Die leichten Leutchen von Agrigent

Nüchtern betrachtet ist die Ausgrabung von Agrigent ein schönes Beispiel für die Richtigkeit des Zynismus bei der eigenen Aussendarstellung – wer repräsentiert und Prunkt, der wird liebevoll aufgerichtet und gepflegt, ja man kann sagen dass Agrigent der Altbundeskanzler und NATO-Doppelbeschluss-Schmidt der Antike ist. Hätte man die Erbauer der Tempel im 6. Jahrhundert gefragt, wie das alles 2500 Jahre später aussehen sollte, wenn es denn Ruine werden muss, dann hätten sie sich vermutlich so einen Anblick gewünscht. Schon damals hat man die Kette der üppigen, repräsentativen Kultgebäude direkt an die Felskante gebaut, dass jeder, egal ob von Land oder See kommend, die Grösse und Bedeutung der Stadt sofort erkennt. Und Agrigent, das darf man so sagen, hatte in seiner Blütezeit viel von einem Las Vegas oder Macao der Antike.







Damit war dann im 4. Jahrhundert Schluss, Agrigent war militärisch auf der falschen Seite und zahlte den Preis der legendären Orte, die in der Niederlage zu Provinznestern herabgesunken sind, Berlin, Karthago und Ferrara sind andere Beispiele dafür. Im Prinzip war das spätere Agrigent ein Kaff mit zu vielen und zu grossen Tempeln, so dass niemand auf die Idee kam, die Anlage zu vergrössern und mit römischen Säulenkapitellen aufzubohren. Rom ging unter, es kamen die Araber, man floh vor ihnen auf die höheren Berge, und so kam es dann, dass der Ort der Siedlung nicht von dem Moloch überbaut wurde, der heute Agrigent ist. Eine sagenhafte Verkettung glücklicher Umstände. Es steht weiterhin „the real shit“ in der Landschaft, um es modern zu sagen.







Und es ist natürlich noch immer beeindruckend. Trotzdem bleibt Zeit für vergleichende Erziehungswissenschaften, und ich bin der Meinung, dass italienische Schulklassen auch den erhabensten Moment mit ihrem blossen Auftauchen ruinieren. Die Lehrer haben das auch nicht unter Kontrolle und wollen auch gar keine Ordnung, egal ob schulisch oder dorisch. Wenig erbaulich ist auch das Benehmen der britischen Klassen, aber kein Schatten ohne Licht: Da war auch eine französische Klasse. Interessiert, aufmerksam, keine dumme Blödelei, kein Geplärre, nur freundliches Geschnatter beim Ablichten – und auch da keine dummen Witzbilder. Ich habe österreichische Klassen in Schönbrunn gesehen und deutsche Klassen in der Müncher Residenz: Vielleicht ist ja doch was an den französischen Erziehungsmethoden dran.







Abgang Franzosen, Eintritt amerikanische Rentner, und eigentlich kann ich noch froh sein, dass ich so früh hier bin. Später im Jahr ist noch mehr und enorm amerikanisch mehr los, denn Agrigent gehört nun mal wie Neuschwanstein unverzichtbar zum Kulturprogramm des alten Kontinent. Es kommt ein Polizeiwagen, und dir diversen Schwarz- und Fälschungshändler bleiben einfach sitzen: Es lohnt sich wohl noch nicht, davonzulaufen. Vorsaison. Mit etwas Glück hat man einen Tempel ein paar Minuten für sich alleine. Von der Siedlung, in der es damals hoch hergegangen sein muss, sieht man natürlich fast gar nichts. Das muss man sich alles dazu denken, und vielleicht war es hier oben gar nicht mal so bukolisch, und die eigentliche Feierzone lag unten am Hafen. Wovon sich natürlich auch nichts erhalten hat.







Zu den Ironien von Sizilien gehört natürlich auch, dass die Ruinen der Antike weitaus besser gepflegt und erhalten werden, als das neue Agrigent daneben, das nicht umsonst als ärmste Region Italiens gilt. Wie so oft in Sizilien sind die Ausgrabungen eine Parzelle und zur nächsten Parzelle führt eine Strasse, von der man kaum abweichen möchte. Ich bin da natürlich etwas anders eingestellt, aber die Busse rollen gleich weiter Richtung Palermo oder Syracus. Man will ja noch mehr echt griechische Ruinen, man ist im Urlaub oder auf Klassenfahrt, das muss man alles gesehen haben, und es ist auch wirklich beeindruckend.







Eine grandiose Kulisse. Man möchte sich aber bitte merken, dass auch die Antike wusste, wie man mehr aus sich machte, und was heute hellrot leuchtet, war früher mit weissem Kalk überzogen, um Marmor zu imitieren. Wie gesagt, es war das Las Vegas der Antike, schnell, skrupellos und gierig und was die Französinnen da über Säulenstellungen und Cellaeinteilung lernen, ist schön und gut. Aber man sollte ihnen vielleicht auch sagen, dass es der Montmatre von Magna Graecia war, und das eigentlich kein guter Ort für brave Mädchen mit Polkapunktkleider gewesen wäre.

Mittwoch, 24. April 2013, 10:18, von donalphons | |comment