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Freitag, 5. Juni 2009

Schafskälte

Mittagessen am See. Für Juni sehr dick eingepackt. Windig, sehr windig, aber das merkt man erst, wenn man eine Weile sitzt. Man sitzt lang, denn die Portionen sind gross. Trotzdem ist viel los, Urlaubszeit, man lässt sich den Spass nicht verbieten, ausserdem steht halb München auf dem Parkplatz, und leider auch Erding.



Gegenüber lernen Jugendliche das Segeln, das Aufriggen und das Verstecken, denn nicht alle haben Lust, ein paar Töchter sind den Kommandos entwischt und sitzen hinter der Bootshütte, das zu besprechen, was man in dem Alter und in diesen Kreisen so bespricht. Eine kenne ich, sie ist die Besitzerin eines Pferdes auf der Koppel hinter meinem Haus. Man muss eben alles mal probiert haben, auch wenn es keinen Spass macht. Am Abend reitet sie wieder.

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Sonntag, 15. Februar 2009

hare hare rama rama

Dinge, die Menschen in Ermangelung eines Herrgottwinkels, aber mit Zugang zu einem Möbeldiscounter in Tagen wie diesen zu tun pflegen:



Bäuerlicher Atheismus "Provencial" an frischer Goldbronzesauce "Indienne", kalt serviert hinter Silberlamellen, alles originalzutaten aus den besten Häusern Südchinas. Beehren Sie uns nächste Woche wieder, dann gibt es auf der Menora flambierte Davidsterne mit Hollywood- Kabbalah, und wem das zu viel Knoblauch enthält, kann natürlich auch klassischen Marienkitsch dazu bekommen. Alles garantiert abdeckbar, je nach Tageslaune. hare hare, is klar, Alter.

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Freitag, 23. Januar 2009

Alt

Ausgegangen. Unterhalten. Natürlich nicht abgelehnt, als Leute fragten, ob hier noch Platz wäre. Die Nichtigkeit ihrer Gespräche erduldet, die Einfallslosigkeit, das Verstummen, und dann das Lauschen. Das Einmischen. Du lieber Himmel, ich bin nicht kleinlich, man muss sich nicht mit knapper Verbeugung vorstellen, zumal das "mein Vater" ohnehin unverkennbar in eine bestimmte Richtung wies. Dieses Grosstun am anderen, nachdem das eigene Gespräch versandete. Die billige Provokation. Ich habe mir über das Wesen des bayerischen Abiturs nie dünkelhafte Illusionen gemacht, aber inzwischen müssen die auf dem Niveau von Bremen angekommen sein. Studiert natürlich an der Elitehochschule. Und kennt sich voll aus. Hat alles beim Praktikum bei einem Billigkaffeeröster gelernt. Er weiss das, sie haben das in seiner Gruppe mit Leuten von der WHU besprochen, die sehen das auch so. Ich gehe heim und kann mich des Wunsches nicht ganz enthalten, sein verkorxxxtes Ego beim VZ inklusive unfeiner Gruppen ... aber das wäre nicht nett.



Iris ruft nochmal an. Wir fühlen uns hübsch alt, mit unserer Verachtung aber gleichzeitig auch sehr jung, denn so alt wie die Dummheit sind wir dann doch nicht. Mein Eindruck, dass er sie angemacht hat, war richtig, offensichtlich, weil seine modisch gesträhnte Emmentalerpiercingbekanntschaft - Drängelnachwuchs gewollt östlicher Verortbarkeit, sie nennen es Jugendkultur - mit ihrer vernieteten Plastiktasche Prada nichts entgegen zu setzen hatte. Das kennen sie, darauf fahren sie ab. Natürlich langt man auch später, im hohen Alter noch daneben, man bleibt anfällig für Angebote, das wird unvermeidlich sein, aber das macht nicht jeden unter 30 zum unwiderstehlichen Adonis, schon gar nicht mit dem Suffadernrot im Gesicht. Wahrscheinlich brüllt er jetzt in der letzten Disco auf Ossinchen ein, die sich an ihrem Piercing zupft, oder Strähnchen zwirbelt, und glaubt, das sei die grosse Welt, mit dem Affen im Keller, der den Alten mal erklärt hat, was da so abgeht, in der Wirtschaft, und danach machen sie Wiedervereinigung von zu viel Aftershave und diesem muffligen Parfum, das sicher ein teures Geschenk war und dennoch hohl wie Äther nach einer kalten Nacht auf der vergeblichen Suche nach einem Taxi riecht.

Und der heilige Burnster ist auch schon hübsch alt.

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Mittwoch, 14. Januar 2009

Stützen der Gesellschaft

In der Regel muss es, wenn es soweit ist, sofort sein. Manchmal bin ich schon unterwegs, ohne überhaupt zu wissen, was und vor allem wer dort sein wird. Wenn mich mal einer fragt, wie ich damit klarkomme, sage ich, dass ich an den Herausforderungen wachse. Das klingt besser, als es ist. Es ist der Preis, den ich für den Rest zahle, es bewahrt den Status quo, und wenn ich Konflikte austragen muss, mache ich das eben. Es gibt Leute, die vor dem Nichts stehen, und andere, die damit rechnen, dass irgendwann die Gasheizung explodiert. Es ist immer eine ziemlich seltsame Atmosphäre, wenn ich zu solchen Terminen muss. Und nur selten ruft einer an und sagt, ich soll mir Zeit lassen. So wie heute.


(Grossbild)

Ich gehe hinunter zum See. Es ist ruhig, und ich habe das Glück, den Strand ganz für mich alleine zu haben. Am Strand ist es noch wärmer als auf dem Berg, viel zu hell und, angesichts der sonstigen Wetterberichte, nachgerade ungerecht. Als würde das Wetter die hohen Preise und die Abgeschlossenheit des Wohnungsmarktes rechtfertigen wollen, als gäbe es Lebensrabatte für die Stützen der Gesellschaft.

Natürlich ist dem nicht so, was hinter den Bergen wartet, ist das gleiche Elend wie überall sonst auch, Gier, falsche Ratschläge, und am Ende eine hohe Rechnung, weil es nicht genug war, weil es nie genug ist, weil man für den kleinsten Vorteil alles zu tun bereit ist. Unfassbar. Unfassbar blöd, das alles. Besonders erbost: Die das alles gemacht haben, um ihren Kindern die beste Ausbildung zahlen zu können. Wenn ich nicht so ausgeglichen, sonnendurchwirkt und zufrieden angekommen wäre, hätte ich vielleicht sogar etwas Doppeldeutiges gesagt.

Dann eben später, an einem anderen Ort.

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Freitag, 19. Dezember 2008

Für alle heimfahrenden Bayern, Schwaben,

und andere Exilanten, die dort bei den Eltern kein Internet haben:



Haut rein, was geht. Lasst nichts liegen. Esst alles auf. 2009 wird mager genug.

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Samstag, 6. Dezember 2008

Der Davoser Nerv

Disclosure: Ich habe zwei Winter in Berlin überlebt. Ich weiss, wovon ich rede.

Wir wissen, was das bedeutet: Winter in den grossen Städten. Manche von uns haben noch das Glück, in einer Stadt zu leben, deren sonstige Rahmenbedingungen angenehm sind; sei es die freundliche Natur der Menschen, Sauberkeit, Vermögen und eine gesunde, weise Verwaltung; manch andere bleiben allein mit Grau und Matsch in einer menschlichen Wüste, und andere mussten sogar Winter in Berlin überleben. Das einzige Positive, was uns dazu einfällt, ist die Leichtigkeit, mit der man in Berlin im Winter beischläft; einfach, weil es nichts Schlimmeres geben kann als eine einsame, kalte Februarnacht nach einem dunkelgrauen Tag in dieser schmutziggrauen Stadt unter bleigrauem Himmel, und dazu über Wochen die sibirische Kälte in den breiten Strassen, die alle Menschen alt, mürrisch und hässlich macht. Man muss irgendetwas tun, um dem zu entfliehen, und weil die Alternativen selten und teuer sind, gehen wir dort manchmal miteinander ins Bett.



Ziemlich oft jedoch sitzen wir einfach nur in der Küche, schauen dem Gegenüber beim Rauchen zu und kochen, nachdem wir dem Kühlschrank erheblich mehr als die verdorbene Zwiebel und die Medikamentendose, die wir dort vorfanden, hinzugefügt haben. Und erzählen, wie schön es wäre, jetzt nicht in Berlin zu sitzen und auch nicht auf den Bahamas, denn Kälte und Schnee braucht der Mensch, aber nicht so matschig und grau wie hier. Wir reden über die phänomenalen Frühstücksbuffets am Morgen in den Bergen, bevor es aus dem Schlosshotel hinausgeht zum Wintersport, das viele Essen und die Teesorten, aus denen wir wählen, das Dampfen des Kaffees, der in der Höhe wie ein Vulkan raucht, wenn die Sonne scheint und wir draussen sitzen können. Wir erzählen vom Phantomschmerz, nicht mehr mit unseren Eltern in die Berge fahren zu können, vom sternendurchwobenen Himmel über Chamonix, von den Auffahrten auf den Berg, während sich unten die Wolken in die Täler betten, als wären es plüschige Schafe. Und während sich das eintönige Grau von Horizont zu Horizont erstreckt, über der Wohnung der Person, für die wir nur kochen, glauben wir, dass irgendwo vielleicht die Sonne scheint, oder der Schnee die Tränen in die Augen treibt, wenn wir keine Brille im tosenden Unwetter tragen.



Wir erzählen, wie das ist, ohne den ganzen Outdoorkleidungskram aus Plastik und Hightech, so wie früher, mit dickem Leder und langen Socken, die Nässe und die Kälte direkt zu erleben und so auszusehen, als wären wir unser eigener Urgrossvater in seiner wilden Zeit, wir berichten vom derben Humor der Bergler, der direkt und ganz ohne diese verlogene Berliner Ironie ist, hier heisst die Steilkurve Geissalm-Reib´n, weil man von der Gravitationskraft in Eis, Schnee, Bretterwand und, wenn es ganz schlecht ausgeht, in die Tannen hineingerieben wird, als sei man ein Stück Appenzeller, der für die Tarte zerhobelt wird. Es gibt in unserer Erinnerung nicht nur die Weltmeisterstrecke in der Klamm, da ist der gefrorene Gebirgsee und der Gesang der Kufen auf dem Eis, es gibt schwarze Abfahrten, Buckelpisten und unberührten Neuschnee am Morgen, die letzte Abfahrt, wenn die Sonne längst verschwunden ist und der Himmel am östlichen Horizont dunkelblau wird, und unter den Stahlkanten der frierende Schnee knurrt, am Abend Überbackenes, Fettes, Schweres, die Stunden am Kachelofen, das Kerzenlicht, und der schwarze Schlaf voller Ruhe und Vergessen.



Es ist der Davoser Nerv, den wir da berühren, er schmerzt, und wir könnten ihn betäuben durch Frustkäufe der neuesten Elektronik und breiter Bildschirme, aber dazu müsste man raus in das nicht enden wollende Grau, das keine Nacht je zu erlösen scheint, oder Vergessen suchen in den bastardisierten Weihnachtsmärkten der Stadt, in denen man Eintritt verlangt und sich der Pöbel am Glühwein vorbesäuft, bevor es am Abend zur Molliparty geht. Wir könnten dort in China fabrizierte Erzgebirgskunst kaufen, oder schlechte Web2.0-Schokolade in billiger Verpackung bestellen, und es würde uns doch nur daran erinnern, welche internationalen Luxusmarken in Rottach für das gleiche Geld zu finden wären, Lexington zum Beispiel mit den besten Stoffen ihrer Weihnachtskollektion, die so grossherzig naiv sein kann, wie es Amerikaner in ihren besten Momenten nun mal sind. Die Schokolade würde uns nur an das kleine Häuschen von Eybel am Ufer des Sees vergegenwärtigen, das vollgepfropft ist mit echten Kostbarkeiten, die von Könnern gestaltet und gemischt sind, die genau wissen, was sie erschaffen, und was uns gefallen wird.

Wir reden und reden unter dem grauen Himmel und wollen eigentlich nur noch ins Bett, um am Körper des Gegenparts zu vergessen und die Wärme zu finden, die uns der Matsch und die Feuchtigkeit geraubt hat, und selbst dann schmerzt uns das Grau der Augen, das an die Welt da draussen erinnert, wir würden es lieben, wäre draussen ein Schneesturm oder das Funkeln der Brillianten am Firmament, wir könnten die Trinkschokolade im Bett löffeln, Bettwäschekataloge wälzen, vielleicht am Sonntag über den verschneiten Jaufenpass auf einen Kuchen nach Meran, und ganz ohne Hass sein auf den grauen Sarg, der noch Wochen alles Leben umfängt, so es sich nicht erlöst durch Selbstmord. Oder Wegzug.

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Samstag, 6. September 2008

1A Fleckvieh Premium Content

Liebe Stadtkinder, welches Fleckvieh passt nicht in diese Serie?











Alle Angaben ohne Gewähr. (Das leichte Nachgeben des Waldbodens, die vielschichtige Würze in der Luft, der Föhnwind, die Sonne, ach)

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Montag, 21. Juli 2008

Mechanik oder In die Art geschlagen

Beim Durchschauen alter Familienalben festgestellt: Die Neigung, sich mit benzingetriebenen Gefährten bildlich zu verewigen, gibt es bei unserer Familie seit 100 Jahren, hier etwa meine Grossmutter Anno 1948, mit Kleid, Brille und hohen Absätzen auf etwas Lautem, das man nur bedingt als damenhaft bezeichnen kann.
Ist doch nett, wenn man sich ans Auto lehnen und sagen kann: Das ist keine Angeberei, das ist nur die Familientradition.

Das ist auch der einzige Punkt, warum mich die Benzinpreise wirklich ärgern. Bekanntermassen halte ich weder veränderte Urlaubsgewohnheiten noch ein Ende der überflüssigen Mobilität für unerfreulich; ganz im Gegenteil, die Welt wurde in den letzten Dekaden doch etwas zu klein, und das beim Verlust von Heimat, Herkunft und Geschichte -oder glaubt jemand ernsthaft, dass Berlin-Mitte-Prekaristen den Raum haben, einen Meter Photoalben aufzuheben? Aber es sind diese Bilder, die weniger die Mobilität ausdrücken, als vielmehr die Möglichkeit, mobil zu sein. Wenn wir übereinkommen, dass die Seestücke der Niederländer Ausdruck der Kultur des 17. Jahrhunderts sind, und die Eisenbahnen die Ikone der Fortbewegung des 19. Jahrhunderts, müssen wir auch dem Auto, trotz allem, Umwelt, Gefahr, Raubbau, eine gewisse Kultur zusprechen.

Letzte Woche war ein Photograph hier, der nach guten Locations für ein medial verwendbares Bild suchte (falls Sie aktuell von Spon oder vom Spiegel kommen, genau, das Bild, schönen Tag übrigens). Nach all den Bildern im 408 Jahre alten Kollegiatsgebäude hätte es ihm gefallen, noch ein Bild mit einem alten Auto zu haben. Diese Blechkisten, die alten zumal ohne Katalysator und ABS, die keine fahrenden Computer sind und in denen man noch richtig starb, wenn man sich vor der Kurve verbremste, die reine, anfällige Mechanik, die wir sonst nur noch haben, wenn wir eine alte Uhr tragen, das alles übt einen enormen Reiz aus, weil es noch da war, weil man es noch kennt, aber gerade zu Ende geht und nie mehr kommen wird.

Ich musste letzte Woche schnell von Heidelberg zurück nach Bayern. Es war Nacht, und ich sass am Steuer eines modernen Sportwagens mit 270 PS, der stehenbleibt, wenn man den eingebauten Computer ausschaltet, und der erst mal booten muss. Es war schnell, gefahrlos und gestorben wird nur vor Langeweile. Eine Woche davor war ich mit der Barchetta - kein ESP, kein ABS - auf verwinkelten Bergstrassen hoch über dem Inntal, nie schneller als 80.



Das kleine Risiko, das man mit mechanischen Uhren eingeht - sie können stehen bleiben, und man versäumt die wichtigsten Termine des Lebens - ins Grosse übertragen, das lebt auf den holprigen Strassen, aber es fehlt bei der heutigen Mobilität vollkommen. Mechanik ist wie eine Droge, sie liefert bestenfalls das, was sie kann, und schlechtestenfalls ein Ende, von dem noch Generationen reden werden. Vor allem, weil es das später nicht mehr geben wird, weil es zunehmend verboten ist, gefährliche Dinge zu tun, mit dem Tod zu wetten und auf der Messerschneide zwischen Lebensgier und Todestrieb loszubrettern. Meine Grossmutter war eine über die Stadtgrenzen hinaus gefürchtete Pilotin, und selbst im Wissen, dass sie all ihre Rasereien immer gut überstanden hat, würde ich nach diesem Bild , wenn sie so losfährt, mit diesesn Schuhen und ohne Helm, auch in Versuchung kommen, ihr mehr Sicherheit einzureden. Allein schon, weil es für die Kinder ein schlechtes Beispiel gibt.

Folgerichtig wurde meine Mutter dann aber die sicherste und dezenteste Autofahrerin der Welt. Man kann es nie wissen. Alles, was ich weiss ist, dass mir die Mechanik in der Zukunft fehlen wird, und es ist nicht gut, dass sie zum Sklaven der Computer gemacht wird. Ich mein, was soll der Scheiss: Ein gedämpftes Gaspedal? Niemand wird sich jemals so auf einen Rechner setzen. Alles wird leiser werden, abgesicherter und mit der Sicherheit, dass wir im Altersheim nochmal 10 Jahre länger an Demenz leiden, als unsere Eltern. Meine Oma hat zwar auch sehr schnell gelebt, ist aber in geistiger Frische mit 92 alles andere als jung gestorben.

Und das erscheint mir auch ein ganz ordentliches Analogkonzept für die biologische Mechanik zu sein, die man Leben nennt.

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Mittwoch, 16. Juli 2008

Wo wir wohnen

Gestern hatte ich einen Termin bei jemandem, der mit einem Bauvolumen von 300 Wohnungen bestimmt, wie wir wohnen - wenn er genug Geld zusammenbekommt. Wir, die eher nicht armen, durchaus im Leben stehenden und mobilen jungen Menschen einer Generation, die keine Nationen mehr kennt, sondern Companies und Flexibilität am Arbeitsplatz, die innerhalb von einer Woche nach Berlin gehen und bei einer anderen Entscheidung der Firma auch gerne mal nach Zürich, und natürlich noch irgendwo anders eine, oder auch zwei richtige Home Zones haben. Es ist nicht meine Aufgabe, Projektplanern gesellschaftliche Illusionen auszureden. Aber als Beispiel für dieses diffuse "Wir" herhalten zu müssen, das in den Verkaufsprospekten all der Media Cities - oder gar "Media City´s", leider konnte ich den Prospektentwurf nicht unauffällig ablichten - auftaucht, die Springer, die an vielen Orten zuhause sind und deshalb auch erklären, wo bittschön in den kriselnden Regionen des Nordens die vielen Käufer für die 3000+xEuro/m² Townhouses herkommen sollen - das war dann doch etwas viel.

Man muss sich diese Szene in etwa so vorstellen: Ein Raum voller Anwälte, Vertriebler, Bauheinis und Erbsenzähler, alle sind ihr ganzes Leben praktisch nicht länger als zwei Wochen südlich des Chiemsees gewesen, meint das Paradebeispiel für die Zielgruppe in ihrer Mitte zu haben, nur weil der Haifischfahrer genau dieses Leben mit 3, 4 Wohnungen anderthalb Jahre mitgemacht und gehasst hat. Die wissen nicht, wovon sie reden. Ich kenne keinen, der berufsbedingt mehr als zwei Wohnungen im Bundesgebiet hat und es nicht zutiefst hasst.



Eine der angenehmsten Bekannten in Berlin war eine junge Französin aus Strassburg, die ein ähnliches Schicksal hatte: Ein - letztlich unsicherer - Job bei einer Stiftung in Berlin, die meisten Freunde in Strassburg oder in Lyon, wo sie studiert hatte. Die konservative Stiftung, mit der ich ab und an zu tun hatte, sagte etwas gegen einen rotgrünen Minister, unvermutet lief die staatliche Projektförderung für die Stiftung aus, und das hochbegabte, mit besten Referenzen ausgestattete Mädchen hatte zwei Monate Gnadenfrist, die Dinge in Berlin geregelt zu bekommen und zu gehen. Wohnung auflösen, Transporte organisieren, Zwischenlösungen finden. Am Ende machte sie in der leeren Wohnung eine Party für ihre Berliner - eigentlich allesamt nichtberliner - Bekannten, und wir sangen mit den Kaiser Chiefs:

"Time on your side that will never render
The most beautiful thing you can ever spend
But you work in a shirt with your nametag on it
Drifting apart like a plate tectonic

Oh my God, I can´t believe it
I´ve never been this far away from home"

Ich kann mir vorstellen, dass es Leute gibt, die das Gefühl der Entwurzelung mögen. Das sind diejenigen, die den Ernstfall nicht kennen, und es für eine Art Internet in der Realität halten. Ein grosser Teil des Erfolgs des Netzes beruht auf einer zumindest zeitweisen, sebstgewählten Entwurzelung aus der Realität, aber das ist virtuell, es hat keine Konsequenzen. In der Realität ist die Gleichzeitigkeit diverser Wohnungen, möchten sie auch Bose Soundsystem haben und bar jedes Ortsbezuges sein, das Nomadentum als cool redefinieren und von einer globalen Elite schwärmen, für die Distanzen keine Rolle spielt, ein Alptraum: irgendetwas schimmelt nach zwei Wochen immer in unseren Kühlschränken, aus unseren Abflüssen riecht es komisch, unsere Briefkästen sind voller Werbemüll, es kotzt uns beim Ankommen an und beim Abfahren, weil die Akkus noch im Ladegerät auf unserem Schreibtisch stecken, und dazwischen tippen wir uns die Finger auf dem iPhone wund, um das soziale Leben vor Ort jenseits der Company, in der wir nicht fucken dürfen, wieder anzukurbeln, wo man nicht zwingend auf uns gewartet hat - es gibt ja auch noch andere, die man immer treffen kann. Wenn es klappt, erzählen wir irgendwelche Dinge von anderen Orten, die nicht halb so toll ankommen, wie wir glauben.

Nachdem sich das Einkaufen für einen normalen Küchenbetrieb nicht lohnt, gehen wir essen. Das ist teuer, aber es geht nicht anders. Weil es schnell gehen muss, fliegen wir auch mal, und dann sind wir plötzlich mit den ansonsten unbekannten Schrecken des Nahverkehrs konfrontiert. Wir nehmen das Taxi. Das ist teuer, aber es geht nicht anders. Wir haben zwar alles, aber in der anderen Wohung. Wir kaufen es halt nochmal. Das ist teuer, aber es geht nicht anders. Wir schaffen es, Marie ins Bett zu kriegen. Das ist dann auch etwas teuer geworden, aber es geht nicht anders. Wir nennen sie versehentlich Viola, und beim zweiten Mal geht sie. Das ist das einzige, was nicht teuer ist, aber dafür es geht auch nicht.



Vor allem aber: Es ist eine Illusion zu glauben, dass solche Leute sofort in einer unbekannten Stadt sofort eine Wohnung kaufen. Gerade in Zeiten wie heute, da unsere kreativen Jobs in wenigen Tagen auch vorbei sein könnten. Schliesslich sind wir immer auf Achse und selten in der Zentrale, wer weiss, wer uns dort gerade als umsetzbare Synergie ausmacht. So reich, dass wir mal schnell einen Fehlkauf tätigen und und dann ein Jahr mit einem Verkauf rumschlagen, bei dem wir dennoch 1000 Euro/m² verlieren - das ist teuer, aber es geht nicht anders - sind wir nur in Ausnahmefällen.

Es ist ein modernes Konzept, diese spezifische multi location habitat, das eigentlich nur Pendeln in Überlänge und Überkosten ist, genauso modern wie die Snacks und Kerosinzuschläge der Billigfluglinien, der Transrapid, japanischer U-Bahn-Porno und das schlechte Englisch zwangsglobalisierter Vorzimmerdamen in Wanne-Eikel. Es wendet sich an Besserverdienende, die mehr als 150.000 Euro verdienen müssen, um damit halbwegs elegant über die Runden zu kommen. Es wurde erfunden, um die Anschlusstingelei an die 4 Auslandspraktika, die heute jeder hat, als schön und gut zu erfinden, und die hohen Kosten mit der Prahlerei der drei Wohnsitze glattzustellen. Letzte Woche in Berlin sagte unsere französische Bekannte, treffen wir uns doch übermorgen am Tegernsee, oder doch gleich in der Munich Area, wir können uns auch am Flughafen abholen. Wo wir nicht wohnen, aber zu oft sind. Nach Meinung derer, die darin Trendsetting sehen, ein Geschäftsmodell, und kein Elend.

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Dienstag, 1. Juli 2008

Zeit der Extreme

Extrem sterben.



Oh, keine Frage.
Wir erleben natürlich auch Extreme des Todes.
Sogar viel anschaulicher und massiver als früher.
Damals war der Tod, das Krepieren und Gehen
nicht im Mindesten so allgegenwärtig wie heute,
da wir die Glotze nicht durchzappen können,
ohne einen stellvertretendes Tödlein zu sehen,
das zu erleben wir ansonsten - pardon - vermeiden.
Tod. Ist ja nicht so schlimm in Medien, gehört dazu,
der Held fickt nachher trotzdem die Überlebende,
Persönlichkeitskrise, warum denn, bitte Küssen,
Abspann, Tod treibt Handlung, das ist alles.

Wenn möglich, verpacken wir ihn in Zahlen,
mehrere tausend Tote wo auch immer, fern von uns,
click mich an, mach mir die Quote, schlimm, oh,
tja, nun das Wetter. Oh nein, Gewitter am Nachmittag.
Und nun zu den Produktinformationen, billiger!
Es gibt den Tod, man wird täglich darauf hingewiesen,
aber etwas anders und netter, als es früher üblich war.
Nicht so vulgär, so in der Mitte von uns allen.
Das Morbide, die Groteske, das alles packen wir
in die Kategorie Horror, ein Kitzel, aber keine Wirkung.
Wer den Tod bekommt: Nicht stören, bitte ins Altersheim.

Extrem leben.



Wir leben in bunt. Starck macht rotes Plastik,
nur Gold, da trauen wir uns nicht so richtig.
Wir Parvenüs der vergangenen Epochen
die wir Farbcodes haben und Einrichtungssendungen,
wir nehmen, was geht, und was wir uns trauen.
Wir haben Moden vom Nierentisch zu Maria Weiss
und viel Halogen, um das Elend auszuleuchten.
Nur Illusionen bauen und leben wir nicht mehr,
Grotten für den Sommer oder exotische Tapeten.
Neben uns brummt die Klimaanlage das Lied
von AKWs und Braunkohleverschwendung.

Unser Asien ist garantiert echt und nicht lackiert,
keine Illusion, sondern echt originale Kinderarbeit
Russland schenkt uns seine gepressten Holzspäne
und Kirschfurnierimitat blinkt unter Epoxyd.
Der nordische Konzern, der unser Leben liefert,
urlaubt unser Geld an den blitzenden Bahamasstrand.
Wir machen uns nichts mehr vor, keine Phantasie bitte
oder gar etwas, das Arbeit bedeutet und Putzen,
wir fressen Ritalin vom Plastikteller und alles ist gut,
viel besser als die Deppen von früher, die tot sind,
und von denen wir uns keinesfalls stören lassen.

Aber wir leben, wir leben nicht schlecht, gut sogar
und es kann uns scheissegal, wir erfinden neu,
die Industrie hilft gerne mit Pappe und Polymeren,
wir schleppen es heim, schreien in das Fernsprechgerät,
Schatzi, ganz toll, und es war superbillig und praktisch,
praktisch ist es natürlich auch. Schatzi glotzt an
und schiebt Convenience in die Mikrowelle.
Schatzi zieht sich nachher vielleicht sogar aus,
wenn der Porno als DVD rotiert, danach Studium
der aktuellen Supermarktangebote.

Wozu noch sterben?

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