Reisen mit W.F.s Pullman

In den frühen 50er Jahren, erzählen alte Menschen, gab es sofort wieder welche, die etwas hatten, und andere, die nichts hatten. Die einen fuhren Automobile, die anderen schraubten Räder zusammen, manche konnten reisen wie damals mit der KdF, andere setzten sich an den See und assen Butterersatzbrote. Einige wenige mussten sogar reisen, wie W.F., der es schnell nach dem Krieg wieder in die USA schaffte. Denn W.F. war wichtig, beruflich gefragt, und musste transatlantische Geschäfte abwickeln. Es war die Zeit, da blickte man voller Vertrauen und Hoffnung auf dieses grosse Land, man wollte deren fettes Essen, ihre Heckflossen, die Petticoats, die Musik, einfach alles - man wollte sein wie sie.

W.F. konnte und wollte sich dem auch nicht verschliessen, und um seinen amerikanischen Partnern angemessen begegnen zu können, kaufte er drüben ein. Es war eine andere Zeit, es gab noch keine billigen Nylontrolleys, die heute das omnipräsente Grundrauschen auf den Flughäfen dieser Welt intonieren, sondern noch Personal, das Koffer trug, und eben echte Koffer, ohne Rollen und Traggurte. Genau so einen Koffer, einen 24 Zoll breiten Pullman, kaufte sich W.F. in diesen Tagen, die uns heute durch die überzogenen Farben des Kodachrome bekannt sind:



Er kaufte nicht irgendeinen grossen Koffer. Er kaufte einen Hartmann Woodframe Belting Leather Pullman, der schon ohne Inhalt so schwer ist, wie eine gefüllte, mittlere Reisetasche. Der Koffer benötigt keine Innenwände, auf die das Leder gezogen wird, denn Belting Leather ist mithin das stabilste Material, das aus Ochsenhaut gewonnen wird: Dick, schwer, unverwüstlich. W.F. schleppte das Ding ein paar Jahrzehnte mit durch sein Reiseleben, oder besser, liess es schleppen, wuchtete es in schwere Limousinen, wusste seine Dinge in guter Sicherheit irgendwo im Bauch der Propellermaschine, und konnte sich stets darauf verlassen, dass die Schlösser sauber und mit einem trockenen Klack aufsprangen.

Irgendwann ging W.F. aber in Rente, wurde erkennbar alt und war nicht mehr so gut auf den Beinen, und für so einen alten Mann ist ein derartiger Koffer zu schwer und zu unhandlich. Belting Leather, zumal vom Hersteller Hartmann, dessen aus Bayern stammender Gründer als Maxime ausgab "luggage so fine it will stand as a symbol of excellence", bekommt eine schöne Patina und ist auch nach Dekaden immer noch vorzeigbar, aber seine Besitzer altern weg, zerfallen, zerfleddern wie ein Buch, sie sind eben nicht gegerbt, und irgendwann zu brüchig und aus dem Rahmen, dass sie mit ihrem Gepäck nicht mehr mithalten. W.F. starb vor ein paar Monaten, und sein Koffer, der damals nicht billiger als Louis Vuitton und andere bekannte Marken war, sieht immer noch fast neun aus - nur gefettet muss er werden, und vielleicht lasse ich meine Initialen einfügen.



Denn seit heute gehört er mir. Sein Zweitbesitzer, ein Händler vom Offenbacher Flohmarkt, hatte ihn schon ein paar Mal vergeblich mitgeschleppt; es ist einfach nicht die Gegend, in der Leute wissen, was der Aufdruck "Belting Leather" bedeutet. Ob ich das wisse, hat er mich gefragt, und ich antwortete mit einem "mh", das "Nein" heissen könnte und "Klar, aber ich wäre ein Depp, wenn ich Ihnen das erklären würde" bedeutete. Denn um zu wissen, dass dieser Koffer etwas besonderes ist, musste ich nicht mal reinschauen, wo heute noch die patentierten Messingbügel in der Metallarmierung hängen.

Bei der Preisverhandlung zog mein Argument, der Koffer passe vielleicht gar nicht in mein Auto, nicht wirklich. Denn als ich sagte, wie klein mein Roadster sei, und die sattsam bekannte Geschichte meiner wegen Damenbegleitung ausgepackten Reisetasche zum Besten gab, und der Blamage, dann mit Stofftaschen verreisen zu müssen, eben weil der Kofferraum so winzig ist - nach diesem Mitleidsheischen leuchteten die Augen dieses optimistischen Hessen, ich müsse das ganz anders sehen, und er erzählte mir, wie toll das wäre, dieser Koffer hinten auf einem Gepäckträger drauf, den dürfe man keinesfalls verstecken, den müsste man herzeigen...

So hat er mich rumgekriegt. Ich suche jetzt nur noch einen Gepäckträger für die Barchetta, denn der Pullman, in dem sich die Existenz eines typischen, westdeutschen Erfolgsmenschen bis zum bitteren Ende wiederspiegelt, passt wirklich nicht hinten in meinen Genussmenschenkofferraum rein.

Sonntag, 16. September 2007, 01:59, von donalphons | |comment

 
Du könntest meine - und nicht nur meine - also, *räusper*, die Neugierde des rebellmarktlichen Leser/innenkollektivs enorm stillen, damit zugleich den Neid anfachen, indem Du den Kaufpreis andeutest. Was musstest Du für den Koffer berappen, z.B. im Vergleich zu einem Mittagessen oder z.B. dem neusten Gadget mit polyphonem Vibrationsalarm?

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Meinen? 6.600 Schweizer Rappen. Wenn Du es wissen willst. (Hilfreich hier: Für die Schweizer arbeiten, dann klappt es auch mit dem Umrechnen)

Den von W.F.? Ein ähnliches Modell kostet heute so um die 13 -1500 Euro.

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Was, nur 66 Franken? Das ist dann aber der Benefiz-Tarif, richtig?

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Das war die grosse "support your local townhouseowner"-Aktion.

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Ja, Geschlechter kommen, Geschlechter gehen,
hirschlederne Reithosen bleiben bestehen...

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