Das tut man einfach nicht

Manchmal dauern Geschichten etwas länger, aber jetzt passt das Klima und überhaupt, man sollte vielleicht darüber reden, bevor der Winter kommt und dann die Menschen wieder von Dächern springen. Ich weiss, wovon ich da rede, vor knapp 30 Jahren war das noch ein Drama und wir fanden, dass alle anderen Schuld sind, aber heute sehe ich die Sache ein klein wenig anders.



Generell leben wir in einer Gesellschaft, in der es immer irgendwie weiter geht. Es gibt viele Ungerechtigkeiten und nicht jeder kriegt alles, was er gern hätte, aber diverse Todesursachen der Vergangenheit sind nicht mehr existent. Niemand muss verhungern. Niemand muss erfrieren (ok, eventuell der Besoffene, der gestern Nacht auf der Treppe vor dem Rathaus schlief und als ich ihm Hilfe anbot, nach seinem Messer suchte und meinte, mich abstechen zu wollen, aber er hat es nicht gefunden und war auch etwas langsam). Die meisten Krankheiten haben, zumindest in dem Lebensalter, in dem man Spass haben kann, viel von ihrem Schrecken verloren; weder Schwangerschaft noch Schnittwunden bringen uns um. Statt dessen bringen wir uns selber um.

Unaktueller Anlass ist der Mann, der mit seinen Startups nicht mehr weiter wusste, und sich dann eben das Leben genommen hat. Weil er offensichtlich keine Möglichkeit mehr sah, etwas zu bewegen. Weil er auch recht sensibel war. Und nicht dumm, aber auch nicht klug genug um zu sehen, dass es hierzulande immer genug andere Möglichkeiten gibt. ja, noch nicht mal Privatinsolvenz und Hotel Mama sind schlimm, man kann das im Internet ja durchaus kaschieren, wenn man will. Und wieder neu anfangen. Deutschland ist gross. Ich habe selbst am Band gearbeitet, schlimmer als bei Springer ist das sicher nicht.



Und nicht umsonst gibt es ja auch Hilfen. Man kann nicht nur beim Amokllauf auf Unzurechnungshähigkeit plädieren, sondern auch bei allen anderen, kleineren Problemen. Und natürlich denkt man sich immer auch, was man denn hätte tun können, welche Möglichkeiten es gäbe, warum etwas aussichtslos erscheint, wenn es immer Auswege in Hülle und Fülle gibt, nur halt nicht immer da, wo man sie vielleicht gern hätte. Würde man das, was in Deutschland und in besonders in Berlin als deprimierende Zustände betrachtet, etwa auf Italien oder Spanien übertragen, könnte sich dort ein grosser Teil der Jugend mit gutem Recht umbringen.

Ich habe in Italien ein Rennrad von einem jungen Mann stehen, der es verkaufen musste, wie alles, was er sich bis Anfang 30 erarbeitet hat, weil er zurück zu Mama musste.In einen Ort, der nach italienischen Vorstellungen jetzt eher eine triste Arbeiterstadt ist. In sein altes Kinderzimmer. Immerhin, die Wohnung gehörte seiner Mutter und das war schon was, meinte er, und diese zwei, drei Jahre würde er auch durchstehen, dann käme etwas anderes. Dazu hat er sich halt mit Mama arrangiert, was jetzt vielleicht auch nicht cool ist, aber das Leben geht weiter.



Und das ist dann der Punkt, wo es wirklich bei mir aussetzt. Ich kann es bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen, dass Menschen sich lieber in den Suizid hineinreden, als über die Hürde zu klettern, anderen, erst mal Wildfremden ihre Situation zu erklären und um Hilfe zu bitten - weil es ihnen als die leichtere Lösung erscheint. Das Suchen nach wenig erbaulichen Auswegen ist in dieser Lage natürlich immer schwer und bedeutet sicher auch die Aufgabe einiger Freiheiten; was natürlich dann eher ungut erscheint, wenn man die gewährte Hilfe nutzt, um im alten Stil weiter zu machen. So kann man sich natürlich auch alle weiteren Wege verrammeln.

Aber meines Erachtens gibt es immer noch eien Pflicht bei der Sache und die lautet: Wartet mit dem Blödsinn gefälligst, bis die Reihe an Euch ist. Eltern haben natürlich keine Rechte an Kindern ausser einem, die Augen zu schliessen mit dem Gefühl, dass alles schon irgendwie werden wird. Wenn sich das danach als falsch herausstellt: Mei, sie kriegen das nicht mehr mit. Diese ultimative Selbstverwirklichung durch Selbstmord bzw. ein theatralischer Versuch ist so ziemlich das Assligste, was man machen kann und diese Ichfixiertheit, die dahinter steht, kein Ausdruck von Sensibilität, sondern von einem ziemlichen Paket Arschlochigkeit.



Tschuldigung. Ich höre jetzt schon das Gewinsel, dass solche Sager natürlich nochmal extra Rumtrampeln auf gefährdeten Menschen sind, die ohnehin schon nicht meht ein und aus wissen. Wie wäre es da, nur mal so ins Blaue besprochen, mit etwas nachdenken, ob es wirklich keinen anderen Weg mehr gibt, und dass diese Wege einen oft noch nicht mal auf das Niveau einer Kassenkraft drücken?

Auch dieser Winter geht vorbei. Und sollte es das Übliche berliner Debakel aus kein geld, keine Wohnung, kein Job und keine Perspektive sein: Hier haben wir gerade Übervollbeschäftigung. Und wer sich gern umbringt, wenn es sonst nicht mehr Berlin sein kann:

Darwin. Aber wartet gefälligst, denn es ist schon verdammt schwer, sich so fiese Eltern vorzustellen, die so etwas verdient hätten

Montag, 21. Oktober 2013, 21:28, von donalphons | |comment

 
Sie haben ja so recht.
Mit der Einschränkung, daß es sehr wohl Kranke gibt. Zwei meiner Freunde haben sich getötet. Der eine sehr intelligent, mit Medikation und gut gegen alle außer Eltern/Ehefrau getarnt. Am 3. Juli 2000 war Schluß. Keiner hätte ihm helfen können.

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Im großen und Ganzen d'accord - Suizid als Flucht vor Problemen ist zwar wirksam, aber im Grunde unnötig. Er bringt den Hinterbliebenen meist mehr Leid, als das Aushalten des Unglücks erfordert, vor dem geflohen werden soll. Betroffen sind neben den Eltern meist noch Ehepartner (wenn nicht diese gerade die Ursache sind) und Kinder.
Man würde solchen Suizidenten die Kaltschnäuzigkeit wünschen, die so mancher in Berlin an den Tag legt, wenn es um Recht und Gesetz und Freiheit geht. Denn die Welt bietet auch im größten Unglück Schönheit und glückliche Momente, wenn man sie nur zu finden weiß - egal ob Projekt X oder Y grad mal den Bach runtergegangen ist. Da muss man noch nicht mal Herrn Frankl bemühen, oder in die komische Stadt in dem komischen Land durch das die Donau fließt, reisen. Ein Spaziergang in der Sonne reicht. Es ist eine Frage der Perspektive, des Kontexts, der Betrachtung, der Umgangs mit den Dingen.

Was den Vergleich der Verhältnisse in Italien (da hab ich geringfügig Einblick) oder mutmaßlich Spanien, Griechenland angeht - Zustimmung. Nehmen wir die ehemaligen Provinzen des römischen Reiches an den südlichen Mittelmeerküsten hinzu, denken die das dort vermutlich von den Italienern und Spaniern.

Aber: es gibt da sicher noch eine weitere Linie zwischen dem Suizid als Flucht und dem Suizid als Folge psychischer Krankheit. Die Folgen sind dort meist schlimmer, denn manch Erkrankter will es nicht nur sich sondern auch möglichen Hinterbliebenen nicht gönnen, weiterzuleben, und/oder zufällig Anwesende sind dann halt der Unfallgegner, an dem man sich und andere zerschmettert. Da passieren manchmal ganz schlimme Sachen. Das sollte nicht mit Gewinsel konnotiert werden.

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Monströs schweres Thema, was der Hausherr da anreisst.

Die zwei vorgezogenen Abschiede in meinem Umfeld waren beides magersüchtige Frauen, kurz vor 30. Das hab ich bis heute nicht verstanden, vor allen Dingen, weil beide vor dem Hungermarathon lange Schlangen von Verehrern hatten.

Ich hatte mich dann schon zu Lebzeiten zurückgezogen -denn ich habe es nicht gepackt, dem Verfall von jungen Menschen (auf die ich mal scharf gewesen bin) zuzusehen- mich schon da innerlich verabschiedet, und war dann noch anstandshalber auf der Beerdigung. Aber da lagen irgendwie gefühlt schon lange fremde Menschen im Kasten. Ich erinnere mich auch heute lieber an das fette Grinsen von früher als an ein pergamentüberzogenes bleiches Gesicht, an dem man den Übergang von Schädelknochen zu Nasenknorpel sehen kann.

Mir grausts schon wieder vor dem November, weil sich da sicher wieder alle zwischen Pasing und Lohhof vor die S1 schmeissen, vorzugsweise wenn ich heimfahren will (jetzt bin ich egoistisch).

In einer etwas versoffenen Nachtsitzung in unserer WG-Küche um den Jahrtausendwechsel haben wir mal das Konzept der Selbstmordkabine (suicide booth aus Futurama) durchdiskutiert. Wir sind damals zu dem Schluß gekommen, dass es so etwas in jedem Krankenhaus geben sollte - mit der Verpflichtung, sich vorher per handgeschriebenen Brief ordentlich zu verabschieden, den Nachlass zu regeln und einen Organspendeausweis auszufüllen (in der Hoffnung, dass der Brief so viel Frustventil ist, dass der Kandidat dann nicht weitermacht oder beim Abhaken erkennt, dass er draussen noch etwas zu erledigen hat).

Das eigentliche gesellschaftliche Problem ist ja seit 2008, dass gewisse Kreise nicht mehr zum Suizid neigen, auch wenn man es ihnen anhand ihrer Vorgänger von 1929 nahelegt ("Jump, you Fu**ers!").

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nunja dier verweigerung bestimmter kreise sich auf die ein oder andere weise der verantwortung zu stellen gab es ja auch schon in der unmittelbaren nachkriegszeit. als man dann nachgeholfen hat, war der ärger groß.

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Das eigentliche gesellschaftliche Problem
Also das eigentliche gesellschaftliche Problem ist ja , - früher war der Begriff "Ego -Shooter" noch ganz wesentlich anders besetzt. Da waren Eigenweltschmerzler noch konsequent , heutzutage feuert jeder Provinz-Personaler (auf) andere Leute , und selbst Vorschulaltrige ballern virtuell schon ganze Armeen weg.
Immer auf die Andern.
Verdammter Wertewandel das.

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Depression ist eine schwere Krankheit, die nicht davon verschwindet, dass man sich entscheidet, sie nicht mehr haben zu wollen. Ich fürchte, Du unterschätzt die Kraft dieser Krankheit.

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Sicher, das mag sein und es ist vermutlich auch so. Aber es gibt immer einen Ausweg oder vielleicht sogar mehr und nach meinem Empfinden auch eine Art Pflicht zum Leben,. so lange es halt geht.

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das problem ist ja, dass den betroffenen diese auswege oft sogar bekannt sind, aber es fehlt die kraft das mal anzugehen und das ist dann keine verweigerungshaltung sondern das Krankheitsbild!

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Es ist eher, als wüsstest Du, dass es einen Ausweg gibt und gleichzeitig bist Du nicht in der Lage, ihn zu finden.

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wenn nur alles entschlusssache wäre, wäre das leben ganz einfach. aus dieser falle entkommen ist zum glück eine liebe freundin. aus gutem haus, leider schon alleinerbin, abgesichert, gut ausgebildet, sehr hübsch, entspricht sie nicht dem stéréotyp einer verzweifelten. mit aller kraft hat sie sich entgegengestemmt, aber ihre vier kinder wollten - leider verständlicherweise - zwischenzeitlich nichts mehr von ihr wissen und zogen sich zu ihren vätern zurück. nun reist sie um die welt, und sieht wunderbare dinge und arbeitet dabei noch ein wenig. eine gefährdete wird sie wohl bleiben.

schwierig wird es, noch zu funktionieren, wenn der halt fort ist. so viel möglichkeiten eines haltes gibt es im leben nicht. die liebe? eine aufgabe? stellt sich da nicht doch die frage, ob man nicht einmal ein paar jahre einmal nicht so patent und geordnet sein darf, wie es das cliché verlangt? wenn das wichtigste im leben bedroht ist, ist man selbst genauso gefährdet, da hilft dann nichts weiter, nicht einmal die holde brut der erbenschaft, die nun doch nicht so jung erben sollten.

und dass es dem leben gelungen ist, einen wahren triumph zu feiern, ist täglich sich erneuernde feier des lebens selbst, einer schier unglaublichen kraft.

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Schulkindern verklickert man die Natur der Krankheit, indem man auf den gestörten Stoffwechsel* hinweist: "wie beim Diabetes".

*Hirnstoffwechsel

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