: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 7. Dezember 2019

Kein Rad mehr, nur Bremsen

Manche denken, dass ich ohne Verstand und Bodenhaftung Räder kaufe. Das ist natürlich falsch, davon kann gar nicht die Rede sein, oft ist es sogar so, dass ich quasi Geld zu einer besseren Bank trage. Wie zum Beispiel mit diesem Merida, das quasi ein verkapptes Specialized ist, weil Merida damals die teure Marke nicht nur de facto baute, sondern auch einen grossen Anteil an Specialized besass. Im Kern ist das hier eine Art vollgefederter Stumpjumper, nur halt mit Meridaaufdruck. Und, nachdem ich Scheibenbremsen nicht mag, noch mit mechanischen V-Bremsen.



Verkauft wurde es von einem Nachbarn am Tegernsee und für einen Preis, den andere in einen einzigen Flaschenhalter investieren. Da kann man nichts falsch machen, sogar mit einem gebrochenen Rahmen könnte man aus den verbliebenen Teilen mehr herausholen. Der Nachteil an diesem Rad: Es ist halt das Einsteigermodell der Serie. Der Rahmen, das teure Herzstück, ist innerhalb der Serie immer gleich gewesen. Die Preisstufen entstanden durch die Komponenten, und da wurde an einigen Stellen gespart. Vor allem bei der Kurbel und den Bremsen.



Bei der Kurbel ist es egal, die ist, zusammen mit den Kettenblättern, ohnehin ein früher oder später auszuwechselndes Verschleissteil, und dieses Rad soll vor allem im Winter laufen: Da ist die Oberfläche der Kurbel nicht so wichtig. Bei den Bremsen ist es eine andere Sache: Die sind sicherheitsrelevant. Der Vorbesitzer hat schon die Aussenhüllen gegen teure Jagwirehüllen ersetzt, aber wie es nun mal so ist: Wirklich gut sind die Hausmarkenbremsen trotzdem nicht. Deshalb habe ich geplant, sie den Winter über runterzufahren und so lange nach Alternativen zu suchen. Das sind halt so die Kompromisse, wenn man einen wirklich guten Rahmen fast geschenkt bekommt: Neue Bremsen in der passenden Qualität kosten gleich mal so viel wie das ganze Rad.



Deshalb schaue ich gern bei den gebrauchten Schrotträdern, ob da nicht vielleicht verwertbare Teile auftauchen, und letzthin, siehe da, tauchte bei der Anlieferung des Vertrauens genau das auf, was ich brauchte. Bremsen der Serie Deore 9-fach, aus der schon Schaltung und Naben meines Merida stammen. Die Bremsen sind in einem fast neuen Zustand, denn sie sind Gegenstand der Verbastelei eines Altrades, das dadurch nicht unbedingt besser wurde: Die Cantileversockel alter Räder sind meistens nicht auf die Kräfte ausgelegt, die durch V-Bremsen auf den Rahmen wirken. Also wurde das Rad zwar für die Benutzung durch einen alten Herrn mit hohem Vorbau und weichem Sattel umgebaut, aber kaum mehr benutzt.



Gleichzeitig wurden auch die Bremshebel erneuert, was ganz wunderbar ist, denn auch an meinem Merida sind die Bremshebel eher schlecht, und sollten auch runter. Somit ist da also genau die Bremse im Schrott gelandet, die ich suche. Dafür braucht kein Chinese in einem Aluwerk Strom aus Kohlekraftwerken in die Schmelze einleiten, und das fertige Teil um die halbe Welt schippern. So mag ich das. Und nun gibt es zwei Optionen: Ich schraube die Bremse ab, zahle 20 Euro, und verbaue sie bei mir.



Oder sich sage meinem Händler: Ich nehme für 10 Euro mehr gleich das ganze Rad mit all dem Restaurierungsaufwand, den ihr da gar nicht hineinstecken könnt, denn es ist wirklich viel, und verschaffe dem Rad eine bessere Zukunft als das Verschrotten als Bahnhofsgurke. Ich nehme die Bremse für das Merida, und baue aus meinem Fundus wieder die Bremse, den Lenker, den Vorbau, den Sattel, die Laufräder, die Kurbel hin, die an dieses Rad gehören. Und ich mache daraus wieder das, was es einmal war: Das 1991 noch 3300 DM teure Longus High Tech Spitzenmodell, eines der frühen Alu-MTBs mit Schweissnähten wie aus einem Guss. Es dauert sicher einen Tag, bis das gute Stück wieder richtig gut ist, und in altem Glanz erstrahlt. Ich kann sogar die linke Seite der Kurbel für ein anderes Rad brauchen, an dem die Kurbel gebrochen ist. Ich kaufe also kein weiteres Rad.



Ich kaufe die Lösung für zwei Probleme. Dabei bleibt halt noch eine Radruine übrig, die ich mit Hausmitteln aber wieder herrichten kann.Gekostet hat es dann im Ergebnis also nichts. Und wenn ich fertig bin, ist diese unsere Welt wieder ein klein wenig besser geworden, denn ein rettbares Rad endet nicht früher oder später im Container, sondern lebt neu auf. Sicher, ich habe dann ein Rad mehr, aber ich habe letzte Woche auch ein anderes Rad an einen Liebhaber weitergereicht. Für mich ist die Welt damit dann wieder im Lot, das Merida hat gute Bremsen, das Centurion hat die gute Kurbel, und das Longus wird funkeln und gleissen

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