Einschlafen

Stell Dir vor, Du schreibst drei Beiträge. Alle bekommen einen guten Lauf. Alle haben ein brandaktuelles Thema. Und jedes mal setzt Du noch eins drauf und wirst noch besser angeboten. 6600, 9600, 15600 mal werden Deine Beiträge angeklickt. Aufwachen, schreist Du Deine Leser an. Das ist superwichtig, relevant set, Seite eins, ganz gross.







Unter den 6600 sagt keiner was. Unter den 9600 sagt keiner was. Unter den 15600 sagt keiner was. Niemand. Was immer Du da angebrüllt hast, was immer Du im Klickweg gewesen bist: Es hat Dir nichts zu sagen. Es will nicht mit Dir reden. Es klickt, aber was es dann tut, wer weiss, vielleicht dreht ves nach dem ersten Satz schon wieder ab.







Dein Job ist die Vermittlung zwischen Kulturräumen, als vergleichbar meinem Job. Bei Dir ist es ein fernes Land, die komplexe Wissenschaft, eine seltsame Kunstform, bei mir eine den meisten sehr ferne und unerreichbare Klasse. Unsere Aufgaben ähneln sich, aber ich würde meine Leser nie so anbrüllen. Du bist ganz wichtig bei wichtigen Ereignissen, ich bin unbedeutender Beobachter von Dingen, die auf den ersten Blick bedeutungslos sind. Und wenn meine Beiträge nach 200 Besuchern so aussehen wie Dein Standard, bekomme ich schon die Krise und glaube, meine Leser verloren zu haben.







Und ich habe eine Krise. Gestern Abend habe ich im vollen Bewusstsein, an wer das geht und was das bedeuten kann, geschrieben, was ich möglicherweise bin: Alles andere als ein Heils- und Leserbringer, sondern nur eine Art Lampenputzer auf der Titanic, der dafür sorgt, dass die Kristalle so schön funkeln, wenn das Schiff gegen den Eisberg knallt. Dass mein Tun hübsch aussieht und keinerlei Bedeutung hat. Und in der Folge, dass es sinnlose Verschwendung ist. Solche Gedanken mache ich mir, ich kann sie nicht wegschieben, weder auf dem Rennrad beim Sonnenuntergang noch zwischen Nacht und Morgen. Dass ich mir alle Mühe vielleicht im Falschen gebe. Und dass ich auch noch schade, weil viele denken, so lange die Leuchter nur funkeln, wird schon alles gut - aber die Gefahr draussen in der Dunkelheit sieht man nicht. Ich habe gerade enorme Probleme - nicht durch meinen Job, da meine ich schon erreichen zu können, was mir wichtig erscheint. Aber mit dem Gesamtsystem und meiner Rolle.







Du aber hast keinen einzigen Kommentar. Oder mal einen auf 2000 Leser, wenn Dein Beitrag lang auf der Hauptseite steht. Du scheinst damit gut leben zu können. Du machst das immer wieder so, manchmal seit Monaten, oder auch seit Jahren und von Anfang an. Du füllst ein Blog. Es passiert so gut wie nichts. Und bei mir laufen welche auf und beschweren sich über die Identitäten meiner Autoren von zigtausend Kommentaren.

Ich weiss genau, warum ich die Krise habe. Ich weiss, wie ich sie bekämpfe. Da muss ich durch. Ich würde es mir auch gern mal so leicht machen können und sagen, ach was, ist doch egal. Wir sind sowieso alle auf dem gleichen falschen Dampfer, da spielt das doch keine Rolle, welcher Passagier wo etwas sagt. Vielleicht, das ist meine Hoffnnung, schaut ja jemand mal auf diese vielen, vielen Klicks und die ausbleibenden Reaktionen, und erkennt, dass das sehr viel mehr bedeutet, als all mein Funkeln und Gleissen.

Mittwoch, 14. November 2012, 00:07, von donalphons | |comment

 
Vielleicht, das ist meine Hoffnnung, schaut ja jemand mal auf diese vielen, vielen Klicks und die ausbleibenden Reaktionen, und erkennt, dass das sehr viel mehr bedeutet, als all mein Funkeln und Gleissen.

Selbst wenn da mal jemand auf diese vielen, vielen Klicks und die ausbleibenden Reaktionen schaut, ziehen sie nicht unbedingt die richtigen Schlüsse daraus. Fürchte ich zumindest.

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Das befürchte ich auch. Man redet lieber über Qualitätsjournalismus, der mit Reaktionen nichts zu tun hat, und Bezahlschranken.

Man müsste eine kleine Frage stellen:

Warum sollte einem etwas Geld wert sein, was einem noch nicht mal ein Wort wert ist?

Lustigerweise weiss die PR genau, warum sie sich nicht nur die PIs anschaut, sondern die PIs pro Reaktionen, gewissermassen die Click-through-Rate der Kommunikation.

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Auf diese einfache Frage kommen Verlagsmanager aber nicht. Genauso wenig wie auf die Idee, sich mal anzuschauen, was in der PR so läuft.

Dass das Gerede über den Qualitätsjournalismus meist nur Lippenbekenntnisse sind, sieht man schon an den Honoraren, die sie freien Journalisten für aufwendig recherchierte Geschichten anbieten. Oder daran, dass in so mancher Regionalzeitung ein Redakteur für fünf Kommunen zuständig ist und zugleich jeden Tag eine komplette Seite füllen soll. Klar, dass der von seinem Schreibtisch kaum noch wegkommt und viel Terminjournalismus runterreißt.

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cela bien dit, mais il faut cultiver notre jardin.

sinnlos ist es nicht, die kronleuchter zu polieren, bis sie strahlen, denn auch die augen derer, die sie sehen strahlen, und wenn die augen strahlen, so strahlt der mensch, und wenn der mensch strahlt, so gibt es hoffnung.

auch an die kronleuchter lässt man nicht jeden heran, sind dort doch zerbrechliche und kostbare kristalle angebracht.

wenn sie die gefühlte dystopie aufzuhübschen meinen, dann bleibt die frage, was denn die anderen tun:
heulend und zähneklappernd in den abgrund blicken, den sie in seiner gänze noch nicht einmal wahrgenommen haben oder der sich gar in anderer blickrichtung befindet;
singend und tirilierend jubelgeschrei über halbwahrheitige petitessen erheben;
und so weiter.

was ist da wichtiger?
m.e. hoffnung zu machen, dass es immer eine zukunft gibt, sei sie, wie sie sei.

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Und dann ist heute auch noch Gerhart Hauptmanns 150. Geburtstag: "Vor Sonnenuntergang".
Ich denke, daß die gelahrten Herren nicht verstanden haben, was ein Blog, wenn er leben soll, wirklich ist. Ein Blog ist eben nicht nur eine weitere Art Kolumne. Aber wem sage ich das...
Ich hab mir den insinuierten Blog mal angeschaut. Das ist alles langweiliges Zeug. Merke: was in einem sozialistischen Land offiziell über die Medien geht ist schlicht Bullshit. Man kann gewissenhaft nur von innen heraus berichten. Die besten Informationen kriegt man auf den untersten Leitungsebenen, wo die Probleme tatsächlich ankommen und man auch mal ehrliche Leute trifft. Aber was soll's. Tatsächlich interessant schreiben können in der Zeitung nur sehr wenige: Bartetzko, Stadelmaier, Platthaus, Lueken (wenn sie einen guten Tag hat). Die Blogs sind derzeit alle etwas fade. Die "Stützen" mal ausgenommen. Die "Rettung" können die Blogs aber ohnehin nicht sein.

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Stell Dir vor, du hast dein Studium langsam aber brilliant zu Ende gebracht und bist aus Dummheit in der denkbar miesesten PR-Agentur des Landes gelandet. Du hast noch gar nicht begriffen, was mit den Medien gerade passiert, obwohl dein Volontärsgehalt eine deutliche Sprache spricht. Du amüsierst dich, so gut es geht, als quasi-Chefredakteur ohne Rechte mit einer billigen Kopie einer renommierten Fachzeitschrift und schreibst Artikel und Nachrichten zu Themen, die mit deinem Studium nicht viel zu tun haben. Du fühlst dich am falschen Platz, aber bist zu bräsig, dich zu ändern, und sammelst nur mühsam Erfahrungen, die dir ein Gefühl von Selbstwirksamkeit vermitteln. Eines Tages recherchierst du über eine billige Kopie eines erfolgreichen amerikanischen Studentennetzwerks, und dann liest du plötzlich diese Sätze:

"Lukasz, ich weiss, Du liest hier mit. Du weisst, wer und was ich bin. Es ist aus. Greift durch, zwingt mich nicht.

Ich gebe Euch 48 Stunden. 48 Stunden haben uns damals bei solchen Einsätzen auch immer gereicht. In 48 Stunden müsst Ihr die ganze Geschichte haben. Oder das Ganze geht hoch.

Denn ich war schneller als Kolja. Ich bin immer schneller."

Du denkst, oha, hier geht es zur Sache. Das hat wirklich eine gewisse Dramatik. Du möchtest dabei sein, wenn das Ganze hochgeht. Und du bist dabei. Du liest mit, du freust dich an der Polemik, du freust dich, dass die Unsympathen aus St. Gallien öffentlich eins in die Fresse kriegen. Du möchtest natürlich nicht vor die Flinte des Ungeheuers geraten, aber du fühlst dich ausgezeichnet unterhalten und lernst mehr über gute Kommunikation, ja sogar Anstand und Ehrlichkeit, als dir die nicht vorhandene Volo-Ausbildung jemals hätte nahebringen können.

Du liest weiter, du bleibst mit Unterbrechungen sieben Jahre am Ball, du vergleichst, du denkst nach, du wunderst dich, du redest dir den Mund fusselig. Du weißt, so kann man es machen, so muss man es machen. Viele wollen das zwar nicht. Die meisten hassen es, wenn freies Denken und Fragen sich außerhalb von Seminarräumen Bahn bricht. Aber du weißt, es ist nötig, es muss sein, solange es geht, muss man alle Register ziehen, es ist ein guter Weg, wir werden gebraucht und - es macht auch noch Spaß.

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Sie schreiben ja ein ums andere Mal über dieses Thema und letzhin wirklich gehäuft.
Da würde mich mal interessieren, ob die angesprochenen Ihnen Feedback geben in irgendeiner Form: also emails, Briefe, Anrufe, Bemerkungen in Frankfurt etc. pp. ?
Dennkommentieren tun sie hier ja wohl nicht, obwohl ich mir sicher bin, daß einige doch hier mitlesen.
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Die Bebilderung ist mal wieder sehr schön! Chapeau!

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Es gibt Karren, die kann man nicht allein aus dem Dreck ziehen. Ich hoffe nicht, dass du gerade vor so einen Karren gespannt bist.

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