: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 4. September 2007

Erzreaktionär

So, in Berlin über die Vorzimmerfrauen gehen und daheim Anstand und Werte fordern? In der Villa wohnen und ein abgewirtschaftetes Zwangssystem gut finden, nur weil der Boss von den Deppen in Washington bekämpft wird? Ritalin schlucken und meinen, mitreden zu können in der sponsornden Berliner Republik? Neoconzeug schreiben und trotzdem alle Jugendtrends mitmachen? Das schöne Land beschwören und sein Geld in amerikanischen Schrottdarlehen verpulvern, als wäre es so viel wert wie unser hochwertiges Gammelfleisch? Oder den Terroristen indirekt nahelegen, dass sie den Scheiss nicht lang im Internet planen sollen, sondern einfach mit der Wumme handeln?

In all den Fressen sehe ich Franz Josef Strauss. Der war auch so einer. Der erste Neoliberalala. Inkonsequent, daneben, nehmen was man kriegen kann, nichts war zu dreist, es gibt immer welche, die das honorieren. Heute so, morgen anders, der perfekte Mann für ein System, das man eh nicht ändern kann. A Hund is a scho, wie das dann anerkennend vermerkt wird von denen, die auch Köter sein wollen. Linien bitte nur, solange sie nutzen, Steuerhinterziehung ist nur schlecht, wenn sie die eigenen Förderungen und Pfründe begrenzt, und der kleine Mann würde es genauso tun, wenn er könnte. Dem einen sein Puff ist dem anderen sein 7. Stock und dem dritten die Praktikantin und dem vierten der Anlass, sich wieder zu seiner Frau zu bekennen.

Wenn dieses Geschmeiss wieauchimmerliberal ist, dann bin ich erzreaktionär.

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Was man so Fortschritt nennt

Eine warme Suppe am Tag - das war zu den Zeiten, da meine Grossmutter jung war, eine Horrorvision. Nur ein Teller warme Suppe galt als Existenzminimum, das bei den Franziskanern ausgeschenkt wurde. Die Selbstvergewisserung, dass ihr und mein Clan nicht arm war, erfolgte über die Feststellung, es hätte bei ihnen immer Fleisch oder Fisch gegeben. Dinge also, die in der "schlechten Zeit" eher atypisch für die Ernährung weiter Bevölkerungsschichten waren. Die heute skurril anmutende Marotte meines Grossvaters, den Hausgang mit de Geweihen selbst geschossener Rehe und Hirsche zu verzieren, wo heute Kupferstiche von Kräutern und Stadtansichten den Betrachter erfreuen, ist wohl auch dem Vorzeigen der Verfügbarkeit von Essen geschuldet. Die Suppe war allenfalls die Vorspeise, und drückte durch ihre Degradierung den Stand der Familie über denen aus, die sich Fleisch allenfalls am Wochenende leisten konnten.

Diese tägliche Suppe war durch Jahrhunderte ein Fluch der Gesellschaften. König Heinrich IV. von Frankreich verdankt seine Popularität bis heute seiner Forderung "Si Dieu me prête vie, je ferai qu’il n’y aura point de laboureur en mon royaume qui n’ait les moyens d’avoir le dimanche une poule dans son pot!" - sollte ihm ein langes Leben vergönnt sein, werde er sich bemühen, dasss jeder Untertan am Sonntag ein Huhn im Topf habe. Dank Massentierhaltung und Packerlsuppe ist das heute alles kein Problem mehr, Essen ist bei uns zumindest als Junk Convenience Food in grenzenlosen Mengen vorhanden - mit billigsten Zutaten aus industrieller Fertigung. Mit dem Huhnschlachtabfall gelangen auch Färbemittel, Medikamente und andere Abscheulichkeiten der global agierenden "Lebensmittel"produzenten ins Essen, die keiner ohne Brechreiz essen könnte, würde er sie vor ihrer Verpackung sehen. Imagekampagnen zeigen gern die Herstellung des scheinbar frischen Salats, aber weder die Pestizide noch Bilder über die Entstehung von Chicken Extremitäten.



So gesehen ist selbstgemachte Suppe gar nicht das schlimmste, was einem beim Thema Essen heute passieren könnte. Zudem es heute auch Tomatensuppe gibt, was unter Heinrich IV. noch unvorstellbarer Luxus gewesen wäre. Am Wochenmarkt waren die Metzger diesmal ziemlich ausverkauft - weil es dank Gammelfleischskandal wieder mal die Leute scharenweise zu denen trieb, die ihnen ordentliche Waren ohne K3c-Fleisch und andere Freuden der modernen Wertschöpfungsketten anbieten.

Und langsam komme ich in das Alter, in dem das Aufhängen von Leichenresten im Hausgang ein wenig von seiner Schrulligkeit verliert. Diese Reste der Nahrungsbeschaffung konnte man wenigstens vorzeigen; Dönertrophäen stelle ich mir durchaus gewöhnungsbedürftiger vor.

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