: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 25. August 2012

Von Rom nach London

Das Label Glossa hat in den letzten Jahren die italienischen Gesangswerke von Händel veröffentlicht, zum Teil mit spektakulären Aufnahmen, wie mit Roberta "Nazionale" Invernizzi, gegen die jede Netrebko halt nur eine Netrebko ist, und auch so klingt, als würde sich ein verstaubter Feuiletonist dafür mit dem Zug nach Salzburg bemühen und in der Pause eine Wurst essen. Roberta Invernizzi dagegen singt, dass keine Fehlzündung eines Fiat Ottovu in den engen Gassen von Siena dagegen ankommt.



Ich hatte die CDs auf jeder Italienreise der letzten 4 Jahre dabei, und wenn man erst mal auf der anderen Seite der Berge ist, stimmt alles. Das sind die Momente, da sich der Geist vom Körper löst, sich über das Auto erhebt und entlang der Kurven über den Seen mitfliegt, sich am Gesamtbild erfreut und sagt: So möchte man sein. Und so sind auch die Aufnahmen und die Musik, stimmig, emotional, man möchte aussteigen und heulen. Und wenn jemand sagt, es gäbe eine neue CD mit Arien von Händel, denke ich deshalb nicht lange nach und kaufe ich sie. Ohne reinzuhören. Der ideale Ort zur Probe ist am Steuer meines Wagens, offen, auf einer Landstrasse.



Bei den italienischen Werken hatte ich immer den Eindruck, als würde die Landschaft hier in Bayern in Süden wie eine Nudel in Trüffelbutter ersäuft. Ohne Händel ist es Bayern, mit Händel Nordnorditalien. Die neue CD enthält jedoch die Arien, die Händel in späteren Jahren in London geschrieben hat. Man singt Englisch, man singt halsbrecherisch auf den Effekt hin, man möchte etwas erreichen. Und man erreicht es: Die Landschaft gefriert wie Eisbein mit Gurke in Aspik. Das mögen wirklich kunstvolle Arien sein, aber sie sind so tot wie das Gewissen eines Londoner Banksters und so aufdringlich wie ein Vertreter für Immobilienfonds.



Ich habe es mit einer Freundin ausprobiert, und wir sind uns da einig: Die Musik passt überhaupt nicht zum Tanz in den Kurven und zur Freude der Bewegung. Wir erklären es uns so, dass Händel in Italien von einem reichen Gönner zum nächsten flatterte, und entsprechend leicht seine Musik zauberte. In London dagegen war er Unternehmer und schrieb nicht mehr für Einzelpersonen, denen das Geld locker sass, sondern für jeden, der ein paar Münzen für den Eintritt bezahlte. In Italien konnte er komponieren, was er wollte, in London musste er schreiben, was das Publikum wollte, und zwar in nicht wirklich angenehmen Atmosphären: Seine Sänger traten durchaus in Örtlichkeiten auf, die man heute als "Vergnügungspark" bezeichnen würde. Da musste natürlich Effekt und Sensation sein. So klingt das auch, Aber das passt nicht zum angenehmen Fluss einer kleinen, offenen Reise.



Und - es ist kalt. Ich kann es nicht anders umschreiben, vielleicht hat das auch mit den Sängern zu tun, die sich auf die Effekte konzentrieren, und nicht auf die Handlung der Opern und Kantaten, wie ich das den Sängerinnen bei Glossa unterstelle. Dieser Londoner Händel, er spricht englisch, aber nicht zu mir. Er berührt mich nicht. Für Easy Listening ist es zu auffällig und für Liebe zu berechnend. Ich setze neben einer schönen Frau, der Motor dreht hoch, der Wagen fliegt durch die Kurven, und es tut sich nichts. Jede andere Musik wäre besser. Italiensiche Hits der 7oer wären besser. Eine Monumentalmesse wäre besser. Roberta Invernizzi wäre perfekt, und sie ist zum Glück auf CD im Handschuhfach, und Bayern erstahlt auf dem Rückweg unter dem wieder italienischen Himmel.



Händel erblindete in London, und er wurde dort zum gefeierten Unternehmer und Millionär. Da ist ein Zusammenhang.

In Italien war er nur glücklich, nehme ich an.

... link (2 Kommentare)   ... comment