: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 10. Juni 2005

HVB

Wenn ich Sozialdemokrat wäre und was zu sagen hätte, würde ich mir die lange, peinliche Geschichte der Hypovereinsbank antun und daran erinnern, dass diese Grossbank mit all ihren Katastrophen ein gewolltes Produkt der CSU ist. Inklusive ihres wahnwitzigen Engagement im Osten und der New Economy.

Wenn mir jemand sagt, dass die Bayern immer nur kassieren: Nein. Dank HVB haben die Bayern, die bayerischen Steuerzahler, wenngleich auch nur indirekt, furchtbar im Osten geblutet. Da stehen unsere Bauruinen, unsere Wertberichtigungen, und wenn in München in den nächsten Monaten plötzlich viele überflüssige mittlere Banker beim Arbeitsamt und bei der Schuldnerberatung auflaufen, dann ist das auch ein grosses Stück langfristiger Fehlplanung der CSU-Landesregierung. Unfassbar, was in 15 Jahren aus zwei grundsoliden Banken wurde. Unfassbar, dass niemand darüber berichtet, angefangen vom Krieg der Management-Heere beider Banken bishin zu den VC-Investments und der Fondstochter Activest, die ganz plötzlich die Leute gefeuert hat...



Es ging alles so schnell, und wenn es jetzt auch schnell geht, dann kommt der "Internet ist die Zukunft" Stoiber mal wieder, schon wieder davon.

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100% Müll: Schleichwerbung bei Spiegel Online

Also, das geht so: Ich bin im Management einer Firma tätig. Und in dieser Firma haben wir ein Produkt, und dessen - von uns zumindest so gesehene - Vorzüge will ich möglichst bekannt machen. Das geht ganz einfach - ich schreibe einen Artikel, wie toll unser Produkt ist, schicke den an Spiegel Online, und die bringen das dann - natürlich ohne zu sagen, dass ich im Management der Firma bin, die das Produkt verkauft.

So gerade hier nachzulesen, in einem begeisterten SPON-Artikel über angeblich tolle Bilder des Glamourphotographen Horst P. Horst - die besagter Photograph hat grössere Serien geschossen, und den Abfall daraus veröffentlicht jetzt das Kunsthandweksblättchen Monopol. Lyrisch-lockend heisst es da:

Auch deshalb ist es etwas indiskret, nun Serien zu zeigen, aus denen Horst P. Horst schließlich die perfekte Aufnahme wählte.

Nicht indiskret, sondern eine Riesensauerei ist es, dass der Spiegel diesen Werbetext bringt, der aus der Feder von Tobias Rüther stammt. Rüther ist kein normaler Mitarbeiter von Spiegel Online, der über das Thema schreibt, sondern der Textchef von Monopol, dem man beim Spiegel offensichtlich einfach den Platz zur Verfügung stellt, um bar jeder Distanz für sein Blättchen zu werben. Ein Hinweis, wer dieser von der eigenen Postille so angetane Herr Rüther ist, findet sich bei Spiegel Online natürlich nicht. Aber was tut so einen Contentfabrik nicht alles, um billig an Texte zu kommen, und Pressecodex - was war das nochmal...

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Grosses Finale

Barocke, bayerische Sonnenoper, Spielzeit 90 Minuten. Die nächsten Monate fast jeden Abend. Immer grandios, immer anders, jede Minute neu, unendliche Koloraturen, jedesmal könnte ich es mir stundenlang anschauen, bis es dann im Nachtblauen vergeht.


grössere version, 93kb

Als hätten es die Gebrüder Asam entworfen, passend zu ihrem Oratorium im Vordergrund.

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Donnerstag, 9. Juni 2005

Sehr zu empfehlen - was alles geht

Und irgendwann ist dann der Moment erreicht, da das Unheil in das Leben eines Wohnungsrestaurateurs tritt. Oft, allzu oft ist das Unheil die Zweitgeborenenbrut der eigenen Eltern, und die wirft, weil genervt, neidisch oder einfach nur so, einen schiefen Blick auf einen Teppich und sagt: Das passt überhaupt nicht zur Wandbespannung. Und verweist auf Hypeblättchen wie AD - Architectural Digest, in der irgendwelche Villen von Sachsen-Glorias und Häuser von promotiongeilen Tütü-Architekten vorgestellt werden. Da ist das von mir geplante Ambiente nämlich nicht abgebildet, also kann es gar nicht passen.

Nun bin ich Kulturhistoriker mit einem Schwerpunkt auf frühe Neuzeit und die AD nur ein von vielen Anwaltsgattinnnen gehaltenes Werbeblättchen, das mitunter heute das nachzuschreibt, was vor 6 Monaten bei International Interieur zu lesen stand - so sieht man da momentan auf Kronleuchtern die spiessigen Hütchen auf den Lampen, die Dolce & Gabbana in einem Anfall von Interieurverarsche verwendet haben. Bitte, wie gay ist das denn? Hütchen. Also echt.

Nichts desto trotz hilft es, sich die zeitgemässen Farben der geplanten Einrichtung am lebenden Objekt anzuschauen. Gleich neben meiner Provinz ist gewissermassen die Provinz der Provinz mit dem Namen Neuburg an der Donau. Neuburg ist für uns das, was Tschernobyl für Kiew ist, und ihr Autokennzeichen ND steht bei uns für "Nationaldepp". Nach Neuburg fährt man über den Deadroad Track der B16, eine Strasse mit ziemlich hoher Unfallquote. Da stehen alle paar Meter die Marterl, an manchen Kurven auch zwei oder drei. Das ist hart. Am Ende kommt dann ein geschlossenes frühneuzeitliches Ensemble, das von der Donau aus so aussieht:



Neuburg war ab 1505 Residenz der damals neugeschaffenen Pfalz, hat ein entsprechend üppiges manieristisches Schloss und eine fast völlig intakte Altstadt. Und Bewohner, die bereitwillig die alten Fassungen und Farben wieder so auftragen, wie es zur Hochzeit des Ortes Mode war. Will sagen, früher war Neuburg nie so authentisch, wie es heute aussieht; kein Dreck, kein Kot auf den Strassen, kein Zerfall und kein Niedergang, obwohl es das hier immer wieder nachweislich gab.

Dafür findet man hier wie in einer riesigen Datenbank die Farben, die in dieser Region tatsächlich vorhanden waren. Die Hausbauer waren keine Kinder von Traurigkeit und dezenter Kolorierung, gleich nebenan in der Kirche war ein Farbrausch von Rubens, da brauchte sich keiner was wegen ein bisschen orange oder rosa denken. Da wurde vieles aufgetragen und gemischt, was heutigen Innenarchitekten die Eier abfallen lassen würde:



Rosa, Grün und Goldgelb kommen zusammen an ein und dem selben Gebäude vor, es wird Stein vorgetäuscht und kräftig gepinselt, bis das letzte Kalkweiss verschwunden ist. Alles geht. Nach einer Stunde kann einen keine Bonbon- oder Tortenfarbe mehr schockieren, das alles ist kein Problem, es harmoniert, nur feige sollte man nicht sein. Dagegen sind meine Teppiche und die Wandbespannung dezent.

Im Schloss selbst gibt es dann noch Beispiele für originale Wandbespannung aus dem 18. Jahrhundert, die nicht im Mindesten so sauber gemacht war, wie man das vielleicht erwarten würde. Und eine Ausstellung über den hiesigen Ottheinrich und den Landshuter Erbfolgekrieg, die zeigt, dass Bayern das System der Landesausstellungen noch immer nicht begriffen hat. Ohne fundiertes Fachwissen, intensives Studium des Katalogs oder Don Alphonso als Begleiter ist man da drinnen ziemlich verloren unter schlecht erklärten Zusammenhängen und Exponaten. Aber das war ja nicht das Ziel der Exkursion. Sondern Selbstbestätigung.

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Mittwoch, 8. Juni 2005

Goatln.

Liebe Berliner, Hamburger, Kölner, Frankfurter und andere preussische Wohlstandslumbewohner, es gibt hier nicht viel zu sagen und zu berichten. Die Strassen sind sauber, die Leute sind freundlich, das Leben ist angenehm und die Eierfrau auf dem Wochenmarkt hat sich jetzt nach langem Überlegen doch für den hochgelegten Chevy-Pickup entschieden, der zwar a bisserl teurer war, aber wer ko, der ko, wie man hier in der Provinz die Sache trefflich auf den Punkt oder auf den Chevy bringt.

Und weil es hier so ruhig ist, vom lauten, freudigen Neuwahl-Gekreische der ortstypischen Atomanlagenbauer bei Siemens, der Rüstungsexporteure, der durchgeknallten Hassprediger und der Lobbyhuren mal abgesehen, weil es hier also nichts zu tun gibt ausser vielleicht über die Frage nachzudenken, ab wann man sich auf das Widerstandsrecht berufen kann und man als politischer Gefangener gilt, begebe ich mich wie jeden Mittwoch morgen auf den Wochenmarkt, mit einem Lied von Georg Kreisler auf den Lippen, mit dem schönen Titel "Blumen giessen". Denn mein Dachgarten ist etwas nackt, der Winter hat so einiges hinweggerafft, und nun ist die Zeit, ihn wieder zu begrünen, oder wie man das in Bayern mit einem Terminus technicus umschreibt: Es ist Zeit zum goatln (garteln).

Der bürgerliche Bayer als ein solcher ist in der Regel mit einer Frau gesegnet, die immer so viel Pflanzen anschleppt, dass er im Sommer keinen Tag nicht ein oder zwei Stunden damit zubringt, in dem subalpinen Regenwald zumindest die 15 Quadratmeter Wiese freizuhalten, wo sie dann am Nachmittag Kaffee trinken, in den sich von den überhängenden Blättern so manches Insekt zu Tode stürzt. Genauso, wie ich an keinem Antiquariat vorbeikomme, kommt meine Frau Mama nie an einem Dehner oder ähnlichen Grünzeugdealern vorbei, und ein Plätzchen findet sich immer noch - wenn nicht, muss der Bayer als ein solcher eben noch ein Kasten an die Hauswand dübeln.

Normalerweise wird die nachfolgende Generation mit dem Überflüssigen eingedeckt, nur in meinem Fall will das nichts werden - ich habe Heuschnupfen und vertrage kaum Blumen. Weshalb ich die Kräuter anbaue, die meine Mutter mir nicht geben kann, weil sie vom Erzfeind, der gemeinen, ungeniessbaren Schnecke gefressen werden. Kräuter widerum gibt es auf dem Wochenmarkt in grosser Fülle - das hier ist mal ein Teil des Angebots an Basilikum, und während ich das knipse, drängelt sich davor das weibliche Bürgertum und will wissen, was das jeweils ist. Rechts unten zum Beispiel ist Basilikum aus Thailand - do deafas ma zwoa mitgem, mei is dea sche mit dene vahuzltn Bletta - links oben ist eine Sorte aus dem vorderen Orient, mit zarten Lila Blüten, der Renner unter den älteren Bürgerinnen, denn Lila zieht die Männer an, wer nicht mehr zieht - dea schiasst ind He, des basst, do hed i gean stuckara dreie. Einen banalen italienischen nehme ich auch, dazu die oben beschriebenen, und den mit den kleinen Blättern - nun, das nächste Mal.



Der Basilikum wird in Blätter eines rechtschauvinistischen Drecksblatts meiner Heimat eingewickelt, denn irgendeine Existenzberechtigung braucht diese altbraune Gleischschaltungs-Kamarilla ja, neben der Verkündigung der Geschwindigkeitsrekorde, mit denen sich die Dorfjugend um die hier zahlreichen Bäume am Strassenrand wickelt. Das ist eben noch echte bayerische Natur, hier wird ökolögisch gestorben, nicht an so einem laschen Betonpfeiler, an dem man auch kein Marterl anbringen kann. Die Todesanzeigen sind sowieso ein vollwertiger Blogersatz für die meisten hier... mit diesen leichten Gedanken schlendere ich durch die Altstadt, kaufe mein Brot bei einer rasend schönen Bäckereiverkäuferin von vollendeter Höflichkeit (über die ich auch mal was schreiben muss), gehe hinauf in den Stadtpalast, und goatle. Pflanze meine drei Basilikumsorten an, und probiere sie natürlich sofort aus. In einer sehr weltoffenen Mischung. Der Frischkäse vom Wochenmarkt heisst Saint Ceols und ist echter Frischkäse. Er ist zwar dreimal so teuer wie geschmacksverstärkte A&P-Chemomolkerestverwertung mit naturidentischen Aromastoffen und feuchtem Glibber (aka "Frischkäse"), schmeckt aber extrem intensiv und frisch und sollte nur in kleinen Mengen verwendet werden. Wer den noch nicht probiert hat, weiss nicht, was Frischkäse war, bevor ein paar verkommene Marketingstrategen den Begriff für minderwertigen weissen Schleim vergewaltigt haben.



Dazu dann den Schnittlauch und dreierlei Basilikum aus dem Dachgarten, das Porzellan aus der Oberpfalz, der Brotkorb und das Frühstückssilber gerafft in Berlin, der Teebecher aus dem zaristischen Russland, die Kanne aus dem England vor dem Krieg, die Tischdecke aus der Kommode, nebenbei Heines Buch der Lieder, Carl Krabbe 1887 - wertkonservativ könnte man das nennen, wäre ich nicht ziemlich links. Zumindest verweigere ich mich weitgehend der kapitalistischen Konsumwelt.

Und während ich hier sitze und geniesse, ist irgendwo ein älterer Bayer als ein solcher und dübelt in einem subalpinen Urwaldareal für den Thai-Basilikum in die Wand, an deren Innenseite ein Rosina-Wachtmeister-Bild hängt, eine gekantete Glasschrankwand mit Kirschfurnier steht und ein paar teure, pseudostylische Geschenke von Interlübke, überreicht von den anderen Frauen aus dem Kirchenvorstand, der Frauenunion oder ein paar Bierkrüge von einem Schützenverein, dessen junge Mitglieder vielleicht schon für einen Sido-mässigen Amoklauf trainieren, nachdem sie zum Frühstück eine Semmel mit Kunsthonig und eine mit Leberwurst aus dem Supermarkt gegessen haben. Irgendwo im Norden bekommt jemand wortlos ein paar Schrippen auf den Tresen geknallt, und dazu ein paar in Staniolpapier eingewickelte, fetttriefende Würste oder Buletten, und die neueste Bild-Zeitung mit Wichsbeilage, und nach dem Essen wirft er den Müll auf die Strasse. Unten, vor meinem Fenster, rennt eine Elitesse, dürr und klapprig, mit leerem Magen in die Uni, aber dafür hat sie ihren Körper auf Topform gebracht, und nachher wird sie vielleicht einen Apfel essen, auf dem Weg ins nächste Seminar, wenn es dann um Value Chains geht. Und alle werden sie mit ihrem Leben zufrieden sein, nur nicht mit der Regierung, aber die werden sie schon wegputzen, auf die eine oder andere Art.

Es ist 11 Uhr Morgen in Deutschland.

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Mittwoch, 8. Juni 2005

Neues Headerbild

nach einer Kopie von einem gewissen Rubens aus meiner heimatlichen Provinz - irgendwie konnte ich dieses Berliner Mitte-Consultant-Ambiente nicht mehr ertragen.

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Real Life 24.05.05 - Concours Berlin-Paris

Wettbewerbsbeitrag. Du bist beim dritten Miri dieser Stadt, in der Gneisenaustrasse. Während die Läden der anderen beiden Miris eher Höhlen sind, Gänge und Kuppeln tief im Inneren der Erde, ist dieser Miri eher eine Art Grotte; ebenerdig, grosse Öffnungen, aber auch voll und von aussen nicht im Mindesten als das feine Geschäft zu erkennen, das es tatsächlich ist. Hier hat deine kleine Schwester ihren ersten Kronleuchter gekauft, und es zieht sie natürlich zurück zum Ort der Plünderung

Du sitzt im hinteren Raum auf einem der alten Clubmöbel, erzählst Herrn Miri bei einem Glas Tee von deiner bevorstehenden Abreise nach München, und ihr beide lauscht den Tapsern vorne im Laden, dem Klimpern von Glas und dem Knarzen alter Schränke, die gerade von deiner kleinen Schwester durchwühlt werden. So klingt Habgier, lächelst du in dich hinein, der du jenseits von solchen Begehrlichkeiten bist, denn du hast schon so viel gekauft, dass du ihr gerne den Vortritt lässt. Etwas lebensüberdrüssig schweift dein Blick über Jugendstilknorpel und Barockintarsien, deine einzige echte Empfindung ist gerade die Süsse des libanesischen Tees, warm und dick in deinem Mund, du hebst das Glas wieder zum Mund, beglückt vom satten Rot der Flüssigkeit, und als das Glas auf einer Linie mit der Scheuerleiste ganz hinten im Raum ist, siehst du, dass da im Hintergrund die Sacre Ceour ist, diese Kirche auf dem Montmatre, keine Frage.

Künstlergruppe Nabis oder knapp später, Bonnard nicht unähnlich, 1900 oder 1910, französischer Expressionismus, rattert es in deinem Kopf, aber auch ganz frühe Anflüge von Kubismus, die Strasse in Gold, die enge Gasse mit den verschachtelten Häusern in tiefem Braun, und auf der Strasse fährt eine Kutsche durch das Häusergewirr, in Richtung der Kirche, die sich hoch oben gelblich-weiss in den Himmel reckt, der im Gold einer Ikone glänzt, und dieses Gold war es auch, was dir aus der dunklen Ecke des Ladens heraus ins Auge gestochen ist. Es ist nicht gross, 25 mal 40 Zentimeter vielleicht, aber du bist überwältigt von diesem -- Öldruck? Du stehst auf, gehst hin und hebst es hoch. Kein Öldruck. Echt.

Du kennst diese Strasse, das war jetzt vor 15 Jahren, als deine Liebste Abitur gemacht hatte. Damals seid ihr zwei Wochen nach Paris gefahren. Zwei Wochen voller Katastrophen, als habe sich die Stadt gegen euch verschworen; die Deutsche Bank hatte in ganz Paris nur einen einzigen Geldautomaten, und der ging nicht. Das erste Hotel, das der Reiseführer als hübsche, saubere Pension beschrieben hatte, war die Mutter aller Kakerlaken, das zweite und dritte hatten immer nur kurz etwas frei, und erst nach 6 Tagen des ständigen Umziehens, der Flucht von einem Stadtteil zum nächsten, habt ihr dann in einem ehemaligen Bordell am Montmatre, das unverkennbar viel von seinem alten, verlotterten Charme durch ein paar notdürftige Restaurierungen behalten hatte, einen Ort der Ruhe gefunden. Zumindest so lange, bis die Freudenmädchen unten auf der Strasse wieder zu streiten anfingen. Dann drangen unübersetzbare, wüste Worte hoch zu euch in den schmalen, hohen Raum mit seiner roten Blümchentapete, dem roten Teppichboden und der glutäugigen Spanierin, die seit den alten Lotterzeiten ihren Platz an der Wand, aus einem Plasitk-Barockrahmen heraus, behalten hatte. Wenn du nach einer der Nächte der frisch Verliebten, die den professionellen Vorgängerinnen zeigen wollen wie das wirklich mit dem Ficken und Schreien geht, wenn du am Mittag dann auf den Balkon getreten bist, und von den Damen unten vor dem Haus die Strasse hochgeschaut hast, dann war da oben Sacre Ceour, und wenn sie nachkam, deinen Hals berührte, war der Himmel und die Welt golden, bis sie dir dann ins Ohr flüsterte, dass sie jetzt Lust auf - Schokolade habe, und du jetzt bitte runter gehen möchtest, vorbei an den diversen Fleischangeboten und ohne Französischkenntnisse etwas kaufen solltest, was sie dann nach ihrem Bad in der alten Gusseisenwanne wieder zu Kräften kommen liesse. Und nicht auf den Flohmarkt sträunen, Liebster...

Wo der Mensch in der Kutsche wohl hin will? Hinauf zur Kirche, die eines der abartigsten Bauwerke eines antisemitischen, faschistoiden Katholizismus ist, geweiht der Niederringung der Revolutionen dieser Stadt? Oder doch zu einem Freudenmädchen, die diese Religion und ihre verlogenen Werte verhöhnte? Einfach nur Flanieren?

Ahhhh, sagt Herr Miri, haben Sie was gefunden? Er schaut sich das Bild kurz an und erzählt, dass es von der Auflösung bei einem englischen Diplomaten kommt und jetzt schon seit zehn Jahren in einem der hinteren Zimmer war, er hat es erst letzte Woche wiedergefunden und vorgeräumt. Der Vorbesitzer muss es gemocht haben, denn es ist superb erhalten, und irgendwann in den 70er Jahren, erklärt ein Stempel auf der Rückseite, bekam es einen schlichten, schwarzen Rahmen in "Herran near Mabini, Ermita, Manila". Wahrscheinlich hat es der Vorbesitzer in Paris gekauft, und dann sein ganzes Leben mitgenommen, von Stadt zu Stadt, vom philipinischen Dschungel in die Asphaltwüste Berlins, vielleicht in Erinnerung an seine Jugend in der Stadt der Liebe, an seine tollen Stunden als junger Botschaftsangehöriger nach dem zweiten Weltkrieg, bis er dann in Her Majesties Service hier in Berlin starb und seine Erben damit nichts anzufangen wussten.

Nett, sagst du abschätzig, legst es wieder hin, um deine eigene Gier nicht zu deutlich zu machen, du sagst Hm und naja, mäklest am ramponierten Rahmen, und Herr Miri meint, nachdem ihr euch schon so lange kennt - Soundsoviel Euro. Na? Gut, sagst du, und steckst es schnell in eine Tüte, bevor es deine Schwester entdeckt.

Zwei Wochen später wird ein Galerist in München Glupschaugen bekommen, aber das ist eine andere Geschichte, die keine Rolle mehr spielt, denn all das Gold im Himmel über Paris hängt jetzt an deinem Bett und wird dort noch lange hängen, bis du verfault bist und dein Leben vergessen wird (Don Alphonso, kurzzeitiger Modeliterat und Mitglied der "Blogger-Gruppe", aktiv im 1. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts), und das Bild weiterwandert zu jemandem, der hoffentlich auch eine gute Geschichte dazu erzählen kann. Ars longa, vita brevis.

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Montag, 6. Juni 2005

Kompliment an die Leser

Keiner von Euch hat geschrieben: He Don! Du bist heute im Focus! Mit Bild!

Ihr habt einen ziemlich guten Zeitschriftengeschmack, nehme ich an.

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Dirt Picture Contest - Hauslamot

In Bayern gibt es ein Fleischgericht mit dem schönen Namen Böfflamot. Das Böfflamot leitet sich vom Französischen boef a la mode - quasi angesagtes Fleischgericht - ab und ist als Begriff ein typisches Beispiel für die Verballhornung, die dem Wunsch zur Aufwertung entspringen kann.

Nun gibt es in Bayern bekanntlich zugereiste Menschen, die nicht ganz arm sind, in eigenen Häusern mit eigenem Garten leben und auch an keinerlei Vorgaben bezüglich der Architektur gebunden sind. Kurz, sie können tun, was sie wollen. Dominierten in den späten 60er Jahren noch die Bauten des Flachlandtirols mit gedrechselten Balkonen und Zirbelstübchen, tendierte man in der wohlhabenden Provinz später zur heimischen Burg, in krasser Verkennung des Sinngehalts des englischen Mottos "My Home is my Castle". So eine Burg braucht natürlich einen der feindlichen Umwelt zugewandten Turm, oder zumindest einen Turmstumpf, der die Bereitschaft signalisiert, die innere Gemütlichkeit bis aufs Messer und den letzten Tropfen Zugereistenblut zu verteidigen.

Jahre zogen ins Land wie weisse Wolken über den blauen bayerischen Himmel, unter denen sich die Burgen der Piefkegeschlechter ausbreiteten, und dann geschah das Unerwartete: Jungere Zugereiste verzichteten mangels ausgebliebener Bajuwarenhorden auf den Turm und bemalten die Wände statt dessen in Pastellorange, und orientierten die Augen ihrer bezahlten Architekten auch sonst gegen die Toskana, oder besser gegen das, von dem sie dachten, dass die Toskana so ausschaut. Nicht mehr die Burg, das Landhaus dominierte die Neubaugebiete der Zugereisten und aus der Art geschlagenen Bayern sowie den Mischehen aus beiden.

Und was macht so ein Burgnichtmehrlamotbesitzer? Nun, dieses Prachtexemplar - man beachte die echten Bleiglasrundbogenfenster! - verpasste seiner Burg einen pastellorangen Tarnanstrich. Mit rosa Scheuerleiste unten.



Vielleicht sitzen die Bewohner jetzt drinnen und hassen sich für ihre Holzdecken. Mit imitierten Tragbalken und Geweihleuchter. Aber zuerst kommen mal die Bleigläser raus. Spätestens, wenn dann Neugelsenkirchner Barock in ist, haben sie auch ihren Palladiolamot daraus geschnitzt.

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Sie wissen, dass ich wieder da bin.

Ich sollte mein Handy ausschalten. Und nicht mehr meine normale Mailbox aufmachen. Sie haben es schon gehört. Sie haben auch schon ein paar Ideen, was ich machen könnte. Für sie.

Ein Expose schreiben zum Beispiel, für ein hübsches Objekt in bester Lage. Der Stuhl von dem, der das bislang hätte machen sollen, ist noch warm, er selbst versucht wahrscheinlich gerade, einen Termin beim Arbeitsgericht zu bekommen. Jaja, so ist das, wenn man sich auf mündlich geschlossenen Arbeitsverträge verlässt. Keine gute Idee in dieser Branche, aber er selbst wollte es auch so, Hauptsache er kriegt den Job. Jetzt hat er den Ärger. Und ich den Stress mit Leuten, die denglisch aus dem Mund stinken: C´mon, du machst das sexy, Don. Gib ihnen Zucker, mach sie heiss.

Und wenn sie gerade keine Zeit haben, darf ich auch noch die Verhandlungen führen. Die immer hübsch unangenehm sind, denn dieses Geschäft, das den Endkunden so viel Zufriedenheit und Sicherheit verspricht, ist voller reissbarer Messlatten und Unwägbarkeiten. Und es ist ein Bereich, bei dem die Ratten gerade nervös werden. Ein Bereich, der seinen Crash noch nicht hatte, aber die Schrift ist an der Wand, und die Bretter für den Sarg sind schon gesägt.

Es soll Leute geben, die kommen nach langer Zeit zurück nach Hause, und das Schlimmste, was ihnen passiert, ist Frau Mama mit der Tekanne, dem Gebäck und mit den Worten "Iss, Kind, iss." Da, wo die Stimme herkommt, gibt es nur Selters und von Sekretätinnen gekaufte Pralinenmischungen, aber das alles aus Designerchromblech auf Systemtischen, und Raumteiler aus Milchglas. Das war mal mein Zuhause, in einem anderen Leben, und dafür bin ich eigentlich nicht zurückgekommen, denke ich, als die andere Seite von einer Deadline am Freitag spricht. Notebook stellen sie. Kann ich dann auch behalten. Auch den Reload-Button, frage ich?

Was, meint die andere Seite.

Nur ein Witz, sage ich. Haha.

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Sonntag, 5. Juni 2005

Real Life 05.06.05 - Studentenbude

15 Quadratmeter für 400 Euro pro Monat kalt in Schwabing. Aber immerhin mit Parkett und Badmitbenutzung. Für 400 Euro muss man hier als angehender Journalist nach 6 Monaten Praktikum bei einer Interactive-TV-Bude 160 Stunden arbeiten, wurde dir gerade von anderer Seite erzählt. Etwas besser als 1-Euro-Job, findest du. München hat ziemlich nachgelassen, seitdem du gegangen bist, denn früher war sowas die Ausnahme. Heute ist es eher normal. Aber was tut so ein junger Mensch nicht alles, um in Schwabing mit Parkett zu wohnen und in den Medien zu arbeiten. So sind sie nun mal.

Bloss gut, dass sie nicht schreiben können, sonst müsstest du dir Sorgen machen.

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Totes Wasser in Dessau

Es gibt an diesem See sehr viele jüngere Männer, die den ganzen Tag Zeit haben. Von Morgens bis Abends. Sie sitzen am Ufer, schauen auf ihre Köder, und an die Schönheit haben sie sich gewöhnt wie an eine Warze auf dem Rücken.



Sie sitzen rum, und wenn es zu langweilig wird, rufen sie ihre Kumpels auf der anderen seite mit dem handy an, trinken Bier, lesen Super Illu, oder gehen pinkeln. Vielleicht bringen sie am Tag ein, zwei Fische um, vielleicht auch nicht. Dann fahren sie zurück in die Stadt, vorbei an Gebrauchtwarenshops, Industrieruinen, Möbelgrossmärkten,



und dem ein oder anderem Weltkulturerbe, zurück in ihre kleinen Häuser irgendwo auf der grünen Wiese, und die Pressspanregale sind voll mit Nippsachen, teils noch Bauernkeramik von den VEBs, teils schon Plastikclowns aus Taiwan.

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Samstag, 4. Juni 2005

Thomas "Tuco" Knüwer

sagt sinngemäss zu Wippermann und dessen Schwarmverblödung: "I like big fat men like you. When they fall they make more noise!"

Note2myself: Im nächsten Roman unbedingt einen Trendforscher jämmerlich verenden lassen, ersticken, platzen, irgendwo aufspiessen, ist zum Glück nur Literatur.

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Real Life 04.06.05 - Zu spät. 10 Minuten.

Und Schuld ist wie immer letztlich deine Unfähigkeit, nach einem Tag harter Arbeit mit 3 Stunden Sclaf auszukommen, und das jetzt schon den 6. Tag in Folge. Das über wir nochmal, sagst du dir im Stau kurz vor München, und rufst den Fotografen an, der schon im Regen auf dich wartet. Die wollen ein Bild vor einem grossen, leeren, unvermietbaren Bürokomplex, um deine kritische Haltung zu gewissen Hypeideen und den verursachenden Brüllaffen zu dokumentieren. Ausserdem passt es zum Blog. Und als du ankommst, siehst du, dass sich der Fotograf was dabei gedacht hat. Das Gebäude kommt so lebendig wie ein verwesender Fisch im Busch, und er hat auch noch einen kaputten Bürostuhl gefunden - Dirt Pucture Contest Munich Area Version.

Dann geht alles rasend schnell, ein Film ratscht durch, dann wird der Regen stärker, die Tastatur des Notebooks wird nass, viel Zeit ist ohnehin nicht mehr, also nochmal 12 Bilder im Schnelldurchlauf. Dann hat der Fotograf nur noch 20 Minuten, um zum Entwickeln zu kommen, und du sagst, dass du ihn schnell zum Bahnhof bringst, damit das alles was wird, Mitte nächster Woche, und ein paar Typen so richtig was zum Abkotzen haben. So sagst du es natürlich nicht, denn der junge Mann hat nicht wirklich Ähnung, um was es hier eigentlich so genau geht.

Er steht noch am Anfang eines Wegs, den du jetzt schon eine Weile gegangen, gestolpert und gerannt bist, und er hat noch sowas von Zuversicht. Kann schon sein. Die Bildqualität der meisten Medien ist verbesserungswürdig, nachdem sich allerorten die Unsitte breit gemacht hat, Praktis die Digicam in die Hand zu drücken - eines deiner übelsten Bilder verdankst du einer New-Media-Blondine einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, die irgendwie dachte, dass man auch aus einem halben Meter Entfernung ein Gesicht mit Blitz ausleuchten kann. Is it a ghost? Is it a Supernova? No, it´s Hyperbelichtungs-Alphonso! Sowas kommt übrigens besonders gut, wenn man danach wieder zum Moderator der TV-Sendung schauen soll und die zerschmorten Pupillen nur mittels Gehör positionieren kann.

Der Junge neben dir ist aus anderem Holz geschnitzt. Er hat das gelernt, eine ordentliche und abgeschlossene Ausbildung. Aber als du ihm erzählst, dass das heute hier dein erster Tag in München nach 15 Monaten Berlin ist, will er wissen, was in Berlin so geht. Nichts natürlich, 50 Tacken für ein Bild sind schon viel in Berlin, und davon gehen noch die Kosten weg. Ausserdem gibt es viele Amateure, und wenige Aufträge, also stehen Profis ohne Netzwerk auf verlorenem Posten. Und bis man die Kosten für die Umsiedlung wieder drin hat, dauert das ziemlich lang trotz des dortigen Preisniveaus.

München ist was für Kreative, Berlin ist was für Leute, die kreativ sein möchten. Es gibt da einen Fotografen, der mit seiner Mittelformatkamera durch Mitte zieht, schräge Perspektiven knipst und grosse Abzüge davon auf dem Flohmarkt am Mauerpark verkauft. Nicht schlecht, auch ein Weg, aber sicher nicht das, was er eigentlich erwartet hat. Saubere Arbeit, aber kein Respekt, irgendwie schade um den Mann. Aber zumindest macht der mehr draus als all die Versager, deren Manuskripte in den Verlagen gleich in die Tonne wandern.

Der Junge glaubt dennoch, dass in Berlin mehr los ist, dass da mehr geht. Du weisst, dass es in München wieder losgehen wird, vielleicht auch in Frankfurt, aber ganz sicher nicht in Berlin. Draussen gleiten die noblen Geschäfte der Ludwigstrasse vorbei, der Regen lässt nach, und du überlegst, ob du in den kommenden Tagen nicht vielleicht doch, wie eigentlich versprochen, einen kleinen Einkaufsführer für Berlin schreiben sollst, für Leute wie ihn, die natürlich das Recht haben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen - nur muss es ja nicht ganz so teuer werden.

Du bist 5 Minuten vor Ladenschluss beim Labor. Schnell, zuverlässig, dynamisch, in time. München eben. Und die Brüllaffen werden nächste Woche kotzen.

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Freitag, 3. Juni 2005

Dirt Picture Contest - Karton 2 Go

Für jeden, der geht, gibt es auch einen, der kommt. Oder besser gesagt, es kommen 0,8 legale Zuwanderer und 0,2, deren Papiere nicht den Vorstellungen des Staates entsprechen, die aber kaum weiter reichen als bis zum Tor des Innenministeriums. Wenn ich also heute zum letzten Mal in Richtung Süden fahre, bleibt die Gewissheit, dass gleich um die Ecke jemand ankam, der ganz sicher mehr mit dieser Stadt wird anfangen können als ich. Er hat sich jedenfalls schon beim Einzug den hiesigen Umgang mit dem öffentlichen Raum zu eigen gemacht.



War da gar nichts, was an Berlin gut war, werden sie mich in Bayern fragen. Ich werde kurz nachdenken, am Tee nippen, die silberne Untertasse vom Hofjuwelier Gebr. Friedländer streicheln, die irgendeine Mittemama ihr Balg auf dem Flohmarkt hat verticken lassen, leise lächeln und sagen: Doch. Wenn man wegziehen will, findet man an allen Ecken kostenlose Umzugkartons. Das ist schon was. Oder?

Dann werde ich noch mal nachdenken und sagen: Zumindest war das noch zu meiner Zeit dort so. Inzwischen kann es natürlich auch sein, dass die aus den Kartons ihre Hütten bauen, oder die leeren Fensterrahmen im Winter abdichten. Kann ich verstehen. Berlin ist kalt. Und dann werde ich aus dem Fenster meiner Bibliothek hinausschauen auf die kleine,viel zu reiche und geschmacklose Provinzstadt und hoffen, dass die da oben im Bundeshauptslum an der Spree zunmindest immer genug Kohle und Gas oder Kartons haben werden, damit sie keine Bücher verbrennen.

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