Souvenirs
Manchmal lohnt es sich, auch in die Kisten am Boden zu schauen. Gerade, wenn man sich schon für einen Sessel entschieden hat und jetzt noch ein Kompensationsgeschäft machen will. Desto mehr man nimmt, desto billiger wird es. Und ganz hinten, ganz klein in einem Goldrahmen, sind zwei Kupferstiche des Manierismus, bukolische Szenen, gerade mal sieben Zentimeter breit, mit einem kräftigen Passepartout und hinten mit einem Lilienpapier überzogen. Aus einem Nachlass, wo auch der Sessel herkommt, sagt der Händler, aber mehr weiss er auch nicht, vergessen ist also die Geschchte und deshalb ein guter Grund, eine neue dazu zu erfinden.
Denn hinten gibt ein goldener Aufkleber Auskunft über die Erwerbung vor ein paar Jahrzehnten: Ein gewisser Riccardo Panatta, Betreiber eines Fine Arts Shops in der Via Sistina 19 in Rom hat die Bilder verkauft.
Das Internet verrät nichts über ihzn und sein Geschäft, das es vermutlich schon lange nicht mehr gibt, also erfinde ich ihn als freundlichen, älteren Herren, der auch im Hochsommer Anzug trägt und meist auch eine Wollweste über seinem nicht ganz kleinen Bauch. Signore Panatta also hat sein Geschäft, einen schmalen, langen, mit Bildern vollgehängten Raum und dahinter eine kleine Rahmenwerkstatt in der Via Sistina, einem der besten Viertel der römischen Altstadt, nur ein paar Minuten jeweils vom Vatikan und von den Palästen der Barberini entfernt, wo sich die Touristen im Sommer entlangwälzen, wenn die Römer längst dem sumpfigen Atem der Stadt Richtung Meer entflohen sind. Signore Panattas Schaufenster ist nicht gross, aber ausgestellt ist etwas für jeden besseren Geldbeutel von Aigner bis Louis Vuitton, vom kleinen Stich des 19. Jahrhunderts mit einer Vedute der Piazza del Populo bis zu einem fast schwarzen Portrait einer verruchten Marchesa des späten 16. Jahrhunderts, deren ausschweifender Lebenswandel auch durch die grimmigsten Folgen des tridentinischen Konzils nicht im mindesten berührt wurde.
An deutsche Kundschaft denkt Signore Panatta nicht allzu oft; die Deutschen der 70er Jahre sind eher sparsam, seine besten Kunden sind Amerikaner und Briten auf der Grand Tour, die sich hier mit kamintauglichen Bildern eindecken. Oder auch Franzosen, die haben einen Sinn dafür. Deshalb die englische Aufschrift und das Papier mit den Lilien, da ist für alle etwas dabei. Seine Geschäfte gehen gut, er hat eben etwas Besseres als all die billigen Souvenirs, die gefälschten Rolex oder die verschrumpelten Gipsbüsten, die in den Seitenstrassen weiter unten verkauft werden. Er öffnet von 9 bis 12 und von 16 bis 19 Uhr, das reicht ihm, und am Abend besucht er ältere Damen dessen, was vor Mussolini die bessere Gesellschaft war und bietet ihnen ein paar zehntausend Lire für einen Band aus der Familienbibliothek, oder etwas mehr für eine Mappe mit Stichen, die seit Jahrzehnten keiner mehr angeschaut hat. manchmal muss er lange warten, bis er zum Zuge kommt, oft über den Tod der dame hinaus, wenn ihre Erben dann den über Jahrhunderte zusammengerafften Besitz verschleudern und froh sind, für den Plunder von ihm einen Scheck zu bekommen, den er schwungvoll mit seinem Namen Panatta signiert. In seinem Laden sortiert er dann die Bilder, räumt sie ein einen alten Schrank mit vielen Fächern und weiss immer, wenn Kundschaft kommt, wo er die passenden Schätze verstaut hat.
Die beiden kleinen Stiche im aus dem frühen 17. Jahrhundert hat er aber gleich in die schlichten Goldrahmen getan, denn das ist ideal für die Laufkundschaft, die etwas Besonderes mitbringen will, aber nichts Sperriges, was man einen heissen Tag mühsam über das holprige Pflaster der Stadt schleppen muss. Tatsächlich kommt eines Tages ein Ehepaar herein, typisch deutsch, sie haben etwas im Schaufenster entdeckt, was ihm aber zu teuer ist. Sie will sich dennoch etwas umschauen und entdeckt diese beiden Bilder, eines mit Hügeln und ein anderes mit Meer, zwei Orte, die ihr besser gefallen würden als dieses marode, laute, obszöne Rom mit seinen unverschämten Kellnern und miserablen Weinen, und deshalb will sie diese Bilder instinktiv haben, um sich an die schönste Zeit des Urlaubs zu erinnern, denn Kirchen und Steine und Trümmer hat sie wirklich genug gesehen. Ihr Mann findet den Preis immer noch viel zu hoch, aber mit inbegriffen, hofft er, ist ein Ende ihrer etwas gestressten Laune, und lieber gibt er hier 300.000 Lire für zwei Bilder aus, als sich ihre gereizte Stimmung den Rest des Tages anzutun, um dann noch ein paar Fetzen kaufen zu müssen, die sie nie tragen wird. Sie ist es zufrieden, und als sie mit ihren SL 280 wieder in der deutschen Vorstadt ankommen, gebräunt und letztlich doch erholt, hängt sie die Bilder über ihren Schreibtisch und denkt oft an den netten Signore Panatta und sein schmales Geschäft in der Via Sistina, das nach altem Holz und Pergament gerochen hat, und einen Moment erahnt sie dann auch wieder den mit Pinienduft geschwängerten Wind, der vom Meer hinauf in die Hügel um den Lago Trasimeno zieht.
Als sie und ihr Mann dann tot sind, ist es den Erben egal, das bekommt alles der bestellte Händler, das Haus wird verkauft und das Geld unter der Verwandtchaft aufgeteilt. Die Geschichten sind vergessen, aber das alles ist nicht weiter schlimm, solange nur jemand die Kisten auf dem Boden durchsucht und die Geschichten neu erfindet, weiterschreibt, und in 100 oder 200 Jahren werden andere kommen, die sich ihre eigenen Gedanken zu den goldenen Aufklebern von Signore Panatta, seinem Lilienpapier und den wahrlich nicht bescheidenen 150.000 Lire machen werden, die er hinten mit einem Bleistift vermerkt hat.
Denn hinten gibt ein goldener Aufkleber Auskunft über die Erwerbung vor ein paar Jahrzehnten: Ein gewisser Riccardo Panatta, Betreiber eines Fine Arts Shops in der Via Sistina 19 in Rom hat die Bilder verkauft.
Das Internet verrät nichts über ihzn und sein Geschäft, das es vermutlich schon lange nicht mehr gibt, also erfinde ich ihn als freundlichen, älteren Herren, der auch im Hochsommer Anzug trägt und meist auch eine Wollweste über seinem nicht ganz kleinen Bauch. Signore Panatta also hat sein Geschäft, einen schmalen, langen, mit Bildern vollgehängten Raum und dahinter eine kleine Rahmenwerkstatt in der Via Sistina, einem der besten Viertel der römischen Altstadt, nur ein paar Minuten jeweils vom Vatikan und von den Palästen der Barberini entfernt, wo sich die Touristen im Sommer entlangwälzen, wenn die Römer längst dem sumpfigen Atem der Stadt Richtung Meer entflohen sind. Signore Panattas Schaufenster ist nicht gross, aber ausgestellt ist etwas für jeden besseren Geldbeutel von Aigner bis Louis Vuitton, vom kleinen Stich des 19. Jahrhunderts mit einer Vedute der Piazza del Populo bis zu einem fast schwarzen Portrait einer verruchten Marchesa des späten 16. Jahrhunderts, deren ausschweifender Lebenswandel auch durch die grimmigsten Folgen des tridentinischen Konzils nicht im mindesten berührt wurde.
An deutsche Kundschaft denkt Signore Panatta nicht allzu oft; die Deutschen der 70er Jahre sind eher sparsam, seine besten Kunden sind Amerikaner und Briten auf der Grand Tour, die sich hier mit kamintauglichen Bildern eindecken. Oder auch Franzosen, die haben einen Sinn dafür. Deshalb die englische Aufschrift und das Papier mit den Lilien, da ist für alle etwas dabei. Seine Geschäfte gehen gut, er hat eben etwas Besseres als all die billigen Souvenirs, die gefälschten Rolex oder die verschrumpelten Gipsbüsten, die in den Seitenstrassen weiter unten verkauft werden. Er öffnet von 9 bis 12 und von 16 bis 19 Uhr, das reicht ihm, und am Abend besucht er ältere Damen dessen, was vor Mussolini die bessere Gesellschaft war und bietet ihnen ein paar zehntausend Lire für einen Band aus der Familienbibliothek, oder etwas mehr für eine Mappe mit Stichen, die seit Jahrzehnten keiner mehr angeschaut hat. manchmal muss er lange warten, bis er zum Zuge kommt, oft über den Tod der dame hinaus, wenn ihre Erben dann den über Jahrhunderte zusammengerafften Besitz verschleudern und froh sind, für den Plunder von ihm einen Scheck zu bekommen, den er schwungvoll mit seinem Namen Panatta signiert. In seinem Laden sortiert er dann die Bilder, räumt sie ein einen alten Schrank mit vielen Fächern und weiss immer, wenn Kundschaft kommt, wo er die passenden Schätze verstaut hat.
Die beiden kleinen Stiche im aus dem frühen 17. Jahrhundert hat er aber gleich in die schlichten Goldrahmen getan, denn das ist ideal für die Laufkundschaft, die etwas Besonderes mitbringen will, aber nichts Sperriges, was man einen heissen Tag mühsam über das holprige Pflaster der Stadt schleppen muss. Tatsächlich kommt eines Tages ein Ehepaar herein, typisch deutsch, sie haben etwas im Schaufenster entdeckt, was ihm aber zu teuer ist. Sie will sich dennoch etwas umschauen und entdeckt diese beiden Bilder, eines mit Hügeln und ein anderes mit Meer, zwei Orte, die ihr besser gefallen würden als dieses marode, laute, obszöne Rom mit seinen unverschämten Kellnern und miserablen Weinen, und deshalb will sie diese Bilder instinktiv haben, um sich an die schönste Zeit des Urlaubs zu erinnern, denn Kirchen und Steine und Trümmer hat sie wirklich genug gesehen. Ihr Mann findet den Preis immer noch viel zu hoch, aber mit inbegriffen, hofft er, ist ein Ende ihrer etwas gestressten Laune, und lieber gibt er hier 300.000 Lire für zwei Bilder aus, als sich ihre gereizte Stimmung den Rest des Tages anzutun, um dann noch ein paar Fetzen kaufen zu müssen, die sie nie tragen wird. Sie ist es zufrieden, und als sie mit ihren SL 280 wieder in der deutschen Vorstadt ankommen, gebräunt und letztlich doch erholt, hängt sie die Bilder über ihren Schreibtisch und denkt oft an den netten Signore Panatta und sein schmales Geschäft in der Via Sistina, das nach altem Holz und Pergament gerochen hat, und einen Moment erahnt sie dann auch wieder den mit Pinienduft geschwängerten Wind, der vom Meer hinauf in die Hügel um den Lago Trasimeno zieht.
Als sie und ihr Mann dann tot sind, ist es den Erben egal, das bekommt alles der bestellte Händler, das Haus wird verkauft und das Geld unter der Verwandtchaft aufgeteilt. Die Geschichten sind vergessen, aber das alles ist nicht weiter schlimm, solange nur jemand die Kisten auf dem Boden durchsucht und die Geschichten neu erfindet, weiterschreibt, und in 100 oder 200 Jahren werden andere kommen, die sich ihre eigenen Gedanken zu den goldenen Aufklebern von Signore Panatta, seinem Lilienpapier und den wahrlich nicht bescheidenen 150.000 Lire machen werden, die er hinten mit einem Bleistift vermerkt hat.
donalphons, 11:51h
Dienstag, 25. Juli 2006, 11:51, von donalphons |
|comment
che2001,
Dienstag, 25. Juli 2006, 12:13
Und durch solches Finden und Geschichte dazu erfinden entstanden das Turiner Grabtuch und die Barbiermoschee :-)
... link
donalphons,
Dienstag, 25. Juli 2006, 12:18
Und besonders alle Partikel des sog. hl. Kreuzes sowie die Vorhaut Jesu. Kein Witz.
... link
che2001,
Dienstag, 25. Juli 2006, 12:41
Mythos unter Laborbedingungen
Wie wäre es mit folgendem Projekt: Man baut einen mit einem leichten, hochexplosiven Gas (z.B. Wasserstoff, getrennt davon eine mit elementarem Fluor gefüllte Kammer) gefüllten kleinen Zeppelin in Form einer Untertasse mit einer Hülle aus spiegelnder Alufolie und lässt dieses Ding an einem hellen Sommertag, sagen wir über ein voll besetztes Fußballstadion schweben und anschließend direkt auf einen Luftwaffenstützpunkt zu. Sobald das UFO abgeschossen wird, gibt es so heftige chemische Reaktionen, dass nichts übrig bleibt, das einen Hinweis auf menschliche Urheber erlaubt. Dafür hat man vorher noch eine größere Menge eines außerirdischen Metalls geladen, sagen wir, Iridium, welches unter der Explosionsstelle abrieselt. Dann verfolgt man die Presse. Wie wär´s?
... link
donalphons,
Dienstag, 25. Juli 2006, 12:52
Noch krasser: Nehmen wir eine tolpatschige, übel aufgemachte Ex-FDJlerin, geben ihr einen Lehrer mit schwarzen kassen und reden dann dem Volk ein, die könne uns regieren und brächte den Aufschwung. Unglaublich, aber es hat schon mal geklappt. Und keiner der Verursacher wurde dann vom Mob durch die Strassen gepeitscht, als alles schlechter wurde!
... link
el_loco,
Dienstag, 25. Juli 2006, 14:03
Die meiste Bewegung bekommt man mit einem Anruf in der Berliner Zentrale einer "Christlichen" Partei. Einfach im schweizerisch-sachlich-lapidaren (leicht gelangweilten) Ton fragen, was denn nun mit den Terminfestgeld passieren soll, welches demnächst fällig wird:
http://www.titanic-magazin.de/archiv/0601/schwarzgeld1.php
http://www.titanic-magazin.de/archiv/0601/schwarzgeld1.php
... link
che2001,
Dienstag, 25. Juli 2006, 14:19
Geil!
*Übrigens soll es bei Neonazis schon mal erzieherisch wertvoll gewesen sein, mit einem deutlich jiddischen Akzent anzurufen und mitzuteilen, dass Shlomo und Moshe besondere Beachtung für das telefonische Gegenüber hegen würden, das Auge Davids sei überall*
*Übrigens soll es bei Neonazis schon mal erzieherisch wertvoll gewesen sein, mit einem deutlich jiddischen Akzent anzurufen und mitzuteilen, dass Shlomo und Moshe besondere Beachtung für das telefonische Gegenüber hegen würden, das Auge Davids sei überall*
... link
el_loco,
Dienstag, 25. Juli 2006, 14:37
Meine persönliche Version des Auflaufs wäre, anlässlich einer Demo einen Öko-Supermarkt in einer engen Straße zu "eröffnen". Einfach lecker Häppchen und Schnäppchen inserieren (ganz gesund und ohne Gene). Die Kampfzicken aus dem Vordertaunus, mit Kinder- und Geländewagen, sorgen umgehend für ein unauflösbares Verkehrschaos. Wär ja mal was für 'ne Demo oder so, es käme jedenfalls kein Mannschaftswagen mehr durch.
... link
donalphons,
Dienstag, 25. Juli 2006, 22:50
@ maternus: Ooops - ich hoffe, da gab es keinen Einbruch bei Dir oder so?
... link
maternus,
Dienstag, 25. Juli 2006, 23:55
Einbruch? Neinnein, wie gesagt, die Motive haben mich überzeugt, sie gaben exakt die Perspektive auf den rückwärtigen Lateranpalast wieder, die ich von der fermata aus beim Warten auf den morgendlichen Bus zur Uni genoß.
Ich bin halt ein wenig nostalgisch veranlagt...
Ich bin halt ein wenig nostalgisch veranlagt...
... link
donalphons,
Mittwoch, 26. Juli 2006, 18:42
Aber nein, dasd ist allerbeste europäische Tradition, ein Stück Italiens mitzunehmen. Die Grand Tour, die es bei uns ja leider so nicht gibt, verlangt dergleichen durchaus.
... link
... comment