: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 8. Dezember 2013

Gesualdo ist nicht Monteverdi

Kühn, das Wort wird gerne benutzt, um die Stimmführung im Werk Gesualdos zu beschreiben, und unwillkürlich muss ich dabei natürlich auch an die andere Seite dieses Menschen denken, der in einer Nacht des Jahres 1590 zusammen mit seinen Begleitern seine Frau, ihren Liebhaber und ihr Kind umbrachte.



Ich bin da etwas anderer Ansicht als Teile der Musikwissenschaft, die darin eine übliche Tat der Zeit sieht. 1590 war nicht mehr die Epoche der Visconti und de la Scala, sondern schon die Zeit von Castiglione und vergleichsweise strikter Vorschriften; dass Gesualdo Angst um sein Leben haben musste, und der Skandal, der sich daraus entwickelte, zeigt meines Erachtens, dass das Verbrechen sogar für diese Zeit aussergewöhnlich grausam und den Zeitgenossen inakzeptabel schien.Der Ruf eines Mörders hat Gesualdo sein Leben und sein ganzes Nachleben zurecht verfolgt. Er selbst verbrachte die Zeit danach beim Abgleiten in Depressionen und Wahnsinn, er komponierte kühn und ungewöhnlich und ich kann nicht umhin, in seinen Madrigalen nach Rachegeistern zu lauschen.

Darf man so etwas überhaupt hören? Was ist an einem unschuldigen, ermordeten Kind weniger prohibitiv als beispielsweise der Vorwurf einer Vergewaltigung? Weil die Untat 430 Jahre her ist? Darf man Assange dann auch erst 2430 wieder lesen? Ich frage, weil in Berlin gerade besprochen wird, wie man seinen Auftritt auf dem 30C3 zu Aktionen benutzen will; Die Creepercard-Flauscheria des 29C3-Skandals ist ja personell nicht weit weg vom Kernteam des Projekts kleinerdrei, die den Aufschrei inszenierten, und dass sie nun darin ihre Chance für die grosse Öffentlichkeit seinen, sollte keinen überraschen. Die an die Gruppierungen angeschlossenen Medienhäuser Zeit und Freitag würden sicher auch nett berichten, nehme ich an.

Man kommt als Historiker nicht umhin, sich kaltes Blut bei der Beurteilung von Geschehen zuzulegen. Man kommt nun mal mit Quellen, Befunden und Taten in Kontakt, die nicht schön sind, und oft werden die edelsten Motive von den widerlichsten Personen beansprucht. De Civitate Dei von Augustinus ist der Schlüssel für das Europa, in dem wir immer noch teilweise leben, und man sollte es wirklich gelesen haben - sage ich im Wissen, dass der Autor gefordert hat, Menschen wie mich von der Erde zu tilgen. Wegen einer lumpigen anderen Meinung, die man im Diesseits eh nicht überprühen kann. Dagegen erscheinen die Gemälde des Mörders Caravaggio harmlos. Schön wäre es, hätte sich jeder immer der Nettigkeit eines Wolfers Mozart oder der Menschenfreundlichkeit einen Liotard befleissigt. Aber das war nicht so., und wir werden immer damit leben müssen, dass Menschen fehlen, irren und - lassen wir Augustinus sprechen - Sünden begehen, die sie vom Heil ausschliessen. Todsünden. Wie Habgier und Völlerei.



Heute leben wir trotz allem in Zeiten des nahezu grenzenlosen Zugangs zu Wissen und einer Freiheit der Rede, wie es sie bislang noch nicht gegeben hat. Mein Widerstreben, die CD von Gesualdo zu zerbrechen, ähnelt der Ablehnung, Leuten das Wort zu reden, die anderen das Wort untersagen wollen. Natürlich gibt es ein Demonstrationsrecht und ein Recht auf Vorwürfe. Aber deshalb verwirkt noch lange nicht jemand sein Recht auf Freie Rede und Vortrag. Ich hoffe, der CCC findet Mittel und Wege, diesmal nicht von diesen Leuten als Plattform missbraucht zu werden. Niemand würde die Reste der Flauscheria, der Trümmerfrauen der Mädchenmannschaft und kleinerdrei davon abhalten, heute vor das Brandenburger Tor zu ziehen und zu verlangen, dass Assange endlich ausgeliefert und verurteilt wird. Sie könnten jederzeit eine Beweislastumkehr bei Vergewaltigung und ein Ende der Unschuldsvermutung fordern. Aber sie warten damit, scheint mir, lieber bis zum 30C3.

Wie Gesualdo wartete, bis er seine Frau mit dem Liebhaber inflagranti erwischte, wie Assange bei den fragwürdigen Sexualpraktiken gewartet haben soll. Jeder lauert. Gesualdo wolllte seine egoistische Ehre, Assange seinen egoistischen Spass und diese Leute dort wollen, nachdem #aufschrei längst verblasen und durchaus auch mit eigener Mitwirklung in die Sektiererei zerredet wurde, mal wieder in die öffentliche Wahrnehmung. Man hätte Gesualdo in den Arm fallen und Assange eine scheuern sollen, und weil dieses kleinerdrei-<3-Herz, was das Weiterratschen von Strategien angeht, noch durchlöcherter als das schmerzensreiche Herz der Maria Mutter Gottes ist, sollte man auch darüber reden, was die so alles vorhaben. Und ob das zugelassen werden sollte.

Ich persönlich kenne schon die Meinung von Frau Wizorek zu diesem Fall, ich muss das nicht noch einmal hören, selbst wenn ihre Stimmführung so schrill ist, dass dagegen jede Kühnheit von Gesualdo, so krank er auch gewesen sein mag, verblasst.

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