: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 29. Juli 2006

Umzug

Es gab mal eine recht wüste Zeit, als einige Leute partout wissen wollten, wer ich bin und wo ich wohne. Das war die Zeit noch vor Google, die Suchergebnisse von Altavista waren nicht so gut und ausserdem war es schwierig, einige Dinge zusammenzubringen - was zur Folge hatte, dass man mich fragte, ob ich vielleicht wüsste, wer Don Alphonso ist. Soweit ich weiss, gibt es immer noch welche, die sich die ein oder andere Münchner Adresse aufbewahren, von denen nur eine stimmt. Und die stimmt jetzt auch nicht mehr.

Denn in den letzten Jahren hat sich viel verändert. München, die einst lebensfrohe, offene Stadt, hat wie keine zweite das Gift der New Economy in sich aufgenommen. Wenn in Berlin nur das allfällige Elend einer armen Stadt mit neuen Begriffen kaschiert wurden, und ihre Vorreiter letztlich in einer Art hippen ABM-Prigramm landeten, hatte es in München nochmal eine andere Qualität, denn sie Stadt ist kleiner und wurde gezielt auf diese Zukunft hin optimiert: Marktplatz Bayern, Go Bavaria, Munich Network, ein ganzes Heer von Beamten, Beratern und Absahnern kümmerte sich zwischen EM.TV im Norden und dem Siemens Mobile Acceleration Center SMAC im Süden um das Werden einer Epoche, die nicht kam.

Ich selbst hatte das Vergnügen, ein Teil dieser Welt zu sein; nicht oben, aber doch sehr tief drinnen und vielen nicht unbekannt, relativ frühzeitig und bis zum bitteren Ende. Es gab Momente, da war ich auch nah dran zu glauben, dass es irgendwie klappen könnte; kein Best Case, aber etwas würde, wenn man es gut hegte, sicher bleiben. Auch ich konnte mir eine Weile nicht vorstellen, dass es bald keinen Nemax mehr geben würde, und obwohl ich nie einen Cent in Aktien gesteckt habe und den Crash gut vorhersagte, war ich von eingen Ereignissen entsetzt. Das alles spielte sich vor und hinter meiner Haustür ab; in der Maxvorstadt existierte tatsächlich so etwas wie eine Gründerkultur, wie man es sich vorstellt: Meetings im Odeon, Businesspläne auf der Servietten des Treszniewski, Beratung im Puck und lustloses Stochern im Tokami-Businessessen.

Zum ersten Mal verlassen habe ich München im September 2001, um den Roman zu schreiben. In München war das alles zu nah, zu real, wie soll man etwas verfremden, wenn es jeden Tag vor der Tür steht: Der abgebrannte Entrepreneur, der einen um ein Handytelefonat anhaut, um den nicht kommenden Business Angel zu kontaktieren, der Telco-Smart, der irgendwann keine Aufkleber mehr hat, als der spanische Mutterkonzern weg ist, das Mädchen, das sie in Hamburg eingekauft haben und nach drei Monaten ihre Wohnung ein Stockwerk drüber nicht mehr zahlen kann, weil die Finanzsoftware angeblich einen Fehler hat. 2001 war München voller solcher Geschichten, die Investitionen erreichten im Frühjahr ihr all time high, wurden von der schmelzenden Masse der Startups aufgesogen und entluden sich im Herbst in einem totalen Zusammenbruch. Von dem ich nicht mehr viel mitbekam, denn ich war in die Provinz geflohen, ohne Internet und Telefon. Dann kam der Winter, den ich mit Schreiben zubrachte, der Sommer 2002, der mich zum Bleiben auf der Dachterasse verlockte, dann ein Winter in München, und dann erschien der Roman, was es sinnvoll erscheinen liess, erst mal ein paar Monate selten in München zu sein.

Alles hat sich schnell gelegt. Man redete wieder mit mir, fand alles korrekt wiedergegeben, wenn man die Gegner erkannte, und überhaupt belegte das Lachen über das Buch, dass andere gemeint waren, und kein einziger traute sich dagegen zu klagen. Was mich bis heute zur Überzeugung bringt, dass das damalige Pack ein Haufen feiger Schweine ist, das man nur nicht genug getreten hat, die brauchen das, und wenn ich sehe, wie mancher Bullshitredner, Geldverbrenner und Tschackabrüller heute noch in Interviews möglichen Jobgebern in den Arsch kriecht und um Eventteilnahme bettelt, hat sich da auch nichts geändert, ausser den immer noch miesen Buffets mit Aldizutaten und des Labels, das heute 2.0 heisst.

Dann kam Berlin, erst nur als Vertretung und dann dauerhaft, und zum ersten Mal hatte ich 3, später dann sogar 4 Aufenthaltsorte mit insgesamt 140m² für einen unteilbaren Menschen. Zwei eigene Wohnungen, eine gemietete, und Hotels. Dass ich nicht in Berlin geblieben bin, hatte einige Gründe, einer davon - und auch Teil meines Hasses auf die Stadt - war das Mieten. Ich hatte bis dahin noch nie eine Wohnung, die mir nicht gehörte. Und es ist einfach ein anderes Gefühl, ob es das Zuhause ist, oder ein angemieteter Platz, an dem man nicht bleiben wird, weil er einem nicht gehört. Ich habe versucht, die Wohnung zu kaufen, aber der Besitzer, der derer 500 hat, wollte auf keinen Fall; Mieten sei doch so angenehm, man habe einen Vermieter, der sich um alles kümmern müsse - aber da war dieses Glänzen in seinen Augen, das mir die Wahrheit verriet, und er nie etwas verkaufen würde, weil er auch ein Erdenkind ist, er fühlt das Leben in den Steinen.

Es kamen dann mit der unbefriedigenden Wohnungssituation einige private, zwischenmenschliche Dinge zusammen, die die Entscheidung brachten, die dortige Stelle auszuschlagen, Berlin nach den 18 statt der geplanten 3 Monate komplett zu verlassen, und von der Bayern aus weiter zu arbeiten - rückblickend die beste Entscheidung, denn Berlin ist nicht gut, wenn man strukturiert arbeiten will. Irgendwo verblieb ein roter Ledersessel und einiges andere, und nicht eine einzige Träne - hätte ich die Wohnung haben können, wäre es vielleicht anders ausgegangen. Daheim wartete eine Menge liegengebliebener Arbeiten im Stadtpalast, und so war ich wieder in Bayern - aber nur selten in München. Zusammengenommen war ich in den letzten drei Jahren höchstens 80 Tage in meiner Münchner Wohnung. Zeitweise war sie an Freunde verliehen, aber es war eine fast schon perverse Verschwendung, diesen Raum in Bestlage, 5 Minuten zur Uni und zu den Pinakotheken, 10 Minuten zum englischen Garten und zum Marienplatz einfach so verkommen zu lassen.

Aber ausräumen, Mieter suchen, Besichtigungstermine, Absagen, bla, ausserdem die erste eigene Wohnung, die gibt man nicht gern her - und so geschah nichts, bis ich erfuhr, dass jemand eine Wohnung suchte, und jetzt...



verlasse ich die Maxvorstadt. Adressenbesitzer müssen sich eine Neue suchen, die nicht leicht zu finden sein wird, denn ich werde auch in Zukunft eine Adresse in München haben, nicht gemietet, Eigentum natürlich, aber eben nicht mehr der ganze Betrieb und sinnlose Kosten für ungenutztes Telefon und Müllabfuhr. Die neue Adresse ist nicht weit von hier, wiederum Bestlage, und frei von allen Erinnerungen, von denen ich ein paar Tüten weggeworfen ein paar Ordner in der Provinz eingelagert habe: Die Speisekarte vom Founders Forum in Elmau etwa, der Anstecker der BEA-World, einen Haufen Visitenkarten, mit denen ich mich als diverse Chargen diverser Firmen ausgegeben habe, um zu erfahren, ob gewisse Firmen wirklich die den VCs versprochenen Preise verlangten, das billige Besteck, das wir einmal versehntlich bei einer Präsi mitnahmen, eine CD, die man sogar mit 2fach-Geschwindigkeit brennen konnte, streng geheime Firmenunterlagen, die mir nochmal nutzen können, um Karrieren einiger Munich Area High Flyer zu beschädigen, und Ähnliches.

Tränen? Nein. Zum einem habe ich endlich einen Traum erfüllt: Meine ganze Bibliothek mit ihren rund 5000 Bänden ist an einem Ort vereint. Und zum anderen ist es weiterhin meine Wohnung, und wenn sie der wirklich nette Mieterin irgedwann zu klein sein sollte, kann ich ja zurück.

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Arme, dumme Sau

Wie blöd muss man eigentlich sein, wenn man in einer Stunde hundertzwanzig Mal den gleichen Link anclickt, um Traffic zu simulieren - und glaubt, das fällt nicht auf?

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