Freitag, 13. Juli 2012
Was vom Sparen übrig blieb.
Ich verabscheue, das dürfte wohlbekannt sein, Ikea. Und zwar nicht nur wegen des Nichtdesigns, der Namen oder der Fiesheiten der Gründerfamilie von Rechtsuaslegereien über Gefangenenarbeit bis zur Steueroptimierung, sondern auch wegen der Tricks. den Menschen durch Überangebot das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ohhhh, so ein billiger Kissenbezug, ohhh, der Topf, ohhh, ein neuer Badvorleger, ohhhh, die Lampe, ohhhh, ein Sofa wäre auch nicht schlecht, ohhh, ein nützlicher Schuhschrank - bestimmte Frauen kommen wegen eines Regals und gehen mit einer Rechnung, für die man in Pfaffenhofen bei den Franzosen auch zwei Schlosszimmer hätte füllen können. Ohhhh, und noch schwedisches Essen und einen Flamingo.
Den würden sie vermutlich, einmal im Schwung, auch noch nehmen. Aber Ikea hat keine Flamingos im Angebot. Die stehen, gehen und langweilen sich aber sehr wohl beim floristischen Äquivalent in Rain am Lech. Man kann sie dort nicht kaufen, sehr wohl aber Pflanzen, und zwar so viel man will. In recht üppiger Auswahl. Und es ist gut, dass die hiesigen Einkäuferinnen meist etwas älter und erfahrener sind, sonst würde das böse, noch böser enden, als beim Nichtmöbelsondernpressspanhaus.
Immerhin, man kann die rosa Viecher und anderes Getier auch in Bronze erwerben, Es gibt auch Gusssteinfiguren der vier Jahreszeiten und anderen Kitsch, über den man nicht lachen sollte, wenn man sich beim Schweden einmüllt. Es ist alles nicht gerade billig, aber der Garten ist nun mal für Frauen oft das, was für Männer das Auto ist, und das steckt an. Da muss man mitziehen. In Berlin sieht man Areale, wo all die Vorgärten aufgegeben wurden, bei uns dagegen läuft ein erbitterter Wettstreit um die Blumenpracht, und am Tegernsee ist man ohne Geranienwasserfall, seien wir ehrlich, ein Asozialer. Der falsche Garten kann zur Diskriminierung führen. Verachtung für alle, die Gitter mit Bruchsteinen füllen lassen, und das eine Wand nennen. Wie es geht, was man machen kann, mal englisch, mal asiatisch, mal mediterran, immer mit der Mode, kann man sich hier anschauen, in der Freiluftlandlust, und mitnehmen, soweit das Auto Platz hat. Und man dafür im Garten nicht allzu viel entfernen muss. Wer hier einkauft, hat meist einen grossen Garten, aber der ist immer zu klein - ein Wunder des Raum-Zeit-Kontinuums.
Ich jedoch wollte nur Salbei.
Denn ich habe mit dem Salbei vom Wochenmarkt eine schwere Niederlage erlitten: Meine Tomaten erröten und mein Rosmarin duftet, der Basilikum wuchert und die Pepperoni recken sich wie perverse, moreske (kreuzigt ihn) Spielzeuge - aber beide Salbeiarten gingen mir ein. Das ist mir eigentlich noch nie passiert, Salbei pflegt bei mir zu wachsen, zu spriessen und grosse Töpfe zu vernaschen. Diesmal nicht, diesmal verwelkten zwei Spezies nebeneinander. Und das bei meinem grünen Daumen. Ich verstehe es nicht, aber ich lasse mich auch nicht entmutigen, und hier haben sie im Aussenbereich viele Arten. Wo man sie aber kaufen kann, da ist eine Busladung alter Damen durchmarodiert, da ist kaum mehr etwas. Dafür sehe ich, rieche ich zuerst das hier.
Wenn ich nach Italien fahre, gibt es einige Orte des Ankommens: Die Ellbögenstrecke hoch zum Brenner. Sterzing. Der Jaufenpass. Die Salurner Klause. Der Blick hinuter nach Torbole. Und dann Punto San Vigilio, wo ich immer anhalte und von der Strasse auf den Gardasee und das flach werdende Land der Poebene blicke. Dort wächst eine wilde Feige von unten hoch, und die riecht, die riecht genau so. Das ist der Geruch des Ankommens, heiss, süss, ein klein wenig überreif, und ausserdem hatten sie da welche in Gross und in Klein und ich konnte mich nicht entscheiden. Solange schaute ich also, was sie sonst noch in der Mittelmeerecke so hatten.
Granatäpfel. Sagen wir es nal so: Die sind immer auf den Stillleben und passen daher blendend auf meinen Dachgarten, und ausserdem sind die so putzig und gar nicht teuer, also, die sollte man auf jeden Fall mitnehmen, und überwintern können sie dann bei meinen Eltern, sagen dieselben, denn der Keller ist gross. Das ist eigentlich ein schöner Feigenersatz, und entbindet von Problem, sich zwischen einem Feigenbaum (1,30 Meter hoch) und einem Feigenbusch (0,40 Meter hoch) zu entscheiden. Und als Zusatz noch ein kleiner Zitrusbusch. Das reicht. Eigentlich. Andererseits, wenn man jetzt keine Feige nimmt, wo soll man dann eine herbekommen? Schwierig. Gross? Klein? Beide?
Beide. Und das alles, Feigen, Zitronen und Granatapfel mal zwei, denn es soll ja barock aussehen und symmertrisch sein. 20 m² ist die Dachterrasse gross, da geht schon was, da muss man sich nicht zurückhalten, sagen die Alten, und so pfeifen es die Jungen auf dem Weg zur Kasse. Ich habe Geld gespart, weil ich die Ränder der Terrasse nicht beplankt habe, das wird jetzt durchgebrannt. Hoffentlich gibt das kein Salbeidebakel. Ernte ist im Herbst. Und wenn ich nicht da bin,müssen es die Mieter machen. Drei Stockwerke weiter unten arbeitet eine an einer grünen Hölle, die wird das tun. Bis es bei mir so aussieht, ist es noch weit hin. Keine Konkurrenz. Noch nicht.
Und auch keine Flamingos.
Den würden sie vermutlich, einmal im Schwung, auch noch nehmen. Aber Ikea hat keine Flamingos im Angebot. Die stehen, gehen und langweilen sich aber sehr wohl beim floristischen Äquivalent in Rain am Lech. Man kann sie dort nicht kaufen, sehr wohl aber Pflanzen, und zwar so viel man will. In recht üppiger Auswahl. Und es ist gut, dass die hiesigen Einkäuferinnen meist etwas älter und erfahrener sind, sonst würde das böse, noch böser enden, als beim Nichtmöbelsondernpressspanhaus.
Immerhin, man kann die rosa Viecher und anderes Getier auch in Bronze erwerben, Es gibt auch Gusssteinfiguren der vier Jahreszeiten und anderen Kitsch, über den man nicht lachen sollte, wenn man sich beim Schweden einmüllt. Es ist alles nicht gerade billig, aber der Garten ist nun mal für Frauen oft das, was für Männer das Auto ist, und das steckt an. Da muss man mitziehen. In Berlin sieht man Areale, wo all die Vorgärten aufgegeben wurden, bei uns dagegen läuft ein erbitterter Wettstreit um die Blumenpracht, und am Tegernsee ist man ohne Geranienwasserfall, seien wir ehrlich, ein Asozialer. Der falsche Garten kann zur Diskriminierung führen. Verachtung für alle, die Gitter mit Bruchsteinen füllen lassen, und das eine Wand nennen. Wie es geht, was man machen kann, mal englisch, mal asiatisch, mal mediterran, immer mit der Mode, kann man sich hier anschauen, in der Freiluftlandlust, und mitnehmen, soweit das Auto Platz hat. Und man dafür im Garten nicht allzu viel entfernen muss. Wer hier einkauft, hat meist einen grossen Garten, aber der ist immer zu klein - ein Wunder des Raum-Zeit-Kontinuums.
Ich jedoch wollte nur Salbei.
Denn ich habe mit dem Salbei vom Wochenmarkt eine schwere Niederlage erlitten: Meine Tomaten erröten und mein Rosmarin duftet, der Basilikum wuchert und die Pepperoni recken sich wie perverse, moreske (kreuzigt ihn) Spielzeuge - aber beide Salbeiarten gingen mir ein. Das ist mir eigentlich noch nie passiert, Salbei pflegt bei mir zu wachsen, zu spriessen und grosse Töpfe zu vernaschen. Diesmal nicht, diesmal verwelkten zwei Spezies nebeneinander. Und das bei meinem grünen Daumen. Ich verstehe es nicht, aber ich lasse mich auch nicht entmutigen, und hier haben sie im Aussenbereich viele Arten. Wo man sie aber kaufen kann, da ist eine Busladung alter Damen durchmarodiert, da ist kaum mehr etwas. Dafür sehe ich, rieche ich zuerst das hier.
Wenn ich nach Italien fahre, gibt es einige Orte des Ankommens: Die Ellbögenstrecke hoch zum Brenner. Sterzing. Der Jaufenpass. Die Salurner Klause. Der Blick hinuter nach Torbole. Und dann Punto San Vigilio, wo ich immer anhalte und von der Strasse auf den Gardasee und das flach werdende Land der Poebene blicke. Dort wächst eine wilde Feige von unten hoch, und die riecht, die riecht genau so. Das ist der Geruch des Ankommens, heiss, süss, ein klein wenig überreif, und ausserdem hatten sie da welche in Gross und in Klein und ich konnte mich nicht entscheiden. Solange schaute ich also, was sie sonst noch in der Mittelmeerecke so hatten.
Granatäpfel. Sagen wir es nal so: Die sind immer auf den Stillleben und passen daher blendend auf meinen Dachgarten, und ausserdem sind die so putzig und gar nicht teuer, also, die sollte man auf jeden Fall mitnehmen, und überwintern können sie dann bei meinen Eltern, sagen dieselben, denn der Keller ist gross. Das ist eigentlich ein schöner Feigenersatz, und entbindet von Problem, sich zwischen einem Feigenbaum (1,30 Meter hoch) und einem Feigenbusch (0,40 Meter hoch) zu entscheiden. Und als Zusatz noch ein kleiner Zitrusbusch. Das reicht. Eigentlich. Andererseits, wenn man jetzt keine Feige nimmt, wo soll man dann eine herbekommen? Schwierig. Gross? Klein? Beide?
Beide. Und das alles, Feigen, Zitronen und Granatapfel mal zwei, denn es soll ja barock aussehen und symmertrisch sein. 20 m² ist die Dachterrasse gross, da geht schon was, da muss man sich nicht zurückhalten, sagen die Alten, und so pfeifen es die Jungen auf dem Weg zur Kasse. Ich habe Geld gespart, weil ich die Ränder der Terrasse nicht beplankt habe, das wird jetzt durchgebrannt. Hoffentlich gibt das kein Salbeidebakel. Ernte ist im Herbst. Und wenn ich nicht da bin,müssen es die Mieter machen. Drei Stockwerke weiter unten arbeitet eine an einer grünen Hölle, die wird das tun. Bis es bei mir so aussieht, ist es noch weit hin. Keine Konkurrenz. Noch nicht.
Und auch keine Flamingos.
donalphons, 22:37h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Sonntag, 17. Juni 2012
30 Tage
So lang ist das erste Erdbeben in Italien jetzt her. Ich war dort und habe gesehen. Aber verstanden habe ich erst heute, als ich, einen Grana abliefernd und zuhörend, in der Kongregationskirche gegenüber im Konzert war und mir so dachte: Ist die Manschette des Hemdes weit genug sichtbar? Solche Luxusgedanken in einer Kirche muss man erst mal haben können. Ich habe Dutzende von Kirchen gesehen, alle zerstört, kaputt, gebrochen, Tauseende von Häusern und Zelten und Angst, so unendlich viel Angst. Und dann sitze ich wieder in einer Kirche, sie spielen Musik, die Menschen denken an nichts Besonderes, es ist eine offene Kirche, ohne Schäden und Trümmer, und irgendwie eine Sensation. Gleichzeitig aber auch die Erkenntnis, was da unten wirklich passiert ist.
Die neuen Bilder sind in einem anderen Ordner, sas Verdrängen geht schnell. das Verarbeiten wird gelingen, man kann das verstehen im Sinne von erklären, aber ich war dort: Begreifen kann man das trotzdem nicht.
Die neuen Bilder sind in einem anderen Ordner, sas Verdrängen geht schnell. das Verarbeiten wird gelingen, man kann das verstehen im Sinne von erklären, aber ich war dort: Begreifen kann man das trotzdem nicht.
donalphons, 18:35h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Donnerstag, 14. Juni 2012
Madonna della Corona
Das ist einer dieser Orte, wenn man ihn sieht, glaubt man zuerst an eine optische Täuschung.
Menschen können sehr seltsame Dinge tun, wenn sie an etwas wirklich glauben.
Menschen können sehr seltsame Dinge tun, wenn sie an etwas wirklich glauben.
donalphons, 00:53h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Dienstag, 12. Juni 2012
Noch einmal nach Mantua
Es war von Anfang an klar: Diesmal würde ich keine Wochen und Monate dort verbringen. Diesmal war ich offiziell dort, mit Reiseantrag und Unterschrift und Lieferbedingungen, es war beruflich. Es ist ein seltsames Gefühl, die Region, die in den letzten Jahren meine dritte Heimat wurde, mit allem, was dazu gehört, Rituale, eine Wohnung, Räder in der Garage und Bekannten, plötzlich wieder als Reporter zu bereisen. Aber das löst sich dann auch irgendwie, denn Mantua ist zu schön.
Genau genommen: Alles zusammen in meinen Augen die schönste Stadt, die ich kenne. Natürlich gibt es auch hier Nachteile, und ich bin nicht blind für die Probleme, aber den perfekten Ort gibt es nicht. Mantua gibt mir aber rundum ein gutes Gefühl, in den Monaten, da ich dort lebe.
Und sie tun alles, um das Elend des Terremoto zu überdecken, zu kaschieren, es abzuwaschen und zu vergessen. Mantua ist eine sehr lebensfrohe Stadt. Also machen sie weiter.
Sie machen die Stadt sauber und wischen den Staub weg, der aus den Gebäuden gerieselt ist.
Und plötzlich, nach Jahrzehnten, passiert auch auf der Rückseite des Rathauses etwas. Sofort. Wer hätte das nach all der Zeit gedacht?
So gross ist das Vertrauen, dass sie nun wieder vor dem gebrochenen Turm an der Piazza Mantegna stehen, als wären die Gitter bedeutungslos.
Die Mauer dort gilt als baufällig, aber die Gitter stehen nah dran, was soll da schon passieren. Der Schock, als man hier alles zur Zona Rossa erklärte, ist weg.
Und bald darauf das Gitter auch. Jemand hat es weggebracht. Die Risse des Erdbebens sehen auch so aus, als wären sie schon seit jeher in der Wand.
Auch der Kreis der reichen, alten Damen ist wieder in der Bar Venezia, als wären sie niemals weggeblieben. Es geht wieder um die wirklich wichtigen Dinge des Daseins, um Ehen, Kinder, Todesfälle.
Mein Lieblingsstrassenmusikant ist unüberhörbar wieder da, und schrammelt, wie immer bestens gelaunt, Lieder der Sehnsucht über die Plätze.
Und unausrottbar wie das Unkraut und bewehrt mit Ponadersandalen aus jenem Gummi, aus denen er ansonsten Panzerketten macht, der bildungshungrige deutsche Tourist, unbeirrt wie ein Panzer IV in Schönheit nach jenem Stil suchend, für den er erst mal Schuhe kaufen gehen sollte.
Nur manchmal trifft es einen wieder, dieses Entsetzen. Der Wochenmarkt am Donnerstag fällt aus, und wo früher Frauen diese pervers hohen Schuhe kauften, ist immer noch alles gesperrt, und wird es lange bleiben.
Aber es gibt ja auch Alternativen, wohlbekannte, beste und oft beschriebene Häuser, wo sie inzwischen wieder die CD mit den Italohits der 60er Jahre laufen lassen, und mitsummen.
Also setze auch ich mich hin, denke nicht mehr an die Zona Rossa, nütze den Augenblick und bestelle, was ich immer bestelle. Das hier ist die Kantine, die ich in meinem Berufsleben haben will.
Auf dem Weg zum Schuherwerb - was wäre Italien ohne neue Schuhe - komme ich noch an jenem barocken Palazzo vorbei, schaue mir den Stuck an und sage mir: So ist das. Unten rumoren die Drachen in der Erde und drohen alles zu zerstören, aber darüber werden Füllhörner des Lebens ausgeschüttet. Das ist es. So ist dieses Land. Schon immer gewesen. Man muss es nehmen, wie es ist.
Dann radle ich heim, räume meine Wohnung auf, verstaue das Rad in der Garage, packe nicht allzu viel ein, wozu, ich bin ohnehin bald wieder hier, und mache mich auf den Weg, entlang der üblichen Route, und überwältigt von der Schönheit des Landes.
Spät komme ich heim, öffne ein Paket, koche noch, setze mich an den Rechner und lese Liebensgrüsse von den Drachen:
#terremoto Ml:4.3 2012-06-12 01:48:36 UTC Lat=44.88 Lon=10.89 Prof=10.8Km Prov=MANTOVA,REGGIO EMILIA,MODENA
von Novi di Modena, Modena
Ich möchte gerne zurück. Aber niemals mehr aus so einem Grund.
Genau genommen: Alles zusammen in meinen Augen die schönste Stadt, die ich kenne. Natürlich gibt es auch hier Nachteile, und ich bin nicht blind für die Probleme, aber den perfekten Ort gibt es nicht. Mantua gibt mir aber rundum ein gutes Gefühl, in den Monaten, da ich dort lebe.
Und sie tun alles, um das Elend des Terremoto zu überdecken, zu kaschieren, es abzuwaschen und zu vergessen. Mantua ist eine sehr lebensfrohe Stadt. Also machen sie weiter.
Sie machen die Stadt sauber und wischen den Staub weg, der aus den Gebäuden gerieselt ist.
Und plötzlich, nach Jahrzehnten, passiert auch auf der Rückseite des Rathauses etwas. Sofort. Wer hätte das nach all der Zeit gedacht?
So gross ist das Vertrauen, dass sie nun wieder vor dem gebrochenen Turm an der Piazza Mantegna stehen, als wären die Gitter bedeutungslos.
Die Mauer dort gilt als baufällig, aber die Gitter stehen nah dran, was soll da schon passieren. Der Schock, als man hier alles zur Zona Rossa erklärte, ist weg.
Und bald darauf das Gitter auch. Jemand hat es weggebracht. Die Risse des Erdbebens sehen auch so aus, als wären sie schon seit jeher in der Wand.
Auch der Kreis der reichen, alten Damen ist wieder in der Bar Venezia, als wären sie niemals weggeblieben. Es geht wieder um die wirklich wichtigen Dinge des Daseins, um Ehen, Kinder, Todesfälle.
Mein Lieblingsstrassenmusikant ist unüberhörbar wieder da, und schrammelt, wie immer bestens gelaunt, Lieder der Sehnsucht über die Plätze.
Und unausrottbar wie das Unkraut und bewehrt mit Ponadersandalen aus jenem Gummi, aus denen er ansonsten Panzerketten macht, der bildungshungrige deutsche Tourist, unbeirrt wie ein Panzer IV in Schönheit nach jenem Stil suchend, für den er erst mal Schuhe kaufen gehen sollte.
Nur manchmal trifft es einen wieder, dieses Entsetzen. Der Wochenmarkt am Donnerstag fällt aus, und wo früher Frauen diese pervers hohen Schuhe kauften, ist immer noch alles gesperrt, und wird es lange bleiben.
Aber es gibt ja auch Alternativen, wohlbekannte, beste und oft beschriebene Häuser, wo sie inzwischen wieder die CD mit den Italohits der 60er Jahre laufen lassen, und mitsummen.
Also setze auch ich mich hin, denke nicht mehr an die Zona Rossa, nütze den Augenblick und bestelle, was ich immer bestelle. Das hier ist die Kantine, die ich in meinem Berufsleben haben will.
Auf dem Weg zum Schuherwerb - was wäre Italien ohne neue Schuhe - komme ich noch an jenem barocken Palazzo vorbei, schaue mir den Stuck an und sage mir: So ist das. Unten rumoren die Drachen in der Erde und drohen alles zu zerstören, aber darüber werden Füllhörner des Lebens ausgeschüttet. Das ist es. So ist dieses Land. Schon immer gewesen. Man muss es nehmen, wie es ist.
Dann radle ich heim, räume meine Wohnung auf, verstaue das Rad in der Garage, packe nicht allzu viel ein, wozu, ich bin ohnehin bald wieder hier, und mache mich auf den Weg, entlang der üblichen Route, und überwältigt von der Schönheit des Landes.
Spät komme ich heim, öffne ein Paket, koche noch, setze mich an den Rechner und lese Liebensgrüsse von den Drachen:
#terremoto Ml:4.3 2012-06-12 01:48:36 UTC Lat=44.88 Lon=10.89 Prof=10.8Km Prov=MANTOVA,REGGIO EMILIA,MODENA
von Novi di Modena, Modena
Ich möchte gerne zurück. Aber niemals mehr aus so einem Grund.
donalphons, 13:19h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Montag, 11. Juni 2012
Einmal um Mirandola herum
Noch einmal wollen wir nach Süden fahren. Dorthin, wo nicht nur ein paar Häuser, sondern eine ganze Stadt gesperrt ist.
Mirandola liegt auf dieser Karte hier genau dort, wo die drei Sterne so nah zusammen sind. Entsprechend wird man schon am Ortseingang begrüsst.
Und machen wir es wie die ehemaligen Bewohner, die hier in den Camps sind. Gehen wir einmal um die gesperrte Altstadt herum und schauen.
Hier geht es zum Corso, der guten Stube der Stadt, wo man sieht und gesehen wird. Das geht jetzt natürlich nicht, aber es sind wenigstens Stühle da, damit man betrachten kann, wie sich der Katastrophenschutz durch die Zona Rossa bewegt.
Daneben steht das Pestkirchlein, zum Dank für die Verschonung von der Seuche errichtet. Noch. Ich glaube nicht, dass man es wird retten können.
Und jetzt - es kommen noch viele Bilder - bitte weiter in den Kommentaren.
Mirandola liegt auf dieser Karte hier genau dort, wo die drei Sterne so nah zusammen sind. Entsprechend wird man schon am Ortseingang begrüsst.
Und machen wir es wie die ehemaligen Bewohner, die hier in den Camps sind. Gehen wir einmal um die gesperrte Altstadt herum und schauen.
Hier geht es zum Corso, der guten Stube der Stadt, wo man sieht und gesehen wird. Das geht jetzt natürlich nicht, aber es sind wenigstens Stühle da, damit man betrachten kann, wie sich der Katastrophenschutz durch die Zona Rossa bewegt.
Daneben steht das Pestkirchlein, zum Dank für die Verschonung von der Seuche errichtet. Noch. Ich glaube nicht, dass man es wird retten können.
Und jetzt - es kommen noch viele Bilder - bitte weiter in den Kommentaren.
donalphons, 01:06h
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Assolutamente
Halt! Stehenbleiben! Sind Sie wahnsinnig? Da sind Risse im Torbogen, dahinter sind zwei Türme und eine ganze Kirche schwer beschädigt!
Absolut kein Zutritt für niemanden! Assolutamente! Auch auf Englisch! Keine Ausnahmen, nichts da.
Und damit auch jeder weiss, wie ernst uns das ist, haben wir schwere Barrieren aus Eisen aufgebaut, die für jeden Vierjährigen fast unüberwindlich sind, wenn er gefesselt ist, und rotweisse Bänder daran geknotet. Doppelt!
Auf der einen Seite. Auf der anderen sind die Angestellten raus, von 12 bis 4 ist Mittagspause, und das Neuverknoten ist zu viel Arbeit, wo es doch assolutamente verboten ist, das hier zu betreten.
Ja, so ist das hier bei uns im Weltkulturerbe. Wir kümmern uns, wir nehmen das ernst. Und vielleicht in vier oder fünf Jahren, wer weiss
ist der Taubendreckhaufen auch so gross geworden, dass er von selbst vom Eingang zu einem der schönsten Innenhöfe Italiens assolutamente herunterfällt. Wozu sich jetzt schon damit abtun?
Absolut kein Zutritt für niemanden! Assolutamente! Auch auf Englisch! Keine Ausnahmen, nichts da.
Und damit auch jeder weiss, wie ernst uns das ist, haben wir schwere Barrieren aus Eisen aufgebaut, die für jeden Vierjährigen fast unüberwindlich sind, wenn er gefesselt ist, und rotweisse Bänder daran geknotet. Doppelt!
Auf der einen Seite. Auf der anderen sind die Angestellten raus, von 12 bis 4 ist Mittagspause, und das Neuverknoten ist zu viel Arbeit, wo es doch assolutamente verboten ist, das hier zu betreten.
Ja, so ist das hier bei uns im Weltkulturerbe. Wir kümmern uns, wir nehmen das ernst. Und vielleicht in vier oder fünf Jahren, wer weiss
ist der Taubendreckhaufen auch so gross geworden, dass er von selbst vom Eingang zu einem der schönsten Innenhöfe Italiens assolutamente herunterfällt. Wozu sich jetzt schon damit abtun?
donalphons, 15:49h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Sonntag, 10. Juni 2012
Der sichere Hafen
Mantua und die Erdbebenregion, das ist so wie Jaffa und Gaza. Unten ist es schlimm und oben badet man in Zufriedenheit, mit dem Gefühl, sich das verdient zu haben. Forneria delle Erbe, Abulafia Bakery, Bar Venezia, Andromeda Hill.
donalphons, 01:31h
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Preisstabil seit dem 29. Mai.
Hotel International, Quistello, Mantova.
Das erste Haus am Platz. Sauber und gerade in jeder einzelnen Fensterachse von oben nach unten gebrochen.
Als wäre es in eine Brotschneidemaschine gekommen.
Mal scheint es, als gäbe die Erde Ruhe, aber dann zittert sie in der Zone wieder viermal in einer Stunde.
Das erste Haus am Platz. Sauber und gerade in jeder einzelnen Fensterachse von oben nach unten gebrochen.
Als wäre es in eine Brotschneidemaschine gekommen.
Mal scheint es, als gäbe die Erde Ruhe, aber dann zittert sie in der Zone wieder viermal in einer Stunde.
donalphons, 01:26h
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Und die Kapellen
Von den über 100 schwer beschädigten Kirchen wird man mindestens 14 abreissen müssen, sofern da noch etwas zum abreissen da ist. Die Franziskanerkirche In Mirandola, die 1943er Neorenaissancekirche in Mirabello, und eigentlich will ich mich auch gar nicht an den Spekulationen beteiligen. ich war bei einer Kirche auf dem Land, die sieht gar nicht so schlimm aus, aber es wird einfach kein Geld da sein. Pfarrer gibt es schon lange keinen mehr, Messen alle paar Wochen mal. Aber Schlimmer sind solche Fälle:
Das Oratorio San Venerio in Reggiolo steht für all die anderen Kapellen in der Landschaft. Die hier ist an der alten Strasse von Gonzaga am Po Richtung Süden und weiter nach Reggio und Rom; und man darf wohl vermuten, dass hier im Mittelalter der Friedhof der Siedlung war. In dieser Lage gehört das Kirchlein zwingend zur Kirchenausstattung des Ortes. Zumal San Venorio auch der Schutzpatron des Ortes ist; mit ziemlicher Sicherheit war hier die erste Kirche, bis man später im Ort selbst jene Pfarrkirche baute, die auch schwer beschädigt ist. Und weitere Kapellen an den Ortsrändern.
Aber der romanische Campanile der Kapelle, der zu einer sehr viel älteren Kirche gehört, kennzeichnet das frühe Bauen in diesem Ort. Diese Kapelle, mag sie auch im Rokoko neu errichtet worden sein, muss hier stehen, hier beginnt die Geschichte, hier ist der Ort verankert, und die Geschichte sollte nicht nach 800 Jahren zu Ende gehen. Aber zugleich ahnt man: Das wird eine teure Sache werden.
Und in Reggiolo schaut es schlimm, sehr schlimm aus. Die Jugensdstilvillen, das Theater, das Rathaus, die ganze Innenstadt ist Zona Rossa. Das Landhaus gegenüber der Kapelle braucht ein neues Dach. Wer soll sich da um so ein Gebäude ohne Funktion kümmern?
Ich weiss, warum man das tun sollte, aber das wird die Menschen nicht sonderlich anrühren. Es ist verständlich. Aber das ist das Drama, das gerade passiert, auf 2400 Quadratkilometern. Die, wenn nicht schnell etwas passiert, in 10 Jahren viel, so viel verloren haben werden.
Das Oratorio San Venerio in Reggiolo steht für all die anderen Kapellen in der Landschaft. Die hier ist an der alten Strasse von Gonzaga am Po Richtung Süden und weiter nach Reggio und Rom; und man darf wohl vermuten, dass hier im Mittelalter der Friedhof der Siedlung war. In dieser Lage gehört das Kirchlein zwingend zur Kirchenausstattung des Ortes. Zumal San Venorio auch der Schutzpatron des Ortes ist; mit ziemlicher Sicherheit war hier die erste Kirche, bis man später im Ort selbst jene Pfarrkirche baute, die auch schwer beschädigt ist. Und weitere Kapellen an den Ortsrändern.
Aber der romanische Campanile der Kapelle, der zu einer sehr viel älteren Kirche gehört, kennzeichnet das frühe Bauen in diesem Ort. Diese Kapelle, mag sie auch im Rokoko neu errichtet worden sein, muss hier stehen, hier beginnt die Geschichte, hier ist der Ort verankert, und die Geschichte sollte nicht nach 800 Jahren zu Ende gehen. Aber zugleich ahnt man: Das wird eine teure Sache werden.
Und in Reggiolo schaut es schlimm, sehr schlimm aus. Die Jugensdstilvillen, das Theater, das Rathaus, die ganze Innenstadt ist Zona Rossa. Das Landhaus gegenüber der Kapelle braucht ein neues Dach. Wer soll sich da um so ein Gebäude ohne Funktion kümmern?
Ich weiss, warum man das tun sollte, aber das wird die Menschen nicht sonderlich anrühren. Es ist verständlich. Aber das ist das Drama, das gerade passiert, auf 2400 Quadratkilometern. Die, wenn nicht schnell etwas passiert, in 10 Jahren viel, so viel verloren haben werden.
donalphons, 01:22h
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Freitag, 8. Juni 2012
Die Putztruppe
Und plötzlich ist viel Polizei da. Leute mit offiziellen Ansteckern und Funkgeräten und Schuhen, wie man sie hier nicht tragen kann. Nicht von hier. Zu gut angezogen. Die Lieferwägen zu neu und glänzend. Die Leute von hier sind alle aus den Wohnungen gezwungen worden, und jetzt im Lager, nur mit ein paar Koffern. Die sehen nach zwei Wochen Camp nicht mehr so aus. Sie würden in der absolute verbotenen Zone auch keine weissen Hemden tragen. Die ganze Stadt ist leer. Keiner mehr da, ausser den Tieren. Die neuen Leute teilen Teams ein, befehlen, verteilen Aufgaben, klären eine Route durch die tote Stadt. gehen rein, und machen sie hübsch, säubern die Steinhaufen. TV-Teams bringen sich in Stellung. Der Präsident kommt, und seine Leute sind schon am Abend vorher fertig. Mirandolo ist tot, aber sauber, der Dreck davor wird noch verstaut und weggebracht. Dann kann der Präsident kommen.
In den Camps sagen sie, es hätte halt gedauert, bis die Teams geplant hätten, wie die Bilder aussehen sollten. Die Hiesigen sind noch entsetzt, aber auch schon misstrauisch. Sie haben gesehen, wie die kamerateams gingen, und jetzt wieder kommen, aber nicht wegen ihnen und ihrer Geschichten. Die Putztruppen haben neue Schilder dabei, auf denen steht, dass die Stadt auferstehen wird. Es soll wirken, als hätten es die Hiesigen gemacht, aber die Hiesigen haben nicht mal neues Band, um ihre Läden abzusperren. Die Putztruppe macht einfach, was und wo sie will. Die Putztruppe ist der Herrscher der Stadt. Alle anderen sind im Lager.
Immer öfter höre ich das Wort. Jetzt, da sie wissen, dss sie den ganzen heissen Sommer im Lager sein werden, weil es einfach nicht anders geht, wenn sie nicht weg können, taucht es auf. L'Aquila. Sie haben Angst, dass sie hier zwischen den Schnellstrassen und Bahnstrecken zu den reichen Städten in den fünf, sechs am schlimmsten betroffenen Orten einfach vergessen werden. So viel wäre zu tun. Aber die Putztruppe hat allein schon zwei Wochen gebraucht, die Stadt nur für den Durchmarsch des Präsidenten und der Regionalpoloitiker zu sichern, die man in den Lagern nicht oft sieht. Monti dagegen steht vor einem Misstrauensvotum und ist in Rom. Der Staat hat andere Sorgen, wegen Spanien und der Banken. L'Aquila, sagen sie hier, könnte das hier werden, wenn die Putztruppe weg ist, und nur das Plakat bleibt. In L'Aquila war es auch so.
In den Camps sagen sie, es hätte halt gedauert, bis die Teams geplant hätten, wie die Bilder aussehen sollten. Die Hiesigen sind noch entsetzt, aber auch schon misstrauisch. Sie haben gesehen, wie die kamerateams gingen, und jetzt wieder kommen, aber nicht wegen ihnen und ihrer Geschichten. Die Putztruppen haben neue Schilder dabei, auf denen steht, dass die Stadt auferstehen wird. Es soll wirken, als hätten es die Hiesigen gemacht, aber die Hiesigen haben nicht mal neues Band, um ihre Läden abzusperren. Die Putztruppe macht einfach, was und wo sie will. Die Putztruppe ist der Herrscher der Stadt. Alle anderen sind im Lager.
Immer öfter höre ich das Wort. Jetzt, da sie wissen, dss sie den ganzen heissen Sommer im Lager sein werden, weil es einfach nicht anders geht, wenn sie nicht weg können, taucht es auf. L'Aquila. Sie haben Angst, dass sie hier zwischen den Schnellstrassen und Bahnstrecken zu den reichen Städten in den fünf, sechs am schlimmsten betroffenen Orten einfach vergessen werden. So viel wäre zu tun. Aber die Putztruppe hat allein schon zwei Wochen gebraucht, die Stadt nur für den Durchmarsch des Präsidenten und der Regionalpoloitiker zu sichern, die man in den Lagern nicht oft sieht. Monti dagegen steht vor einem Misstrauensvotum und ist in Rom. Der Staat hat andere Sorgen, wegen Spanien und der Banken. L'Aquila, sagen sie hier, könnte das hier werden, wenn die Putztruppe weg ist, und nur das Plakat bleibt. In L'Aquila war es auch so.
donalphons, 22:45h
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