Real Life 04.04.06 - Gemüsebratling

In diesem Teil der Prenzlauer Allee, fast schon an der Grenze zum weitaus weniger beliebten Pankow, gibt es zwar alte spanische Spiegel in grossen Mengen, aber nur wenige Restaurants. Nachdem die Einkäufe im Auto verstaut sind, gehst du die Strasse hinunter, wo dir schon vorher, beim Weg zur Bank, ein paar typische orientalische Schnellrestaurants aufgefallen sind. Im Süden der Republik ist fast alles beser als hier, nur Falafel und andere vegetarische Köstlichkeiten gibt es dort weder in der Berliner Qualität noch in dieser Auswahl.

Der Weg ist doch recht weit, und weil du keine Lust mehr hast zu laufen, gehst du gleich in den ersten Imbiss, ohne weiter auf den Polizeiwagen mit Blaulicht und den Krankenwagen zu achten, die kurz davor abgestellt sind. Der Eingang führt direkt zur Theke, wo die von einem drahtigen Koch ordentlich aufgetürmten Zutaten auf die Gäste warten. Du bestellst, ohne gross nachzudenken, einen Falafel, schaust dich dann aber noch etwas um und siehst, dass es auch Gemüsebratlinge im Brot gibt. Du änderst die Bestellung, und der Mann hinter der Theke kommt dem Wunsch sehr fahrig nach, er schaut über deine Schulter in den Gastraum des Lokals, der im Dunkeln liegt und aus dem ein Gemurmel kommt, und dann, laut, genervt und deutlich, ein "jetzt kommen se mit".

Du schaust dich um, und dort sitzen vier Penner, alle vom Schmutz so dunkel wie der Gemüsebratling, alt, bärtig, mit einigen Flaschen vor und erkennbar viel Inhalt in sich. Neben ihnen steht ein Polizist, starrt einen Penner an, der starrt mit rotunterlaufenen Augen zurück. Der Mann hinter der Theke lächelt gezwungen und wendet sich zum Fettbad, in das er den Bratling legt. Sogleich steigen zischend Blasen aus dem Metallbecken nach oben. Der Mann geht weiter zur Spülmaschine und schaltet sie ein, legt ein Fladenbrot in den heissen Toaster, und von hinten wird das Grummeln plötzlich laut, deutlicher, noch lauter, eine Stimme schält sich dunkel und vielfach gebrochen heraus, mit einigen slawisch anmutenden Kieksers dieses Dialekts, um in ein Det mach ich nich zu münden und dann ein lauten Du Arschloch zu enden.

Der Beamte sagt gar nichts, aber ein Penner bemerkt, das sei Beleidungs von Amtspersonen, und einanderer erwidert, ne, das sei Widerstand gegen die Polizeigewalt, wa. Der Beamte sagt nocheinmal, der Penner soll mitkommen, aber der ist mittlerweile in Rage und sagt

2,10 Euro sagt der Mann hinter der Theke zu dir, und du reichst ihm das Geld und das Trinkgeld, er bedankt sich, Du Arschloch det biste insistiert der Penner und Du Paule, jetzt halt aba mal die Schnauze versucht ein anderer ihn zu beruhigen, aber zu mehr reicht es nicht, er und die anderen sitzen starr vor ihren Flaschen, eigentlich schon weit weg von diesem Imbiss und der Not ihrer Tage in einem mollebraunen Traum vom nicht endenden, warmen Delirium, keiner untenimmt etwas, und so bleibt der Polizist mit dem Penner am vordersten Tisch allein. Der Man hinter der Theke ergreift mit einer Zange den Gemüsebratlting und lässt das heisse Fett abtropfen, Du Arschloch, jetzt reicht es, sagt der Polizist, aufstehen, mitkommen, Du kannst mich mal, Du Arschloch, der Mann hinter der Theke stopft den Bratling nervös in das heisse Fladenbrot, welche Sosse? Kräuter bitte. Salat komplett? Mensch Paule jetzt mach nich son Aufstand. Alles ausser Zwiebeln. Du Arschloch.

Der Mann hinter der Theke hantiert geschickt mit der Zange und dem Salat, geschickter auf jeden Fall als der Polizist, aber der hat es ja auch nicht mit Kraut und Tomaten, sondern einem betrunkenen Penner zu tun, zu besoffen um sich zu wehren, aber immer noch bei all dem billigen Fusel in seiner ruinierten Leber und seinem verseuchten Blut so bei Bewusstsein, um Widerstand zu leisten. Während sich das Fladenbrot mit dem saftigen Grün füllt, quietscht hinten ein Stuhl auf den Fliessen, gleich essen oder Mitnehmen, Du Arschloch hör auf verpiss Dich, Zum Mitnehmen bitte, und da macht es auch schon Plomp, denn der Penner ist vom Stuhl gefallen und nutzt die Gelegenheit, sich an einem Tischbein festzuhalten, während der Polizist am anderen Arm zieht. Auf dem Tisch wackeln die Flaschen "Berliner Kindl", eine fällt um, rollt langsam in Richtung Nebentisch, und der Penner dort glotzt sie an, ohne zu reagieren, sie rollt weiter in Richtung Tischkante, wird langsamer, weil am Tisch nicht mehr geruckelt wird, aber der Schwung reicht noch, sie kippt, sie fällt, ihr Sturz wird von allen Augen im Lokal begleitet, keiner tut etwas, sie zerschellt in viele Splitter, aber es bleibt trocken, denn das Bier ist längst getrunken und der Trinker brüllt jetzt noch einmal aus Leibeskräften Du Arschloch, von hinten sagt ein anderer, das sei jetzt aba wirklich Beamtenbeleidigung.

Der Koch schlägt das Brot in ein silberglänzendes Alupapier ein, reicht es über die Theke, du wünscht ihm einen schönen Tag und verlässt das Lokal, nicht ohne einem weiteren Polizisten beim Betreten des Lokals die Tür aufzuhalten, auf dein "Bitte" kein Wort des Dankes zu erhalten, und noch einmal hörst Du diese dunkle, vielschichtige, vom Alkohol und Zerstörung durchnässte Stimme, rau und ungebildet, die Ihr Arschlöcher schreit. Draussen ist es noch sonnig, aber im Westen deuten sich bereits die Hagelwolken an. Der Gemüsebratling schmeckt gut, er ist leicht scharf gewürzt, der Salat ist frisch, und der Mann hinter der Theke hat mit der Kräutersosse nicht gespart.

Mittwoch, 5. April 2006, 11:46, von donalphons | |comment

 
Das ist ein zu später, da damals noch nicht erlebter Beitrag für die Gelage-Lesung, wobei ich allerdings sagen muss, dass ich persönlich eigentlich bei so einem Anlass nur nette, gefällige Geschichten hören möchte, und nicht irgendwelches Genüsse mehr oder weniger blöd hinterfragenden Spiesserkram in Blog- oder Lesebühnenverpackung.

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«Spiesserkram in Blog- oder Lesebühnenverpackung» ... Zitat des Tages. :-)

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Diesen Text hätte ich trotzdem gern von Ihnen vorgelesen gehört. Vielleicht ergibt sich ja einmal eine Gelegenheit, die nicht nur dem opulenten, sahnesüßen Genuss gewidmet ist. A bisserl kritisch darf's scho sei, net.

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Ich kriege, denke ich, den niederen Berliner Tonfall, zumal betrunken, nicht hin. Als bayerischer, antialkoholischer Schriftsteller fehlt mir da jede Praxis.

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Nachtrag: Probiert, getaped und grandios gescheitert.

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Ein großartiger Text. Ich mag es, wenn man Menschen darstellt, ohne sie einerseits zu verfälschen oder sogar zu idealisieren, und sie andererseits nicht an seine Leser verrät, sie zu Lachnummern macht und für ein paar billige Pointen ihrer Würde beraubt. Solche Texte gibt es viel zu viele, die nur die skurrile, normabweichende Seite sehen, und unter deren Sätzen kein Strom von Nachsicht und Mitgefühl fließt.

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Fein beobachtet -- und gar nicht der übliche Abscheu ggü. Berlin, wie kommts?

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Ich wollte einfach schreiben, was war. Weil Berlin so ist, oder zumindest: In meiner Gegenwart so ist. Vielleicht habe ich auch nur immer Pech. Meine Empfindungen... es war einfach zu früh, um etwas zuu empfinden.

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Was hat es mit Pech zu tun, soziale Wirklichkeit hautnah zu erleben? Während meiner Studienzeit konnte ich beim Kiosk, wo ich Konkret, Titanic, Spiegel und Zeit einkaufte, regelmäßig die Erzählungen der Mädels vom Straßenstrich von letzter Nacht mithören. Sehr bewusstseinsbildend, sowas. Man muss auch nicht zwingend in Berlin sein, um solche Szenen mit Pennern zu erleben - nur erlebt man sie halt nicht in Ingolstadt oder München.

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So isset
Ich habe Berlin hier wiedererkannt. So isset. Und im vorigen Beitrag dachte ich beim Bild: So isset.

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Mir hatte seinerzeit auch schon auf der zweiten Münchner Bloglesung der Berliner Text besonders gut gefallen. Gerade weil diese Texte sehr gut die Atmosphäre 'rüberbringen - wie übrigens auch Ihr "Genüsse mehr oder weniger blöd hinterfragenden Spiesserkram in Blog- oder Lesebühnenverpackung".
Ersteres finde ich auch interessanter, wobei die Geschichte Days of Splendour von der ersten Lesung ja eigentlich in die Rubrik Spießerkram paßt und nicht nur bei mir seinerzeit besonders gut ankam.
Ich denke, daß genau diese atmosphärische Dichte Ihrer Geschichten der Grund ist, warum die Konsumenten ihress Blogs dabei bleiben. Jedenfalls ist das bei mir Grund Nummer eins für die regelmäßige Rückkehr zu einem Blog...

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Camelopard, da bin ich ein wenig taub. Das alles gehört dazu, das wird alles gelesen, und ich ertrage es auch, wenn manche manche Geschichten ganz gräuslich finden - man kann sich zwar durchaus was wünschen, aber wenn ich auf der Bühne bin, ist das ich und nicht irgendetwas, das gefallen will. Um Days of Splendour als Spiesserkram zu beeichnen, nun , da würde ich bitten, aden text nochmal zu lesen und sich eventuell zu vergegenwärtigen, dass der Text durchaus vielschichtig gemeint ist und mehr als eine Deutungsebene hat - zumindest für mich.

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@don: Ähh wos? Das war doch Ihre eigene Formulierung, die ich da benutzt habe. Ich dachte, Sie hätten in einem Anfall von Selbstironie und Koketterie "irgendwelcher Genüsse mehr oder weniger blöd hinterfragende Spiesserkram in Blog- oder Lesebühnenverpackung" auf Ihre eigenen Genußorgien angewandt. Die ich bisher immer lesenswert fand.
Ich glaub' jetzt haben Sie irgendwas in den falschen Hals bekommen, es ging mir nicht darum, Sie (bzw. Ihre G'schichten) herabzusetzen, im Gegenteil...

Im Übrigen ist nicht Days of Splendour Spießerkram, sondern die darin vorkommende Tasche Ihrer Schwester. Definitiv. Und das Schöne an dieser Geschichte sind die unterschiedlichen Perspektiven, Ihre vs. ihre.
Die Geschichte kam deswegen gut an, weil sie ganz persönlich gefärbt ist.

Ich kann Sie nur auf die ersten drei Sätze von http://rebellmarkt.blogger.de/stories/422896/#423439 hier im Thread weiter unten verweisen.

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Berlin, Osten, usw.
Wenn wir gerade schon von den herrlichen Seiten von Berlin hören fällt mir spontan der Absatz aus dem MM Artikel ein. Auch hier gilt wie für Brand1 usw - nicht alles war schlecht ;)

Die Altlasten des Sozialismus, die überhastete Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion im Sommer 1990, die rasche Anhebung der Ostlöhne, die Billionen Euro Staatstransfers von West nach Ost, der folgliche Anstieg der Steuern, Sozialabgaben und Staatsschulden - all das hat Deutschlands Dauerkrise maßgeblich mitverursacht. Die hausgemachten Probleme der Einheit schlugen umso stärker zu Buche, als sie zusammenfielen mit einer Phase, in der sich der internationale Wettbewerb verschärfte.

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Bonn, Westen, usw.
Der Artikel ist schon interessant, allerdings klingt dein Zitat, als wäre der Osten schuld an der Misere. Geht es in dem Artikel nicht vielmehr um ein fehlendes kollektives Gefühl?

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Richtig
...das ist laut des Artikels aber erst so richtig verloren gegangen als die wirtschaftliche Probleme sichtbar/spürbar wurden. Und das war nach 1990 ...

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Ja ja, dieses Berlin, da ist was los, und immer so schlimm alles, also ich weiß gar nicht, also ne, während im schönen Bayern ... da hat mir bei meiner letzten Stippvisite einer im Biergarten über die Schuhe gekotzt. Der hieß aber wahrscheinlich nicht so prollig Paule oder Atze, sondern Hiasl, das ist gleich viel kultivierter. Und als ich den Vorfall den Umständen entsprechend eher zurückhaltend kommentierte, meinte Hiasls in feine Tracht gekleideter Kumpan, der noch halbwegs stehen konnte, in schwer verständlichem "Deutsch", ich möge mich schleichen. Das ist natürlich ganz was anderes als dieses unmögliche Verhalten in Berlin. Der Hiasl hatte – von der Kotze her zu urteilen – neben einer ordentlichen Portion Bier auch eher Schweinebraten zu sich genommen und nicht so ein Gemüsezeug wie's das in der Hauptstadt gibt. Also ne. Kein Wunder, daß die Welt zugrundegeht. Alles Übel geht von Berlin aus. Den Bayern wird davon so übel, daß sie sich übergeben müssen. Da muß man ein Paar Schuhe als Kollateralschaden einkalkulieren.

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Knigge-Check: Korrekt reagiert?
Ich hoffe Du hast angemessen reagiert, und ihm zum Ausgleich dafür, daß Dein Schuh im Weg stand, ein neues Bier samt Schweinebraten gekauft?

Ausländerintegration wird ja so oft unterschätzt.

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Dieses Blog ist seit fast einem jahr ausnehmend fies gegen das satte, dumme, reaktionäre Bayern. Trotzdem regt sich kein bayer auf. Jetzt erzähl ich mal wieder 1 Geschichte, in der Berlin halt so ist, wie es sich mir gegenüber dargestellt hat - und sofort geht das Gemecker wieder los.

Berliner sollten sich mal überlegen, ob es nicht einfach an ihrer arroganten Intoleranz gegenüber jeder leichten Kritik an ihrem verkommenen Slum liegt, die es anderen so schwer macht zu verstehen, warum man dieses grossmäulige Pack auch noch finanzieren soll, statt es an die Russen zu verkaufen.

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Bleiben Sie mal locker, der Herr. :-)

Das war ironisch gemeint. Sowohl die Berlin- wie auch die Bayerngeschichten sind sehr amüsant und im Kern richtig.

Dummerweise wird seit dem Zerfall der UdSSR der Verkauf an die Russen eher schwierig. Aber vielleicht hat ja der eine oder andere Putin'sche Großkonzern Interesse? Vielleicht mit Schröder als Vorstandsvorsitzenden der Berlin AG? Ich hätte gern Herrn Glückstein als AR-Vorsitzenden :-)

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Der Schröder kennt das Berlin, der wird der gut funktionierenden Maf Firma dich kein solches von CDUSPDPDSFDPGRÜNE ausgeweidete Schuldenelend an die Backe kleben.

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Vielleicht sollte Berlin einfach Insolvenzantrag stellen. Achnee, das haben sie ja schon bei der Bankgesellschaft versäumt.

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