Der Nabel aus der Nachbarschaft

Auf Dienstreisen stoltert man doch ab und an über das eine oder andere Mitbringsel: Schokolade, Stifte, mancher Manager aber auch über eine Geschlechtskrankheit und ich zumeist über irgendeine Antiquität, die ich mir nicht leisten kann. Unterwegs sieht man nur das Offensichtliche, das Ostentative, die Schaufenster. Und so kommt es, dass ich immer in Verona begierig ein Chamäleon aus Murano begaffe, der dort nun schon seit Jahren auf einen potenten Käufer wartet. Ich brauche ganz sicher einen ein Meter langes Chamäleon, aber es ist lustig mit seiner gierigen, langen, roten Zunge. Würde ich es haben, stünde es auf meinem Schreibtisch und streckte die Zunge meinen Besuchern heraus.

Die Copilotin begafft im gleichen Laden eine nun auch schon etwas länger dort stehende Statue von Chiparus. Dergleichen kostet leider schnell mal 12.000 Euro oder mehr, und selbst kleinste Werke anderer Meister kosten um die 2000 Euro, wie ich in Rom erfahren durfte. Durchaus mit Patina und keinesfalls so, dass man ohne Fachkenntnis auf diesen Preis kommen müsste. Originale eben. Zu gut, dass es schon in den 30er Jahren eine rege Nachahmertätigkeit gab:



Denn diese junge Dame stand heute in Pfaffenhofen zum Verkauf. 40 cm hoch, sehr elegant und erstaunlich gut dem Original nachgebildet. So, dass man schon wirklich genau hinschauen muss, um zu erkennen, dass es nur eine Kopie ist. Die werden heute natürich auch wieder nachgemacht, kosten aber in dieser Qualität auch schnell 2, 3000 Euro. Das hier ist gewissermassen das kopierte Original der Kopien. Meines Erachtens vom Ausdruck des Gesichts her keinesfalls schlechter als das Original. Und erst der Bauchnabel!



Diese Eleganz also findet man nicht, wenn man tausende von Kilometern reist und die Strassen der teuren Händler abklappert, sondern einfach so, auf dem Antikmarkt in der Nachbarschaft. Neben etlichen Leuten, die natürlich auch Veroneser Preise verlangen, neben Anbietern moderner Nachformungen originaler Nachbauten des Biedermeier, das eigentlich Niedermeier heissen sollte, so niedrig sind ihre Motivationen. Der Nabel bleibt hier am See nur kurz Gast, bevor er seine neue Besitzerin erfreut, aber es gab ja auch genug anderes: Noch ein paar Kitchenschnitzereien für eine nackte Wandecke, ein Bild, nagelneue Roadtserkappen aus der Zeit um 1930, die nie getragen wurden und wie neu sind. Es war nett, heute in der Nachbarschaft. Viel besser als Rom, wo die Vergolder erst bei ein paar hundert Euro für ihre alten Fragmente anfangen, oder Verona, wo das Chamäleon noch lange seine Zunge herausstrecken wird.

Montag, 27. April 2009, 01:21, von donalphons | |comment

 
Wunderschön. Die Copilotin dürfte begeistert sein. Die schönsten Dinge findet man ohnehin immer dann, wenn man nicht gezielt nach ihnen sucht.

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Die Copilotin ist begeistert. Zumal man nicht unbedingt von Kopie sprechen sollte, denn die guten Stücke gab es meist als Billig- und als Luxusausgaben. Die teuren in Bronze und Elfenbein, teilweise sogar mit Halbedelsteinen, die für den schmalen Geldbeutel dann eben in klein und mit Kunststoff ("Ivorine") und weniger edlen Metallegierungen. Deswegen hab ich jetzt aber trotzdem eine Chiparus.

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*hüstel* "Halbedelsteine" ist, nun ja: nicht korrekt. Der Fachmann spricht von "Farbsteinen". Bin da familiär vorbelastet und ein wenig empfindlich...

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Gibt's ein Foto vom Chamäleon? Das würde ich gern sehen.

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Werte Reisende, sicher kann man sozusagen en passant das eine oder andere schöne Stück finden. Bei breitgesteutem Kunstinteresse muss man aber, so denke ich, den Rumpelkammerfaktor vermeiden, in den sich eine Wohnung dann leicht verwandelt. Besser ist es m.E. gezielt nach guten Stücken zu suchen, abseits der Trampelpfade.

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Es gibt ein Bild, aber ich finde es gerade nicht. Es war aber schon mal hier zu sehen.

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Gärtner, Chryselephantinen sind ein derart schmales Sammelsegment, die passen bei mir alle noch in eine Vitrine. Und es geht eher um die leistbaren Stücke. Ich hab leider nicht mal eben 20.000 Euro übrig, da muß man dann ein wenig länger suchen.

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Gärtner, es ist eben eine Gratwanderung. Was bei den einen Rumpelkammer ist, entwickelt sich bei anderen über die Jahre hinweg zum bewohnbaren Gesamtkunstwerk der Behausung. Wie ein guter Freund von mir so schön sagt: Kunst kaufen ist keine Kunst. Auf der anderen Seite enden bisweilen die Bemühungen, den eigenen, vermeintlichen guten Kunstgeschmack museumsreif zu präsentieren, im unpersönlichen Schick und Stil eines guten Hotelzimmers.

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Ein jeder, wie er mag. Wem es daheim zu überladen vorkommt, der gehe einfach mal in eine Residenz in der Nachbarschaft, danach kommt einem alles sofort wieder kahl und ärmlich vor.

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