Montag, 28. Mai 2007
Copilotenkoffer
Die halbe Nacht nicht geschlafen, den Morgen verschlafen, aufgewacht, an den Flohmarkt in Pfaffenhofen erinnert, schnell noch hingefahren, und dann war da diese alte Reisetasche. Ich habe in Italien zwar bereits eine Reisetasche gekauft, sehr schön und günstig obendrein, aber sie ist eben neu, und an Neuem hängt keine Sehnsucht und keine Erinnerung, nur ein wenig Kaufgeschichte bislang. Die Tasche auf dem Flohmarkt dagegen war genauso, wie man sich eine alte Reisetasche vorstellt: Mopplig, rund, aus dickem Leder und in erstaunlich guter Form. Praktisch neu, das Futter war blendend weiss, sogar die Schlüssel hingen an einem Lederband dran. Passend zum Rest der neueren Erwerbungen war sie ohnehin. Wer immer sie besessen hatte, war kaum damit gereist.

Sie hatte nur ein kleines Problem: Das Preisschild, das 50 Euro besagte. Normalerweise ist das mit etwas Handeln kein grosses Problem, aber diesmal war ich so überstürzt aufgebrochen, dass ich den Gang zum Bankautomaten vergessen hatte. Und der nächste Automat ist weit, weit entfernt, während hier schon überall eingepackt wurde.
23 Euro hatte ich noch dabei, auf 17 Euro einigten wir uns dann. Auch, wenn altes Gepäck beim hiesigen Publikum nicht sonderlich begehrt ist, war es doch ein harter Kampf, aber was bleibt, wenn man mit dem Rücken zur finanziellen Wand steht? Denn haben musste ich die Tasche. Wenn der nächste Copilot kommt, wird er nämlich seinen Rollkoffer daheim lassen und diese Tasche nehmen. Sie passt perfekt hinten ins Auto hinein und hat keine Rollen, die Raum wegnehmen. Nur ein paar leicht rostige Nieten und viel Platz im Inneren.
Und nachdem ich in letzter Zeit gesehen habe, was gutes Leder so kostet, war es sicher keine schlechte Entscheidung, das Stück zu kaufen. Denn die nächste Reise kommt bald.

Sie hatte nur ein kleines Problem: Das Preisschild, das 50 Euro besagte. Normalerweise ist das mit etwas Handeln kein grosses Problem, aber diesmal war ich so überstürzt aufgebrochen, dass ich den Gang zum Bankautomaten vergessen hatte. Und der nächste Automat ist weit, weit entfernt, während hier schon überall eingepackt wurde.
23 Euro hatte ich noch dabei, auf 17 Euro einigten wir uns dann. Auch, wenn altes Gepäck beim hiesigen Publikum nicht sonderlich begehrt ist, war es doch ein harter Kampf, aber was bleibt, wenn man mit dem Rücken zur finanziellen Wand steht? Denn haben musste ich die Tasche. Wenn der nächste Copilot kommt, wird er nämlich seinen Rollkoffer daheim lassen und diese Tasche nehmen. Sie passt perfekt hinten ins Auto hinein und hat keine Rollen, die Raum wegnehmen. Nur ein paar leicht rostige Nieten und viel Platz im Inneren.
Und nachdem ich in letzter Zeit gesehen habe, was gutes Leder so kostet, war es sicher keine schlechte Entscheidung, das Stück zu kaufen. Denn die nächste Reise kommt bald.
donalphons, 01:49h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Sonntag, 13. Mai 2007
Reiseutensilien
kann man sich in der Barchetta eigentlich sparen: Was Platz wegnimmt, passt nicht rein. Im Kofferraum ist eher Platz für kleinere Taschen, hinter den Sitzen sind auch schon die Laptops, und überhaupt fängt man automatisch an, nach kleinen Flaschen Motoröl zu suchen, die man irgendwie neben das Reserverad quetschen kann. Überhaupt, das Reserverad, das wäre doch eigentlich auch durch so ein Spray zu ersetzen... solche Gedanken hat man mit meinem Wagen, und es sind keine luxuriösen Gedanken. Ein klein wenig mehr Platz, das wäre es. Und Fächer für das, was man vorne braucht: Kasetten, Karten und Kameras. Es gibt zwar ein paar kleine Behältnisse, aber die sind schon mit den lebenswichtigen Brillen, Schals, Handschuhen und Mützen vollgestopft. Und dieser Mangel an Raum ist es, der einen dann doch zuschlagen lässt, auf dem miesen Flohmarkt vor der Stadt, wo aber doch manchmal ein Barockspiegel steht.

Da ist also dieser Herr, bei dem ich verweilte, weil er eine Zeiss Icarex 35 S hatte, die das letzte Aufbäumen der ehemals einzigartigen optischen Industrie dieses Landes symbolisiert. Nach der Icarex ging Zeiss zu Türschlössern über, und Firmen wie Minolta und Nikon übernahmen die Macht - Firmen, die nebenbei erwähnt heute im Digitalboom auch nicht mehr das sind, was sie mal mit ihren die Deutschen zermalmenden Spiegelreflexkameras waren. Sondern entweder aufgesaugt oder Entwicklungsabteilungen mit Fertigung in China. Nichts ist ewig auf dieser Welt. Ausser vielleicht einer Icarex 35 S, ein Metallbrocken auf der Konstruktionsbasis eines Flugzeugträgers, mit dem man jede heute existierende Digicam sowie danach noch eine Garde Mord- und Unterdrückungsfunktionäre im Reich der Mitte zertrümmern kann - man versuche das mal mit dem modernen Plastikschmarrn.
Dessen schnellere Funktionen hier die Reste deutscher, japanischer und russischer Kamerabaukunst gleichermassen anschwemmt. Doch man täusche sich nicht: Die Zeiten, in denen man eine Icarex für 10 Mark bekam, hat es hier nie gegeben, denn der Herr weiss, was ein Zeiss Tessar ist, und wo dessen Qualitäten liegen. Und ich brauchte nicht noch eine Kamera, sondern eher etwas, wo ich sie hintue, wenn ich sie diesmal nicht einfach auf den Beifahrersitz werfen kann. Dort nämlich sitzt jemand. Und zwischen uns ist nur ein schmaler Bereich, der die Sitze trennt. Dort jedoch passt exakt auf den Zentimeter das hinein, was unter dem Tisch des Kamerahändlers stand:

Da hat jemand in den 60er Jahren also diese Ledertasche gekauft, mit all ihren Fächern und Spanngurten und Messingarmierungen und Verstärkungen, und dazu ein Stativ, das auf den Millimeter die gesamte Länge füllt. Ausgeszogen hat es ebenfalls Beine aus Messing, und dann war da noch ein alter Bekannter drin: Ein Sixtomat von Gossen, der sauber verschlossen die mehr als 50 Jahre seit seiner Herstellung überstanden hat und immer noch analog, ohne jede Batterie funktioniert. Das alles hat dieser Herr dann, wie man am Zustand erkennt, praktisch nie benutzt. Das Leder ist an keiner Stelle abgestossen, und das Messing an den Kanten und Leisten schimmert golden aus Tagen, da Adenauer Deutschland lähmte und in China Herr Mao dafür sorgte, dass überall noch mehr Menschen umfielen, als das seine Nachfolger heute mit Schweigen und Segen des Kapitals tun.

Da ist also dieser Herr, bei dem ich verweilte, weil er eine Zeiss Icarex 35 S hatte, die das letzte Aufbäumen der ehemals einzigartigen optischen Industrie dieses Landes symbolisiert. Nach der Icarex ging Zeiss zu Türschlössern über, und Firmen wie Minolta und Nikon übernahmen die Macht - Firmen, die nebenbei erwähnt heute im Digitalboom auch nicht mehr das sind, was sie mal mit ihren die Deutschen zermalmenden Spiegelreflexkameras waren. Sondern entweder aufgesaugt oder Entwicklungsabteilungen mit Fertigung in China. Nichts ist ewig auf dieser Welt. Ausser vielleicht einer Icarex 35 S, ein Metallbrocken auf der Konstruktionsbasis eines Flugzeugträgers, mit dem man jede heute existierende Digicam sowie danach noch eine Garde Mord- und Unterdrückungsfunktionäre im Reich der Mitte zertrümmern kann - man versuche das mal mit dem modernen Plastikschmarrn.
Dessen schnellere Funktionen hier die Reste deutscher, japanischer und russischer Kamerabaukunst gleichermassen anschwemmt. Doch man täusche sich nicht: Die Zeiten, in denen man eine Icarex für 10 Mark bekam, hat es hier nie gegeben, denn der Herr weiss, was ein Zeiss Tessar ist, und wo dessen Qualitäten liegen. Und ich brauchte nicht noch eine Kamera, sondern eher etwas, wo ich sie hintue, wenn ich sie diesmal nicht einfach auf den Beifahrersitz werfen kann. Dort nämlich sitzt jemand. Und zwischen uns ist nur ein schmaler Bereich, der die Sitze trennt. Dort jedoch passt exakt auf den Zentimeter das hinein, was unter dem Tisch des Kamerahändlers stand:

Da hat jemand in den 60er Jahren also diese Ledertasche gekauft, mit all ihren Fächern und Spanngurten und Messingarmierungen und Verstärkungen, und dazu ein Stativ, das auf den Millimeter die gesamte Länge füllt. Ausgeszogen hat es ebenfalls Beine aus Messing, und dann war da noch ein alter Bekannter drin: Ein Sixtomat von Gossen, der sauber verschlossen die mehr als 50 Jahre seit seiner Herstellung überstanden hat und immer noch analog, ohne jede Batterie funktioniert. Das alles hat dieser Herr dann, wie man am Zustand erkennt, praktisch nie benutzt. Das Leder ist an keiner Stelle abgestossen, und das Messing an den Kanten und Leisten schimmert golden aus Tagen, da Adenauer Deutschland lähmte und in China Herr Mao dafür sorgte, dass überall noch mehr Menschen umfielen, als das seine Nachfolger heute mit Schweigen und Segen des Kapitals tun.
donalphons, 23:43h
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Freitag, 11. Mai 2007
Ganz vergessen
Morgen ist der grosse, nur zweimal jährlich stattfindende Flohmarkt am Messegelände in Landshut. Falls ich es schaffe, fahre ich da hin. Man gönnt sich ja sonst keinen Flohmarkt, vor lauter Italien.
donalphons, 18:27h
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Mittwoch, 2. Mai 2007
Unbedingt merken:
Bergpesto a la kleine Trattoria in winzigem Kaff bei Montebello: Olivenöl, wenig Knoblauch, viel Grana Padano, und dann: Schnittlauch, Rucola, Rosmarin und normalen Lauch, dazu geriebene Pinienkerne.
donalphons, 22:46h
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Sonntag, 22. April 2007
Aus aller Herren Länder
Eigentlich, alles zusammengenommen - mag ich die Globalisierung. Oh, um ganz ehrlich zu sein: Sie ist grossartig. Trotz aller übler Folgen. Aber es gibt auch eine Globalisierung des Schönen, des Sinnvollen und des Verschiedenen, das man dennoch zu einem schlüssigen Ganzen zusammenfügen kann.
Da ist etwa diese alte Fliegerbrille aus Leder und Chrom, die in den 20er Jahren nicht verkauft wurde und nun - fabrikneu aus einer Geschäftsräumung - schon morgen früh ihrem Zweck zugeführt wird. Man kann sie einfach klein zusammenklappen und in die Tasche tun. Bauhaus für die Augen.

Oder die beiden kleinen Silberleuchter aus Amerika. Paare sucht man meist vergebens, aber die hier sind nicht zerrissen worden. Klein, fein, niedrig, so passen sie zum kleinen Abschiedsessen. Und dann das Seidenbild. Hölle. Dreimal bin ich daran blind vorbeigelaufen, bis ich dann nach was anderem gefragt habe und es erst beim Weggehen sah. Natürlich ist es beschädigt. Das ist normal bei Seide, die über 100 Jahre alt ist. Sie wird es hier besser haben als in dem geräumten Münchner haushalt, in den sie ein Grossonkel aus Japan brachte. Und dann ist da noch ein Buch. Ein französisches Buch. Ein Buch, nicht zum lesen, ein Buch mit einem grauenvoll erbaulichen Inhalt -
und dennoch ein Buch, wie ich es immer schon haben wollte. Das Leben ist schön, das Schicksal ist mir gewogen, und nachher erkläre ich auch, warum.
Da ist etwa diese alte Fliegerbrille aus Leder und Chrom, die in den 20er Jahren nicht verkauft wurde und nun - fabrikneu aus einer Geschäftsräumung - schon morgen früh ihrem Zweck zugeführt wird. Man kann sie einfach klein zusammenklappen und in die Tasche tun. Bauhaus für die Augen.

Oder die beiden kleinen Silberleuchter aus Amerika. Paare sucht man meist vergebens, aber die hier sind nicht zerrissen worden. Klein, fein, niedrig, so passen sie zum kleinen Abschiedsessen. Und dann das Seidenbild. Hölle. Dreimal bin ich daran blind vorbeigelaufen, bis ich dann nach was anderem gefragt habe und es erst beim Weggehen sah. Natürlich ist es beschädigt. Das ist normal bei Seide, die über 100 Jahre alt ist. Sie wird es hier besser haben als in dem geräumten Münchner haushalt, in den sie ein Grossonkel aus Japan brachte. Und dann ist da noch ein Buch. Ein französisches Buch. Ein Buch, nicht zum lesen, ein Buch mit einem grauenvoll erbaulichen Inhalt -
und dennoch ein Buch, wie ich es immer schon haben wollte. Das Leben ist schön, das Schicksal ist mir gewogen, und nachher erkläre ich auch, warum.
donalphons, 22:12h
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Sonntag, 1. April 2007
Halcyon Days
Müsste ich meine Feindbilder beschreiben, derer ich doch einige habe, käme relativ weit oben Folgendes: Ein PR-ostituierter einer Firma wie beispielsweise SinnerSchrader in der offenen blauen Kretinblechdachkutsche des Opel Tigra Twin Top mit Weicheiwindschott und 40 Sachen die Kurven der Brenner Staatsstrasse runter kriechend, neben sich eine anämische Hungerblondine namens Anja oder Tanja, die alles mit dem Kamerahandy aufnimmt, und beide tragen Baseballkappen amerikanischer Hochschulen und dazu Sonnenbrillen von Oakley und Versace - und ich komme von hinten mit lässigen 160 entspannten 110 erlaubten 80 daher und muss wegen diesem verfluchten Gimpel meine kurvengierige Barchetta abbremsen. Das sind die Momente, in denen ich Dinge sage, die ich noch nicht mal bloggen würde. Ich bin der zivilisierteste Autofahrer der Welt und ein Kavalier am Steuer, ich bremse für alles und trage Kröten über die Strasse - aber auch für mich gibt es Grenzen.
Weil ich diese Feindbilder habe, suche ich wie jeder Mensch natürlich Distinktionsmerkmale. Und zu diesem Zweck habe ich eine lange Liste von Gegenständen, die mir helfen sollen, eine derartige Existenz zu vermeiden. Manches hat sich gefunden, anderes hingegen lässt sich äusserst schwer beschaffen. Ich bin einer derer, dem ein Gegenstand weniger bedeutet als seine Geschichte, und deshalb will ich keinesfalls bei Ebay irgendwelche fabrikneuen taiwanesischen Kopien bestellen, sondern das, was Alter und Erwerb zum Unikat werden lässt. Heute morgen, nach dem Aufstehen, dachte ich über die bevorstehenden Reisen nach, und dabei ging ich die Liste der Desiderate durch, die mir nun schon seit über einem Jahr fehlen. Da wäre eine Fliegerbrille von Halcyon. Eine englische Halcyon Mark IX, deren Ruf ironischerweise aus einer äusserst unruhigen Zeit stammt - beliebt war diese Brille mit ihrem Messinggestell und der handgenähten Ledermaske während des Battle of Britain. Ausserdem waren alle alten Lederhauben, die ich bislang fand, definitiv zu klein für meiner 59er-Schädel. Und dann bräuchte ich schon seit längerem eine funktionierende Kamera im Stil der originalen kleinen Leica. Nachdem meine russische FED leider Filme frisst, wie ein PR-olet das Fingerfood. Eine lange Liste. Besonders, wenn der einzige Flohmarkt am ersten Sonntag im Monat bekanntermassen erbärmlich ist.

Und dann ging es ganz schnell. Nach 10 Minuten hatte ich einem älteren Herren, der nun schon seit 30 Jahren nicht mehr Cabrio fährt, die Halcyon Mark IX abgekauft. Zwei Stände weiter lag in einer Kiste "vom Opa" die gesuchte Lederhaube in der passenden Grösse - bis auf den Kinnriemen, aber den macht man ohnehin nicht zu. Und dann war da noch der junge Einwanderer, der neben einem Haufen alter Minoltas, Nikons und Praktikas auch von daheim eine - nach der Seriennummer - praktisch neuwertige Eport-Zorki 1C aus der Zeit um 1952 mit Industar 22 Objektiv hatte. Zorkis und FEDs und die darauf basierenden Leica-Fälschungen sind übrigens auch ein schreiend komisches Kapitel der Globalisierung, aber dazu wann anders.
Jetzt habe ich für den Preis dessen, was ich einem Hamburger PRlers für zwei Wochen Arbeit im Steinbruch zu zahlen bereit wäre, eigentlich alles beisammen, um zu starten, goldenen Tage, die halcyon days des Frühlings.
Weil ich diese Feindbilder habe, suche ich wie jeder Mensch natürlich Distinktionsmerkmale. Und zu diesem Zweck habe ich eine lange Liste von Gegenständen, die mir helfen sollen, eine derartige Existenz zu vermeiden. Manches hat sich gefunden, anderes hingegen lässt sich äusserst schwer beschaffen. Ich bin einer derer, dem ein Gegenstand weniger bedeutet als seine Geschichte, und deshalb will ich keinesfalls bei Ebay irgendwelche fabrikneuen taiwanesischen Kopien bestellen, sondern das, was Alter und Erwerb zum Unikat werden lässt. Heute morgen, nach dem Aufstehen, dachte ich über die bevorstehenden Reisen nach, und dabei ging ich die Liste der Desiderate durch, die mir nun schon seit über einem Jahr fehlen. Da wäre eine Fliegerbrille von Halcyon. Eine englische Halcyon Mark IX, deren Ruf ironischerweise aus einer äusserst unruhigen Zeit stammt - beliebt war diese Brille mit ihrem Messinggestell und der handgenähten Ledermaske während des Battle of Britain. Ausserdem waren alle alten Lederhauben, die ich bislang fand, definitiv zu klein für meiner 59er-Schädel. Und dann bräuchte ich schon seit längerem eine funktionierende Kamera im Stil der originalen kleinen Leica. Nachdem meine russische FED leider Filme frisst, wie ein PR-olet das Fingerfood. Eine lange Liste. Besonders, wenn der einzige Flohmarkt am ersten Sonntag im Monat bekanntermassen erbärmlich ist.

Und dann ging es ganz schnell. Nach 10 Minuten hatte ich einem älteren Herren, der nun schon seit 30 Jahren nicht mehr Cabrio fährt, die Halcyon Mark IX abgekauft. Zwei Stände weiter lag in einer Kiste "vom Opa" die gesuchte Lederhaube in der passenden Grösse - bis auf den Kinnriemen, aber den macht man ohnehin nicht zu. Und dann war da noch der junge Einwanderer, der neben einem Haufen alter Minoltas, Nikons und Praktikas auch von daheim eine - nach der Seriennummer - praktisch neuwertige Eport-Zorki 1C aus der Zeit um 1952 mit Industar 22 Objektiv hatte. Zorkis und FEDs und die darauf basierenden Leica-Fälschungen sind übrigens auch ein schreiend komisches Kapitel der Globalisierung, aber dazu wann anders.
Jetzt habe ich für den Preis dessen, was ich einem Hamburger PRlers für zwei Wochen Arbeit im Steinbruch zu zahlen bereit wäre, eigentlich alles beisammen, um zu starten, goldenen Tage, die halcyon days des Frühlings.
donalphons, 23:41h
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Montag, 26. März 2007
Warum
Warum hast Du eigentlich...
Schau, das sind sie. Gleich zwei Stück. Gestern in Berlin habe ich wie verrückt danach gesucht. Tatsächlich kaufe ich sie ja nicht für mich, sondern für den alljährlichen Verlust von 4 bis 6 Teekannen, die an irgendjemand verschenkt werden. Ich fülle eigentlich nur Lücken auf. Die eine da ist die Lücke, die Du gerissen hast, wenn ich das mal so uncharmant sagen darf.
Aber warum...
Berlin? Na, weil da ein älterer Herr ist, der alle paar Monate aus England ein paar Kisten voller Kannen mitbringt. Ich hatte gehofft, ihn zu treffen, aber er war wohl noch drüben. Ich war höllisch enttäuscht, und dann heute das: 2 Kannen direkt nacheinander, keine 20 Meter entfernt. Und das in Pfaffenhofen, wo es sonst nie englische Kannen gibt, und wenn, dann zu völligen Mondpreisen. Ein wenig putzen und schon:

sind sie fast wieder wie neu. Die paar Stellen, wo die Versilberung abgerieben ist, sieht man kaum. Ja, die konkave Kanne habe ich praktisch schon mal, aber in der oberen Wohnung, und die konvexe Kanne ist eine lustige Ergänzung, findest Du nicht?
Aber warum hast Du den Biedermeierstuhl gekauft? Du hast doch schon so viele...
Warum, warum, warum. Weil ich ich kann. Weil der Tag, an dem ich an einem Biedermeierstuhl mit Mahagonifurnier aus der Zeit um 1820 für 25 Euro vorbei komme und ihn nicht kaufe, der Tag sein wird, da man mich im Leichenwagen daran vorbeifährt. Weil ich im Frühjahr ein klein wenig zum Restaurieren haben will. Weil ich die Form mag. Weil tausende daran vorbei gelaufen sind, ohne die Qualität zu erkennen. Weil ich die ganze Nacht gekotzt hätte, wenn ich ihn nicht gekauft hätte. Für meinen Seelenfrieden. Dafür, dass ich keinem Blogstricher aus falschen Gründen die Fresse eintrete. Darum.

Don?
Ja, Iris?
Das ist schon etwas krankhaft.
Habgier, meine Liebe. Stühle und Frauen kann man nie genug besessen haben. Und jetzt holen wir die Torte.
Schau, das sind sie. Gleich zwei Stück. Gestern in Berlin habe ich wie verrückt danach gesucht. Tatsächlich kaufe ich sie ja nicht für mich, sondern für den alljährlichen Verlust von 4 bis 6 Teekannen, die an irgendjemand verschenkt werden. Ich fülle eigentlich nur Lücken auf. Die eine da ist die Lücke, die Du gerissen hast, wenn ich das mal so uncharmant sagen darf.
Aber warum...
Berlin? Na, weil da ein älterer Herr ist, der alle paar Monate aus England ein paar Kisten voller Kannen mitbringt. Ich hatte gehofft, ihn zu treffen, aber er war wohl noch drüben. Ich war höllisch enttäuscht, und dann heute das: 2 Kannen direkt nacheinander, keine 20 Meter entfernt. Und das in Pfaffenhofen, wo es sonst nie englische Kannen gibt, und wenn, dann zu völligen Mondpreisen. Ein wenig putzen und schon:

sind sie fast wieder wie neu. Die paar Stellen, wo die Versilberung abgerieben ist, sieht man kaum. Ja, die konkave Kanne habe ich praktisch schon mal, aber in der oberen Wohnung, und die konvexe Kanne ist eine lustige Ergänzung, findest Du nicht?
Aber warum hast Du den Biedermeierstuhl gekauft? Du hast doch schon so viele...
Warum, warum, warum. Weil ich ich kann. Weil der Tag, an dem ich an einem Biedermeierstuhl mit Mahagonifurnier aus der Zeit um 1820 für 25 Euro vorbei komme und ihn nicht kaufe, der Tag sein wird, da man mich im Leichenwagen daran vorbeifährt. Weil ich im Frühjahr ein klein wenig zum Restaurieren haben will. Weil ich die Form mag. Weil tausende daran vorbei gelaufen sind, ohne die Qualität zu erkennen. Weil ich die ganze Nacht gekotzt hätte, wenn ich ihn nicht gekauft hätte. Für meinen Seelenfrieden. Dafür, dass ich keinem Blogstricher aus falschen Gründen die Fresse eintrete. Darum.

Don?
Ja, Iris?
Das ist schon etwas krankhaft.
Habgier, meine Liebe. Stühle und Frauen kann man nie genug besessen haben. Und jetzt holen wir die Torte.
donalphons, 01:49h
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Donnerstag, 22. März 2007
Und schon wieder zu spät
ich bin immer noch da. jetzt aber geht es los nach Leipzig.
Sonntags bin ich wieder hier - und dann in Pfaffenhofen auf dem Flohmarkt. Wer Interesse hat, kommentieren oder mailen!
Sonntags bin ich wieder hier - und dann in Pfaffenhofen auf dem Flohmarkt. Wer Interesse hat, kommentieren oder mailen!
donalphons, 11:05h
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Montag, 19. März 2007
Das gibt es nicht nur in Gelsenkirchen
Letztlich ist es ein Problem des Brandings. Denn - seien wir ehrlich: Niemand wird sich heute finden, der irgendein Möbel des Barock, einen Reinaissancepalast oder eine gotische kathedrale heute als Kitsch oder Geschmacksverirrung abtun würde. Das Problem ist einzig und allein mit dem Wandel der Zeit die Bauqualität. Sobald wir über Biedermeier oder ältere Epochen reden, verschwindet der Kitsch und wird allenfalls vom Ramsch ersetzt. Obwohl, und das ist uns allen bewusst, es früher durchaus andere Urteile über Kunst und Stil gab. Genauso, wie das Empire den Rokokoschnörkel verdammte, hasste die neue Sachlichkeit den Jugendstilbogen, und dennoch finden wir das heute alles irgendwie grossartig, toll und begehrenswert in den Auktionskatalogen wieder.
Es gibt allerdings noch Ausnahmen: Deutscher Historismus und - Gelsenkirchner Barock, gewissermassen die Antibewegung zum Bauhaus und der dominierende Stil der 20er bis 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, der dann von Eiche Rustikal abgelöst wurde. Beim Historismus findet im Moment das gleiche Umdenken statt, das in England die victorianische Epoche zu neuer Blüte verholfen hat, schliesslich war es die letzte Epoche vor dem massenhaften Aufkommen der billigen Fabrikmöbel. Ungeliebt, verachtet und zu billigsten Preisen bei den Wohnungsauflösern schmachtet dagegen das als Nazistil verhasste Gelsenkirchner Barock, kongenial zum Ausdruck kommend in den dickbäuchigen, geschwungenen Küchenschränken dieser Epoche, die von den Träumen der Krisen und Kriege sowie ihrer Erfüllung im Wirtschaftswunder erzählen.

Kritiker werden zudem einwerfen, dass diese Dekoration ausgerechnet der Küche ein Symbol der Unterjochung der Frau an Heim und Herd ist. Und natürlich ist so ein Stück mit seiner Glasvitrine und der Spiegelfurnierfront das Gegenteil der Frankfurter Kücher unserer verehrten Margarete Schütte-Lihotzky. Es ist ein Stück für das lange Arbeiten der Hausfrau, und nicht für die schnelle Küche der Angestellten, an die man in den 20er Jahren in fortschrittlichen Kreisen dachte. Und mutmasslich ist es auch ein Nazimöbel, gefertigt nach 1933.
Wie seine französischen Cousins, die unter dem Begriff Art Deco laufen. Oder die Vettern aus Amerika, die man gern als Streamline Design verkauft. Oder schlicht und einfach 30ies, das Branding, mit dem diese Dinge hierzulande gekauft und dann in Italien und England weiter verkauft werden. Zu horrenden Preisen, was niemanden überrascht, der einmal eine Tür öffnet: Das ist Vollholz, hier gibt es kein Pressspan wie nach 1945, Vorkrieg, und Edelholz in der Küche könnte sich heute kein Mensch mehr leisten.
Also, was tun? Verbleiben in der alten Ideologie, die alles schlecht macht, was der Zeit entsprungen ist? Akzeptiert man die Urteile der Gegenwart, statt die Chancen der Zukunft zu nutzen? Heute noch ist es kontrovers, die Hälfte der Besucher werden schaudern - aber in 20 Jahren wird die andere Hälfte wissen wollen, woher man so etwas bekommt.
Letztlich geht es nur um die Frage, wie man Gelsenkirchen los wird.
Es gibt allerdings noch Ausnahmen: Deutscher Historismus und - Gelsenkirchner Barock, gewissermassen die Antibewegung zum Bauhaus und der dominierende Stil der 20er bis 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, der dann von Eiche Rustikal abgelöst wurde. Beim Historismus findet im Moment das gleiche Umdenken statt, das in England die victorianische Epoche zu neuer Blüte verholfen hat, schliesslich war es die letzte Epoche vor dem massenhaften Aufkommen der billigen Fabrikmöbel. Ungeliebt, verachtet und zu billigsten Preisen bei den Wohnungsauflösern schmachtet dagegen das als Nazistil verhasste Gelsenkirchner Barock, kongenial zum Ausdruck kommend in den dickbäuchigen, geschwungenen Küchenschränken dieser Epoche, die von den Träumen der Krisen und Kriege sowie ihrer Erfüllung im Wirtschaftswunder erzählen.

Kritiker werden zudem einwerfen, dass diese Dekoration ausgerechnet der Küche ein Symbol der Unterjochung der Frau an Heim und Herd ist. Und natürlich ist so ein Stück mit seiner Glasvitrine und der Spiegelfurnierfront das Gegenteil der Frankfurter Kücher unserer verehrten Margarete Schütte-Lihotzky. Es ist ein Stück für das lange Arbeiten der Hausfrau, und nicht für die schnelle Küche der Angestellten, an die man in den 20er Jahren in fortschrittlichen Kreisen dachte. Und mutmasslich ist es auch ein Nazimöbel, gefertigt nach 1933.
Wie seine französischen Cousins, die unter dem Begriff Art Deco laufen. Oder die Vettern aus Amerika, die man gern als Streamline Design verkauft. Oder schlicht und einfach 30ies, das Branding, mit dem diese Dinge hierzulande gekauft und dann in Italien und England weiter verkauft werden. Zu horrenden Preisen, was niemanden überrascht, der einmal eine Tür öffnet: Das ist Vollholz, hier gibt es kein Pressspan wie nach 1945, Vorkrieg, und Edelholz in der Küche könnte sich heute kein Mensch mehr leisten.
Also, was tun? Verbleiben in der alten Ideologie, die alles schlecht macht, was der Zeit entsprungen ist? Akzeptiert man die Urteile der Gegenwart, statt die Chancen der Zukunft zu nutzen? Heute noch ist es kontrovers, die Hälfte der Besucher werden schaudern - aber in 20 Jahren wird die andere Hälfte wissen wollen, woher man so etwas bekommt.
Letztlich geht es nur um die Frage, wie man Gelsenkirchen los wird.
donalphons, 15:54h
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Sonntag, 11. März 2007
Eine Geschichte der Armut
Es ist für einen Historiker mit Schwerpunkt auf Realienkunde ein wenig schade, heute leben zu müssen. Das Leben im nächsten Jahrhundert würde die Jetztzeit zwischen 1945 und rund 2020 zum Forschungsgegenstand machen, und damit ein wirklich spannendes Thema haben. Dann wären zum ersten Mal in der menschlichen Geschichtsforschung unumstössliche Erkenntnisse über das an Gegenständen erkennbare Verhalten nichts mehr wert.
Reichtum erkannte man an den Abfallgräben, den Kloaken und der Höhe der Siedlungsschichten. Reich sein bedeutet Abfall produzieren. Dass die Geschichtsschreibung so wenig über das Leben der normalen Menschen zu berichten weiss, hat vor allem damit zu tun, dass sie kaum schriftliche und gegenständliche Zeugnisse hinterlassen hat. Luxus definierte sich durch den Besitz von weitgehend sinnlosen Dingen. Es musste stets das Neueste sein, das Fortschrittlichste und das Prächtigste.
Neutral betrachtet, findet man diese Merkmale des Luxus und der Überflusses heute bei der Unterschicht: Plastik, Wegwerfgläseer, Einweggeschirr, sinnlose Verpackungen und alle drei Jahre neue Möbel aus Pressspan. Gemessen an unserem alten Wissen über das Verhalten der armen Leute, die nichts wegwarfen und es sich nicht leisten konnten, neue oder überflüssige Dinge zu kaufen, wäre das technisch und vom Formenspektrum her veraltete Ensemble hier ein Beispiel für Armut:

Bestens vergleichbar mit Nachlassregistern des 19. Jahrhunderts, wo fein säuberlich vermerkt wird, woher die Stücke kommen und wie alt sie inzwischen sind. Zum ersten Mal leben wir in einer Eroche, in der materieller Überfluss und die Option praktisch unbegrenzten Konsums die alten Begriffe von Luxus und Armut auflöst. Es hat sicher auch etwas mit der Entwicklung weg von einer Nachfragewirtschaft, die durch den Mangel definiert wird, hin zu einer Konsumwirtschaft zu tun, in der es nur noch darum geht, den produzierten Überfluss irgendwie durch schnelle Müllwerdung des Alten weiterhin an die Kunden zu bringen. Wie so etwas geht, sehen wir alle auf den Kommoden unserer Eltern: Wie lange haben sich dort Telefone gehalten - und wie häufig wechseln wir heute unsere ein Vielfaches teureren Mobiltelefone.
Armut hat ihr Gesicht gewandelt. Arm ist nicht mehr der Analphabet, arm ist die Unterschicht zwischen Bildzeitung und Glotze. Arm ist nicht mehr Wille zum Aufstieg, arm ist das Rumhängen in der Shopping Mall. Arm ist nicht mehr der Sportverein, sonder die Fettsucht, das Rauchen und der Alkoholismus. Arm ist Konsum und Überfluss. Rabatte signalisieren nicht "billiger", sondern "Noch mehr für das gleiche Geld". Statt die Armut vals solche zu bekämpfen, scheisst man sie mit billigem, in China produzierten Pseudoluxus zu, gewissermassen dem Imariporzellan der Gegenwart. Die Werbung scheisst sie mit Müll zu, das macht sie zufrieden, fett, unpolitisch und dumm.
Und für sie ist das individuell eine gute Sache. Armut heute ist überhaupt kein Vergleich mit Armut, wie wir sie früher aus der Sachkultur kennen. Ich war heute auf dem Flohmarkt und habe dort einen rund 200 Jahre alten Weidling gefunden, und das ist Armut, wie wir sie historisch kennen:

Idioten, bayerische zumal, die an die gute, alte Zeit glauben, nennen diese Form "Knödelschüssel". Damit verbunden ist die Vorstellung, dass fette Bayern am Mittagstisch fette Knödel aus dieser Riesenschüssel auf die Teller wuchteten. Das ist so falsch, wie die wahre Geschichte erbärmlich ist. Denn der Weidling hat mit Tischsitten erst mal gar nichts zu tun. Die Form entsteht während des 30-jährigen Kriegs, als man in der Not von der langwierigen, riskanten Felderwirtschaft auf Viehwirtschaft umstellt. Mit Rindern kann man vor marodierenden Banden davonlaufen, aber nicht mit den Feldfrüchten. In dieser Zeit erst finden Nahrungsmittel wie Butter und Käse, eben alles, was man aus Rahm und vergorener Milch machen kann, bei uns grössere Verbreitung. Zum Gären der Milch und zum Abschöpfen des Rahms braucht man diese flachen Schüsseln mit den hochgezogenen Lippen, mit denen man präzise, ohne Verluste abtropfen lassen kann. Diese Form gibt es zuerst nur in der Landwirtschaft.
Und erst, wenn die Glasur erste Schäden hat und die Schüssel für die Rahmproduktion nicht mehr sauber genug zu bekommen ist, wandert sie auf den Küchentisch. Und bleibt dort so lange, bis der Boden vollig leergekratzt ist. Glasuren sind mit das Beständigste, was der Mensch vor der Industrialisierung erfunden hat; sie überdauern im Erdreich 5000 Jahre ohne erkennbaren Schaden. Man kann sich nicht mehr vorstellen, mit welcher Gier da unten auf dem Boden dieser Schüssel mit Löffeln gekratzt wurde, um auch noch den letzten Rest herauszuholen. Glasur ist hart, aber niemals so hart wie der Hunger. Und erst, wenn diese Schüssel völlig verdreckt und die Glasur herausgelöffelt war, wenn man sie nicht mehr sauber bekam - wurde sie als Vorratsgefäss weiterbenutzt, und eine andere Schüssel, das für die Milchwirtschaft nicht mehr zu gebrauchen war, kam auf den Tisch.
In meiner Familie findet man dergleichen nicht, hier setzte die Verbürgerung schon zu einer Zeit lange vor Entstehung dieses Weidlings ein. Was jetzt die irrwitzige Folge hat, dass die Nachfahren der Armen, auf die dieses Stück gekommen ist, es unter einem Haufen Plastikramsch, Videospielen und billigsten Kleidern für 5 Euro an mich verkaufen. Weil es beschädigt ist. Und weil sie weder den Wert des Stücks, noch den Wert der Geschichte kennen. Das sind die Momente, in denen schenke ich mir das Verhandeln.
Sie sind sehr zufrieden, lachen vermutlich über den Deppen, der das Ding gekauft hat und haben jetzt 5 Euro für das nächste Konsolengame. Und genau so viel Zukunft. Sie sind immer noch arm, anders arm vielleicht und nicht mehr hungrig.
Reichtum erkannte man an den Abfallgräben, den Kloaken und der Höhe der Siedlungsschichten. Reich sein bedeutet Abfall produzieren. Dass die Geschichtsschreibung so wenig über das Leben der normalen Menschen zu berichten weiss, hat vor allem damit zu tun, dass sie kaum schriftliche und gegenständliche Zeugnisse hinterlassen hat. Luxus definierte sich durch den Besitz von weitgehend sinnlosen Dingen. Es musste stets das Neueste sein, das Fortschrittlichste und das Prächtigste.
Neutral betrachtet, findet man diese Merkmale des Luxus und der Überflusses heute bei der Unterschicht: Plastik, Wegwerfgläseer, Einweggeschirr, sinnlose Verpackungen und alle drei Jahre neue Möbel aus Pressspan. Gemessen an unserem alten Wissen über das Verhalten der armen Leute, die nichts wegwarfen und es sich nicht leisten konnten, neue oder überflüssige Dinge zu kaufen, wäre das technisch und vom Formenspektrum her veraltete Ensemble hier ein Beispiel für Armut:

Bestens vergleichbar mit Nachlassregistern des 19. Jahrhunderts, wo fein säuberlich vermerkt wird, woher die Stücke kommen und wie alt sie inzwischen sind. Zum ersten Mal leben wir in einer Eroche, in der materieller Überfluss und die Option praktisch unbegrenzten Konsums die alten Begriffe von Luxus und Armut auflöst. Es hat sicher auch etwas mit der Entwicklung weg von einer Nachfragewirtschaft, die durch den Mangel definiert wird, hin zu einer Konsumwirtschaft zu tun, in der es nur noch darum geht, den produzierten Überfluss irgendwie durch schnelle Müllwerdung des Alten weiterhin an die Kunden zu bringen. Wie so etwas geht, sehen wir alle auf den Kommoden unserer Eltern: Wie lange haben sich dort Telefone gehalten - und wie häufig wechseln wir heute unsere ein Vielfaches teureren Mobiltelefone.
Armut hat ihr Gesicht gewandelt. Arm ist nicht mehr der Analphabet, arm ist die Unterschicht zwischen Bildzeitung und Glotze. Arm ist nicht mehr Wille zum Aufstieg, arm ist das Rumhängen in der Shopping Mall. Arm ist nicht mehr der Sportverein, sonder die Fettsucht, das Rauchen und der Alkoholismus. Arm ist Konsum und Überfluss. Rabatte signalisieren nicht "billiger", sondern "Noch mehr für das gleiche Geld". Statt die Armut vals solche zu bekämpfen, scheisst man sie mit billigem, in China produzierten Pseudoluxus zu, gewissermassen dem Imariporzellan der Gegenwart. Die Werbung scheisst sie mit Müll zu, das macht sie zufrieden, fett, unpolitisch und dumm.
Und für sie ist das individuell eine gute Sache. Armut heute ist überhaupt kein Vergleich mit Armut, wie wir sie früher aus der Sachkultur kennen. Ich war heute auf dem Flohmarkt und habe dort einen rund 200 Jahre alten Weidling gefunden, und das ist Armut, wie wir sie historisch kennen:

Idioten, bayerische zumal, die an die gute, alte Zeit glauben, nennen diese Form "Knödelschüssel". Damit verbunden ist die Vorstellung, dass fette Bayern am Mittagstisch fette Knödel aus dieser Riesenschüssel auf die Teller wuchteten. Das ist so falsch, wie die wahre Geschichte erbärmlich ist. Denn der Weidling hat mit Tischsitten erst mal gar nichts zu tun. Die Form entsteht während des 30-jährigen Kriegs, als man in der Not von der langwierigen, riskanten Felderwirtschaft auf Viehwirtschaft umstellt. Mit Rindern kann man vor marodierenden Banden davonlaufen, aber nicht mit den Feldfrüchten. In dieser Zeit erst finden Nahrungsmittel wie Butter und Käse, eben alles, was man aus Rahm und vergorener Milch machen kann, bei uns grössere Verbreitung. Zum Gären der Milch und zum Abschöpfen des Rahms braucht man diese flachen Schüsseln mit den hochgezogenen Lippen, mit denen man präzise, ohne Verluste abtropfen lassen kann. Diese Form gibt es zuerst nur in der Landwirtschaft.
Und erst, wenn die Glasur erste Schäden hat und die Schüssel für die Rahmproduktion nicht mehr sauber genug zu bekommen ist, wandert sie auf den Küchentisch. Und bleibt dort so lange, bis der Boden vollig leergekratzt ist. Glasuren sind mit das Beständigste, was der Mensch vor der Industrialisierung erfunden hat; sie überdauern im Erdreich 5000 Jahre ohne erkennbaren Schaden. Man kann sich nicht mehr vorstellen, mit welcher Gier da unten auf dem Boden dieser Schüssel mit Löffeln gekratzt wurde, um auch noch den letzten Rest herauszuholen. Glasur ist hart, aber niemals so hart wie der Hunger. Und erst, wenn diese Schüssel völlig verdreckt und die Glasur herausgelöffelt war, wenn man sie nicht mehr sauber bekam - wurde sie als Vorratsgefäss weiterbenutzt, und eine andere Schüssel, das für die Milchwirtschaft nicht mehr zu gebrauchen war, kam auf den Tisch.
In meiner Familie findet man dergleichen nicht, hier setzte die Verbürgerung schon zu einer Zeit lange vor Entstehung dieses Weidlings ein. Was jetzt die irrwitzige Folge hat, dass die Nachfahren der Armen, auf die dieses Stück gekommen ist, es unter einem Haufen Plastikramsch, Videospielen und billigsten Kleidern für 5 Euro an mich verkaufen. Weil es beschädigt ist. Und weil sie weder den Wert des Stücks, noch den Wert der Geschichte kennen. Das sind die Momente, in denen schenke ich mir das Verhandeln.
Sie sind sehr zufrieden, lachen vermutlich über den Deppen, der das Ding gekauft hat und haben jetzt 5 Euro für das nächste Konsolengame. Und genau so viel Zukunft. Sie sind immer noch arm, anders arm vielleicht und nicht mehr hungrig.
donalphons, 18:06h
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