Alt

Ausgegangen. Unterhalten. Natürlich nicht abgelehnt, als Leute fragten, ob hier noch Platz wäre. Die Nichtigkeit ihrer Gespräche erduldet, die Einfallslosigkeit, das Verstummen, und dann das Lauschen. Das Einmischen. Du lieber Himmel, ich bin nicht kleinlich, man muss sich nicht mit knapper Verbeugung vorstellen, zumal das "mein Vater" ohnehin unverkennbar in eine bestimmte Richtung wies. Dieses Grosstun am anderen, nachdem das eigene Gespräch versandete. Die billige Provokation. Ich habe mir über das Wesen des bayerischen Abiturs nie dünkelhafte Illusionen gemacht, aber inzwischen müssen die auf dem Niveau von Bremen angekommen sein. Studiert natürlich an der Elitehochschule. Und kennt sich voll aus. Hat alles beim Praktikum bei einem Billigkaffeeröster gelernt. Er weiss das, sie haben das in seiner Gruppe mit Leuten von der WHU besprochen, die sehen das auch so. Ich gehe heim und kann mich des Wunsches nicht ganz enthalten, sein verkorxxxtes Ego beim VZ inklusive unfeiner Gruppen ... aber das wäre nicht nett.



Iris ruft nochmal an. Wir fühlen uns hübsch alt, mit unserer Verachtung aber gleichzeitig auch sehr jung, denn so alt wie die Dummheit sind wir dann doch nicht. Mein Eindruck, dass er sie angemacht hat, war richtig, offensichtlich, weil seine modisch gesträhnte Emmentalerpiercingbekanntschaft - Drängelnachwuchs gewollt östlicher Verortbarkeit, sie nennen es Jugendkultur - mit ihrer vernieteten Plastiktasche Prada nichts entgegen zu setzen hatte. Das kennen sie, darauf fahren sie ab. Natürlich langt man auch später, im hohen Alter noch daneben, man bleibt anfällig für Angebote, das wird unvermeidlich sein, aber das macht nicht jeden unter 30 zum unwiderstehlichen Adonis, schon gar nicht mit dem Suffadernrot im Gesicht. Wahrscheinlich brüllt er jetzt in der letzten Disco auf Ossinchen ein, die sich an ihrem Piercing zupft, oder Strähnchen zwirbelt, und glaubt, das sei die grosse Welt, mit dem Affen im Keller, der den Alten mal erklärt hat, was da so abgeht, in der Wirtschaft, und danach machen sie Wiedervereinigung von zu viel Aftershave und diesem muffligen Parfum, das sicher ein teures Geschenk war und dennoch hohl wie Äther nach einer kalten Nacht auf der vergeblichen Suche nach einem Taxi riecht.

Und der heilige Burnster ist auch schon hübsch alt.

Freitag, 23. Januar 2009, 23:54, von donalphons | |comment

 
Wohin führt das,
wenn die Jüngeren sich schon so alt fühlen? Alle Zeitlosigkeit scheint dahin.

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Alt fühlt man sich nur unter Leuten, die sich extrem über ihre Jugend und die gerade herrschende Jugendkultur definieren. Zum Glück gibt es auch andere. Unter intelligenten Menschen fühlt man sich nur ganz selten alt.

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altern ist nicht nur ein körperlicher vorgang, auf einmal sagen halbwüchsige sie zu einem.

altern passiert auch im kopf, irgendwann hat man eben genug hypes mitgemacht, um zu erkennen, dass das, was augenblicklich so dermassen angesagt ist, dass alle so unglaublich drauf springen, auch nichts anderes ist, als der hype von letzthin, der heute schon vergessen ist. der hype von eben jetzt wird in absehbarer zeit genauso vergessen sein, weil dann schon wieder eine neue sau durchs dorf getrieben werden wird. kein grund also, sich da auch noch hineinzusteigern, wei die anderen, die das irgendwann auch noch lernen werden.

sie werden irgendwann, hoffentlich, auch noch lernen, so aus einigen jahren abstand zurückzublicken, und dann zu denken, nur zu denken, oh herrschaft, wie blöd muss ich damals gewesen sein, aber wenigstens nicht ich allein.

so wird man dann auch etwas gesetzter, ruhiger, älter eben. früher nannte man das erfahrung.

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> irgendwann hat man eben genug hypes mitgemacht, um zu erkennen, dass das, was augenblicklich so dermassen angesagt ist, dass alle so unglaublich drauf springen, auch nichts anderes ist, als der hype von letzthin, der heute schon vergessen ist.

Das wiederum würde bedeuten, dass manche Menschen schon (auch ich z. T.) seid sie 15 oder 16 sind als "alt" zu bezeichnen wären. Aber dass die Bezeichnung "alt" sowieso nur auf (sich ständig wandelnden) gerade dominanten gesellschaftlichen Vorstellungen basiert, ist ja auch keine völlig neue Erkenntnis.

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Wie zeigt sich die gewollt östliche Verortbarkeit? Gewollt ist mir sowetwas noch nicht untergekommen. Meist war es nur der nicht abzugewöhnende "sächsische" Dialekt. Oder meintest du gar den Tokio-Hotel-Stil?

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Es gibt...
gerade hier in Bayern und im Speckgürtel der Landeshauptstadt, eine wahnsinnig hohe Anzahl von Anfang-20igern aus den neuen Bundesländern, vorwiegend aus dem Freistaat Sachsen, die man (vorsicht, überspitzte Verallgemeinerung mit mehr als einer Prise Wahrheit) mehr oder weniger alle sofort an ihrem äußeren (Kleidung, Frisur, "Accessoires") Auftreten erkennt, wirklich Hardcore-Sächseln tun da eigentlich die wenigsten.
Aber als Einheimischer kennt mans halt

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@andrea
... das kann ich nur bestätigen... und gleichdarf auch ein nettes Gegenbeispiel beisteuern:

Dienstag war ich in einer Frankfurter Insitutsbibliothek, und obgleich ich mich mit der Gastnutzerkarte nachdrücklich als Externer geoutet hatte, hielt die sehr nette und hilfsbereits Studentenaufsichtskraft nicht ein, mich zu duzen (ich sehe, würde ich mal sagen, so wie Anfang 40 aus...) - und ich muss sagen: So jung hab ich mich schon lange nicht mehr gefühlt... ;-)

Endlich mal ein schönes Erlebnis - denkt der HH

P.S.: Lieber Don: Was ist das eigentlich für ein entzückendes Objekt?

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@hiwwel - ohne dem don und einer ausführlichen erklärung vorzugreifen: sieht aus wie die gangregulierung eines uhrwerks.

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Es handelt sich bei dem Bild um die Unruh (also die Gangregulierung) einer Taschenuhr aus der Zeit um 1760. Wobei man die Unruh nicht wirklich sieht; es ist eigentlich das Gehäuse, das die empfindliche Unruh und die Feder schützt.

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Was ich als ostdeutsch kennen gelernt habe: Eine starke Zurückhaltung beim Zeigen von Gefühlen (kommt beim Bayern als unkommod und mufflig an), ein erheblicher Mangel an sozialer Intelligenz, indem die Dinge auf eine Art beim Namen genannt werden, mit der man in der Stasi hoch und im Beruf auf die Strasse kommt, und aufgrund rudimentärer Bürgerlichkeit im Arbeiterstaat auch eine unpassender Begriff von Distanz und Nähe. Und dann halt noch die Ossis mit Erfolg, die es sich ganz krass raushängen lassen und enorm peinlich sind, siehe ein gewisser Investor von Shoppero. Das alles mag im Osten systemkonform sein, aber hier ist es ein dauerndes Brechen von Regeln, die sie einfach nicht kennen. Aus welchen Gründen auch immer. Ich nehme das keinem übel, es ist halt so.

Ich kenne auch absolute Gegenbeispiele, mein Verleger zum Beispiel könnte mit seiner Art als grandioser Westviertelschwiegersohn durchgehen, aufgeschlossen, freundlich, extrem nett, man muss ihn einfach mögen - aber er ist halt auch eine Ausnahme.

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(Und ich hielte es auch für falsch, das nicht ansprechen zu dürfen. Nur um dem Aufschrei zuvor zu kommen. Schnell beleidigt sind sie nämlich auch oft. Niedrige Freundlichkeit bedeutet nicht, dass es darunter nicht viel Raum für Dummheit und Unverschämt gäbe.)

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Dann kenne ich anscheinend mehr Ausnahmen als Du. Was mir aber bei einigen der Jüngeren, die zu Wendezeiten noch Kinder waren oder gerade Teenager wurden, immer wieder einmal auffällt, ist ein ziemlich großer Ehrgeiz. Das kann dann auch unangenehm auffallen, bei der unsympathischen Aushilfe in der Schneekugelmanufaktur war es so, die mochte auch keiner so richtig. Teilweise ist das aber wohl auch eine Generationenfrage - in meiner war das geradezu verpönt, die Twens scheinen mir heutzutage generell ehrgeziger zu sein.

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das mit dem ehrgeiz kommt daher, dass für jeden jungen menschen aus den neuen bundesländern die entscheidung klar ist: wer bleibt, hat nur eines wirklich sicher: sgb 2.

darüber gibt es schlecht bezahlte und unsichere stellen im habdwerk (das dortige lebt derzeit noch davon, sich im grossraum münchen oder stuttgart als sub zu verdingen) ein paar wenige stellen in der industrie, für den öffentlichen dienst braucht man beziehungen, es sind da schon zu viel alte, die auf die pensionierung warten.

übrigens ist in beitrittsgebiet die bundeswehr ein attraktiver arbeitgeber, ich nehme an, dass die längerdienenden unteroffiziere überwiegend aus neufünfland kommen, keine grund also zur häme gegenüber den us of a und deren streitkräfte.

und da im westen schon welche sind, die da schon früher waren, bleibt der weg über ellenbogen und schleimspur, der auch zu hause bekannt ist.

das mit den sachsen in bayern kommt daher, dass es von leipzig nach münchen so gute 400 km sind, das nimmt man dort für einen guten job gern in kauf, es gibt auch welche, die das für einen schlecht bezahlten machen.

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Ja ja wir Ossis sind noch leicht zu beeindrucken...Liegt wahrscheinlich daran, dass wir nicht wissen wie man sich ordentlich verkauft...aber das lernen wir bestimmt auch noch...

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Nein, wie gesagt: Wenn es keine bürgerliche Tradition gibt und das System ein anderes Verhalten fordert, woher soll man es auch lernen?

In meinen Augen erklärt das eben ein paar Phänomene ganz gut. Wir hatten mal eine Studentin als Karl-Marx-Stadt, die im Team bei einer Sendung war. Einmal war es nicht so arg doll, also hat man sich zusammengesetzt und über die Probleme gesprochen, wie man das macht, und zwar so, dass die Probleme klar sind, aber keiner gedemütigt wird. Nur diese Studentin und eine Kollegin aus der Nähe von Dresden liessen sich ihre negative Meinung voll raushängen, und beschwichtigen war kontraproduktiv. Das ging auf dem Weg zur Redaktion weiter, und als wir dann dort waren, riss die Dame die Tür auf und sagte ziemlich laut: Glaubt Ihr, ich will so schlecht wie der Rest hier sein?

Sie hat nicht mal verstanden, dass es keine gute Idee war.

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Das...
...hat aber nix mit verkaufen zu tun. Was ich meine sind Leute die in einer Ellbogengesellschaft aufgewachsen sind und wissen, wie sie ihre positive Eigenschaften "verkaufen" müssen um gegen den anderen zu bestehen. Die jüngere ostdeutsche Generation, der ich ja angehöre, lernt das jetzt auch schon so bzw. ahmt das nach, weil der Westen angeblich das gelobte Land ist...

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Ja,
da mag was dran sein. Wobei da halt vielfach nur ein Zerrbild nachgeahmt wird. Denn es gibt hier im Westen ja durchaus feine Grenzen der Selbstverkaufe und des Ellenbogen-Rempelns, und wer diese Grenzen nicht sieht, übertreibts dann halt gern mal.

Was auch kein Vorwurf sein soll. Ich bin sicher, wir hätten "drieben" ähnliche Adaptionsprobleme gehabt, wenns andersrum gelaufen wäre mit der deutschen Einheit.

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Die Frage ist vielleicht auch, wie man mit den Ellenbogen umgeht, und wie man sie verpackt. Da gibt es ja einige Strategien, die gar nicht so dumm sind, ohne gleich falsch zu werden. Prinzipiell ist der zwischenmenschliche Umgang im Osten aber schon bei Kleinigkeiten wie dem Bäcker sagenhaft rüde und wortkarg, bis zu den Fremdwörtern Danke und Bitte.

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Ich finde ein Bäcker soll das machen was er will und wenn er rüde sein will, dann bitte soll er das tun. Ein gezwungene Freundlichkeit finde ich das größere Übel...

Generell sind das aber alles nur Klischees, die Ellbogen auf der einen und die Unfreundlichkeit auf der anderen Seite.

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Nein, das würde ich doch ernsthaft bezweifeln wollen. Und ich bin ja nun jemand, der beides erlebt hat. Wenn ich in Bayern auf einem Flohmarkt unter "nicht standesgemässen" und Derbheiten nicht missen lassenden Menschen bin, kaufe ich ein und gehe heim, und es geht mir prima, weil es aller Rüpeleien zum Trotz Menschen sind, die sich freuen, wenn man mit ihnen handelt. Im Osten/Berlin ist das immer geprägt von blöden, vollkommen sinnlosen, weil gegen den Kunden gerichtete Anschnauzereien. Wochenmärkte sind das gleiche. Der Kunde als Feind. Der andere als Unsicherheitsfaktor. Und es beginnt wirklich hinter der Grenze.

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(Der kranke Typ, der gerade seinen Anfall bekommen hat - da würde ich auch denken, dass der irgendwo aus dem Nordosten kommt. Bayern würden sowas anders sagen)

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Da Sie das unmittelbar gelöscht haben, schien er ja doch nicht ganz unrecht zu haben...

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Klar, und wenn ich einen Beitrag über die Erde als Scheibe lösche, ist sie ganz sicher keine Kugel, logisch, oder?

Ts.

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Dem...
...Osten fehlen die Stützen der Gesellschaft im Wortsinne. Wer den realen Sozialismus erlebt hat, weiß was Entbürgerlichung bedeutet. Das staatlich abgesegnete Anstreben einer Diktatur des Proletariats führte im Alltag konsequent dazu, dass Würde, Anstand und Respekt zugunsten von Suff, Niedertracht und Verantwortungslosigkeit geopfert wurden. Dass die DDR so lange überlebt hat, liegt nicht zuletzt daran, dass der zurückgebliebene Rest in seiner Mehrheit zu symbolischen Preisen wohnen, essen und Alkohol konsumieren konnte. Dazu noch die Illusion einer sinnvollen Tätigkeit im "volkseigenen" Kombinat - fertig ist das Schlaraffenland der Proleten ohne Markt.

Faszinierend finde ich im Rückblick, wie auch formal hoch gebildete Berufseliten sich nicht entblödet haben, diese Karikatur eines ferngesteuerten Staatssurrogats gut- und eine akzeptable Gesellschaftsform zu heißen.
Mit den vollen Hosen einer Sozialisation im Westviertel ist gut stinken - aber im Osten muss man eben mit den Mädchen tanzen, die da sind.

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es gibt übrigens auch im westen nicht nur grossbürgertum und dazu noch ein paar intellektuelle zur zierde.

wird übrigens heutzutage als die allerneueste erkenntnis der sozialwissenschaften verkauft, dass soziale herkunft der eltern über ausbildung und beruf der kinder entscheidet.

na so was, ich glaube, das wussten die eltern der wohlhabenden und angesehenen auch schon zu zeiten der rheinischen republik. man sagte es nur nicht laut.

das hat sich geändert, nur das, weiter nichts.

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@"na so was, ich glaube, das wussten die eltern der wohlhabenden und angesehenen auch schon zu zeiten der rheinischen republik. man sagte es nur nicht laut." --- Man sagte es sehr laut. Wer in den 70er auf Lehramt studierte und etwas auf sich hielt, hatte "Klassensozialisation" von Villay gelesen.
Im 3.Fernsehprogramm vom NDR gab es damals eine täglich ausgestrahlte Serie "Diagnose sozialen Verhaltens", kam direkt nach der Sesamstrasse.


Und @"allerneueste Erkenntnis": Ich hatte mal auf einer Historikerparty das Erlebnis, dass ein Kollege geffragt wurde, woran er gerade forsche, und er erwiderte "Schicht- und klassenspezifische Erlebnisweisen und wie sie verarbeitet werde." Da meinte die Frau, die ihn gefragt hatte, damit könne man heute doch keinen Blumenpott mehr gewinnen und wer redet heute schon noch von Klasse. Darauf er: "Dass eine Mittelschichtstusse wie Du so denkt kann ich mir vorstellen."


So redet man im Norden. Zumindest manchmal.

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@ auch einer: Nein, das ist keine neue Erkenntnis der Sozialwissenschaft, die forschen dazu schon urlange. Es werden derzeit nur einige Sozialwissenschaftler wieder mehr öffentlich wahrgenommen, zum Teil auch, weil sie sich wieder lauter zu Wort melden.

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So einfach ist es mit den Sozialwissenschaften dann doch nicht.

Die Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung hat als Grundlage den Lebenslagen-Ansatz. Die allgemeinen Umstände und den Rahmen der Möglichkeiten, unter denen einzelne Personen oder Gruppen in einer Gesellschaft leben, einschließlich der dabei eingenommenen sozialen Position.

Da gibt es verschiedene Dimensionen und Faktoren. Dies wird meines Erachtens der Komplexität der Sozialstruktur eher gerecht als Schichten- oder Klassen-Erklärungen.

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Nochmal zu Ost-spezifischen Verhaltensweisen
Meine Erfahrungen decken sich mit den von Don weitgehend. Wenn ich einer Zeitung eine Story verkaufe, beginnt schon ab Magdeburg das große Mauern. Das beginnt damit, dass ich keinen Redakteur erreiche, sondern, obwohl ich ausdrücklich um Vebindung mit der Fachredaktion gebeten habe, zunächst mal mit einer Sekretärin telefoniere, die sich meine Geschichte en detail bis zum Ende anhört, um mir dann zu sagen, dass sie nur Sekretärin und nicht zuständig sei. Spreche ich endlich mit Jemandem aus der Redaktion, wird abgeblockt. Man nimmt mich meist als den bösen Wessi wahr, der einen über den Tisch ziehen will. In Niedersachsen, Hamburg oder Bremen kriege ich recht locker bei den Redaktionen Beiträge unter, und in Bayern ist das sogar ganz leicht.


Ein prägendes Erlebnis hatte ich unmittelbar nach der Promotion in Stralsund (abgesehen von den mit "Heil Hitler!" grüßenden Skins auf der Straße, denen wir zu einer Nacht in Staatsräumen verhalfen). Da erzählte ich in einer Kneipe lautstark, dass ich meinen Doktor mit magna cum laude gemacht hätte, jetzt ohne Beschäftigung sei und daher Sozialhilfe bezöge und hoffte, demnächst eine Assistentenstelle zu bekommen. Meine Gastgeberin trat mit ans Bein und zischte mich wütend an, ich solle die Klappe halten, das seien keine Themen, über die man im öffentlichen Raum spräche. Die war bei einem Gegenbesuch im Westen völlig erstaunt, wie freimütig man bei uns in der Kneipe über die eigenen Verhältnisse redet. Und ich habe bei meine Ost-Bekanntschaften festgestellt, dass die alle ein merkwürdiges Verhältnis zu Geld haben. Wo und wann man dem Anderen einen ausgibt oder Trinkgelder zahlt scheint nach einem merkwürdigen System festgelegt zu sein, das ich nicht durchschaue. Wessis ungeniert anpumpen hat man aber keinerlei Hemmnisse.

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@che
Na, Che ein merkwürdiges Verhältnis zum Geld werden wir wohl bald alle haben. Überhaupt dieser ewige innerdeutsche Grabenkrieg, und das heute noch zum Thema zu machen ? Also ich weiß nicht.
Vielleicht heißt es bald -Alle gegen Alle- , so wie es zur Zeit ausschaut.

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Nichts mit Grabenkrieg, ich schildere nur meine persönlichen Erfahrungen. Die beziehen sich übrigens auch nur auf Leute, die noch in der DDR ihre Erwachsenen-Sozialisation erlebt haben. Ich habe unter meinen Bekannten und KollegInnen wirklich ziemlich viele Leute aus Magdeburg, Halle, Leipzig, Dresden und dem Berliner Umland, für die das alles überhaupt nicht gilt. Man kann das, was ich da oben dargestellt habe ja auch erklären und aufdröseln. Wer es gewohnt war, dass in der Kneipe die Stasi am Nebentisch sitzt und mithört gewöhnt sich eben ein anderes Gesprächsverhalten an als Leute, die in Szenekneipen noch ihre tiefsten Beziehungsprobleme am Biertisch erzählen, weil das wiederum Bestandteil meiner Studentensozialisation war. Wenn sich die Dinge in meinem Leben schlecht entwickeln könnte ich möglicherweise ein ganz ganz merkwürdiges Verhalten zu Geld entwickeln. Aber sorry, wenn man in meinen früheren Lebenszusammenhängen zusammen in die Kneipe ging und die Gruppe da sozial gemischt war vom Ladenbesitzer über den Hochschuldozenten bis zur Sozialhilfeempfängerin, dann wurde halt sizilianisch gezahlt, d.h., jede/r legte soviel auf den Tisch, wie er oder sie meinte ausgeben zu können, bis die Gesamtsumme zusammen war. Niemand meiner Ossi-Bekanntschaften im Alter über 40 hätte sich auf so etwas eingelassen.

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Wollte dir nicht auf die Füße treten, Che. Aber mein Thema ist das eigentlich nicht, erzeugt immer nur böses Blut und man kann eigentlich nur verlieren. Interessant finde ich die Bezeichnung ,,sizilianisch,, für die gemeinsame Kneipenrechnung . Wir machen das auch des Öfteren so, aber dass man das so nennt, wusste ich nicht. Wieder was gelernt.

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Das heißt deswegen so, weil das die typische Zahlweise der aus Sizilien oder dem Mezzogiorno stammenden FIAT-Arbeiter inTurin war, während die ansässigen Piemonteser das normalerweise nicht machen. Ansonsten teile ich Dons Wahrnehmung halt auch nur teilweise. Was er an Berlin alles Scheiße findet kan ich zum Teil nicht nachvollziehen, weil ich das anders erlebe. Ich finde die Berliner Schnauze an sich ganz liebenswert, habe bei fast jeder S-Bahn-Fahrt durch Berlin interessante Gespräche mit Mitfahrenden und freue mich, wie total kontaktfreudig die Leute dort sind. Und Bayern habe ich früher hauptsächlich als kracherte lautstarke Suffköpfe erlebt. Die ersten wirklich netten und freundlichen, kultivierten Bayern lernte ich erst kennen, als ich in München eine Recherche durchführte. Das hat jetzt nichts mit Klischeebildern zu tun, sondern nur mit der typischen Auswahl von Leuten, mit denen ich persönlich so in Kontakt kam. Das ändert aber nichts daran, dass Chefredakteure und Ressortleiter von Zeitungen östlich der Elbe offensichtlich eine andere Mentalität haben als solche im Westen, und dass die Strukturen dort bürokratischer und hierarchisierter sind.

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ha, na da kann ich bei der nächsten Kneipentour ja jetzt mit meinem / deinem Wissen glänzen ;-). Ach, nochwas zum leidigen Thema. Man sollte sich eigentlich immer den Menschen anschauen, was für einen Charakter er hat , wie er sich verhält usw. O.K. ist mir auch klar, andere Länder andere Sitten. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die größten A... löcher immer noch vom eigenen Stamm kommen.

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deutsch-deutsches Fremdeln
So manches, was als besondere Garstigkeit der Ostzonalen beschrieben wird, lässt sich auf andere Faktoren zurück führen, beispielsweise dem Gegensatz zwischen Stadt und Provinz. Dazu kommt ein nicht eben seltenes allgemeines Unwohlsein, welches allein durch die Ferne zur Heimat ausgelöst wird - und die Wahrnehmung prägt.

(Das ostzonale Zerrbild-Nachahmertum: Das ist vielleicht dennoch ein Thema. Und irgendwie anders, sind sie ja die Sachsen - zum Beispiel sind sie nicht so verschlossen und maulfaul wie der prototypische Norddeutsche...)

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"Das ändert aber nichts daran, dass Chefredakteure und Ressortleiter von Zeitungen östlich der Elbe offensichtlich eine andere Mentalität haben als solche im Westen."

könnte es schlicht daran liegen, dass die übernahme der zeitungen der sed-bezirksverwaltungen durch westdeutsche zeitungsverleger zu wendezeiten*) eben so geschah, dass der redaktionsapparat übernommen wurde, nur die kaufmännische leitung nicht, die wurde aus dem westen importiert.

vielleicht haben die wurstblätter keine fachredakteure (der chemnitzer freien presse ist sogar dpa zu teuer, macht nichts, wo adn, verzeihung, ddp, billiger ist) und die dame am telefon hat ausdrücklich den auftrag, alles abzuweisen, was geld kosten könnte. ernsthaft, bei den burschen hilft nur eines, persönliche beziehungen.

überhaupt war die journalistenausbildung der ddr ihrer zeit weit voraus, den journalisten wurde nämlich beigebracht, ihre aufgabe sei, "einen wichtigen beitrag zur verbreitung der sozialistischen ideologie, der politschen orientierung der werktätigen und zur befriedigung geistig-kultureller bedürfnisse zu erfüllen".

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*) freie presse, organ der sed-bezirksleitung karl-marx-stadt. auflage vor der wende 660.000.
heute: freie presse, auflage 300.000; eigentümer medien-union gmbh ludwigshafen (die rheinpfalz, unterbeteiligungen an stuttgarter nachrichten, stuttgarter zeitung, süddeutsche zeitung)
leipziger volkszeitung, organ der sed-bezirksleitung leipzig, auflage vor der wende ?
heute: leipziger volkszeitung, auflage 238.000, eigentümer: die verlage axel springer und madsack (bei letzterem beteiligung der spd 23%)
sächsische zeitung, organ der sed-bezirksleitung dresden, auflage vor der wende 514.000.
heute: sächsische zeitung, auflage 278.000, eigentümer: gruner und jahr 60%, dd_vg (medienkonzern der spd) 40%

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Die Chemnitzer Freie Presse ist allerdings ein besonders herbes Beispiel ;-)


Jedenfalls nehmen Zeitungen im Westen, egal ob Hamburg oder Bayern, von mir Beiträge mit Kusshand, die ich im Osten nicht unterkriege, und zwar ohne nachvollziehbare Begründung.

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Die Berliner Zeitung war im Prinzip auch ein SED-Bezirksorgan, wenn auch offiziell einen Verlag als Herausgeber hatte.

Was die Journalistenausbildung in der DDR, vornehmlich im Leipziger "Roten Kloster" anging, war die gar nicht so schlecht. Viele Absolventen haben sich gut im neuen System zurechtgefunden.

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Darf ich mal kurz daran erinnern, dass die Wende jetzt knapp 20 Jahre her ist? Das bedeutet auch, dass eigentlich jeder Journalist/Redakteur, der jünger ist als Mitte 40, nicht mehr die volle Indoktrination der DDR-Ausbildung miterlebt haben dürfte.

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Che, schon einmal versucht, ein "Ost"-Thema, das nichts mit Neo-Nazis zu tun hat, einer Redaktion im Westen zu verkaufen?
Ist auch nicht einfach.*

@ oberlehrer: Stimmt. Die zwischen 35 und 45 sind oft sehr, sehr gut, sowohl was die sprachliche Qualität als auch die Intensität ihrer Texte angeht. Fällt mir immer wieder auf. Ich halte es auch nicht für einen Zufall, dass unter ihnen so viele gute Reporter und Reporterinnen sind.

Dieses Jahr dürfte es wegen des Jubiläums wieder etwas leichter sein.

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"Das staatlich abgesegnete Anstreben einer Diktatur des Proletariats führte im Alltag konsequent dazu, dass Würde, Anstand und Respekt zugunsten von Suff, Niedertracht und Verantwortungslosigkeit geopfert wurden."

Das ist eine bitterböse Verallgemeinerung. Ein Volk von senilen, niederträchtigen Säufern. Ich habe es anders erlebt. Und ich hab wirklich lange überlegt, ob ich dazu was sage. Aber mehr, als auf die Fresse kriegen, kann ich nicht, also was solls. Ich möchte das einfach SO nicht stehen lassen, da rebelliert was...

Mein Schwiegervater (Baujahr 1908), seines Zeichens vor dem Krieg Gewerbetreibender und während des Kriegs aktiver Kämpfer gegen das Naziregime, hat seine kleinbürgerliches Existenz auch nach dem Krieg in der DDR wieder aufgebaut, sehr zum Ärger der Führungsschicht, denn derart operierende "Unternehmer" waren ein Dorn im Auge und nicht erwünscht. Nachdem er nicht korrupt war (man war der Meinung, wer GEGEN den Nazismus war, ist automatisch FÜR den Sozialismus, eine doch recht simple Logik) und diverse Angebote für einträgliche Staatsposten der SED abgelehnt hat (er war KPD-Mitglied und nach der Zwangsvereinigung parteilos, solche Leute versuchte man, zu ködern), um weiter seine "kleine Klitsche" zu führen hat man es mit DRUCK und wirtschaftlichem Ruin versucht. Da stand die Stasi auf der Matte, es wurden ein paar (letztlich unhaltbare) Vorwürfe erfunden und innerhalb von Stunden alles gepfändet, Haus, Grundstück, Geschäft, Privatbesitz. Er hat die Zivilcourage besessen, sich dagegen erfolgreich zu wehren, indem er in den 50ern u.a. gegen die "Pfändung einer marxistisch-leninistischen Bibliothek" gerichtlich vorgegangen ist. Die Richter hatten ein Dilemma, weil neben den mehrheitlich vertretenen bürgerlichen Klassikern, Wissenschaftlern und Philosophen auch Marx,Engels und Lenin die Bibliothek zierten und mit einem Kuckuck versehen waren. Nicht gerade in Goldschnitt, aber immerhin. Er hat sein Geschäft bis zu seinem Tod in den 80ern weiter geführt. Unbehelligt. Im Herzen wohl links, aber nicht sozialistisch oder systemtreu. Schon gar nicht würde-, respekt- und anstandslos. Auch nicht saufend. Die Reduzierung seiner lebenslang gezahlten Pension als "aktiver Kämpfer gegen den Faschismus" auf den Status "Verfolgter des Naziregimes", der mit einer Halbierung der Bezüge einherging, hat er kommentarlos akzeptiert, obwohl er alle erforderlichen Nachweise der aktiven Kämpferschaft erbringen konnte.

Ein Einzelfall? Und WENN? Er führt für mich dennoch oben genanntes Klischee vom saufenden, anstandslosem Proleten-Ossi ad absurdum. Darüberhinaus habe ich viele Menschen erlebt, die persönliche Nachteile in Kauf genommen haben, um Würde, Anstand und Respekt nicht zu verlieren. Mein Vater hat seinen Lehrerberuf (Deutsch, Kunsterziehung) gekündigt, als Ende der Siebziger das Fach "Wehrerziehung/Zivilverteidigung" (wir sind in Gasmasken ein wenig über die Schulwiese gerobbt und fanden das einfach nur bescheuert-erheiternd) auf den Lehrplan genommen wurde, weil das für ihn unerträglich war. Danach war er ARBEITSLOS. Gabs nicht? Doch gabs. Inoffiziell und natürlich OHNE Arbeitslosengeld oder ähnliche Bezüge. 1 Jahr lang durfte ihn kein "volkseigener Betrieb" einstellen, 1 Jahr, in dem ihm tagtäglich Gelegenheit gegeben wurde, seinen "Klassenstandpunkt" zu hinterfragen und reumütig zu sein. Nach dem Jahr hat er als Lagerarbeiter in einem Supermarkt (damals: Kaufhalle) Bierpaletten ziehen dürfen. Würdevoll und mit Anstand. Alltag.

Ich selber habe mich den Dingen verweigert, bei denen es möglich war. Das Schwänzen der alljährlichen Mai-Demo und ähnlicher sozialistischen Pflicht-Veranstaltungen war folgenreiche Normalität, wohlwissend daß man am nächsten Tag vor dem versammelten "Kollektiv" am Pranger stand (man wurde wirklich HINGESTELLT, der Rest saß schweigend und mit gesenktem Blick da), abgekanzelt wurde und einen fetten Eintrag in die "Kaderakte" bekam, was ein Bewerben irgendwo anders fast unmöglich machte. Man war "abgestempelt" als ziviler Ungehorsamer, als Unsicherheitsfaktor. Man hat sich aber so den Respekt vor sich selber bewahren können. Und ehrlich: da war ich beileibe kein Einzelfall.
Mein Exmann wurde von der Stasi als Zuträger angeworben, weil "bekannt ist, daß Sie unter ihren Kollegen wegen ihrer freundlichen und natürlichen Art sehr beliebt sind". Das Gespräch war hochgeheim, er durfte mit niemandem darüber reden. Er bekam ein paar Tage Bedenkzeit und sollte sich dann an einem "konspirativen Treffpunkt bei einem Kollegen mit Trenchcoat und ND unter dem linken Arm" (der Treffpunkt war eine Straßenbahnhaltestelle, das Ganze hatte wirklich was von James-Bond-Szenario und war höchst albern) einfinden. Er hat die Bedenkzeit dazu genutzt, seinen Chef sowie allen Kollegen über den Kontaktversuch zu informieren. Offen und recht laut versteht sich. Dem Stasi-Typ hat er gesagt, daß er ablehnt, weil im Falle des Arbeitens für die Stasi seine hochgelobten Eigenschaften wie Natürlichkeit dahin wären und er somit keine Hilfe darstellen würde. Die Grundlagen für heimliches Bespitzeln hatte er durch sein Outing in der Firma ohnehin entzogen. Er wurde noch eine Weile beobachtet und dann war Ruhe. Niedertracht, Verantwortungslosigkeit? Man ist Risiken eingegangen, um nicht niederträchtig und verantwortungslos zu werden. Das war normaler Alltag des Einzelnen, der nicht Einzelfall war.

Ich glaube, daß man 20 Jahre nach der Wende mal einige Schubladen schließen sollte. Oder wenigstens respektvoller drin rumwühlen sollte, wenn man vielleicht nur vom Hörensagen den Inhalt kennt. Wobei man dann beim gesamtgesellschaftlichen Respekt angekommen wäre...der für mich unabhängig von gesellschaftlichen Klassen und Schichten ist, deren Grenzen ohnehin sehr diffus geworden und eindeutig nicht mehr identifizierbar sind.

Devona

PS. Manches hier Angesprochene ist vielleicht auch nur eine lokale Mentalitätsfrage. Der Berliner Charme ist gewöhnungsbedürftig, wobei ich persönlich da keinen Ost-West-Unterschied wahrnehme. Das Nähe-Distanz-Problem hatte ich im Rheinland. Die rheinländische Frohnatur impliziert speziell (aber nicht ausschließlich!) während der Karnevalszeit eine distanzlose Nähe hinter der sich nur Schall und Rauch und Kulturlosigkeit verbirgt. Man wird damit förmlich überschwemmt und vereinnahmt. Distanz kann man nur durch konsequentes Abschotten von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch herstellen, was auf ein von-innen-Verschließen der Haustür und somit ein paar Tage sinnlos vergeudeten Jahresurlaubs hinausläuft. Und ein derartig einträchtig-kollektives Besaufen kenne ich aus Ostzeiten in dieser exzessiven Form auch nicht. Den ersten Alkohol-Bewusstlosen morgens früh um 7 habe ich in Köln gesehen, das war 11 Jahre nach der Wende.

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@ arboretum
Mir fiel die sehr gute Ausbildung in einigen Bereichen auf, überhaupt die teilweise hochprofessionelle Arbeitsauffassung. Die Theaterleute beispielsweise konnten einfach alles. Allerdings stammen meine Erfahrungen im wesentlichen aus der Zeit, als die DDR noch existierte – wenn sie «rübergemacht» hatten etwa.

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@ stubenzweig: Der Automechaniker, der am besten mit meinem alten Toyota umgehen kann, stammt übrigens auch aus Thürigen.

Ich weiß nicht, wie viel im Falle der Journalisten auf deren journalistische Ausbildung zurückgeht (die sie oft erst nach der Wende absolvierten häufig sogar erst absolvieren konnten, da vorher nicht zum Studium, schon gar nicht zum Journalistik-Studium zugelassen) und wie viel auf das, womit sie sich sonst früher so beschäftigt haben. Die DDR galt ja als Leseland.

@ devona: Die Birthler-Behörde hat schon vor ein paar Jahren einmal öffentlich festgestellt, dass die überwältigende Mehrheit der Leute, die die Staatssicherheit für eine inoffizielle Mitarbeit werben wollte, dies abgelehnt hat. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Zahl der IMs sehr hoch war, zeigt aber, dass man das sehr differenziert betrachten sollte. Hat sich aber anscheinend immer noch nicht herumgesprochen.

Mir ist man im Osten bislang nur ganz selten unfreundlich begegnet, selbst in Berlin nicht. Aber so etwas mag auch immer ein Stück weit daran liegen, wie man selbst wirkt.

Und im Übrigen bin ich von den Männern dort in der Regel viel zuvorkommender und großzügiger behandelt worden als vom durchschnittlichen West-Mann. Wollte ich nur mal gesagt haben, Che.

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Danke, Devona, für diesen sehr interessanten und menschlich ansprechenden Beitrag!

Wie gesagt, ich habe hier nur meine eigenen unmittelbaren Erfahrungen und Wahrnehmungen wiedergegeben und überhaupt nicht den Standpunkt vertreten, dass die verallgemeinerbar wären.


Bei den Zeitungen spielen wohl hauptsächlich organisatorische Strukturen eineRolle, die es bei der West-Presse in dieser Form nicht gibt. Ich habe auch nicht gesagt, dass die bessere oder schlechtere Journalisten hätte, sondern dass ich an die Chefredakteure, CVDS und Ressortleiter nicht herankomme, wenn ich eine Story habe, und dass das im Westen ganz anders ist.

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Ich sehe das auch ähnlich wie Devona: Etliches dürfte eher lokalspezifisch sein. In Berlin ist in der Tat die ursprüngliche Herkunft (west oder ost) wenig zu erkennen. Ähnlich empfinde ich das auch für die Küste - da gibt es nach meiner Erfahrung mentalitätsmäßig zwischen Nordost und Nordwest auch eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede.
Sachsen fallen nun mal dialektbedingt überall auf; das schlimmste ist dabei, wenn sie versuchen, den Dialekt zurückzudrängen und er sich trotzdem immer wieder hineinschleicht...

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Bestimmt auch millieuspezifisch: Die Ossi-Bekannten, die ich da im Auge waren Leute mit StasiMAs in der eigenen Familie, und dadurch bedingt selbst vollzogenem harten Bruch mit ihrem Umfeld oder Kinder von Wissenschaftlern, deren Institute nach der Wende dicht gemacht wurden und die im Gegensatz zu ihren Eltern selbst prekär lebten. Will sagen, die hatten schon recht spezielle Biografien.

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"Die DDR galt ja als Leseland."

Das wußte ich gar nicht, kann ich aber bestätigen. Die Buchhandlungen hatten gegenüber dem, was man heute so findet, einen Vorteil: das Unterscheiden zwischen Schund und Nicht-Schund war einfacher und nicht so zeitaufwändig. Es gab nur (grob gesagt) 2 Kategorien, abgesehen von Fachbüchern, bei denen die Rubrik "Kunst" sehr gut bestückt war: Sozialistische Literatur und bürgerliche Klassiker, was die Prosa anbelangt. Bei Philosophie sah es natürlich trübe aus. Schopenhauer und Nietzsche z.B. waren als Neuauflage gar nicht vertreten (aber second hand durchaus zu finden), mit viel Glück konnte man aber Seneca oder Marc Aurel ergattern. Nichtsozialistische Kinderliteratur war sehr pädagogisch hochwertig und wundervoll illustriert (u.a. Artia-Verlag Prag) und hat mich sogar als junge Erwachsene veranlasst, Märchenbücher zu sammeln, viele davon habe ich noch heute. Reisen war nicht, also lesen ;-)

@ Oberlehrer

Es gibt Sachsen, die fallen nicht als Solche auf. Es erfordert ein wenig Training, in dessen Folge für ca. 2-3- Monate eine Art "Wangenmuskelkater" ständiger schmerzhafter Begleiter ist. Übersteht man diese Zeit, ist man durch mit der Nummer, endgültig. Und man freut sich jedes Mal diebisch, wenn irgendwer versucht, diesen Dialekt zu imitieren. Ist nicht möglich. Diese Genugtuung bleibt den dialekt-geschmähten Sachsen ;-)

@ Che

"Will sagen, die hatten schon recht spezielle Biografien."

So ist es. Die ergaben sich oftmals daraus, welche Tätigkeit wie gut bezahlt wurde und das hatte leider mit Bildung/Ausbildung nichts zu tun. Mein Exmann war Bibliothekar, mit 530 Mark Netto. Ein Lagerarbeiter ohne jegliche Ausbildung hatte 780 Mark Netto. Zwischen diesen Beträgen lagen für Ostverhältnisse Welten. Ich selber wurde aufgrund der Kündigung meines Vaters als Lehrer für eine Berufsausbildung mit Abitur nicht zugelassen. Natürlich wurde es anders begründet. So, wie auch einigen katholischen Mädchen, die ich während der Berufsausbildung kennenlernte, nicht begründet wurde, daß ihre Religionszugehörigkeit ursächlich für das verweigerte Abi war. So sind halt Biografien entstanden, die man nicht mit westlichen Normen messen kann und die sehr oft fehlinterpretiert werden. Und bei den Betroffenen oftmals das schale Gefühl nie gehabter Chancen hinterlassen...

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als Ossi, Wessi, Wossi, wieder Wessi
der aelteren generation kann ich nur beisteuern, das sich in der generation um 20 da alles dem westen angepasst hat von wegen keine gefuehle zeigen und die angeber, besserwissend- und ellenbogenmentalitaet gehoert damit auch einfach dazu, leider.

zumindest die ossitanischen aelteren wussten 5x mal soviel vom westen wie der wessi vom osten und dies ohne jemals dorthin fahren zu koennen.

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Leseland DDR
Das haben wir gemerkt: Nach der Wende, Anfang 1990, schmissen die Buchläden die sozialistischen Klassiker raus und noch Einiges mehr. Wir sind von Göttingen nach Halle gefahren und haben da die Buchläden abgeklappert, wo sämtliche MEW, aber auch Gorki und Mathebücher von Bronstein und Semandjajew in der Gosse lagen, zugunsten von Bildbänden aus der HB-Redaktion, Aral-Atlanten und Harenberg-Postkartenbänden. Uns kam das wie eine Bücherverbrennung vor, und wir schaufelten das Auto voll mit dem entsorgten Kulturgut.

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Der Reiz des Neuen. Und dass Marx und Engels damals als Ladenhüter verramscht oder weggeworfen wurden, ist doch auch nicht so überraschend. Ist ja nicht so, dass Marx im Westen ein Bestseller war, der verkauft sich auch erst in jüngster Zeit wieder besser. Auch Gorki dürfte hier keine so hohen Verkaufszahlen erreicht haben wie beispielsweise Simmel.

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danke, devona.
ich lebe in sachsen.

da kommen jetzt die alten blockflöten und -pfeifen von der cdu aus den löchern.

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arburetum,

urheberrecht spielte auch eine rolle. es gab da lizenzen, die eben nur für die ddr galten. als es die nicht mehr gab, waren die deutschen rechte eben wieder bei rowohlt, beispielsweise.

das mit dem leseland würde ich nicht überbewerten. sonderbar, dass es auf einmal so schlagartig damit vorbei war.

ich sage es einmal so: ein paar südfrüchte mehr, ein paar vw und opel mehr, dazu noch die bild und die mopo - die mauer stünde noch.

zum hausgebrauch:
ein land, in dem ein gewisser herr burda eine super-illu herausgeben und sich vom geld, das er mit diesem geistigem unrat verdient, sich als mäzen betätigen kann und dafür auch noch öffentliche anerkennung erlangt, ein solches land ist kein ort der kultur, ist es nicht.

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zum hausgebrauch:
ein land, in dem ein gewisser herr burda eine super-illu herausgeben und sich vom geld, das er mit diesem geistigem unrat verdient, sich als mäzen betätigen kann und dafür auch noch öffentliche anerkennung erlangt, ein solches land ist kein ort der kultur, ist es nicht.

mit der selben argumentationslinie dürfte von den steuern auf alkohol keine gesundheitsvorsorge betrieben werden.

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