Real Life 26.10.06 - draussen sitzen

Es ist fast Frühling in München, die Strassen Schwabings sind voll mit Erstsemestern und denen, die ihnen nachstellen, und drinnen wird man noch lang genug sitzen müssen, in den kommenden Monaten. Noch einmal kann man im Cabrio offen durch die Nacht jagen und vergessen, dass hier eben nicht der Südrand der Alpen ist, sondern lediglich das wenig bevorzugte Tor in den Süden. Kurz, es ist die Nacht, in der man sexuellen Notständen und dem Singletum schnell abhelfen kann, im Schein der Kerzen vor den angesagten Bars der Maxvorstadt, wo mancher dich auch nach den Jahren faktischer Anwesenheit noch kennt. Deine Begleitung aber hat sich geändert, keine besseren Töchter mit schlechteren Biographien und Berufsaussichten auf dem Medienstrich mehr, sondern ein Schwarm ortsunkundige Haifische, die du dorthin bringst, wo sie etwas Spass haben können.



Denn nun ist es draussen, die Gesellschafter kennen die ganze Wahrheit und das Worstcase Szenario. Du bist leidenschaftlicher Historiker und Althausbewohner, du hast im Laufe der Jahre viele Bruchbuden gesehen und Schimmel gerochen, aber es ist doch erstaunlich, was so ein paar Konstruktionsfehler im Flachdach und ein paar nachträgliche Änderungen aus einem gerade mal 6 Jahre alten Prestigeprojekt eines dereinst hochgelobten Fonds machen können. Nicht nur also, dass die versprochenen 20Euro/m²-Mieten nicht zu halten sind und das Ding 40% Leerstand hat, nein, der Boden des Geldtopfes ist nach Abzug von 16.995.275 Euro bei verbleibenden 4.725 Euro deutlich sichtbar und braucht Nachfüllung. Und das nicht zu knapp, denn erste Notmassnahmen kosten auf die Schnelle 300.000. Oder 400.000, so als Anfang, über die Verpflichtungen reden wir besser erst mal gar nicht.

Schräg neben dir sass eine Frau Dr. mit einem gefühlten Zentner Gold an den Fingern und Armen, die es damit locker mit einer grösseren Rap-Kombo aus Downtown L.A. hätte aufnehmen können. Stark gebräunt Richtung Mex ohnehin, nur die Knöchel ihrer Finger waren nach einer halben Stunde Vortrag gelbweiss vom Drücken. Du überlegst, ob du nicht vielleicht doch einen Roman über diese Szene schreiben sollst, so dramatisch und pittoresk war es dort, die Hälfte der Leute hatten ihre Anwälte gleich mitgebracht, die sich für das verschwendete Geld aufplustern und haltloses Zeug in den Raum brüllten. Bloss gut, dass du mit den Verursachern, die gerade auf Marbella unabkömmlich sind, ausser ein paar Recherchen gegen sie nichts zu tun hast. Du bist einer von den Guten. Soweit es in der Branche eben Gute gibt, die einem Besserverdienden dann mitteilen, dass er besser mal weiter besser verdienen soll, wenn er noch was rausholen will. Du hast viel Elend gesehen in dieser Welt, aber selbst der ärmste jüdische Kontingentflüchtling in einer maroden Berliner Gemeindewohnung, ohne Aussicht, als Physikprofessor jemals wieder einen Job jenseits der Berliner Stadtreinigung zu bekommen, war ausgewogener als die Leute da unten.

Es ist schön, danach irgendwo zu sitzen, mit den Haifischen und nicht genau hinzuhören, sondern lieber den Anbahnungsgesprächen der Studenten zu lauschen. Nur aus den Augenwinkeln siehst du den Herrn Prof. Dr. B., ein zierliches Männchen mit Stickweste unter dem massgeschneiderten Anzug, dem man weder seine Millionen noch sein gellendes Affengekreisch zutrauen würde, und unter dessen Messer du dir morgen lieber kein jugendliches Grinsen antackern lassen würdest, so wie der vorher drauf war. Er ist allein, es dauert etwas, bis seine Anwältin kommt, oder das, was davon übrig ist, denn schon im Saal hat er wenig freundlich auf sie eingegiftet, und als alles vorbei war, war der Streit offenkundig.

Sie stakst auf ihren hohen Absätzen vorbei, das gelbe Hermestuch als ein Stigma ihrer Zunft um den Hals tragend, und keiner hält sie auf, sie würde sich auch nicht aufhalten lassen, denn gleich steigt sie in ihren zum Kostüm perfekt passenden, dunkelgrünen Z3, klappt das Verdeck nicht runter, und allen am Tisch ist klar, dass sie auf dem Weg heim heulen wird, denn man hat ihr mit dem wackligen Mandanten einen Schleudersitz unter den Hintern gepackt, und jetzt wurde der rote Knopf betätigt. Du überlegst, sie vielleicht nachher kurz anzurufen, aber dann fällt dir das Neocongequatsche ein, das sie sonst von sich gibt, das Erfolgsgewäsch wie aus den OpenBC-Foren und ihre Herablassung, mit der sie im Triumpf die behandelt, die ihr in Krisen halfen, und so schaust du nur zu, wie der Wagen erheblich zu lange am Strassenrand steht, dann anspringt und langsam in der Nacht über der einzigartigen Munich Area verschwindet, die für sie diesmal sehr, sehr lang dauern wird.

tschuldigung für den zynismus aber anders packe ich das alles momentan nicht. scheiss area. es ist nie vorbei. nie.

Samstag, 28. Oktober 2006, 01:15, von donalphons | |comment

 
Netter Text, danke.
Es mag nach einer dummen Frage klingen, aber: Wenn das alles so mies ist - warum machen Sie es dann? Offenbar haben Sie doch eigentlich andere Interessen und nur des Geldes wegen kann es doch auch nicht sein, oder? Wo ist dann der Reiz an der Sache?

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"...ein Schwarm ortsunkundige Haifische, die du dorthin bringst, wo sie etwas Spass haben können..."

Ich bin auch etwas geschockt. Haifische gehören ins kalte Wasser.

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Hmm. Da, wo ich her komme, sagte man so einer Schickse laut vernehmlich: "Wer das Geld hat, hat die Macht, bis es unterm Auto kracht."

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@ e-ality: Im Gegensatz manch bösen Legenden um meine Person sitze ich nicht den ganzen Tag daheim auf dem Diwan mit einem Fez auf dem Kopf, und löse das elterliche Vermögen nichtim Dampf einer Wasserpfeife auf, während keine als Huris verkleidete Kaufelitessen tanzend mein Leben versüssen - ich muss und will durchaus irgendwie Geld verdienen. Das mache ich mit Journalismus und manchmal mit Haifischdienstleistungen. Was übrigens ein sehr wackliger Job ist, bei dem man am Ende des Jahres viel Geld haben kann, angelegt in unverzinsten Schulden der Haifische, denen der Financier abhanden gekommen ist.

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Wenn Du das mit dem Diwan, der Wasserpfeife und den Huris hingekriegt hast, vergisst Du aber nicht Deine altenFreunde?!

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Ich glaube, für den Part mit den Huris gäbe es bessere Besetzungen, bei mir herrscht striktes Rauchverbot, und über einen famösen Datschi können wir auch heute schon reden.

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Ach, die Wasserpfeife geht auch auf der Dachterrasse. Ansonsten sind Lebemann, Nörgler, Held der Arbeit, Pathologe und Tatti allerdings wohl die besseren Gesellen für solche Vergnügungen.

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Lanu, Netbitch, das New Economy Ideal, 404 wollen sicher auch ihren Spass haben.

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Wir sollten mal wieder eine Insider-Party veranstalten:-)

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... und die meisten würden selber von sich sagen, dass sie nur zum Mittelstand gehören.

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Das ist teilweise auch richtig. Rein statistisch gesehen, besteht der Mittelstand aus Unternehmen mit 100-500 Beschäftigten und einem Jahresumsatz nicht über 50 Mio Euro sowie gut verdienenden Selbstständigen wie Zahnärzten, Notaren usw. Oberschicht, das sind Unternehmer mit Betrieben deutlich über dieser Größenordnung (sowas wie die Krupps oder Ulrich Dommermuth), der noch besitzende Adel und allgemein Multimillionäre. Oft sagt man, Zugehörigkeit zur Oberschicht gibt es sozial erst ab dem dritten Glied.

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Wenn man sich die Einkommensverteilung ansieht, gehören Einkommen (zu versteuerndes Jahreseinkommen) von mehr als 50.000/Jahr schon zu den oberen 5% der Verteilung.

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Uups, soll ich mich jetzt als Teil der herrschenden Klasse fühlen?

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In gewissen Vierteln ist das nur logisch. Man kennt niemanden, der nicht dort wohnt, und es gibt immer ein paar, die noch mehr haben. Dann sortiert man sich eben drunter ein und lächelt still in sich hinein.

Klassiker in Bayern: Oam samma ned, owa des is ois.

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Ich bin hingegen mit türkischen und jugoslawischen Arbeiterkindern in einem extrem durchmischten Stadtviertel aufgewachsen, mit Arbeiter- Handwerker- und Akademikerfamilien in einem Haus und einer Verwandtschaft, die teils millionenschwer und teils fast ärmlich war, von der Schuldirektorin über den Manager bis zur Landarbeiterwitwe und dem Bauern alles dabei. Die Mischung hat mir gutgetan :-)

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@stuck-and-dielen: Haifische gehören auf den Grill. :-)

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