: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 8. Juni 2012

Grotesk

Die meisten kennen das vielleicht. Das Telefon klingelt, man sieht die Nummer, und ahnt, dass die anrufende Person, die an sich durchaus gute Seiten und Qualitäten hat, nun mal ihre miese Laune rauslassen möchte. Ganz grosses Theater.



Natürlich geht man trotzdem ran, immer diese dummen Vorahnungen, eigentlich ist sie ja gar nicht so - und dann ist es prompt schlimmer. Irgendwas passt nicht, irgendwo ist der Wurm drin, und das ist die Gelegenheit, jetzt mal richtig aufzudrehen. Hier weiss sie, dass sie es kann, am anderen Ende ist ja ein netter, höflicher Mensch.



Und man denkt dann so bei sich: Ein Ausweg muss her. Ich packe dieses Gekreiche nicht mehr. Manchmal ist es noch übler, da gibt es keinen Auswegm die schlechte Laune ist nicht nur am Telefon, sondern auch in Persona m Anmarsch. Das ist dann doppelt schlecht. Man weiss, was kommen wird, aber so ist es halt. Und mit so einem Gefühl bin ich nach Quingentole gefahren. Ich wusste, was ich sehen würde.



Ein Jahr harte Arbeit, ehrenamtlich, freiwillig, mit dem Ziel, Kultur in die Provinz zu bekommen, zerstört. Da hilft keine Kirchenkollekte und kein Sponsor, das ist nun mal so, wie es ist, und schlimmer. Sicher, das Theater ist faschistisch im Stil, aber gut erhalten, mal von der Bühne abgesehen, und sie wollten nette Dinge tun.



Die Betroffenen sind erfreulicherweise aber gar nicht so wie das, das ab und zu angerufen hat, um Tage zu ruinieren mit schlechter Laune. Sie sind optimistisch und kämpferisch und machen weiter, und fast schäme ich mich, weil ich, nun, ich könnte auch anders, mich zwingt ja keiner, ich könnte genauso an den Gardasee, alle anderen werden vom Erdbeben unterjocht, ich bin freiwillig hier, ein Tourist der Katastrophe, den sie irgendwann wieder abziehen werden, und der nicht helfen kann, das alles aus dem Dreck zu ziehen. Aber ich kann schreiben.



Und dann sagt der Sindaco, ich sei ja interessiert an solchen Sachen. Ob ich vielleicht die Fresken von Giulio Romano sehen möchte? Die zeigen sie nicht dauernd her, das geht gar nicht, da müsste man noch viel machen, aber das hier ist nicht nur das Rathaus, sondern auch die Villa, die sie zum Palazzo del Te dazu hatten, auch von Giulo Romano ausgemalt, weiss nur keiner, oder nur wenige, und wenn ich will - natürlich will ich. Ich habe mit dem Schlimmsten gerechnet, es war vielleicht noch etwas schlimmer als gedacht, und dann diese Überraschung.



















Es mag seltsam klingen, dieser Tag war, Kilometer für Kilometer, als würde mir jemand einen schweren Gegenstand auf den Kopf schlagen. Ich habe 1500 Bilder, davon herzeigen würde ich vielleicht die Hälfte, die andere, bedaure, ich will nicht, dass man dieses Land so sieht. Es ist schon schlimm genug. Aber dort oben, allein, bei den tanzenden Nymphen und Faunen, das war vielleicht auch der schönste Tag des Jahres. Trotz allem. Weil der Tag schlimmer war, als ich es mir vorstellen konnte, und doch so viel schöner, als ich je geahnt hätte.

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Donnerstag, 7. Juni 2012

Neueste illustrierte Nachrichten aus Mantua

+++ Trotz politischer Einflussnahme: Der Palazzo Ducale bleibt vorerst geschlossen. Este deutsche Touristen müssen woanders Haltungsschäden beweisen +++



+++ Aufgrund des verringerten Besucheraufkommens: Zum ersten Mal seit 1486 ist hinter der Piazza delle Erbe Zeit, die Lüftung zu entfetten +++



+++ Nach Verlust der alten Quelle: Der Zeitungsstand unter den Arkaden hat sogar mitunter die FAZ wieder im Angebot - Mittagspause gerettet +++



+++ Schulfrei: Weil die Kinder besser im öffentlichen Raum als in den maroden Schulen sind, haben die grossen Ferien begonnen. Mantua voller Jugend zu ungewöhnlichen Zeiten +++







+++ Und die gute Nachricht zum Schluss: In der Bar Venezia wieder durchgängig Porzellan, kein Einweggeschirr bei Panini mehr. dafür Zierrucola. +++

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Der Marmor hat gehalten

Aber der Stein bricht. Baujahr 1902.



Nicht erhaltenswert.

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Angst und Trauma

Ich würde es vielleicht so sagen: Zum Trauma ist noch viel Platz. Ich sehe hier jeden Tag haufenweise traumatisierte Menschen, Mantua klingt anders als San Benedetto, Quistello, wo sie die Sandgeysire in den Häusern hatten, klingt dann schon fertig und Finale Emilia oder Mirandello, wo die ganzen Stadtzenren zu sind, sind so still und leise, wie ich mit Buxtehude vorstelle. Ich gehe da rein, gehe so nah ran wie möglich, und gehe wieder raus, und fahre heim nach Mantua, dieses rot geschleifte, lebenspralle Geschenk von einer Stadt, das so viel hervorbringt an Freude und Vergnügen.



Ich achte darauf, dass es mir nicht zu viel wird. Manche, und man kann es ihnen nicht verdenken, sind hysterisch und nicht mehr rational, aber das wäre ich auch nicht, wenn ich mich für 30 Jahre verschuldet hätt, um ein Haus zu kaufen, für das ich mir eine Weile die Versicherung wegen la Crisi gespart habe. Da würde ich vielleicht auch Ideen haben wie "Ich bleibe hier und wenn was passiert, kann ich ja was machen". Wer sich hier umschaut weiss, dass man gar nichts machen kann: Da, wo ich heute war, stehen drei identische Villen nebeneinander, alle drei bestens saniert, zwei stehen und bei einer hat es die Fiundamente zerrissen. Totalschaden. Oben ist sie intakt, aber aus dem Souterrain kotzt der Keller die Steine. Da ist man machtlos. Aber eben auch traumatisiert. Ich steige ins Auto und fahre in die sichere Zone. Nicht mein Haus, nicht meine Nachbarn, wenn es hochkommt, Drittwohnsitz, drei Monate im Jahr. Hier wackelt vielleicht mal die Lampe, das ist aber auch schon alles.



Aber es ist kein Thema, das man einfach mal so nebenbei macht. Ich bin heute wo reingekommen, wo man nicht rein darf, nicht wegen der Gefahr, sondern weil es Bereiche gibt, bei denen kein Text mehr etwas ändern kann, und ich war froh, nicht allein zu sein; danach ist es gut, wenn man mit jemandem reden kann. Es ist Sommer. Es ist Italien. Es ist das schönste Land der Welt, aber Tag für Tag fahre ich in die Zona Rossa, weil ich weiss: Jetzt irgendwohin fahren, wo es einfach nur schön ist, wäre emotional höchst belastend. Man kann den Dämonen nicht davonlaufen, so, wie die Leute von Quistello dem Schwanz des Teufels, das ist der Betoncamapanile, der zu fallen droht, nicht entgehen können.



Die anderen Türme brechen ein wie das World Trade Center, sie zerbersten beim Umfallen und gehen senkrecht in den Boden. Der Turm von Quistello ist massiv, aus Stahlbeton, und hat das Beben gut überstanden. Aber dort, wo er über seine zu schwache Fundamentierung hinfallen wird, ist die Schule und vieles andere, was die Gemeinde sehr viel Geld kosten wird. Und sie müssen damit leben, jeden Tag, jede Stunde, vielleicht kommt ein Beben, vielleicht sacken auch die Fundamente durch, einfach so, weil hier Sand im Boden ist, und den hat das Beben herausgedrückt. Der Turm ist ein bleibendes Trauma. Ich fahre weg. Mit der Angst werde ich schon fertig.



Und deshalb kann ich am nächsten Tag auch wieder rein.

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Mittwoch, 6. Juni 2012

Die Freude des Don Albino

"Das Glück des Don Albino" wäre der Titel des Beitrags gewesen, der heute in der FAZ steht, aber das war vermutlich zu wenig deutlich; ich mag aber nun mal solche Überschriften, selbst wenn es diesmal darum geht, dass Don Albino knapp von einem Brocken verfehlt wurde.



Hier jedoch nun die Freude des Don Albino, denn ich war an diesem Lichten und dennoch gefühlt schwarzen Tag nochmal in San Benedetto und habe zugeschaut, wie es so läuft - und man wird die Laterne retten können, zumal gestern ja auch genug Zeit ohne Beben war. Meine Hochachtung vor den Männern im Ausguck, die in Zeiten wie diesen - wer weiss schon, wann das nächste Beben kommt - in so eine Gondel steigen.













Der Campanile ist nochmal ein anderes Problem, der Riss geht senkrecht durch die Südfront und ist eine schwere Bedrohung. Immerhin weiss man, dass, wenn er fällt, er den Abtpalast zertrümmern wird, denn beim nächsten grossen Beben platzt die Südfront auf. Nessun Danno halt.

(Und natürlich war auch hier ausser mir keiner da. Es gibt keine guten und keine schlechten Geschichten mehr, sondern nur noch gar keine. Es ist auch nicht so, dass man da nicht hinkommt. Man hat niemanden vor Ort.)

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Nessun Danno

Keine neuen Schäden.


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Der grosse Mund des Ministers

Das Erdbeben gestern so, von 11 bis 23 Uhr: Dzzzzzzz.....

Der Minister gestern im Radio so: Das Beben betrifft nur eine begrenzte Region, die Strände sind gar nicht betroffen, die bekannten Sehenswürdigkeiten sind offen. Überhaupt kein Problem. Alles unter Kontrolle.

Das Erdbeben gerade eben so: #terremoto Ml:4.5 2012-06-06 04:08:31 UTC Lat=44.43 Lon=12.35 Prof=25.6Km Prov=Northern Italy
von Ravenna, Emilia Romagna

Ich bin davon aufgewacht, und ich nehme mal an, dass direkt in der Region, genannt der Teutonengrill, noch mehr los war. Das ist das erste Mal, dass es in Ravenna richtig bebt, und es bestätigt leider die These, dass diese ganz erstaunliche, fast völlige Ruhe gestern, diese fast selbst schon wieder gefährliche, plötzliche Abwesenheit von Beben, die sonst jede halbe Stunde kamen, nur ein Vorspiel für einen weiteren Druckaufbau waren.

Wie auch immer, und was ich eigentlich schreiben und zeigen wollte:

Kein Land für junge Menschen.

Nach dem Lachen. Moglia, Auffanglager



Das blaue Karussell, San Benedetto Po



Jetzt muss der Sohn ran, Pakistanis in Moglia



Der Kicker, Mirandello



Noteinkauf, Finale Emilia



Auch der Kinderspielplatz neben der Kirche ist gesperrt, nahe Quingentole



So ist das hier.

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Mittwoch, 6. Juni 2012

Kurz vor 8

Ich habe Durst.Ich erreiche einen Supermarkt, halte an und gehe dorthin, wo die Saftkartons stehen und kleben. Ich löse einen heraus, der noch recht intakt ist, und gehe zur Kasse. Auf dem Laufband hinterlässt der Karton einen klebrig-nassen Fleck, an einer Ecke leckt er dunkelorange, und das Mädchen an der Kasse schaut angewidert, als es ihn hochhebt. Der sei kaputt, sagt sie, ich sollte einen anderen holen. Ja, sage ich, die anderen sind aber auch kaputt, das ist der Beste. Sie sagt nichts, schiebt ihn über den Scanner, und ich zahle und gehe. Meine Schuhe pappen leicht bei jedem Schritt.

Ich bin in Finale Emilia. Ich habe so etwas noch nie gesehen.

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Officina Meccanica e Postprivazetta



Grossbild

Die Feuerwehr sagt, der Besitzer muss das Haus verlassen, aber er hat im Hof ein Zelt und weigert sich, zu gehen. Als wir reden, schaut er in eine andere Richtung, als er beschreibt, was passiert ist.

Ich habe heute von jemandem von der RAI gehört, dass ich hier wahrscheinlich der letzte ausländische Journalist in der Zona Rossa bin.

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Gold

Gold liegt an der Strasse nach Ferrrara. Pures Gold. Und es wird noch mehr Gold fallen.










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