: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 22. November 2004

Grob gesagt

ist es so: Die Bevölkerung der Provinzstadt ist bis heute durch den Wohnort sozial determiniert. Früher, im 19. Jahrhundert, war es wichtig, ein möglichst grosses Haus in den besseren Vierteln der Stadt zu haben. Diese simple Regel teilte die Bevölkerung in 10% Besitzende, die mehr hatten, als man zum Leben braucht, 30% Habende, die ihren Wohnraum besassen, und 60%, die in den grossen Häusern der Besitzenden die oberen, schlechteren Stockwerke mieten musste. Es gab unter ein und dem selben Dach Kinder, die mit Goldmünzen Schusser spielten, und andere, die in Besenkammern schliefen. Der Besitz von grossen Häusern in der Stadt ist heute, in Zeiten der Mieterrechte und des Anspruchsdenken kein wirkliches Kriterium mehr. Das Kriterium ist heute, ob man zu Fuss zum Naherholungsgebiet im Auwald gehen kann, oder ob man mit dem Auto fahren muss.



Dieses Areal entstand aus dem Kiesabbau im Eichenwald, der bis heute die Ufer des grossen Flusses ziert. Es wurde Anfangs der 70er Jahre zu einer grossen, nur manchmal von den örtlichen Tennisclubs durchbrochenen Seenlandschaft aufbereitet, und damit zu einem Anziehungspunkt für die gesamte Stadt. Ein schmaler Streifen Land entlang des Überflutungsgebietes wurde zur Bebauung freigegeben, und die Grundstückspreise sowie gewisse, historisch bedingte Beziehungen der Verkäufer garantierten, dass man hier unter sich blieb. Und so gab es Kinder, die nach der Schule mal schnell schwimmen oder Tennis spielen gingen, und andere, die dort nur schlecht hinkamen, weil es natürlich nur Schulbusse für die Anwohner gab, und es mit dem Fahrrad schon ziemlich weit war.

Aus den Kindern wurden Erwachsene, aus den Fahrrädern wurden Autos, aus den schlechteren Vierteln wurden Viertel mit Doppelhaushälften, was nach Ansicht mancher weniger als die Summe der einzelnen Teile ist. Diese Leute wohnen immer noch am See, auf 200 Quadratmeter aufwärts, und machen von der Haustür aus Nordic Walking auf dem Uferweg. Es sind ja nur fünf Minuten, und über diejenigen von ausserhalb, die in sich in ihren Blechhaufen über die enge Strasse zu einem viel zu kleinen Parkplatz quälen, könnte man eigentlich nur lächeln, wenn man die zur Kenntnis nehmen würde. Tut man aber nicht, denn man kennt nur wenige Leute, die nicht in diesem Viertel wohnen. Der See gehört allen, aber manche haben ihn immer, und andere nur, wenn sie sich den ganzen Stress mit der Parkplatzsuche antun, die auch Ende November noch eine Qual ist.



Natürlich lässt sich diese Regel nicht immer und auf jeden anwenden. Natürlich sind diejenigen, die aus ihren Doppelhaushälften oder Mietwohnungen mit dem TT an den See kommen, keine Grattler - würde hier auch niemand behaupten. Aber es ist eben doch etwas anderes, da ist man sich hier ziemlich sicher. Keine endgültigen Vorurteile, ach was, denn die beiden Viertel beim See sind viel zu klein, um wirklich alle aufzunehmen, die wohlhabend oder vermögend sind. Am Krankenhaus und dem daneben liegenden Golfclub, in einem Dorf weiter westlich, das ebenfalls so einen See hat, gibt es ähnliche Leute und vergleichbare Häuser. Aber wer zu Fuss zum See gehen kann, ist der sicheren Seite, und bei den nicht laut bezifferten 10%, denen man angehören sollte, wenn man hier etwas gelten will.

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Sonntag, 21. November 2004

Kunst für Aufsteiger

Dass sich dieses Kunstwerk nicht in Berlin, Köln, Hamburg, München oder Düsseldorf findet, wo die Prediger des schnellen Geschäfts, der hohen Zuwachsraten und der Spitzenposition geifern; und auch nicht in Frankfurt, wo es mit den Highflyern zu den Stars des Börsenhimmels geht; dass das hier also in einer Altstadtgalerie der Provinzstadt steht, hat einen gewissen, seltsamen Beigeschmack.



Denn hier ist es eine Tugend, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Wer durch die Decke geht, riskiert seinen Ruf als ernstzunehmender Geschäftsmann. Konsequenterweise zieht es die selbsternannten Raketenmänner der Provinz nach München, oder genauer: Die einzigartige Munich Area. Die Haffas von EM.TV stammen aus einem Kaff, nur 25 Kilometer südlich von hier. Auch die Elite-Studenten fliegen nach dem Studium aus, und weil sie sich inzwischen an die bayerische Lebensart, die Schönheit der Landschaft und die wirtschaftliche Prosperität gewöhnt haben, ist auch für sie die Munich Area das erste Ziel. In einer Zeit, als Institute noch meinten, mit ihrer exorbitant hohen Gründerquote protzen zu müssen, wurden hier die Boden-Boden-Raketen für die Area entwickelt: In Rekordzeit zum mattschimmernden, dunklen Anzugträger, und dann abgefeuert in den New Economy Kriegsschauplatz, um es mit den CRM- und CMS-Sprengköpfen den alten Schweinen des produzierenden Gewerbes zu zeigen, und sie mit dem Data Mining auch noch in ihren Bunkern zum zerschmelzen zu bringen.

Das klingt heute alles etwas seltsam, strange, aber es gab 1999 tatsächlich ein paar Philantropen, die angesichts der globalisierten, virtuellen Räume sorgenvoll nachdachten, was man denn mit dem nicht E-kommerziellen Wirtschaftszweigen machen sollte. Nicht alle würde man zum Webdesigner oder Content Manager umschulen können. Zum Beispiel: Was wird aus den Bäckermeistern, wenn wir alle unser Brot aus grossen Fabriken im Netz bestellen? Auch Zukunftsberufe gerieten in Gefahr - was wird aus den Radiomoderatoren, wenn wir alle nur noch Streams mit Audio on Demand und Personal Profiling hören? Vielleicht Berater des CEOs, wie man mit fester Stimme die Powerpoint macht?

Den Aufsteigern, den living Baseheads, den tradenuclear Weapons war das egal. Man hatte die Börse im Sturm genommen, der Rest war ein Spaziergang, es ging nur noch ans Plündern, bei einem Nemax von 6000 war die Party gelaufen, und die meisten jubelten ihnen zu, wenn sie die aus dem Intranet Abteilungen bei Daimler-Chrysler und Siemens mit ihren E-Strategien und .Com-Trainings rockten. Wer nicht wollte, konnte sich verpissen. It´s looooooooting time, brüllte mal jemand am Buffet, eigentlich nur zum Spass, und alle verstanden es und kamen angerannt - und der, der da gerufen hatte; das war ich.

Diese Jungs von damals hätten sich diese leicht verständliche, auf sich anwendbare Kunst sicher gern gemocht. Sie ist heroisch und gleichzeitig verspielt, raumgreifend, eingangshallenkompatibel, und für die Putzfrau sehr viel pflegeleichter als so verhungerte Typen von dem Tschackametti oder wie der heisst. Sie sagt alles über ihre Ansprüche, vielleicht hätte jeder Gründer noch ein Namensschild auf einer Rakete bekommen, und jede Niederlassung in London, NY, SF, Shanghai, Kuala Lumpur und Johannesburg hätte einem Sternbild entsprochen.

Jetzt treiben die Helden von früher treiben als ausgebrannte Trümmer durch das eisige Nachfrage-Nichts des OpenBC-Spaces, und dieses Objekt steht in einer Galerie in der Provinz. Nicht mehr lang, vermutlich. Denn etwas südlich von hier, in einem Wald in der Ebene, ist ein flaches, unauffälliges Werk, in dem an Raketen, Satteliten und milliardenschweren Rüstungsprojekten gebaut wird. Sehr bodenständig, mit geringen Wachstumsraten, aber enormen Gewinnen. Die haben auch einen Etat für Kulturankäufe; die nehmen das ganz sicher.

Und bei denen passt es auch.

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Kleine Veränderungen

Liebe Leser, leider wurde das von mir sehr geschätzte Blog von Mue aus persönlichen Gründen eingestellt, und nein, es kommt nicht wieder. Sehr schade. Deshalb gibt es eine leichte Veränderung in der Blogroll; statt das Mue wird die schreckliche Luzie hoffentlich helfen, die entstandene Leere zu füllen. Wer das Blog liest, wird gewisse Ähnlichkeiten zu diesem Blog feststellen: Irgendwo zwischen Provinz und Metropole, irgendwie auch ein wenig New Economy, insofern sehr passend. Und gut. Bloggade läuft inzwischen auch störungsfrei. Dort ist auch ein Interview mit Sickgirl

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Samstag, 20. November 2004

Viva muerte

Der notorische Stefan Niggemeier trifft auf die nicht minder notorische Charlotte Roche. Das Ergebnis sollte jeder lesen, der sich überlegt, in den Medien etwas jenseits der Quoten zu machen, was nicht der einfach niemals totzukriegende Aufbau ist.

"Fast jede Redaktion ist panisch und hat Zukunftsangst. Und wenn die Leute im Büro anrufen, um mit ihren Chefs Termine zu kriegen, bekommen sie zu hören, wartet mal, ich weiß selber nicht, ob ich noch einen Job habe."

Das gibt noch viel Futter für DCT. Von Viva wird nicht mehr bleiben als die Marke.

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Man darf nie vergessen.

Die Stadt gehört fraglos zu den angenehmsten Vorhöfen, die die Spiesserhölle zu bieten hat. Die Menschen hier sind nicht dumm, aber dumpf, und sie können immer in den Spiegel schauen, denn sie reflektieren nie. Das Geld, das hier in Mengen vorhanden ist, entbindet sie von allen Zweifeln, denn es ist der Beweis, das sie alles, alles richtig gemacht haben. Und nachdem das schon seit langem so ist, wird sich das auch nicht mehr ändern. Die Republik ist voller Almosenempfänger - hier sind die Almosengeber. Und wie zum Hohn, wenn der Rest der Republik im Schneechaos versinkt und der arme Ossi in die Leitplanken knallt, weil er sich keine Winterreifen leisten kann, bricht hier am Samstag Mittag die Sonne durch und enthüllt das Wintermärchen, das ein weiterer Beweis für die Gottgefälligkeit der Spiesserhölle ist.



Der Wochenmarkt ist auf den Platz vor dem Neuen Schloss verlegt; eine Investitionsruine des 15. Jahrhunderts, gebaut von einem Top-Consultant der damaligen Zeit, dessen Ratschläge für das Königreich Frankreich wenig nützlich, für ihn aber sehr gewinnbringend waren. Am Rande: Wer glaubt, dass die Berater bei der Arbeitsagentur, Toll Collect und Hartz IV geschlampt haben, sollte sich erst mal den Track Record von Ludwig dem Gebarteten und seiner kleinen Schwester Isabell anschauen. Das sind wirklich mal Pleiten, die ein Land in den Abgrund führten.

An den Ständen sind Schlangen, als wäre hier eine Ausgabestelle für Farbfernseher in der DDR. Die bessere Gesellschaft der Stadt überlässt den Aldi den Russen, den Zugereisten und den Grattlern, und trifft sich hier auf einen kleinen Ratsch. Vor mir beim Käsestand ist die alte Frau D******, und aus ihrer Fendi-Tasche schaut sorglos ein dicker Geldbeutel heraus; protzig und vergleichbar den offen getragenen Geldkatzen des Mittelalters. Die D****** sind seit Jahrhunderten echte "Stadterer" und haben noch ihr Stammhaus im Zentrum, sind aber auch längst in die Vorstadt gezogen. Die Matrone kauft für 40 Euro Käse, dann nochmal für fünf Euro Parmesan, weil sie den vergessen hat. Als ich sie demonstrativ freundlich gegrüsst haben, erzählt sie mir gezwungen, dass ihre Tochter heute zu Besuch kommt. Ich frage mich, wie Julia heute wohl aussieht, bestelle ihr schöne Grüsse und schreibe ihr meine Handynummer auf, wohl wissend, dass Frau D******, deren Familie alte Nazis waren, es wahrscheinlich nicht ausrichten wird. Es gibt da so alte Geschichten... Geschichten, die Julia bewogen haben, zu gehen.

Es ist ja nicht so, dass diese Stadt braune Leichen im Keller hat. Die braunen Typen wie der alte D******, die die Leichen gemacht haben, kamen sofort wieder aus dem Keller und stellten bald nach dem Krieg wieder die Spitze der Gesellschaft. Nach dem begann Krieg auch der Boom; viele Leute zogen hier her, machten Geld und Karriere, da konnten die braunen Reste leicht untertauchen; selbst ein katholischer Religionslehrer, der seinen Schülern von seinen lustigen Abenteuern bei der Partisanenbekämpfung an der Ostfront erzählte, machte "das Kraut nicht fett", wie man hier sagt.

Ich vermute, dass Frau D****** das Gemälde des seines Kameraden schleppenden Landsers, das früher im Flur ihres Hauses hing, längst durch eine Graphik von Rosina Wachtmeister ersetzt hat. Dort, wo früher die Orden und die schwarzweissrote Fahne waren, ist jetzt vielleicht ein brauner Herbstkranz. Ich war nur ein paar Mal mit Julia dort, als ihre Eltern in Urlaub waren. Julia war alles andere als stolz auf diesen Krempel und die Geschichte, sie war auch ganz anders als die grobschlächtigen, dickhalsigen, semmelblonden Spitzbäuche ihrer Familie: Klein, zierlich, dunkel, und vor allem war sie weit weg, sobald sie ihr Abitur hatte.

Vielleicht hat die Frau auch nur gelogen, wie so viele andere. Gelogen wird hier viel, wenn es um die Kinder geht. Ich höre es immer wieder, dass die Kinder angeblich zu Besuch kommen werden; eigentlich müsste diese Stadt übervoll mit den erfolgreichen Kindern der besseren Gesellschaft sein. Ist sie aber nicht. Vielleicht sagen sie am Telefon nur vage, dass sie vielleicht kommen, falls sie nicht doch arbeiten müssten, also bitte nichts für sie einkaufen, aber die alten Frauen hören nicht darauf, setzen sich auf die grauen Ledersitze der S-Klasse und fahren auf den Markt, um teure Feinkost und Käse zu kaufen, der dann im Kühlschrank verschimmelt. Das für sie ungewohnte Ciabatta werden sie mit einem gewissen Ekel selbst essen, und der Wein hält eine Weile, zumindest bis Weihnachten, wenn die Julias der Stadt dann wirklich kommen, um sich nach 2 Stunden Familiensimulation in ihr Zimmer zu verkriechen, wo das Landsergemälde in seiner öligen Schaurigkeit inzwischen einen Ehrenplatz hat. So ist das in dieser Stadt, in diesem Vorhof. Ich gebe Frau D****** die Hand - ihre Finger sind kalt, knorpelig, schwach und glitschig - und besorge das, was ich zum Leben brauche. Man darf es, man darf die D****** nie, nie, niemals vergessen.



Sonst kocht man am Abend unter Stuck und Kristalllüster die handgemachten Trüffel-Kürbis-Ravioli, nur ganz dezent mit einer Sauce aus Olivenöl, roten Zwiebeln, Schmand, Pecorino und frischen Gewürzen versehen, trinkt dazu gegen die Kälte da draussen eine heisse, unbehandelte Zitrone, deren gelbe Schale im Schein der Bienenwachskerzen auf dem Familiensilber funkelt, und fängt beim Panorama über die Stadt beim ersten Mondeslicht an, sich an das alles hier zu gewöhnen, an die Schönheit, an den Überfluss, an das geregelte Leben, an die Sauberkeit, und dann übersieht man schnell die Mutter aller Sauberkeiten: Die korrupten Politiker, die schwarzbraunen Säue, die fetten Vertriebenenapparatschiks, die klerikalen Halsabschneider, dieses ganze Pack, das nach 45 gelernt hat, dass ihr lukrativer Privatfaschismus auch in der Demokratie ganz ohne Völkermord und Lebensraum im Osten geht, der Moloch, hier sein Zentrum hat, und der so alt und erfolgreich wie die Dummheit ist.

Das darf man nie vergessen.

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DaimlerChysler Venture GmbH (DCV) geht Richtung DCT

Girl finalisiert den grossen Brocken. Mann, hatten die damals eine grosse Klappe - Krümel-VCs werden vergehen, Old-Eco-Vcs werden bestehen, Corporate VCs waren sowieso das Top Thema Ende 2001.

Ich muss irgendwann auch noch mal eine Geschichte dazu schreiben, von einer Nacht im Keller mit DCV, November 2001. Tolle Zeiten. Sollte man erlebt haben, bevor man Bloggen zum Business, auch bekannt als Business Bullshit Bingo, erhebt, ihr Armen.

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Kleiner Hinweis an alle nach fast einem Jahr

2 Dinge: Einerseits gibt es hier inzwischen so viele Kommentare, dass ich sie teilweise nicht mehr finde, wenn ich mal 24 Stunden nicht online bin. Wie eine Party, bei der man den Überblick über die lieben Gäste verliert. Insofern bitte ich als Gastgeber um Nachsicht, wenn ich in der Hektik mal auf Fragen oder Beiträge nicht antworten sollte. Ich freue mich wirklich über die Vielzahl an Beiträgen, und wenn ich mal im Altersheim bin, werde ich das alles in Ruhe statt der Apothekenumschau lesen, versprochen. ;-)

Andererseits ist das hier eine Party auf einer rein private Website, in meinem virtuellen Wohnzimmer, kein Forum, Dotcomtod2.0 oder ähnliches. Wer als Besucher auf den Teppich kotzt, fliegt raus. Beim ersten Mal editiere ich nur, wenn das nichts bringt, wird alles als Spam behandelt und gelöscht - auch, damit die anderen hier in Ruhe weiterhin am Buffet stehen und Smalltalk betreiben können.

Aber das betrifft nur die allerwenigsten. Und jetzt weiterhin viel Spass.

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Freitag, 19. November 2004

Real Life 19.11.04 - 16V

Manche haben es ziemlich weit zur Elite-Uni; eine Folge des bundesweiten Rufs und der Auswahlkriterien, die auf Regionalbezug keinen gesteigerten Wert legen. Tatsächlich gibt man sich polyglott und international. Diejenigen, die aus dieser Provinzstadt kommen, haben nach dem Abitur in aller Regel erst mal von den engen Gassen die Schnauze voll und Lust auf die grosse, weite Welt. Ausserdem, wer mit ein wenig Eigensinn in der totalitären Atmosphäre dieser christsozialen Stadt gross geworden ist und sich nicht umgebracht hat, wird den Teufel tun und sich an einer Uni einschreiben, die sich gleich noch mal katholisch nennt. Man fühlt sich 18 verdammte Jahre begraben, erstickt, zu Tode gehegt wie so ein verfickter Bonsai-Baum, also will man erst mal raus, ohne zu ahnen, dass die Metropolen voll mit dem gleichen Provinzgemüse sind, und obendrein ziemlich tödlich für alle, die deren Codes, Riten und Verlockungen nicht einschätzen können.

Andere sehen das Studium aber nicht als Flucht, sondern nur als notwendigen, möglichst schnell zu absolvierenden Schritt auf der Karriereleiter. Die setzen andere Prämissen - möglichst intensive Betreuung, gutes Ranking, effektives Netzwerk, und was sonst noch in den weiträumigen, hohlen Hirnen der auf Karriere spezialisierten Journalisten als Idee ohne Realitätsbezug herumspukt. Für die ist das kostenlose Studium an diesem abgelegenen, auf Wirtschaft spezialisierten Institut ideal. Fast Witten-Herdecke-Qualität zum staatlichen 0-Euro-Preis, wenn man der Selbstdarstellung glauben will. Kaum Ablenkung der Metropolen, viele Gleichgesinnte und mit dem Studium auch immer gleich ein Thema, mit dem sich die Abende im Sausalitos, im Eiskeller oder der Havanna Bar trefflich gestalten lassen, bis zum Wochenende. Aber dann müssen sie erst mal zurück zur Familie, und dafür haben die Marketingleute der Automobilfirmen auch gleich das passende Asset entwickelt.



So stehen sie hier an den Parks beim Institut rum, die übermotorisierten Kleinwägen mit dem fetten Rohr hinten raus, sauber gepflegt und gewaschen, um die Elitessen schnell wieder zurück in ihre kleinen Städte zu bringen, die auch nicht anders sind als diese Stadt. Etwas Repräsentantion gehört beim Auto dazu, zumal man bei den Festen auch die entsprechende Garderobe braucht; da lassen sich viele Eltern auch beim Automobil nicht lumpen. Der Lupo 16V ist da im Moment die Weapon of Choice, nachdem Golf Cabrios inzwischen doch einen gewissen Hautgout haben. Solide deutsche Volkswägen sind in dieser Schicht, die das ganz grosse Geld erst später auf dem Vorstandsposten noch erarbeiten muss, weitaus beliebter als, sagen wir mal, die Barchettas und Alfas der wenig zielstrebigen Hedonisten mit drei Studienabbrüchen, die qua Abstammung schon nicht mehr unter ein gewisses Level fallen können.

Aber diese Freunde des abgeklärten Müssiggangs sind heute natürlich eine aussterbende Gattung. In diesen Krisenzeiten kann man es sich schon fast nicht mehr leisten, nicht zwischen jedem Semester ein Praktikum einzuschieben, wenn man später mal Sachbearbeiter werden muss, weil es mit dem Vorstandposten doch etwas schwieriger wurde, als es die Karrierepostillen behaupten. Da ist so ein Lupo in seiner Bescheidenheit schon angemessen, und das 16V symbolisiert später trotzdem enorme Leistungsbereitschaft, spitze Ellenbogen und Dränglertum, auch im dicksten Stau auf der Karriereleiter. Da haben sich die Jungs bei VW wirklich was Kluges, Marktgerechtes einfallen lassen.

(sorry cloclo, could not resist)

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PR-Gau

eines PR-Bloggers: Immer erst die Aussagen innerhalb der Gruppe abgleichen, intern kommunizieren, bevor einer mit grossen Ankündigungen ans Mikro tritt, sonst passiert sowas. Eigentlich das kleine ABC der PR, aber weder PR noch Berater sind bekanntlich geschützte Bezeichnungen. Auch lustig: Jemandem die Gier nach Traffic unterstellen, und ihn dann verlinken. Ach ja, was da nicht alles aus dem NE-Sumpf wieder hervorkommt, es ist herrlich...

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Schau ins Land

Die Wolken schaffen es bei Föhn manchmal über die Donau. Von der Vorstadt aus kann man wegen der hohen, alten Bäume des Auwaldes nicht sehen, wie das Wetter weiter südlich ist. Also rufen sie mich an, denn ich wohne 15 Meter über der Altstadt, und genau Richtung Süden, an der hohen Schule vorbei, kann ich praktisch parallel zum Horizont sehen.



Wenn dort, so wie gestern, ein schmales, hellrosa Band hinter den Wolken kommt, heisst das, dass etwa 30 Kilometer südlich die Wolken aufreissen. Meine Eltern rufen mich manchmal an, freuen sich über das gute Nachricht, und sie und/oder einer ihrer Nachbarn setzen sich dann in die Limousine, in den Sportwagen, oder aktuell ihr Nachbar zur Rechten in seinen gerade gekauften Cayenne, und fahren Richtung Alpen, Rottach-Egern, Tegernsee, Wasserburg, oder noch etwas weiter, Bad Tölz oder Salzburg.

Gerade Salzburg ist an solchen Tagen voll mit Autos aus Bayern, und durch die Strassen ziehen ältere Herrschaften und kaufen teure Schokolade für ihren Nachwuchs. Oder die echten Reber-Mozartkugeln, die dann, wenn die Nachbarn zu Besuch kommen, von kleinen Silberschälchen mit einer Konfektzange gehoben werden. Das sind dann auch die Abende, an denen man auf bequemen Kirschholzsesseln feststellt, wie wichtig das Waldvolksbegehren hier in Bayern ist. Am Tag darauf werden sie mit eben jenen Karossen die drei Kilometer in die Stadt fahren, länger einen Parkplatz suchen, und dann mit ihrer Stimme etwas für die Umwelt tun, die sie erhalten wollen, die sie so lieben, wenn sie mit 380 PS Richtung Oberland rasen.

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Donnerstag, 18. November 2004

Casa Rustica

Sie findet den Gedanken voll-kom-men absurd, nach Ingolstadt zu fahren, wenn du doch auch nach München kommen könntest. Aber erstens bist du im Moment eher faul und zweitens muss sie sowieso beruflich nach Norden, und wenn sie rechtzeitig zurück kommt, wird sie dich anrufen, und dann darfst du sie zum Essen einladen.

Unpünktlich um 9 Uhr, als du dich schon auf einen einsamen Abend eingestellt hast, klingelt das Telefon. Du beschreibst ihr nochmal den Weg, und tatächlich, bald darauf, als du unten wartend noch nicht allzu durchgefroren bist, erscheint die schlanke Silhouette ihres Wagens in den silbrigen Fäden des Donaunebels. Ingolstadts Bewohner pflegen den Nebel hier als romantisch zu betrachten, und tatsächlich hat es was Anheimelndes, wenn man durch die alten Gassen an den verlassenen Lügenpalästen der Jesuiten und Kapuziner vorbei geht, über einem der Mond, und in der Luft das Wabern der kondensierten Feuchtigkeit. Mary Shelley hat einen Volltreffer gelandet, als sie die Erschaffung von Frankensteins Monster in dieser Stadt angesiedelt hat.

Du könntest ihr viel erzählen; die Stadt ist voll von grausigen Geschichten. Hier herrschten tragische Gestalten, die am Ende im Kerker verreckten, hier stritten sich Mönche über die brutalstmögliche Hinrichtung von Hexen, hier herrschte immer der dumpfe Geist der Reaktion, aber du ersparst es ihr, denn sie steigt aus und sagt, dass es hier spooky ist, und du willst ihr die Essenslust nicht verderben. Du führst sie durch die Gassen in Richtung Rathausplatz, und als ihr am unvermeidlichen Sausalitos vorbeikommt, ist sie schon wieder etwas beruhigt. Eine Stadt, in der es bei Sausalitos eine Happy Hour gibt, kann eigentlich keine verfluchte Stadt sein. Dann weiter durch eine dunkle Gasse über altes Kopfsteinpflaster hinunter, und dort, im mittelalterlichen Häusermeer, hell erleuchtet, das Ziel, die Casa Rustica im Cafe Kürzinger.

Mehr bei Restaur.antville.org

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Final! Gngngngnhaha, GNTOT

Che vermeldet ein grausig Schicksal für den DCT-Oldie GNT Global Network Telephone. Das Multimillionen-Dingens ist den Weg aller CyDomes gegangen. Ein Gründer ist in Afrika. Kein weiterer Kommentar.

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Elitessen-Alarm

Aus den Referrern: Katholische Universitaet Eichstaett, Eichstätt, Deutschland - da sitzt gerade jemand in der Bibliothek in Ingolstadt, in der hohen Halle, und liest hier mit, statt sich auf die Karriere vorzubereiten ;-)

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Mittwoch, 17. November 2004

Mittwoch After Work

Catherine Deneuve, nur hübscher. Semi Giselle Bündchen in Chanel. Claudia Schiffer sowieso, mindestens, wenn nicht besser, nur mit kreischender Stimme. Und überhaupt alles so clean, schlank, makellos. In Wahrheit kam hier keiner gleich nach der Arbeit her. Alle sind sie nochmal heim, schnell glattrasiert, Parfum, frische Bluse, weisses Hemd, Kragen offen, und ab zur Börse, hinten rein ins Lenbach, klar ist man angemeldet in dem dicken Buch, und dann ab ins Gedränge, Ellenbogen Richtung Bar.

Afterwork im Lenbach, immer Mittwochs, war der einzige nichtgeschäftliche Termin, wo mir jemand seine digitale Visitenkarte per Infrarot mit dem Handy schicken wollte. Sogar 2003 war es im Sommer noch so voll, dass die Party auch draussen, hinter einer Absperrung stattdfinden musste. Pflichttermin für die jungen Bankangestellten der bayerischen Börse, und für die Anwälte, die Werber, die PR-Leute und irgendwie alles, das sich die Drinks leisten konnte und eine halbwegs gute Story auf Lager hatte. Die neue, gute Story war wichtig, um was zu erzählen zu haben; wer keine Story hatte, bekam keine ordentlichen Gesprächspartner, wurde weggereicht, musste rumstehen wie nicht abgeholt. Hier lernte man schnell den 30 Sekunden Pitch der Zwischenmenschlichkeit, und wer nicht lernte, konnte zu Hause bleiben. Ziemlich viele OpenBCler machten hier ihre real life matches. Pflichttermin, wenn man in dem Geschäft bleiben wollte, um das es beim Afterwork eigentlich nicht gehen soll.

Das Problem ist das Fortschreiben der letzten guten Geschichte. Wer zu Beginn gleich zu hoch einsteigt, muss nach einem Jahr eigentlich Marktführer, Head of Irgendwas, oder vielleicht auch Partner sein. Grow or Go galt auch hier, wenn man längerfristig an jemandem interessiert war. Insofern ist es sehr angenehm, dort etwas gelogen als Berufssohn und/oder Schriftsteller aufzutreten, das allein ist ein Erfolg und bedarf keiner weiteren Entwicklung. Man kann etwas lässigere Geschichten erzählen, und die wirklich relevanten Geschichten fielen am Anfang sowieso noch unter die NDAs. Danach, nach dem Ausstieg aus dem Kern der Szene, war es egal, und die Broadway-Adresse auf meiner Visitenkarte zog immer noch. Ist ja nicht so, dass die anderen wirklich mal raus kamen in die neuen Dependancen, die ihre Firmen in Schanghai, SF oder zumindest London hochzogen. Meistens schafften sie es im Sommer noch nicht mal in die Alpen oder an den See. Too much to do.

Dafür war es eben Munich Area, einzigartig, Marsilia Antipolis konnte dagegen nicht anstinken.After Work ist eben so ein Asset, das es nur hier gibt, das hat niemand daheim, da, wo er herkommt, Pfaffenhofen, Rosenheim, Penzberg, Sulzbach, Bayreuth, oder auch mal Bielefeld oder Fulda.



Denken sie wohl immer noch. Aber die Provinz holt auf. Kopiert schamlos die hohe Business Kultur, zieht sie in die Gosse. Eine feine Website gibt es hier ebenso wenig wie ein Interieur eines Stararchitekten, es gibt aber auch diese Täschchen mit den kurzen Henkeln, Schweissbremse genannt, und die Anzüge; nur manchmal mit Schnauzbart drüber, und die Geschichten sind auch gut, wirklich, denn hier gibt es keine kranke, überflüssige Kleinst-Börse, sondern nur kerngesunden Mittelstand. Der will sein Geld ausgeben, und das wird im örtlichen Jugendfunk und an den Busstationen eifrig beworben.

Eine weitere Success Story aus der Provinz. Keine Sorge wegen der Kleidung und den Look; auch hier gibt es das übliche, halbverhungerte Business-Publikum, die Kanzleimädchen, den Nachwuchs und die Werber mit der roten Brille, wie Anfangs der 80er. Und die passenden Läden, auch für den grossstädtischen Geschmack. In denen inzwischen die Mütter der in München aus der Bahn geworfenen JungmanagerInnen Care-Pakete zusammenkaufen. Schliesslich ist bald Nikolaus.

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Goldgrübeln

Bei "Ritter der Kokusnuss" gibt es dieses Duell mit dem grossmäuligen schwarzen Ritter, dem erst alle Extremitäten abhackt werden, und als er dann nur noch als Rumpf im Wald steht, sagt er, dass er ein Unentschieden akzeptiert - aber sobald die Ritter weiter ziehen, schreit er ihnen nach, sie sollen zurückkommen, er würde sie mit seiner Spucke besiegen, er würde es ihnen nochmal zeigen. An diese Szene muss ich immer denken, wenn ich manche Blogs gewesener Dotcom-Unternehmer, Berater und Jubelperser lese. Da wird dann besprochen, wie man mit Blogs hoffentlich bald das Geld verdienen kann, das man früher im "Content Bizz" versenkt hat. Die meisten Beiträge sind inkompetent, vulgär und vollkommen unausgegoren, aber so sind die Autoren nun mal, sie hatten eine schwere Jugend, sie haben es keine andere Sprache als den McKinsey-Latrinen-Slang voller Success und Profit gelernt. Und die Summen, die amerikanische VCs in die Firma Sixapart (Movable Type, Typepad) investiert haben, machen auch hierzulande viele Leute heiss, die gerne nochmal eine New Economy Reloaded hätten.

Nun gab es in der letzten Woche zwei Ereignisse, die zeigen, dass sich auch ernsthaftere Leute in Deutschland mit der Frage der Wertschöpfung durch Blogs auseinandersetzen. Mehr an der Blogbar

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Mittwoch, 17. November 2004

Final: Cydome kracht in sich zusammen

Am Ende hat nur noch Baumeister Pietroforte am Mauerwerk des IT- und Business-Bloggens gespachtelt, die anderen hatten sich schon abgeseilt und den Meissel abgegeben. Der vorletzte Eintrag nennt sich "Making Money" und dreht sich um die Frage, wie das mit Blogs gehen kann. Ich bin ja nur ein Depp, der keine Ahnung hat, aber zumindest hab ich begriffen, dass, wenn eine Redaktion auseinanderfällt und nichts mehr schreibt, mit Geld ebensowenig zu machen ist wie mit Ansprüchen vom "fachlich fundierten, seriösen Journalismus". Von "Gründer" Klaus Eck kommt, was die Einstellung angeht, nur PR-Sprech nach dem Motto, dass es ein sehr erfolgreiches Projekt war und sie über das weitere Vorgehen noch dieses Jahr entscheiden werden. Vielleicht entdecken sie ja doch noch die "Goldgrube", von der Eck auch schon mal sprach, und machen doch in der Hoffnung weiter, dass Bloghandwerk goldenen Boden hat.

Final: Cydome.de
Quelle: Eigenaussage
20six-BonbonsPunkte: 120

So, und jetzt clicke ich mich zu changex.de rüber und schaue mal, wie lang die mit ihrem neuartigen Paid Content überleben - nachdem das ja alles jahrelang frei zugänglich sein sollte (bis Infineon ausstieg aus dem Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft, glaub ich).

Update: Mutmasslich aufgeschreckt durch diesen Bericht, stopft "Gründer" Klaus Eck die Leiche CyDome mit zweitverwerteten Infobrocken aus seinem Hauptblog. Dave Kay zu dessen Ideen: "(örgs)" - da kann ich mich nur anschliessen.

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Eine Stunde

dauert es, wenn man auf der Autobahn von München an die Donau fährt, eingekeilt zwischen den üblichen Rasern in ihren dunkelgrauen BWM, der Landbevölkerung in den Mercedes-Limousinen und den rot/violett/mettalicblauen Kleinwägen ihres Nachwuchses, der tiefergelegt und verspoilert daran arbeitet, dass die ländliche Geburtenrate und in der Folge das Wahlvolk der CSU nicht unbegrenzt anwächst. Der Weg führt in ein paar Kilometern Entfernung vorbei an den sauber geputzten Trümmerfeldern der Hightech-Offensive, Gate Garching, Kirch, Siemens Center of E-Excellence, Martinsried, all diese Retortengeschwüre aus Glas und Beton, die die örtliche Bauwirtschaft reich und die Staatskassen arm gemacht haben. Dahinter, nach der ersten Hügelkette, wird Bayern wieder so, wie es eigentlich ist.



Schön nämlich. Besonders an einem Tag, an dem der Rest von Deutschland unter grauen Wolken liegt. Bayern hat den Föhn, und der putzt den Himmel bis an die Donau strahlend blau. Man kann blind auf der Autobahn weiterrasen, man kann aber auch runter und durch Dörfer fahren, in denen jedes Haus geputzt und bewohnt ist. Trümmerfelder wie im Osten wird man vergeblich suchen. Es gibt trotz Flurbereinigung noch viele Hecken, krumme Wege, schiefe Zäune und, hier und da, auch noch verwilderte Obstgärten im Grund von Tälern, in die nie ein Tourist kommt. Warum auch. Schweitenkirchen ist bestenfalls als Standort einer Grossraum-Disco bekannt, die das Umland mit DJs aus der Region namens Mike oder the Bull und Sekt von 10 bis 1 für die Damen gratis bedröhnt. Wer sich dort die Rübe zuknallt und am Ende doch keine Frau abkriegt, wird die Schönheit der sanft geschwungenen Landschaft kaum wahr nehmen.

Diese und andere Hügel, zwischen denen ich fast mein gesamtes Leben verbacht habe, sind das, was mir im Norden und Osten so fehlt. Nichts ist gerade, alles ist gebogen, unregelmässig, mäanernd-abschweifend, so wie die Leute, die einen mit einer doppelten Verneinung eine einfache Verneining mitteilen, etwa so: Des hob i no nie ned gheart - Das habe ich noch niemals nicht gehört. Das bekommt man zu hören, wenn man hier über so ziemlich alles spricht, über das es in diesem Blog sonst geht. Vor 5 Jahren, etwa zur gleichen Zeit, hatte eine Agentur mit Grosskunden wie Microsoft ganz hier in der Nähe auf einem Schloss eine Tagung abgehalten. Thema in etwa: Wie geht die New Economy nach dem Endsieg in drei Jahren mit den rauchenden Trümmern der nicht virtuellen Wirtschaft um. Man stand an den Fenstern auf dem Feldherrnhügel, blickte hinaus in diese Landschaft der Unwissenden, die nicht ahnten, was da im Schloss geplant wurde. Dieses Landvolk da unten mit seinen Viechern und den blumenbehängten Wagenrädern, oder den Wappen haltenden Löwen an der Einfahrt, das alles war Geschichte; kleine, zurückgebliebene Widerstandsnester, während global jetzt schon ein ganz anderer Takt vorgegeben wurde.

Die meisten im Schloss kamen aus der Stadt, und oft auch nicht aus Bayern. Ich sagte ihnen, dass es vielleicht doch nicht so einfach werden würde, dass das hier nicht die letzten Reste sind, sondern immer noch de Mehrarn, die Mehrheit, die ganz ganz grosse Mehrheit. Ich sagte, dass ich von hier komme, trotz der etwas angefremdeten Blicke, und ich erzählte ihnen vom Leben meiner Verwandten; von meinem Dad, dessen Typ eine Art Idealkunde in ihren Powerpoints war und der schlichtweg zu faul ist, sich mit einem technischen Gerät mit mehr als 3 Knöpfen auseinanderzusetzen. Worauf ein Ministeriumsvertreter sagte, der virtuelle Marktplatz Bayern werde auch das rapide ändern. Sie würden ja wollen, nur könnten sie noch nicht, aber die bayerische Staatsregierung würde auch das schaffen. Keiner von diesen schlichten, zum Aussterben oder Anpassen verdammten Gemüter war auf der Tagung, keiner im Dorf interessierte sich für den Auftrieb im Schloss, denn so Autos wie die da hat der hiesige Bauer auch; es sah auch nicht anders aus als bei einer Bauernhochzeit.



Ich habe gestern, mit den Umwegen über die Dörfer, drei Stunden gebraucht, und Bilder gemacht. Nichts hat sich verändert. Gestern Abend habe ich dann mal eine Stichprobe aus einem alten Verteiler mit Mails beschickt. Von 20 Mails kamen 16 zurück. Zwei von drei Mails, die an staatliche Stellen gingen, scheinen angekommen zu sein. Vielleicht, weil die Empfänger zwar wie die Typen in dem Schloss redeten, aber in Wirklichkeit ebenso apathisch wie die Kühe bei Schweitenkirchen sind. Was nicht das Schlechteste ist.

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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 15. November 2004

Tod eines neuen Siemens S65

oder: Wie ich die Barchetta endgültig nicht genommen hatte
Ein Stück in einem Akt

Setting: Don Alphonso steht, Tee trinkend, an einer elterlichen Biedermeierkommode, Dons kleine Schwester blättert gelangweilt im Battenberg, Abteilung Porzellan, und versucht unterdessen, Don die Übernahme der Bachetta schmackhaft zu machen. Don ist weiterhin sehr misstrauisch. Er spielt geistesabwedend mit ihrem Handy, während sie ihm erklärt, dass unser freundliches Steuergesetz gerade für Wägen wie die Barchetta sehr nette Tarife kennt. Er schaut das Handy an und merkt, dass es zwar wie ihr altes, genauer 8 Wochen altes Siemens S65 aussieht, aber dennoch ein Samsung ist; das Ding, das allerorten so dämlich beworben wird.

Dons kleine Schwester: PS... Boxter versägen... tolle Anlage... nur ein paar kleine Reparaturen... die letzten zehn Strafzettel zahle ich noch...
Don: Äh, schon wieder ein neues Handy?
Dons kleine Schwester: Ja, das alte ist kaputt, ist mir im Auto runtergefallen.
Kurze Pause, in der Don die Teetasse abstellt.
Don: Beim Fahren, aus dem Fenster?
Dons kleine Schwester: Ne, es ist im Auto runtergefallen.
Don (technischen Sachverstand bemühend): Komm, das kann doch nur ein kleiner Fehler sein, so hoch ist das doch nicht vom Handschuhfach.
Dons kleine Schwester (zart errötend): Aber es ist in eine Pfütze gefallen...
Don: (schweigt, denkt nach. Dann:) Eine Pfütze im Auto?
Dons kleine Schwester: Äh, ja, mein Auto, also, doch, es hat schon ziemlich viele Pfützen, wenn es regnet.
Don: (stellt sich eine Pfütze vor, in der ein ausgewachsenes Siemens S 65 ersaufen kann. Das müssen mindestens drei Zentimeter sein. In einem geschlossenen Auto bei Regen.) Ich glaub, ich bleib bei meinem Punto, sorry.

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Trembling Boom Town Season Greetings

Es ist Herbst, und die Kastanienblätter fallen sacht auf den Vintage-Sportwagen. Die Abendsonne gleisst am Fernsehturm, und die blaue Cantina hinten hat geschlossen, wohl schon etwas länger, denn eine Glasscheibe ist zerbrochen, ohne dass sich jemand darum kümmern würde.



Der leichte Abendwind weht eine Sonntags-FAZ vorbei, und ein Teil des Komplexes ist zu vermieten, denn ein neues, optimistisches IT-Unternehmen hat sich gerade verabschiedet, ohne eine Nachfolgeadresse zu hinterlassen.

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