Deutsche Einheit

Ich habe vermutlich mit den kürzesten Weg, und das hat den Vorteil, dass ich mit dem Rad nur 120 Sekunden bis zum Theater brauche. Gleichzeitig hat es den Nachteil, dass ich knapp kalkuliere und 120 Sekunden vor dem offiziellen Beginn zum Rad greife. Mitsamt dem Absperren und Hochlaufen ist das etwas knapp. Und weil dann doch noch ein paar Minuten bis zum Auftritt sind, gibt das zu Bemerkungen Anlass, dass derjenige mit dem kürzesten Weg als Letzter kommt.



Klavierquartett bedeutet, dass es im Gegensatz zu grossen Klangkörpern noch Karten gibt, gar nicht so wenige sogar, und vielleicht liegt das auch an der Auswahl der Stücke und einem Einstieg mit einem Tango eines Deutschen aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jedenfalls ist es diesmal den Westfalen gelungen, sich eng zu ballen, schräg vor mir, neben mir und hinter mir. Manchmal sind sie über den ganzen Saal verstreut, diesmal sind ihre Reihen gut gefügt, sie plaudern nach hinten und vorne und schauen dann so ernst, wie nur Norddeutsche beim Konzert ernst schauen können. Schauen ja, mitwippen, was Bayern öfters mal passiert, nicht. Ich wippe ja erst ab Musik vor 1760, das wird diesmal nicht geboten, nur eben Strauss und Beethoven. Und modern.



In der Pause marschieren die Osnabrücker und Münsteraner dann geschlossen aus, suchen sich einen Platz ganz oben, wo man die Feinde gut sieht und nicht angegriffen werden kann, und zwar an einer Engstelle, die an die Termophylen erinnert. Sie sind im Ausland, das merkt man. Während sich der Bayer die Beine vertritt und umherläuft und schaut, wer da ist und wer nicht, bilden die Westfalen ein Klumpenrisiko der Abgeschlossenheit. Niemand kennt sie, sie kennen niemanden. Wahrscheinlich haben sie sich ihr Leben auch nicht so vorgestellt, dass einmal die wirklich guten Jobs hier im Süden sein werden, aber sie nehmen, was geht, und ansonsten sind ja genug von der Sorte da, um die nächsten Jahre zu überleben. Wie so oft in diesem eher jungen Alter sind es vor allem Frauen, die Männer, so es sie gibt, sind wohl daheim oder im Norden geblieben. Manchmal kommt es mir ohnehin so vor, als seien Frauen erheblich mobiler. Jetzt sind sie also hier und passen auf, dass der Genpool nicht über die Ränder schwappt.



Es passiert eigentlich nicht so oft, dass man zwei Stunden neben jemandem sitzt und kein Wort wechselt, normalerweise ist so ein Konzert in der Provinz ja auch immer Kontaktbörse, Gerüchteküche und Partnerseite im Offline. Aber diese Leute geben einem gar keine Möglichkeit, sie kommen erst ganz spät, wenn alle anderen schon sitzen, und schliessen dann die Reihen und starren wieder interessiert durch ihre randlosen Brillen. Ganz klein sind die Perlen der Ketten, was ich etwas erstaunlich finde; die Skelette sind auffallend robust und nicht gerade zierlich, da sollte dann schon mehr hin - aber vermutlich sind sie da oben protestantisch und so kommt das halt. Ich denke, sie fremdeln etwas mit dieser neuen Heimat, sie tun sich das an, weil es sein muss, wie sich Protestanten halt immer die Pflichten antun, ohne Operndrama und immer mit dem Gefühl, sich jetzt in der Freizeit eben amüsieren zu müssen.



Nachher gewinnen sie den Sprint die Treppen hinunter mit riesigem Abstand, die alten Leute hier haben keine Chance und die Trödler wie ich ohnehin nicht. Ich muss ja auch noch hier und da auf Wiedersehen sagen, und meine alte Lehrerin aus der Grundschule ist auch noch da. Heimat halt. Unten zerre ich dann mein Rad aus dem Busch, in den ich es geworfen haben, und da stehen sie dann wieder und reden, was man jetzt, an einem Dienstag in der Provinz, um 22 Uhr noch machen könnte.

Ohne intaktes Umfeld, in der Fremde wenig. Man muss halt reden mit den Leuten. Das machen sie dann vermutlich am nächsten Tag im Büro via Facebook in ihrer High-Potential-Community, und beklagen ihr Schicksal, dass die wirklich fetten Jobs nun mal nicht immer dort sind, wo man jeden Abend die Auswahl aus zwei Opern hat. Immerhin, das fauretquartett haben sie jetzt auch gesehen. Es geht schon, in dieser Stadt, auch wenn darüber hinaus nichts geht.

Mittwoch, 23. Oktober 2013, 01:37, von donalphons | |comment

 
Protestanten ... aus Münster?
Osnabrücker... aus Westfalen?

Komiker!

Sind das jetzt die neuen Opfer (anstelle der gern und oft geziehenen Schwanzlurchhausener)?

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Na irgendwo da oben halt.

Eine Bekannte kommt aus Detmold und weilte öfters auf einer der deutschen Inseln, und da dachte ich, da könnte man doch sicher in einer Stunde hinfahren. Dem ist wohl nicht so, Deutschland ist da oben sehr gross, und ich kenne mich damit nicht so aus aber das ist auch nicht so wichtig.

Ansonsten sind da oben alle protestantisch, auch die Katholiken weil echten sündenfrohen Barockkatholizusmus, den gibt es nur in Bayern.

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Also bitte, ihr könnt da unten doch noch nicht mal gescheit Karneval feiern.

Und Detmold, nun ja, das liegt im Teutoburger Wald (andere sagen: östlich von Bielefeld), da kann ich mich freilich nicht für verbürgen.

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sündenfrohen Barockkatholizusmus in Bayern?
Dass ich nicht lache.
Dazu müssen Sie schon 500km südlicher anfangen!

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Naja also der Mixa, der hat es schon von den Lebendigen genommen.

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So eine Ansage nur drei Wochen nach dem weltweiten Wiesenabschaumauflauf ist, naja...

Aber wenigstens grassiert in München gerade die Wiesngrippe und alle sind gscheid krank, wie sich das gehört.

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"Die Wiesn - zu besoffen für den Genpool aber unhygienisch genug für die Seuche"

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Hö hö, als wenn die Wiesn für (barock)katholische Tradition stünde.

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Nur für das gleiche Plebs wie der Karneval.

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Klar ist das Plebs, aber nicht der gleiche.
Bei den Münsteranern kommt im Gegensatz zu den Münchnern nicht jeder rein, der zahlt.

Keine Ursache - kann man als Bayer, der die Mainlinie niemals nach Norden überschreitet (außer für Redaktionskonferenzen im Gallus) nicht wissen.

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osnabrück westfalen zuzuschlagen ist würdig und recht. es heißt ja nicht umsonst "der westfälische friede von münster und..." - sehen sie. historisch völlig d'accord und auch heute sind die gemüter nicht so verschieden.

(die kritik an der absurden vorstellung eines protestantischen münster ist sehr wohl berechtigt. nur paderborn ist katholischer!)

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tja sowas kommt von sowas.

hätte man statt im rahmen der archäologie in aufgelassenen güllegruben zu wühlen ma lieber klassische geschichte studiert ...

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liebe sephor, wo sie recht haben, haben sie recht.

lieber don, na na na, man darf sie schon ein wenig köpfchenschüttelnd tadeln für die besondere art der kenntnis über den riesigen weissen fleck oberhalb des weisswurstäquators; hic non sunt dracones.
das wäre dann doch wohl ein wenig so, als würden man behaupten, es gebe keinen sonderlichen unterschied zwischen unterfranken und oberbayern oder gar schwaben. oder zwischen avignon und dem neureichen piratennest monaco.
wer lange genug in westfalen seine zeit zubrachte, weiss genau, wie er die rheinländer zum platzen bringt. in aller äh freundschaft selbstverständlich.

in münster hängen in st. lamberti übrigens immer noch drei körbe aus, in denen man die verrottenden leichen von extremprotestanten aufbewahrte.

allerdings wird sich wohl auf immer der charme der dortigen bevölkerung dem süden verschliessen. nicht unspassig das ganze, aber exklusiv, sehr exklusiv, nur zu erobern über den richtigen tonfall und die bescheidenheit.

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Wie so oft in diesem eher jungen Alter sind es vor allem Frauen, die Männer, so es sie gibt, sind wohl daheim oder im Norden geblieben. Manchmal kommt es mir ohnehin so vor, als seien Frauen erheblich mobiler.
Da haben sie recht. Das weisse Australien stirbt auch gerade aus: die Mädel sitzen alle in der Stadt, und die Jungs fishen, hunten, farmen, minen, herden und lumberjacken sich im Outback einen ab, weil sonst die Farm verkommt.
NZ hat angeblich ähnliche Probleme.

Und auch hier gilt eine Frau beim Umzug als flexibel, während es einem Kerl schon mal als Flucht ausgelegt wird.

Ansonsten gibt es auch da oben fähige coole Leute - kennengelernt hier in Bayern, weil es die einzigen waren, die ohne Montagsgesicht am Montag in der Bahn unterwegs waren.

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warum in die ferne schweifen. die SBZ verkommt in weiten teilen auch zu einem sausage fest.

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Foto 3, dieses Lampen/Leuchten System, wosisndes?

Ist wohl ein Klassiker, verbinde ich sehr mit 70ern oder früher, modrige Stadthallen in Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen mit grobfaserigem Nylonfilzteppichboden und gelochten oder geschlitzten dunklen Holzpaneelen.

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Bei mir daheim und steht, soweit ich weiss, schon unter Denkmalschutz. Milder Brutalismus der 70er.

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"...und ich kenne mich damit nicht so aus aber das ist auch nicht so wichtig."
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Hauptsache niedermachen?

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