Kulturschock

Es dauert keine 24 Stunden, dann bin ich wieder voll drin in der Grossstadt. Da, wo ich die letzten anderthalb Dekaden praktisch immer war. Da gibt es meine Themen, mein Umfeld, einen gewissen Erfahrungs- und Erlebnishorizont, den alle so einigermassen teilen. Das ist nur eine Illusion, klar, draussen im Hasenbergl und in Neuperlach gibt es dieses Leben kaum, aber so, wie in Berlin alles in Mitte, Prenzelberg und Savignyplatz ist, ist München eben nur Schwabing, Maxvorstadt, Klenzeviertel und ein paar weitere Ableger in Nymphenburg, Neuhausen und Haidhausen, ein Bestiarium der Eitelkeiten und der Vergessens der Welt da draussen, denn München wird immer schöner, reicher und andersartiger dumm als der Rest sein. Heller sowieso, München leuchtet auf Teufel komm raus.



Das alles verschwindet hinter der Autobahnauffahrt München Schwabing unter einer Lichterkuppel, die nach 30 Kilometer langsam ihre Strahlkraft verliert und einen in die Nacht entlässt, bevor sich dann die Tiefebene am grossen Fluss auftut und die nächste Stadt erscheint, Grossstadt dem Wollen der Oberen nach und Kaff auf immer für die, die es besser wissen, denn wie in München die Maximilianstrasse den Stil und die Schellingstrasse den Ton vorgibt, sind es hier halt auch nur zwei Gassen, die das gleiche in Miniaturausgabe bieten, und statt dem englischen Garten gibt es den alten Befestigungsgürtel, in dem man angesichts der Dienstwohnung vielleicht gern Parkwächter wäre, wüsste man nicht um die Abgründe der Stadt.



Abgründe, an die man mitunter selbst ungern glauben mag, so sehr hat sich hier einiges zum Besseren gewandelt. Der Rassismus hat nachgelassen, die Altnazis sind tot oder vegetieren im Altersheim dahin, und so sehr das Geld und der Reichtum diese Stadt auch abschotten gegen das da draussen, so ist die Latte hier nicht anders als anderswo und wird von der gleichen kosmopolitisch egalitären Oberklasse getrunken, man hält sich schliesslich ein georgisches Kollegium, eine internationaler Businessschool, und die Bleibequote asiatischer Jungmanagerinnen des lokalen Weltkonzerns ist heiratsbedingt enorm hoch; kein Wunder also, dass sie alle hier kleben bleiben, vor dem Espresso in der engerlgeschmückten Bar mit nicht zu dürrem bayerischen Genmatrerial und ein paar fremden Einsprengseln vielleicht den stämmigen Nachwuchs erficken und gar nicht daran denken, dass es noch was anderes geben könnte als das schöne, runde Leben im Herzen des Landes.



Es ist eine komplett andere Welt, ferner könnte sie kaum sein, keiner würde meine Anliegen und Ansichten hier wirklich verstehen, die Erkenntnis, dass es das nicht gewesen sein kann, die Unzufriedenheit mit einer Welt, die beim besten Willen keinen Anlass dazu bietet und genau deshalb so hassenswert ist, gerade wenn man ein Teil davon ist, ein Ekzem oder Tumor vielleicht, eine Abweichung von der Norm ganz sicher, aber genau von hier stammt und das alles kennt und versteht, wie man es nur verstehen kann, wenn man hier geboren und gross geworden ist.



Alles stimmt. Alles ist echt und vollkommen falsch, und es wird Tage dauern, bis mein Empfinden dagegen wieder abgestumpft ist.

mein ausserkonkurrenter Beitrag zum Gran Premio d´Argento del Don Alphonso - macht hinne, leute!

Samstag, 28. Oktober 2006, 19:34, von donalphons | |comment

 
Oh yeah, genau das: vor Menschen stehen und wissen, dass sie einen absolut nicht verstehen können. Das da zwei Vorstellungswelten aufeinandertreffen, die als Überschneidung nur die leere Menge haben.

Allerdings braucht es dafür nach meiner Erfahrung keine Provinz. Das passiert mir auch in (vermeintlichen) echten Städten.

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Aber die echten Städte haben Viertel, in denen man das ausblenden kann. Da geht hier gar nichts, wie ich gestern Abend mal wieder erleben musste. Null. Blankes Unverständnis. Was die Web2.0-Flausen ganz schnell wieder gerade rückt.

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Also wäre das ein Merkmal echter Städte: man kann eine wenigstens einigermaßen akzeptable peer group finden, deren Lebenskonzepte und Vorstellungswelten zumindest in Teilen kompatibel mit den eigenen sind.
Hm, so betrachtet gar kein schlechtes Kriterium.

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Naja, das Kaff hier ist in Vielem absolut kompatibel, aber über weite Strecken dann doch überhaupt nicht. Ich will mich einfach nicht blöd anschauen lassen müssen, wenn ich von koreanisch-amerikanischen Bekannten aus dem Internet erzähle, die in Norditalien leben, Lilien züchten und Werbung für Konzertflügel machen. Ich mein, hier gelten Frankfurter Literaten als Sensation, wegen denen man auch Monate später noch auf dem Wochenmarkt angesprochen wird.

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