: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 4. August 2007

Scheunenfund (oder so)

Eine der Folgen getrennter Wohnsitze war neben der doppelten Anschaffung der Handbibliothek von Da Ponte bis de Pisan auch ein ausgedehnter Fuhrpark mit jeweils zwei Rädern an zwei Orten. Mit drei Wohnorten gab es noch immer keinen Mangel, aber mit der Zusammenführung jedoch einen Überfluss, dem nur mit der geballten Fläche der Holzlegen beizukommen war. Und ganz hinten staubte etwas vor sich hin, das mir lange für den schnöden Dreck der Isarauen zu schade war, aber auch nicht gebaut wurde, um langsam dem Vergessen entgegen zu rotten.



Als ich im Frühjahr am Gardasee mein Lüngerl ausheilte, besuchte ich mit einem Bekannten auch das Fahrer- und Techniklager einer Mountainbike-Grossveranstaltung. Als ich mir mein Rocky Mountain Vertex zusammenschraubte, galten Shannonstütze und Bontragervorbau mit jeweils rund 200 Mark als irrwitzig teuer. Und der Rahmen, der damals nur Vertex hiess und in Deutschland 50 mal erhältlich war, galt als absolute Spitze im Leichtbau. Heute, lernte ich am Gardasee, ist das bestenfalls obere Mittelklasse. Ganz abgesehen davon, dass der Griff zu Campagnolo und Mavic bei Antrieb und Schaltung heute nicht mal mehr als verschrobene Liebhaberei durchgehen würde. Ich dagegen finde es erstaunlich, was man heute Menschen im Hochpreissegment nahe bringen kann. Und das, obwohl ich selbst kein Kostverächter bin.



Aber auch nach fünf Jahren reicht aufpumpen und ölen, um es wieder in Gang zu setzen. Und nachher in den Donauauen sind das Licht, der Wald und die Piste für alle wieder gleich, und besonders gleich ist es denen, die das nicht kennen, weil sie im Auto sitzen. In ein paar Jahrzehnten, wenn sich der normale Deutsche das Auto nicht mehr im Unterhalt wird leisten können, könnte sich das ändern, und angesichts der hohen Kosten für den globalen Transport wird man froh sein, um so einen Scheunenfund.

... link (26 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 23. Juli 2007

Wiavui?

60 will er, weil es ja ein Barockspiegel ist. Was natürlih eine schamlose Übertreibung ist; das Ding ist bestenfalls irgendwann um 1870 entstanden. Und ausserdem fehlen an allen Ecken und Enden Teile vom Stuck, aus dem die Verziehrungen geformt sind. Mitunter sind die Stellen auch hässlich übermalt. 60 ist zu viel.

Und ausserdem ist 30 mein Limit. Und da bin ich gnadenlos, denn erst, als ich shon weitergehe, geht er dann doch darauf ein. ich zahle, hebe den Spiegel hoch und lächle ihn tapfer an, obwohl mir eher zum heulen ist, denn schon beim ersten Anfassen an der Seite verwandelt sich der Rahmen in matschige Brösel. Stuckspiegel darf man nie im Regen stehen lassen, und genau das ist dem Händler passiert. Unter dem Spiegel, auf dem Tapeziertish, breitet sich ein bräunlicher Tümpel aus. Auf dem Weg zum Auto versaue ich mir damit die Jacke, das Hemd, die Hände, alles voller abblätternder Stuckbrösel.



Das wird ein lustiges Puzzlespiel, in den nächsten Tagen. Vor ein paar Monaten ist mir der grosse Rokokospiegel runtergekracht, weil die alte Aufhängung gerissen ist, und in Dutzende Einzelteile zersprungen; den habe ich auch wieder hingebracht. Aber das hier wäre absolut vermeidbar gewesen. Deshalb nochmal mein Ratschlag, von dem ich nicht dachte, dass er nötig ist: Stuckspiegel nie im Regen liegen lassen.

Der andere war trocken. Aber viel zu gross für die Barchetta. Glücklicherweise war da ein anderer Blogger mit einem voluminöseren Wagen, der mir beim Transport helfen konnte. Und nun fehlen mir nur noch, sagen wir mal, 10 weitere Spiegel für meinen Gang. Falls ich widerstehe und keinen in meiner Wohnung aufhänge. Denn für den Grossen hätte ich hier auch noch Platz.

... link (2 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 16. Juli 2007

Sommerfrust

Eigentlich hätte ich nur die Treppe hinaufgehen müssen, dort einkaufen und wieder fahren. Alles, was diesmal in Pfaffenhofen zu finden war, lag im Umkreis von 20 Metern. Der Spiegel war ohnehin das erste, was ich sah.



Leider etwas beschädigt, was mir vergleichweise egal ist, so sind eben die Spuren der zeit, aber schlimmer, die Vergoldung war braun übermalt. Was sich positiv auf den Preis auswirkte, zumal dort noch zwei Kerzenhalter dazu kamen. Und eine Ecke weiter stand ein schlichter Biedermeierspiegel aus Nussholz.

Man kann nun einwenden, dass ich schon nicht wenige Spiegel besitze, und ja, es stimmt. Aber dazu besitze ich auch rund 50 Meter Treppenhaus allein im Vorderhaus, und dieses Treppenhaus, das momentan seine weisse Nacktheit Richtung Norden ausstreckt, wo die Arkaden zum Innenhof nochmal Licht wegnehmen, braucht mehr Licht. Kronleuchter hängen da schon länger, und jetzt geht es darum, das vorhandene Licht besser zu verteilen. Nach vorsichtigen Schätzungen suche ich also rund 10 alte Spiegel, davon noch drei bis vier Biedermeierexemplare in eckig, und ansonsten altvergoldete Stücke, wobei zwei grosse Trummeauspiegel für den Hausgang unten wirklich fein wären. Gerne auch mit Konsolen. In etwa von der Art, wie ich vorgestern eine habe stehen lassen.

Zum Frustabbau eignet sich übrigens der Kampf gegen klebrige, braune Farbe auf alter Vergoldung wirklich hervorragend.

... link (11 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 12. Juli 2007

Der beste Kauf des Sommers

Ich so, vor drei Wochen: Oh, ein hübscher Kerzenhalter!

Iris so: Oh Gott nicht schon wieder, es ist Sommer, da braucht das kein Mensch, und es steht dann nur wieder rum.

Ich so (vollkommen ungerührt): Was kostet der?

Händler so (mit Blick auf die zeternde Iris): 10 Euro

Ich so: Gekauft!

Iris so: ichfassesnichtschonwiedereintrummderhatnenhau (oder so ähnlich)



Ich so: Jetzt bitte. es wird sicher irgendwann wieder Winter. Da kann man den gut brauchen. Ausserdem hat sie eine hübsche Nase.

... link (9 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 10. Juli 2007

Alternativbilder

ergänzend zu diesem Text. So ein verregneter Sommer hat den Vorteil, dass man an der Wohnung weitermachen kann.



Bücher einsortieren und dazu endlich einen kleinen, passenden Lesesessel finden. Das bedeutet zwar, sich mit der misslungenen Farbe im Eingang abzufinden, aber so ist es eben.



Man findet zudem nach etwas Suchen und Probieren passende Orte für Trouvaillen und Familienstücke.



Und man kann es sich leisten, die Uhr eine Weile nicht aufzuziehen. Für die Muse, auf dass sie sich das mit dem Weiss nochmal überlegt.

... link (11 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 9. Juli 2007

Die Quelle des Reichtums oder Messer wetzen gegen die Globalisierung

Immer wieder fragen sich die neidischen Koofmichs der Blogosphäre: Wieso wohnt der einfach so immer im Stadtpalast, während ich mich für eine lumpige Woche in der hinteren Hundehütte eines zum pseudoantiken Lifestylehotel degradierten Herrenhauses in der Pampa zum Werbegockel machen muss? Ist das gerecht?

Und ich antworte: Nein. Es ist natürlich ungerecht, wie immer, wenn Besitz im Vergleich auf posende Unterschichtenvertreter trifft. Die Ungerechtigkeit hat natürlich historische Ursachen, denn wer von früh auf vermittelt bekommt, worauf sich Besitz im Gegensatz zu Schein gründet, hat später alle Möglichkeiten, dieses Wissen zu nutzen. Ich glaube nicht an genetisch bedingte Veranlagung, sondern an die schlichte Erkenntnis: Man ist nie so reich, dass man es sich leisten kann, etwas Minderwertiges zu kaufen.

Und das fängt schon bei den Kleinigkeiten an. Nehmen wir nur mal: Messer. Manche werden sagen: Naja, ein Verschleissgegenstand. Zuerst hat man im Starterpaket von 1kea ein paar Küchenmesser, die werden stumpf, dann schmeisst man sie weg - sie haben ja nichts gekostet, war ja ein Paket - und benutzt die normalen Besteckmesser, bis die stumpf werden, dann schmeisst man die auch weg. Das Prinzip erkennt man auf dem Flohmarkt, wenn man Bestecke durchwühlt: Es sind meistens die Messer, die fehlen. Flohmarkt jedenfalls ist das Stichwort, denn da war ich heute. Ich brauchte Rahmen, und es gibt da einen Markt, dessen Qualität zwar durchschnittlich mies ist, aber dennoch ein paar spezalisierte Profis für Bäuerliches anzieht. Manche von denen haben restaurierte Werkzeuge, und einer von denen, ein rundlicher, aber rüstiger Rentner aus der Nachbarstadt, hatte das hier für 8 Euro dabei:



Dazu muss ich jetzt was erklären: Dort, wo ich wohne, habe ich zwei Wohnungen; meine alte Wohnung unter dem Dach, wo ich mich im Sommer auf der Dachterasse aufhalte, und die grosse, neue Wohnung ein paar Stockwerke weiter unten. Ich habe desweiteren schon seit Ewigkeiten einen Wetzstahl, aber auch nur einen. Mit dem Ergebnis, dass ich im Sommer oben koche, und dann jede Woche runter muss, um die Messer zu wetzen. Das kann mitunter ganz schön nerven, wenn man die fehlende Schärfe beim Schneiden des harten Grana Padano bemerkt, und im Herd der (preussisch auch "die") Butter im Hofa im Topf bruzzed schmilzt, (holt genervt Luft:) jo Saxndihundsvareggtebreissn vo de Kiela schleichts eich ia Hodalumbn des vaschteds eh ned ia malaadn Fieschkepf. Äh ja.

Das hier ist, wirtschaftlich gesprochen, ein langfristiges Investment. Ich besitze einige gute Küchenmesser deutscher Produktion, die ich damit viele Jahrzehnte scharf halten kann. Danach sterbe ich, und der Wetzstahl wird anderen Freude bereiten. Er hat jetzt schon über 100 Jahre auf dem Buckel, und macht es sicher nochmal - wie lange wohl? Messing ist so gut wie unzerstörbar, der Griff ist aus völlig glattem Kernholz, das bei guter Lagerung mehr als 1000 Jahre schafft, und der Stahl muss alle 100 Jahre mal mit neuen Riefen versehen werden. Wenn das Stück dauernd benutzt wird, wird es nicht viel anders aussehen, wenn man es in ein paar Jahrhunderten das Museum hängt. Für, wie erwähnt, 8 Euro.

Es geht natürlich auch anders. Nicht zum Flohmarkt radeln, aber alle zwei Jahre feststellen, dass die heimischen Messer der Schrott sind, die sie schon immer waren. In die Stadt - am besten mit dem Auto - fahren, und dort im Sonderangebot Messer made in Germany kaufen, 2,99 Euro das Stück. Made in Germany ist allerdings nur die Verpackung, der Inhalt kommt aus China und sieht täuschend echt aus. Das kleine Problem bei der Sache: In China werden diese Messer aus Schrottstahl hergestellt; also aus dem Wertstoffmüll des Westens, und der Hunger Fernasiens ist inzwischen so gross, dass Schrottautos und abgewirtschaftete Industrieanlagen dorthin exportiert werden. Was ich daran so irrsinnig finde: Das Zeug würde hier kein Stahlbauer, der was auf sich hält, verwenden, noch nicht mal für Abflussrohre - aber als Küchenmesser tut es der Deutsche an sein Essen.

Ein hoher Schrottstahlanteil sorgt leider dafür, dass man mit dem Wetzen fürwahr nicht anzufangen braucht. Damit sich die Schneide eines Messers bei diesem Arbeitsvorgang wirklich wieder ausrichtet, muss es aus einem wirklich guten Stahl sein. Die besten Stahle für das Zerlegen von Speisen sind übrigens nicht rostfrei, aber mein entsprechend narbiges Besteck des späten Rokoko kann ich wirklich nur Kennern zumuten. Der Chinadreck dagegen ist generell unzumutbar und nach zwei Jahren erkennbar schrottreif. So fährt man wieder in die Stadt, und kauft das nächste Messer für 2,99 Euro.

Man kann das alles von der Umweltbilanz her betrachten, von der Nachhaltigkeit, von der Frage, wo das Geld hingeht, und ob es mein Rentner besser verwendet, wenn er dafür eine Brotzeit kauft, oder der Megakonzern, der irgendwo in Südchina die Umwelt mit der Verwertung von verseuchtem Schrottstahl ebenso ruiniert wie die Gesundheit seiner Mitarbeiter, die bestochene Funktionäre unterdrücken; man kann überlegen, wer seine Zeit sinnvoller einsetzt, und am Ende ausrechnen, wer in 40 Jahren mehr Geld ausgegeben hat: Der eine, der immer noch wetzt, oder der andere, der inzwischen wegen der gestiegenen Rohstoff- und Transportpreise nach dem Spaziergang in die Stadt mit 2,99 Euro nicht mehr mal die Zinken einer Kuchengabel bekommt. Womit wir beim natürlichen Opfer des Wetzstahls wären: Dem Messer.



WosgostndösBschtegg? - fragte ich den Herrn. Ois? Ois. 12 Eiro.

Für 12 Euro bekommt man nicht mal das Silbertuch, auf dem es liegt. Es ist ein Silbertuch, weil das Besteck versilbert ist. Schliesslich ist es grossenteils von WMF. Enthält 6 grosse Gabeln, 6 kleine Vorspreisengabeln, 6 Kuchengabeln, 6 Löffel, leider nur 4 Messer, siehe oben, 6 Kaffeelöffel, und einen Vorlegelöffel, und dann noch ein Haufen anderer Stücke. Da hat sich jemand wirklich mal was geleistet. Das alles würde von WMF heute weit über 2000 Euro kosten. Eine einzige versilberte Kuchengabel kostet nämlich schon 42 Euro. Und sie ist es wert.

Sie ist es wert, im Gegensatz zum Dreck der Globalisierung und seinen Mechanismen: Der Wohlstandsverwahllosung hier und der Menschenverachtung dort, und der daraus folgenden bangen Frage, ob wir unseren Vorsprung noch werden halten können, bis die Explosion der Transportpreise die Schotten dicht macht, oder ob wir den Dreck für die paar Cent Preisunterschied weiter kaufen, bis wir alle global auf dem gleichen verkommenen, asozialen Müllhaufen sitzen, den wir uns gerade billigimportieren.

Ich weiss es nicht. Alles, was ich weiss ist, dass ich auch dann noch in meinem Stadtpalast sitzen werde, die Messer wetze und es nicht nötig haben werde, mich für Sponsoren zum käuflichen Deppen zu machen, oder mein Blog an die Helfer der chinesischen Mörder zu verticken.

... link (31 Kommentare)   ... comment


Der passende Rahmen

Sonntags könnte man sich einfach auf die Dachterasse legen, und fertig. Irgendwann die eingelegten Egerlinge holen, dann frisches Brot, später dann den Kuchen, den Concerti Grossi von Avison über Scarlattis Klaviersonaten lauschen. Es ist ansonsten sehr still in der Stadt, da kann man ruhig aufdrehen und den auf der anderen Seite schuftenden Elitessen ein paar Takte Gutes auf den Lebensweg mitgeben.



Doch leider kennt die Arbeit am Haus keinen Aufschub, und wenn man sich während der Woche mit den Haien der Münchner Immobranche prügelt, die samt und sonders keine "niederen" Tätigkeiten in ihren Häusern kennen, dafür aber die Aussichten, den nächsten Urlaub ist Stadelheim zu verbringen - dann fragt man sich schon, ob so ein verarbeiteter Nachmittag nicht die bessere Alternative ist. Ganz abgesehen davon, dass es nicht sein müsste; spontan fällt mir unter denen jedenfalls keiner ein, der in den aktuellen Treppenhäusern der Investmentangebote dekorative Powerpoints aus der Erbauungszeit anbringen lässt. Genau das tue ich, bei genauer Betrachtung - endlich habe ich genug alte, identische Rahmen, um ein paar Blätter eines Missale aus der Zeit um 1600 aufzuhängen. Aber wer weiss schon, auf was für Ideen man im Jahr 2400 kommt, sollte man sich dann in Besitz eines maroden Dreckhaufens unserer Tage befinden, und die naheliegende Idee des präventiven Selbstmordes von sich weisen: So eine nette Powerpoint zum Thema "Risikoloses Investieren an der Börse in Shanghai" lenken sicher von dem ein oder anderen Riss* im Beton ab.

*Riss, der: Ungewollter Spalt im Mauerwerk, eine der Folgen des nachbarocken Niederganges der Baukunst in Repräsentationsbauten.

... link (4 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 8. Juli 2007

Wie CDs aussehen müssen

Mein allererstes Schreiben im Netz, das man rückblickend als Blog bezeichnen kann, war eine frei kommentierbare Kolumne auf PHP-Basis mit einem festgelegten Layout, die täglich aktualisiert wurde - und sie beschäftigte sich mit dem Thema "MP3 War News". Das war Anno 2000, die New Economy war noch nicht untergegangen, und eine Bekannte, deren Freund gerade in Kalifornien studierte, erzählte mir von dieser Website namens Napster, wo die MP3 sind, die man ansonsten mühsam mit Altavista suchen musste. Also lud ich das Programm auf meinen 350mhz-Rechner, installierte es, und mir war klar, dass es ein fundamentaler Angriff auf den Vertrieb, die Hauptschlagader der Musikindustrie war. Urheberrechtsverletzung vielleicht auch, aber hey!

Und so schrieb ich jeden Tag was über die aktuellen Entwicklungen. Als da war: Der Krieg der Industrie gegen MP3.com, Alternativen zu Napster, die lachhaften Versuche der Labels, mit Projekten wie musicdownload24.de etwas auszurichten, über den klugen und deshalb wenig erfolgreichen Zwischenweg von Epitonic, und was sonst noch so passierte. Und bis heute bin ich der Meinung, dass ein Verstoss gegen das Urheberrecht ein kleineres moralisches Dilemma ist, als die finanzielle Unterstützung dieser Firmen durch den Kauf ihrer CDs.

Dennoch habe ich weitgehend aufgehört, zu Recherchezwecken Downloadprojekte und Ähnliches zu besuchen. Ich kaufe CDs. Denn einerseits findet man die Musik, die ich höre, nicht im Internet. Andererseits ist es vollkommen legitim, meine Musik und ihre Labels gerecht zu entlohnen. Zumal es sich um Tonträger handelt, die man ohne Schamesröte in das Buchregal stellen kann.



Natürlich braucht ein Plastikpopnudler keine eingelegten Hefte mit 32 Seiten, um sich über seine Musik und deren jenseits von Kommerz nicht vorhandenen Inhalt auszulassen. Und für ein gewisses Klientel mag Plastik hochwertiger erscheinen als Karton. Aber wer schon mal versucht hat, ein etwas dickeres Heft zwischen die Schienen einer CD-Hülle zu schieben, wird die obige Art bevorzugen. Karton bricht nicht, wenn er mal fallen sollte. Und durch die doppelte Faltung sollten die Tonträger auch gegen alle anderen mechanischen beanspruchungen geschützt sein. So ist denn auch genug Platz für ein wenig passende Kunst aus der Zeit, die den optischen Rahmen zum Klangerlebnis stellt. Und ohne das Plastik ist auf den Rücken auch genug Platz, um den Titel und die Interpreten lesbar aufzudrucken. Übrigens, zwei Dinge wird man vergeblich suchen: Kopierschutz und kranke Lizenzvereinbarungen.

Es ist eigentlich ganz einfach. Und die Käufer von Kommerzplastikdreck bekommen auf ihre Art eben auch die perfekte optische Ergänzung zum Lebensstil. Wenn sie schon zu dumm sind, sich das Zeug dort zu beschaffen, wo es ausser für die Industrie keinen Schaden anrichtet.

... link (13 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 3. Juni 2007

Mit neuen Augen sehen

Es trägt nicht wirklich zur Entmystifizierung des Cabriofahrens bei, wenn ich an dieser Stelle eingestehe: Ja, man erlebt die Welt völlig anders. Man ist nicht mehr entkoppelt, da sind Geräusche, Gerüche und der Fahrtwind, und als ich diese Woche zum ersten Mal seit Monaten wieder ein geschlossenes, hochmodernes Fahrzeug bewegte, fühlte ich mich, als hätte ich aus Versehen eine Überdosis Beruhigungsmittel in mich reichgeschüttet. Das lauteste Geräusch war das Sirren der Klimaanlage, die mich mit einer Luft anpustete, der alles Lebendige fehlte.

Abgesehen vom reinen fahrerlebnis sehe ich nun nicht mehr nur die Welt, sondern auch meine bevorzugten Einkaufsmöglichkeiten anders. Die Mitbringsel werden durch die Raumnot kleiner und feiner, Geschäfte mit Gepäckstücken und Kleidung werden ganz neu nach anderem durchsucht, ich trage ernsthaft Sakkos mit Aufnähern an den Ärmeln sowie Lederjacken und habe als notorischer Kopfbedeckungsablehner inzwischen 5 Kappen, Hüte und ähnliches nur für die Fahrerei ohne Dach und - Gott liebt auch die Weicheier - Windschott.

Während ich auf Floh- und Antikmärkten ausschliesslich Dinge für den stationären Gebrauch suchte, schaue ich nun nach Dingen zum Mitnehmen, und hier besonders Bewährtem gegen die Ereignisse, die einen beim Cabriofahren so ereilen. Nach der letzten Reise etwa suche ich dringend Damenhandschuhe. Es war nämlich so, dass die Copilotin auf den Pässen und des Nachts meine Nothandschuhe tragen musste, die im Handschuhfach für eben solch unvorsichtige Zeitgenossen liegen. Italien ist ein Wämeversprechen, das jeden zweiten, dritten tag auch im Mai noch gebrochen wird, und die Heizung des Wagens genügt allenfalls südsizilianischen Ansprüchen. Da sass die grazile Copilotin also und hatte sehr, sehr unförmige Dinger an den Händen, bis sie dann selbst Abhilfe schuf.

Doch schon in zwei Wochen wird eine neue Copilotin neben mir sitzen, und dann das Wetter des Nordens und den Fahrtwind unterschätzen. Nun käme ich mir etwas blöd vor, in ein Fachgeschäft zu gehen und Handschuhe für Frauen zu kaufen, deren Grösse ich naturgemäss nicht kenne. Doch glücklicherweise, auf einem Markt, wo ich üblicherweise so gut wie nie etwas finde:



Auf diesem Markt war eine Frau, die noch ungetragene, originalverpackte Damenhandschuhe aus den 50er oder 60er Jahren hatte - das Geschäft, aus dem sie laut Preisschild am roten Faden stammen, wurde vor über 30 Jahren übernommen und hat längst einer drittklassigen Parfumerie weichen müssen. Sie sind so fein und weich, dass jede Ohrfeige damit immer noch eine Liebkosung wäre. Und als ich schon gezahlt hatte, sah ich aus dem Augenwinkel noch ein Portemonnaie wie -

das zu erklären, wird etwas komplex, die Kurzversion: Ich habe einen Geldbeutel, in dem die letzten 20 Jahre meines Lebens stecken. Als ich 20 wurde, beschlossen meine Eltern, dass es Zeit sei für ein richtiges Stück, gingen in das erste Haus am Platz und kauften ein Portemonnaie, das von den Gummigeschossen und dem Reizgas im Gaza bis zum winterlichen Ausrutscher in den Atlantik bei Lissabon alles mitgemacht hat. Die Idee meiner Eltern, mir etwas ungewöhnlich Teures und Schweres zu kaufen, das man immer fühlt, hat funktioniert und dafür gesorgt, dass es letzten Monat auch eine Trickdiebattacke in Brescia überstanden hat. Der Weg zu meiner Brieftasche führt nur über meine Leichte.

Doch nach den 20 Jahren ist sie fraglos defekt, das Leder ist gerissen. Aber ich kann mich nicht einmal dazu durchringen, sie zum Schuster zu bringen, selbst wenn mitunter die Münzen aus einer geplatzten Naht auf den Boden kullern. Sollte ich mal drei Monate nichts zum bloggen wissen, würde ich sie einfach ausleeren und erzählen, was sich da in den letzten zwei Jahrzehnten an Erinnerungen angesammelt hat.

In Italien habe ich mich jetzt seit 2 Jahren dauernd nach einer Alternative umgeschaut. Das Original der britischen Nobelmarke gibt es nicht mehr - zu teuer sei das gewesen, man habe diese Stücke kaum verkauft, meinte man in der Niederlassung in München - also suchte ich immer wieder mal. Aber selbst der gute Taschenmacher, der selbst seit 40 Jahren eine Tasche eines anderen Handwerkers benutzt, hatte nichts, was meinen Vorstellungen und Ansprüchen entsprach. Ganz zu schweigen von all dem üblen Zeug aus Fernost, das auch in Italien längst eine unschöne Kultur der fehlenden Nachhaltigkeit erzeugt.

Nur hier, auf diesem schlechten Markt, in einer Kiste ganz unten, war aus dem gleichen Geschäft wie die Handschuhe ein Portemonnaie, nagelneu und unbenutzt und aus dem genau gleichen Material, in der gleichen Farbe wie meines, aus einer Zeit, in der man lediglich Visitenkarten hatte, und Bilder der Familie. Oh mei, 10 Cent, sagte die Frau hinter dem Tapeziertisch. 10 Cent, sagte ich. Gut. Nicht, dass ich jetzt umräumen würde - aber sollte dereinst das alte Stück wirklich nicht mehr tragbar sein, dann habe ich jetzt Ersatz: Gleiches Format, gleiches Lederl, gleiches Gefühl, und der Preis "damals" laut innenliegendem Zettel: 148,50 DM. 1965 kostete ein neuer VW Käfer 5000 Mark.

Und dann war da noch das Opernglas aus der Zeit um 1840. Komplett aus Bronze, früher vergoldet, und nicht mit einer angesetzten Stange, sondern eine Öse im Metall. Komplett zerlegbar für die Reinigung. 1840 dachte man eben noch an nachfolgende Generationen, die gegenüber dem Händler den Staub im Glas bemängelten und wussten, dass sie es zu Hause öffnen und herrichten konnten. Es ist schlichtweg das Opernglas, das die Copilotin heben wird, hinüber zum Tisch eines Restaurants sieht und dann fragte: Don, was essen die dort? Und ich werde antworten: Ich weiss es nicht, aber sicher kein Mintplätzchen, dessen Geschmack ich verabscheue, aber dessen Werbung ich bis heute als wunderbar arrogant empfinde. Sodann wird die Copilotin sagen: Gib Gas, Don. Und sie legt das Fernglas in das Handschuhfach, zieht die feinen braunen Handschuhe an, und wir entschwinden hinter einer saftig grünen Hügelkuppe in die Richtung, wo Italien liegen muss.

Und zwar weitaus früher, als meine Feinde das, egal ob mit neuen giftgrünen oder alten rotgeränderten Augen gern sehen würden.

... link (7 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 30. Mai 2007

Italien über die Alpen tragen

Man hat sich so an die Siesta gewöhnt, das Ausruhen über Mittag in einem Cafe, bei einem Panino gefüllt mit Antipasti, und es fällt schwer, dem zu entsagen. Meine Copilotin ist sicher schon wieder zur Fischsemmel im hauptbahnhof verdammt, und ich bin schuld, denn in mantua habe ich es versäumt, mit ihr in einen ganz bestimmten Laden zu gehen. Wir standen davor und zogen doch weiter, und das nun hat zur Folge, dass ich von etwas schreibe, was sie nicht ahnte.

Es gibt nämlich neben der in unserer geschmacklosen kulinarischen Landschaft unvorstellbaren Sitte, eine dicke Scheibe Grana Padano anzugrillen und in das Brot zu legen, auch noch eine andere Kösespezalität, die so gar nicht ins Deutsche passen will: Cacioricotta. Wie den Grana nimmt man den Cacioricotta, einen harten, runden, elfenbeinweissen Ziegenkäse, um ihn wie Parmesan über Nudeln zu reiben. Aber mit ihm geht auch noch etwas anderes, was Parmesan & Cie. nicht vertragen: man kann ihn braten. Und ungefähr 4 Monate im Kühlschrank bewahren. Während jeder andere italienische Käse also längst das zeitliche gesegnet hat, kann man mit Cacioricotta, wenn man genug gekauft hat, Italien und namentlich Oberitalien mit nach Hause nehmen und aufheben, bis man dann folgendes macht:



Man brate den in feinste Scheiben geschnitteten Cacioricotta in Olivenöl vom Gardasee leicht an, tue feine Tomatenscheiben dazu, und bestreiche nebenbei ein Stück Weissbrot dünn mit Ajvar. Dann tue man noch etwas Rosmarin, Salz und Pfeffer auf den Käse, drehe ihn um, bis er auf beiden Seiten goldbraun ist, und lege erst die Tomaten und dann den gebratenen Käse auf das Brot, das wieder auf ein passendes Präsentiersilber, photographiere es für das Blog - und danach esse man sich zurück über den Brenner. Es ist seinem zypriotischen Vetter Halloumi nicht unähnlich und doch anders, feiner, der Nachhall im Mund ist runder und neutraler, man kann ihn feiner schneiden und braten, es ist also Halloumi de luxe. Dass der Cacioricotta in Oberitalien beheimatet ist, muss kein Zufall sein, denn Zypern gehörte in der frühen Neuzeit zu Venedig - und die Zyprioten wiederum kennen ihn aus dem Orient.

Womit man sich mit einem einzigen Baguette einmal quer durch die Levante essen kann, mit einem Tomatenabstecher in die neue Welt und durch das Weissbrot an die Cote. Ich sage jetzt besser nichts über Fischsemmeln.

... link (21 Kommentare)   ... comment