Real Life 03.05.2006/2001 - Die andere Seite

der Strasse ist gesäumt mit den ehemaligen Häusern der Professoren. Die Gebäude stammen aus dem späten Mittelalter, die barocken Giebel hat man erst später aufgesetzt. In den letzten Jahren wurde das Wohnen in der Altstadt modern; wer hier einziehen will, braucht viel Geld. Manche Studenten-WGs nehmen in dieser Ecke, kurz vor den hoch aufragenden Palästen der Kapuziner, der Franziskanerinnen und der Gesellschaft Jesu 180 Euro für ein 10 m²-Zimmer.



Das Kopfsteinpflaster leuchtet in der späten Sonne golden, als du zum Bäcker gehst. Am Eck, beim Tor, vor der Kneipe auf silbigren Aluminiumstühlen sitzt eine Gruppe von Beratern und assessmentgecenternden Nachwüchsern, eindeutig, die Hunde des Wirtschaftskrieges, diese Mormonenanzüge, die immer gleichen Haarschnitte, die dezenten Krawatten, die Haltung, fast alles Jungs, nur eine Frau ist dabei und auch die übersieht man leicht, weil sie der gleiche Typ ist. Du weisst nicht, warum die her schauen, du siehst sie nur aus den Augenwinkeln an, vielleicht ahnen sie, dass du trotz der weissen Hose, dem weichen, hellbraunen Sakko mit den Lederknöpfen, den altmodischen Budapestern und dem offenen, einfachen Hemd nicht immer so gewesen bist, vielleicht erfühlen sie deine schlammgrüne Anwesenheit wie du sie, du könntest sogar darauf wetten, dass es keine McKs sind, dafür sind sie zu auffällig, BCGs schon eher oder E&Y, da rennen sie so rum, Post Thermonuclear New Economy Meltdown Outfit, die McKs sind immer schwarz geblieben wie sie waren, aber die anderen verstrahlten Jungs, die hingen 2003ff. anzugtechnisch in den Modeseilen. Könnte auch sein, dass es welche aus der Munich Area sind, du schaust etwas genauer hin, aber du kennst keinen von denen, und die meisten sind ohnehin aufgebohrte Studis in den letzten Unitagen. Sofort kommt alles wieder hoch, die Luft schmeckt so wie vor fünf Jahren, als im Sommer alles schwarz wurde, so lang ist das schon her, also rein zum Bäcker, verdrängen, an die Semmeln denken und den Apfelkuchen, raus, nicht rüberschauen, oder doch, sie schauen schon wieder her. Vielleicht hätten sie etwas weiter hinterherschauen sollen, um die Ecke, denn da, wo ein paar typische Münchner Dienstwägen der gehobenen Klasse im Parkverbot stehen, wurde gerade aufgeschrieben.



C. hat in diesem Sommer vor 5 Jahren mal erzählt, wie sie eine Aufschreiberin angefahren hat. Ganz leicht nur. Blauer Fleck, mehr nicht. Hinter dem ersten Büros gab es keine richtigen Parkplätze, also haben sie sie täglich aufgeschrieben. Und eines Tages war der Wagen weg, abgeschleppt. Es ging C. nucht um das Geld, es ging um die Demütigung da raus zu müssen, in ihrer Freizeit, und es zu holen. Ein paar Tage später ging die altbekannte Aufschreiberin unvorsichtig an der Ecke auf die Strasse, und C. nutzte die Gelegenheit, sie mit Schwung ihrem Aussenspiegel vorzustellen. Danach ging es ihr prima. Es gibt einen gewissen Typ Mensch, der einfach nicht damit fertig wird, dass er sich unterordnen muss, wenn er wenige Stunden davor ein paar Dutzend High Potentials restrukturiert hat. C. war so ein Fall. Wenn etwas nicht möglich war und mit ihrem Willen kollidierte, musste es eben möglich gemacht werden. Letztendlich hat sie auch die kognitive Dissonanz umgebracht, die Mischintoxination war nur das Mittel zum Zweck. Im verfluchten Sommer des Jahres 2001.



In dem du fast nie den Sonnenuntergang gesehen hast. In dem die Tasks die Kontrolle übernahmen, in dem du dachtest, ihr könntet so punktgenau den Flug beenden, so sauber runterkommen wie die Taube auf dem Kamin, zum turteln. Die anderen haben eine Punktlandung hingelegt, senkrecht in den Boden rein. Du bist ausgestiegen. Das Beste, was man tun kann, solange man einen Fallschirm hat. Und den einzigen lichten Moment nach Monaten der Finsternis, in dem man begreift.

Donnerstag, 4. Mai 2006, 00:06, von donalphons | |comment

 
Ich les gerade ein hundert Jahre altes Tagebuch aus Wien, und frag mich, was die Gegenstücke derartiger Consultants in der Welt von damals sein würden. Nebenbei: Wir Heutigen sind nicht so modern, wie wir oft meinen.

Hofnarren?

Alma Mahler-Werfel, Tagebuch-Suiten 1898-1902

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Auch die Gründerzeitpleitiers hatten schon Leute, die sie zu riskanten Geschäften überredeten. Damals nannte man sowas noch "Betrüger". Und erwartete, dass sie wussten, was sie mit der Pistole zu tun hatten.

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Sind sie wirklich derart auffällig, die Consultants? Die, die ich kennengelernt habe (Meta Group, Gartner) hatten keine besondere Merkmale, die sie von Businessmen im Allgemeinen unterschieden hätten, hätten bekleidungs- und aussehenstechnisch also auch Kreissparkassendirektoren, Firmenanwälte oder Mittelstandsgeschäftsführer sein können.

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Auffällig? Es sind die Feinheiten, die einem auffallen, wenn man darauf achtet und sie kennt. Meta Group und Gartner sind eher nicht die typischen Business-Consultants.

Es ist sicher die Verbindung von Outfit und Auftreten. Was die grossen Management Consulting firms (McK, BCG, Accenture, AT K, Cap G, usw.) mit ihren Leuten am Anfang machen, würde bei zart besaiteten Gemütern als Gehirnwäsche gebrandmarkt werden. Hat was von Eintritt in eine Bruderschaft. Und genauso erkennt man auch die Berater: An der Kutte und am Auftreten. da gibt es strenge Orden (McK) oder auch weniger strenge (BCG).

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Nun, hier bei uns, wo auch die Amtsleiter des Morgens als erste Handlung im Büro die beigen Socken in bequemen, beigen Amtssandalen versenken, als zweite den obersten Hemdknopf aufmachen und sich dabei auch nicht schämen, kurzärmlige Hemden zu tragen - hier fallen solche Consultant-Gestalten auf wie das Skunk beim Barbecue, um einen amerikanischen Präsidenten zu zitieren.

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Hm. Vielleicht sollte ich mein 8-Euro-saniert-in-Bestlage Business Modell nochmal überdenken ;-).

Spass beiseite, ich weiss, dass man sowas machen kann. Nur sind die Folgen gravierend: Die Mieter sind ständig auf Absprung, kümmern sich natürlich auch um nichts, es gibt viel Wechsel, und am Ende kann man wieder total sanieren. Wer plant, in einer Wohnung 5 Jahre zu bleiben, wird sie nicht nach 3 Monaten runtergewirtschaftet haben. Meistens. Die Rendite ist dann zwar erst mal nicht so toll, aber mittelfristig ist das die bessere Entscheidung. Ich mag es, wenn ich die Leute kenne, ein gutes Verhältnis zu denen habe und nicht alle vier Wochen den Dreck eines Umzugs im Hausgang habe. Nenn mich rückständig, aber wir sind jetzt seit 160 Jahren in dem Geschäft, und eine Mietdauer zwischen 3 und 10 Jahren hat sich bislang immer als das Beste herausgestellt.

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@Don
Richtig. So machen wir es auch - und wohl auch die meisten privaten Vermieter. So Leute wie der Metropol-Vermieter oder angesächsische REITs und Immo-Heuschrecken, die die kommunalen Wohnungsbestände "verwerten", spielen in einer anderen Liga.

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Gut, die setzen natürlich auf schnelle Gewinne, wie auch die Uniwohnungsinvestoren hier bei uns, die in schlechter Lage Münchner Preise verlangen. Kann man auch machen. Geht auch. Nur, ob es allzu lange gut geht, bei steigenden Energiekosten und sinkender Bevölkerung, ist nochmal eine andere Frage. Die kommunalen Wohnungen sind ja in der Regel nicht das Gelbe vom Ei.

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Natuerlich haben Sie dich "erkannt". Das hat aber nicht das geringste mit Aeusserlichkeiten zu tun.
So wie ein Junkie einen Junkie erkennt, der Magersuechtige Ebenselben, der Kiffer den Kiffer etc.
Bei den Schwulen nennt sich das in Abwandlung des Begriffes 'Radar' 'Gaydar'. Auch hier hat das Sichgegenseitigerkennen nicht das geringste mit etwaigen Stoeckelschuhen oder feminisiertem Gehabe zu tun. Man "weiss" einfach wen oder was man gerade vor sich hat.

Ich glaube das sind aehnliche Phaenomene im Sinne des ... wie sag' ich's ... es heist das man bei der Suche nach einem Lebenspartner in erster Linie sich Selbst im Gegenueber sucht. Oder, besonders beliebt bei Neoneo's*, von sich auf andere schliesst. Letzteres waere dann wohl das Negativ des Ersteren.


*Man gibt dem Arbeitslosen die Schuld an seiner Arbeitslosigkeit in der Hoffnung daraus abzuleiten man waere alleinverantwortlich fuer den etwaigen eigenen Erfolg. Oder wirft bestimmten Kreisen der Blogszene vor, sie waeren zentral gesteuert, verbreiteten Propaganda und wollten eine Diktatur nebst Gulagsystem errichten. Hier wird klar das Selbst auf das Gegenueber projeziert.

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Gute Zusammenfassung, Loellie. Was das Erkennen angeht, das Buch "Die feinen Unterschiede" von Pierre Bourdieu ist da äußerst empfehlenswert.

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@strappato: Bei nochmaligem Lesen fallen mir da die Leute von Kabel New Media und IBM zur Zeit des Hypes ein, IT-Consultants, die so eine gehobene Variante der Anjatanjas Mirkomeikos waren, ich vermute, die sind den Geschilderten vergleichbar. Man witterte, was sie waren.

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Die darf man nicht unterschätzen. Immerhin waren die mal Vorzeigestudenten, eine Zierde des Fachbereichs. Beste Noten, Praktika, Englisch verhandlungssicher, zusätzliches Engagement, usw. Ein Problem: In der Uni waren sie meist besser als der Rest (was immer man als "besser" bezeichnen will). Bei den Beratungsfirmen stossen sie auf Leute, die ihren Bewertungsmassstäben und Motivation ähnlich sind. Da baut sich ein hoher Druck auf: Innerhalb des Unternehmens, um mitzuhalten und nach aussen, jemanden zu finden, an dem man seine Überlegenheit beweisen kann und sich ihrer vergewissern. Vorher waren es beispielsweise die Mitstudenten. Nun hat es der Kunde auszubaden. Eigentlich gehören viele von denen auf die Couch. Stattdessen wird ihr soziales Defizit mit ein wenig Geld verarztet.

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Oder in den typischen 3 Worten mit 3 Silben gesagt:

Grow or go.

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was läuft da eigentlich kundenseitig, dass die sich von derart schaumschlägern einseifen lassen und das noch als toll empfinden?

bislang war meine auffassung die, einen consultant braucht man, um nicht selber unangenehme wahrheiten sagen zu müssen, weil man davon irgendwann eingeholt werden kann - von den unangenehmen wahrheiten wie: schmeisst doch als erstes den schwiegersohn raus.

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@ che,

na ja, bourdieu wusste, wovon er schrieb.

gibt es davon eine aktualisierung? oder besser, eine neubearbeitung oder eine weiterführung?

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@auch-einer
Gibt es: Die Macht der Unterscheidung. Essays zur Kultursoziologie der modernen Gesellschaft. (2000)
von Sighard Neckel.

Bei dem hatte ich als Soziologiestudent Seminare.

Auch interessant:

Das symbolische Kapital der Lebensstile: Zur Kultursoziologie der Moderne nach Pierre Bourdieu, Ingo Mörth, Gerhard Fröhlich (Hg.), Frankfurt am Main: Campus ( 1994)

Und was man in jedem Falle gelesen haben sollte: Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation

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Klar, Elias ist Pflicht, ebenso Das Unbehagen in der Kultur von Freud.

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@ strappato, che,

danke für die hinweise.

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You are always welcome!

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Das ist das Schöne am Bloggen: Man hat Kontakt zu Leuten, die man daheim bei der begrenzten Auswahl lang und vergeblich suchen müsste.

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