnberg nach Salzburg und von dort aus weiter nach Venedig. Aber nicht mehr heute Nacht.

Heute Nacht endet die Fahrt an einem der überdimensionierten Schwabinger Schneehaufen, die immer noch auf den Strassen und Bürgersteigen aufgetürmt sind. Du steigst aus, hilfst ihr über den Matsch hinweg und beachtest kaum die arme Angebersau im Cayenne, die ein paar Meter weiter vergeblich versucht, die viel zu enge Parklücke zu verlassen.
Später erzählt sie, wie schwer es ist, über die Runden zu kommen, weil die Festen die Freien als kostenlose Themensucher betrachten; die Beiträge müssen fast schon vorformuliert eintrudeln, werden abgelehnt, und dann hört sie das Thema in ihren Worten, aber mit einer anderen Stimme drei Tage später im Radio. Aber was soll sie schon anderes machen. Auch wenn sie weniger verkauft, als sie gedacht hat, gibt es keine Alternativen mehr. Die Privaten sind samt und sonders PR-Abspieler geworden, und für Print kann sie sich nicht erwärmen, das war noch nie ihr Ding, und Kontakte hat sie auch keine.
Im Prinzip ist sie mit vielen anderen auf der schmalen Planke über den Haifischen, es geht seit Jahren immer nur in eine Richtung, und nachdem die letzte Strukturreform von den politisch bestimmten Intriganten versaut wurde, kommt jetzt eben die nächste Runde, statt schlechtem Hirnfick ein wenig schlechte Seichtheit, verdaulich für die, die es wollen, aber wer sowas will, geht lieber gleich zum Deutschlandfunk oder BBC World Service. Und die Studenten sind längst abgewandert zu M94,5 und FM4. Das Rennen haben sie verloren, und jetzt gibt es nur noch das Hauen und Stechen über dem Existenzminimum. 4 Beiträge im Monat, das ist gut. Feste Freie, das wäre schön, ist aber nicht zu schaffen, denn die Gebühren wandern in die Zukunftsformate der bewegten Bilder und in Werbekampagnen, in denen Trachtler in einer U-Bahn-Station tanzen. Sie wäre jedesmal am liebsten wieder ins Bett gegangen, wenn sie eines dieser Plakate gesehen hat, diese erbärmliche, dummdreiste Geldverschwendung dieser Zwangsstaatsbehörde zur Verbreitung genehmer Propaganda, sagst du dazu, aber das hilft ihr auch nicht weiter.
Es ist ja nicht so, dass es nicht einige geschafft haben. Bezeichnenderweise sind es überproportional viele Arschlöcher, die sich rechtzeitig aus der bröckelnden New Economy, aus den Mobile Content und New Media Publishing Sektoren abgesetzt haben und nun alles machen, vom Kriecher in den CSU-Gedärmen über den c-vitamisierten Medienkünstler bis zum vorgetäuschten Revoluzzer beim Jugendformat, das die Jugendlichen jenseits der Freunde der Macher längst nicht mehr erreicht. Immerhin ein Job, eine Tätigkeit, nach ihnen ist die Sintflut längst da, und es wird auch nicht besser, zumindest nicht im Radio, und Podcasten, merken sie gerade, geht auch nicht gut.
Du bringst sie heim, nachdem du an der Tanke nochmal einen Haufen Süssigkeiten gekauft hast, den sie gar nicht will und nur widerwilligst mitnimmt. Zu Hause findest du einen Brief von der GEZ, die wissen will, ob du noch immer keine Dummglotze besitzt, und deshalb mehr abdrücken willst, damit sich eine nach Zahnfäule stinkende Chefredakteursausgeburt noch einen unförmigen Sack für sein Fett kaufen kann, nachdem er sich vom Moderatorengehältern für kirchliche und private Stiftungen schon den farblich unpassenden Dritt-BMW geleistet hat. Im Radio läuft FM4.

Heute Nacht endet die Fahrt an einem der überdimensionierten Schwabinger Schneehaufen, die immer noch auf den Strassen und Bürgersteigen aufgetürmt sind. Du steigst aus, hilfst ihr über den Matsch hinweg und beachtest kaum die arme Angebersau im Cayenne, die ein paar Meter weiter vergeblich versucht, die viel zu enge Parklücke zu verlassen.
Später erzählt sie, wie schwer es ist, über die Runden zu kommen, weil die Festen die Freien als kostenlose Themensucher betrachten; die Beiträge müssen fast schon vorformuliert eintrudeln, werden abgelehnt, und dann hört sie das Thema in ihren Worten, aber mit einer anderen Stimme drei Tage später im Radio. Aber was soll sie schon anderes machen. Auch wenn sie weniger verkauft, als sie gedacht hat, gibt es keine Alternativen mehr. Die Privaten sind samt und sonders PR-Abspieler geworden, und für Print kann sie sich nicht erwärmen, das war noch nie ihr Ding, und Kontakte hat sie auch keine.
Im Prinzip ist sie mit vielen anderen auf der schmalen Planke über den Haifischen, es geht seit Jahren immer nur in eine Richtung, und nachdem die letzte Strukturreform von den politisch bestimmten Intriganten versaut wurde, kommt jetzt eben die nächste Runde, statt schlechtem Hirnfick ein wenig schlechte Seichtheit, verdaulich für die, die es wollen, aber wer sowas will, geht lieber gleich zum Deutschlandfunk oder BBC World Service. Und die Studenten sind längst abgewandert zu M94,5 und FM4. Das Rennen haben sie verloren, und jetzt gibt es nur noch das Hauen und Stechen über dem Existenzminimum. 4 Beiträge im Monat, das ist gut. Feste Freie, das wäre schön, ist aber nicht zu schaffen, denn die Gebühren wandern in die Zukunftsformate der bewegten Bilder und in Werbekampagnen, in denen Trachtler in einer U-Bahn-Station tanzen. Sie wäre jedesmal am liebsten wieder ins Bett gegangen, wenn sie eines dieser Plakate gesehen hat, diese erbärmliche, dummdreiste Geldverschwendung dieser Zwangsstaatsbehörde zur Verbreitung genehmer Propaganda, sagst du dazu, aber das hilft ihr auch nicht weiter.
Es ist ja nicht so, dass es nicht einige geschafft haben. Bezeichnenderweise sind es überproportional viele Arschlöcher, die sich rechtzeitig aus der bröckelnden New Economy, aus den Mobile Content und New Media Publishing Sektoren abgesetzt haben und nun alles machen, vom Kriecher in den CSU-Gedärmen über den c-vitamisierten Medienkünstler bis zum vorgetäuschten Revoluzzer beim Jugendformat, das die Jugendlichen jenseits der Freunde der Macher längst nicht mehr erreicht. Immerhin ein Job, eine Tätigkeit, nach ihnen ist die Sintflut längst da, und es wird auch nicht besser, zumindest nicht im Radio, und Podcasten, merken sie gerade, geht auch nicht gut.
Du bringst sie heim, nachdem du an der Tanke nochmal einen Haufen Süssigkeiten gekauft hast, den sie gar nicht will und nur widerwilligst mitnimmt. Zu Hause findest du einen Brief von der GEZ, die wissen will, ob du noch immer keine Dummglotze besitzt, und deshalb mehr abdrücken willst, damit sich eine nach Zahnfäule stinkende Chefredakteursausgeburt noch einen unförmigen Sack für sein Fett kaufen kann, nachdem er sich vom Moderatorengehältern für kirchliche und private Stiftungen schon den farblich unpassenden Dritt-BMW geleistet hat. Im Radio läuft FM4.
donalphons, 05:24h
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