: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 21. Juli 2010

18%

Meine Heimatstadt liegt in einem Flussbecken, flach wie Brandenburg und nur begrenzt das, was man landschaftlich reizvoll nennt. Auf der anderen Seite der Donau war bin zum 18. Jahrhundert ein enormes Sumpfgebiet, und die Architektur, die durch leistungsfähige Industrie geprägt ist, macht es auch nicht schöner. Zum Glück ist die Stadt recht kompakt. In München musste ich mich eine halbe Stunde durch die Stadt schlagen, um in Richtung Berge radeln zu können. An der Donau sind es 5 Minuten.



Letztes Jahr bin ich fast jeden Abend am See auf den Berg marschiert, aber dieses Jahr halten mich die Verpflichtungen hier. Hier kann man nicht einfach auf Berge gehen. Aber man kann in den Jura radeln. Als ob ich es geahnt hätte, habe ich im späten Winter meinen Fuhrpark für nachgerade lächerliche Preise aktualisiert, oder besser gesagt, nicht mehr ganz so enorm alte Räder hinzugefügt, die so einigermassen auf dem Stand der Technik sind. Ich frage mich in Radgeschäften der XXL-Kategorie immer, wer denn all die Tausende von Rädern kauft, die dort ausgestellt sind; es sind wohl diejenigen, die tatsächlich ihre Räder alle 3, 4 Jahre austauschen und die alten Exemplare verkaufen, egal wie gut sie noch sind. Das schafft ein Überangebot an guten Alträdern zu lachhaften Preisen, und nachdem das Müsing, angetan mit leichten Laufrädern, lang genug lockend im Gang wartete, ging es hinaus in die Hügel. Zu den neueren Kollegen.



In meiner Jugend galt es schon als ungewöhnlich, wenn jemand mehr als 3000 Mark für ein Rennrad bezahlte. Das waren dann schon Spitzenmaschinen. Heute kamen mir genug Leute entgegen, deren Untersätze in der 4000-Euro-Kategorie angesiedelt sind, mit Karbonrahmen, grazilen Laufrädern und auf weniger als 7 Kilo heruntergehungert. Überholt hat mich trotzdem keiner, und egal, wie neu das Material ist: Ein Anstieg ist immer noch ein Anstieg, und daran ändern auch meine neuen, extrem leichten Laufräder nichts. Man muss nicht weit fahren, dann kommen die ersten richtigen Anstiege. 6% am Reisberg, 10% hinter Böhmfeld hinunter und hinauf, 7% auf den Juraebenen, und dann mit 18% die Mauer von Schambach. 18% ist hart, egal ob nach oben oder unten.



Ich habe dabei nur wieder festgestellt, dass ich die Shimanoschalthebel nicht mag. Die Idee, mit den sicherheitsrelevanten Bremshebeln zu schalten, mag keine reale Gefährdung auslösen, aber es ist immer wieder unerfreulich, wenn man an den Bremsen zieht und der Hebel schwammig nach innen wegrutscht. Manchmal hakelt es beim Schalten, und auf den ersten 10 Kilometern verschalte ich mich dauernd. Bei Campagnolo ist es einfach besser gelöst, da sind die Hebel deutlich getrennt. Man braucht wenig Kraft, um sich zu verschalten und für die Korrektur, aber die reine Freude ist es nicht, dieses Shimanozeug. Dafür halten die offiziell nur bis 75 Kilo freigegebenen Räder locker mein etwas höheres Gewicht aus, auch beim Sturz hinunter zum Schambachtal.



Dort dann: Die ersten Bremsen. Stechfliegen. Viele davon.So hübsch es aussieht, so wenig kann man verweilen. Schlägt man eine tot, fliegt die nächste an. Und besonders viele sind an der Mauer mit ihren 18%. Nicht nur treten und keuchen, sondern auch wild um sich schlagen ist die Herausforderung an dieser Stelle. Und auch, wenn die 18% vorüber sind, bleiben immer noch 10% bis zur Jurahochebene. Man kann nicht einfach den Viechern davonfahren. Es ist ärgerlich, so ärgerlich wie die verflennten Nachrufde auf den von Beust, der nicht zur Unzeit, sondern zu spät zurückgetreten ist - eigentlich hätte es diese Person nie geben dürfen, man erinnert sich vielleicht an Richter Schill, den er sich ins Koalitionsbett holte. Oder seine unsäglicher Kulturchefin mit ihrer Bild-Biographie. Man sollte froh sein, dass der Mann endlich verschwindet. So wie die Bremsen, wenn man oben ankommt und es wieder laufen lassen kann.



Aber schön ist es trotzdem. Daheim dann gleich wieder Arbeit, Druck, dieses und jenes, um vier Uhr Nachts noch ein Einsatz, es wird noch eine Weile so bleiben, fürchte ich, und es ist nicht sicher, ob ich morgen wieder die zwei Stunden habe, um die 40 Kilometer in den Jura zu fahren.

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