Real Life 30.10.05 - Vorbesichtigung

Es geht hintenrum rein, an den geparkten Schlitten derer vorbei, die als gute Kunden gelten. Und die das hier schon kannten, als es noch Auktion 3irgendwas war. Alte, ganz alte Kunden. Vor 15 Jahren hast du mal im Nachverkauf den Biedermeiersekretär nicht genommen. Das war ein Fehler. Und so, wie da immer der Weg an gewissen Fenstern vorbei ist, wo die wohnen, bei denen es nicht wunschgemäss verlief und immer noch die Erinnerung an eine Berührung, einen Blick oder die allgemeine Verzweiflung wach ist, führt der Weg auch zurück in diese überfüllten Räume.

Das Schicksal ist gnädig. Vom in Berlin erworbenen Mahagonitisch ist ein sehr viel kleineres Pendant da, stark beschädigt, weitaus weniger schön gearbeitet und das Limit dennoch schon fünf mal so hoch wie der Betrag, auf den du dich in der Bergmannstrasse eingelassen hast. Allerdings war vor sechs Wochen noch woanders ein englischer Schreibtisch, den du nicht genommen hast, und dessen kleiner Cousin hier will einen Preis, bei dem du leise zu japsen beginnst.



Weiter geht es in Richtung der Asiatika, wo in den Vitrinen, weit voneinander getrennt, Netsuke und Okimono lagern, umdrängt von den jüngeren Leuten. Viele sind es nicht, die Zeiten der Jungschönreichen sind definitiv vorbei, und am Ende wird doch ein Bieter den Zuschlag erhalten, der per Telefon aus Singapur, Tokio oder Schanghai das zurückkauft, was vor hundert Jahren als Schund für die Langnasen die Reise nach Westen antrat. Vor ein paar Monaten warst du mal dabei, als ein Anonymus per Telefon eine Gruppe deutscher Händler gnadenlos überboten hat, einmal, zweimal, dreimal, irgendwann hatten die Deutschen begriffen, dass da nichts zu machen ist. Der Seidenkimono, die Lackschränkchen, der Bergkristallbuddah, die Thaibronzen, die Fayencekacheln mit den obszönen darstellungen, selbst die späteren Kopien alter Holzschnitte werden den Weg zurück antreten in Länder, die von ihrer Kultur so gut wie nichts bewahrt haben und es sich nach einem Jahrhundert der kulturellen Vernichtung leisten können, Trümmer ihrer Geschichte im Ausland zurückzukaufen.

Du liest nur interessehalber die Preise, aber ganz gleich, was es ist, es ist jenseits von gut und böse. Eine nicht mehr ganz junge Frau in Burberry verliebt sich in einen kleinen, geschnitzten Töpfer aus Elfenbein, fragt nach dem Limit und gibt sich gegenüber ihrem Freund der Hoffnung hin, vielleicht, wenn alles klappt mit dem Weihnachtsgeld, eventuell im Nachverkauf... so hat jeder hier seine Ziele, Wünsche und Hoffnungen, alles hat seine Limits und Preise und Zuschläge und Steuern, nach unten führt hier kein Weg, ganz im Gegensatz zum Leben derjenigen, die hier noch arbeiten müssen. Doch die meisten sind alt genug, um sich den Errungenschaften der privaten Altersvorsorge hinzugeben. Da blättern sie in Katalogen, begaffen mit faltengerahmten Augen das matte Glas der geschwungenen Spiegel und überlegen, ob das gebrochen funkelnde Pärchen noch über die Kommoden passt, gleich neben das Kruzifix.

Und wenn es dann ausgemessen und das Los mit müden Bewegungen morscher Knochen ersteigert ist, so wird in den venezianischen Barockspiegeln mit ihrem Gold und Kristall noch lange Dekaden kein Liebhaber eine nackte Frau bewundern und sein Glück nicht begreifen, sie so sehen zu dürfen, aufrecht, rein, bar jeder Scham und dummen Moral, vielleicht wird der ein oder andere aus Unachtsamkeit fallen und nie mehr etwas anderes in die Welt zurückwerfen als welke Haut und missmutige Blicke; und die jahrhundertealte Reise wird enden auf dem Parkett einer Rentnerwohnung, in der die Gier nie etwas anderem galt als dem kläglich Wenigen, wenn alle Lust vergangen ist.

Sonntag, 30. Oktober 2005, 20:43, von donalphons | |comment