: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 28. Oktober 2006

Real Life 26.10.06 - draussen sitzen

Es ist fast Frühling in München, die Strassen Schwabings sind voll mit Erstsemestern und denen, die ihnen nachstellen, und drinnen wird man noch lang genug sitzen müssen, in den kommenden Monaten. Noch einmal kann man im Cabrio offen durch die Nacht jagen und vergessen, dass hier eben nicht der Südrand der Alpen ist, sondern lediglich das wenig bevorzugte Tor in den Süden. Kurz, es ist die Nacht, in der man sexuellen Notständen und dem Singletum schnell abhelfen kann, im Schein der Kerzen vor den angesagten Bars der Maxvorstadt, wo mancher dich auch nach den Jahren faktischer Anwesenheit noch kennt. Deine Begleitung aber hat sich geändert, keine besseren Töchter mit schlechteren Biographien und Berufsaussichten auf dem Medienstrich mehr, sondern ein Schwarm ortsunkundige Haifische, die du dorthin bringst, wo sie etwas Spass haben können.



Denn nun ist es draussen, die Gesellschafter kennen die ganze Wahrheit und das Worstcase Szenario. Du bist leidenschaftlicher Historiker und Althausbewohner, du hast im Laufe der Jahre viele Bruchbuden gesehen und Schimmel gerochen, aber es ist doch erstaunlich, was so ein paar Konstruktionsfehler im Flachdach und ein paar nachträgliche Änderungen aus einem gerade mal 6 Jahre alten Prestigeprojekt eines dereinst hochgelobten Fonds machen können. Nicht nur also, dass die versprochenen 20Euro/m²-Mieten nicht zu halten sind und das Ding 40% Leerstand hat, nein, der Boden des Geldtopfes ist nach Abzug von 16.995.275 Euro bei verbleibenden 4.725 Euro deutlich sichtbar und braucht Nachfüllung. Und das nicht zu knapp, denn erste Notmassnahmen kosten auf die Schnelle 300.000. Oder 400.000, so als Anfang, über die Verpflichtungen reden wir besser erst mal gar nicht.

Schräg neben dir sass eine Frau Dr. mit einem gefühlten Zentner Gold an den Fingern und Armen, die es damit locker mit einer grösseren Rap-Kombo aus Downtown L.A. hätte aufnehmen können. Stark gebräunt Richtung Mex ohnehin, nur die Knöchel ihrer Finger waren nach einer halben Stunde Vortrag gelbweiss vom Drücken. Du überlegst, ob du nicht vielleicht doch einen Roman über diese Szene schreiben sollst, so dramatisch und pittoresk war es dort, die Hälfte der Leute hatten ihre Anwälte gleich mitgebracht, die sich für das verschwendete Geld aufplustern und haltloses Zeug in den Raum brüllten. Bloss gut, dass du mit den Verursachern, die gerade auf Marbella unabkömmlich sind, ausser ein paar Recherchen gegen sie nichts zu tun hast. Du bist einer von den Guten. Soweit es in der Branche eben Gute gibt, die einem Besserverdienden dann mitteilen, dass er besser mal weiter besser verdienen soll, wenn er noch was rausholen will. Du hast viel Elend gesehen in dieser Welt, aber selbst der ärmste jüdische Kontingentflüchtling in einer maroden Berliner Gemeindewohnung, ohne Aussicht, als Physikprofessor jemals wieder einen Job jenseits der Berliner Stadtreinigung zu bekommen, war ausgewogener als die Leute da unten.

Es ist schön, danach irgendwo zu sitzen, mit den Haifischen und nicht genau hinzuhören, sondern lieber den Anbahnungsgesprächen der Studenten zu lauschen. Nur aus den Augenwinkeln siehst du den Herrn Prof. Dr. B., ein zierliches Männchen mit Stickweste unter dem massgeschneiderten Anzug, dem man weder seine Millionen noch sein gellendes Affengekreisch zutrauen würde, und unter dessen Messer du dir morgen lieber kein jugendliches Grinsen antackern lassen würdest, so wie der vorher drauf war. Er ist allein, es dauert etwas, bis seine Anwältin kommt, oder das, was davon übrig ist, denn schon im Saal hat er wenig freundlich auf sie eingegiftet, und als alles vorbei war, war der Streit offenkundig.

Sie stakst auf ihren hohen Absätzen vorbei, das gelbe Hermestuch als ein Stigma ihrer Zunft um den Hals tragend, und keiner hält sie auf, sie würde sich auch nicht aufhalten lassen, denn gleich steigt sie in ihren zum Kostüm perfekt passenden, dunkelgrünen Z3, klappt das Verdeck nicht runter, und allen am Tisch ist klar, dass sie auf dem Weg heim heulen wird, denn man hat ihr mit dem wackligen Mandanten einen Schleudersitz unter den Hintern gepackt, und jetzt wurde der rote Knopf betätigt. Du überlegst, sie vielleicht nachher kurz anzurufen, aber dann fällt dir das Neocongequatsche ein, das sie sonst von sich gibt, das Erfolgsgewäsch wie aus den OpenBC-Foren und ihre Herablassung, mit der sie im Triumpf die behandelt, die ihr in Krisen halfen, und so schaust du nur zu, wie der Wagen erheblich zu lange am Strassenrand steht, dann anspringt und langsam in der Nacht über der einzigartigen Munich Area verschwindet, die für sie diesmal sehr, sehr lang dauern wird.

tschuldigung für den zynismus aber anders packe ich das alles momentan nicht. scheiss area. es ist nie vorbei. nie.

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Biblioman durch die Umstände

Vielleicht wird man in einigen Jahrzehnten eine Dokumentation über mich drehen, als einer der letzten grossen Buchsammler. Dann werden Bücher vielleicht nur noch antiquarisch zu haben sein, nachdem sich Verleger, Autoren und Leser darauf geeinigt haben, dass sie nur den Content wollen und nicht das Papier, das zu viel Platz wegnimmt in den kleinen, teuren Wohnungen. Wer anders dachte, sollte sich beim Antiquariat bedienen, das mit den Restbeständen einer veralteten Kultur noch ein paar Jahrzehnte zu tun haben sollte, bis auch der Letzte eingesehen hatte, dass so eine Körperschnittstelle zum Einlesen von "Büchern" schneller und effizienter ist als diese mühselige Augenarbeit.

Verwundert wird dann die automatierte Reportereinheit vor mir stehen, das Ganze mühsam in die vorhandenen Beitraglayouts und Schnittfolgen einpassen und die Fragenroutine abspulen. Und ich werde dem Ding ein paar faustdicke Lügen erzählen, dass ihm die Schaltkreise kochen. Welch ausgeklügeltem System des Einkaufs ich diese Sammlung verdanke, welche Pläne zur Komplettierung ich beharrlich verfolgte und welche Probleme bei der Jagd auf mich warteten. Weil ich weiss, dass man diesen Dreck, der mit Terchnik von Technorati funktioniert und auf Fragenroutinen der PR-Agentur Edelman basiert, immer und jederzeit austricksen kann.

Die Wahrheit werde ich natürlich verschweigen, und die sieht so aus, dass ich in der Provinz mal wieder so rumtrödle, dass ich das Vorbereitungsmeeting fast verpasse, gerade noch rechtzeitig in die Karre hüpfe, es dann aber, weil das Wetter so schön ist, bei einer geruhsamen Fahrt im offenen Wagen belasse.



Was dazu führt, dass ich natürlich im Stadtverkehr steckenbleibe, zu spät dran bin und, um die anderen nicht mehr zu stören, lieber in der Nähe der Gesellschafterversammlung ein Antiquariat ausplündere von dem, was sie gerade da haben: Eine Biographie über Robert Capa (ist wohl nicht so doll gelaufen, liegt vielleicht an der schlechten Übersetzung, wie ich dann entdecke, als ich während der Einführungsrede bei der Versammlung darin lese), Descartes Abhandlung über die Methode, Vernunft richtig zu gebrauchen (habe ich schon auf Französisch, was ich allerdings nicht kann) und, um der Vernunft finalen Hohn zu sprechen, ein Buch über Barock in Süddeutschland.

Und dann, wenn sich die Einheit umdreht, kippe ich ihr einen Whiskey hinter das Objektiv. Einfach so, nur zur Gaudi. Die dumme, arme Sau.

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