: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 24. August 2013

Nach der Flut

Hochzeiten sind bekanntlich nicht mein Ding. In aller Regel täusche ich Urlaube vor, vom Stacheldraht ruinierte Oberschenkel, generelle Unpässlichkeit oder ich sage einfach die Wahrheit: Dass ich keine Lust habe, Menschen beim grössten Fehler ihres Lebens zuzuschauen. Natürlich mag ich die Gatten meiner guten Freundinnen eher selten. Aber leider habe ich damit langfristig auch recht, denn die Scheidungsquote liegt bei uns längst auf einem Niveau, das man vielleicht eher in Hellersdorf erwarten würde. In meinen Augen ist das einer der dramatischen, wirklich dramatischen Wandel in der Gesellschaft, von 0% Scheidungen bei der Generation meiner Eltern zu über 50% bei uns. Und dann wundert man sich, wenn keine Villen mehr gebaut werden, sondern nur noch Vierspänner, in deren Parzellen auch einer bleiben kann, wenn es daneben geht.





Ich entnehme den Gesprächen in Niederbayern, dass es dort auch nicht mehr wirklich anders ist, und dass ich diesmal hier bin, liegt an mehreren Gründen. Einerseits kenne ich die Leute hier gar nicht so, Niederaltaich war halt Gegenstand der Berichterstattung beim Hochwasser, aber der Beitrag wiederum hat denen sehr gut gefallen. Und so konnte ich mir andererseits nicht nur die Kirche und den ehemals überschwemmten Ort, sondern bei der Gelegenheit auch die Hochzeit anschauen, die eigentlich schon bei der Flut geplant war, aber aus den bekannten Gründen verschoben werden musste. Überhaupt, das sind bei Naturkatastrophen die kleinen Folgen, über die keiner redet: Dass das Leben mit all seinen Plänen aus den Angeln gehoben wird, bis in die intimsten Bereiche hinein. Generell ist zu bemerken, dass Naturkatastrophen sicher schlecht für Heiraten und Lebensplanung sind, aber auf der anderen Seite ist da etwas in uns, was in diesem nun wirklich nicht dazu tauglichen Moment an Fortpflanzungsaktivitäten denken lässt, in einer Mischung aus "eh schon alles egal", "wer weiss schon was morgen ist" und all dem angestauten Adrenalin im Körper. Oder vielleicht gibt es da auch nur den allerprimitivsten Mechanismus der Arterhaltung in uns, der sagt: Oh, das überleben viele vielleicht nicht, mach hin und sorge für den Genpool!





So weit war es hier nicht, die Braut passte perfekt ins Kleid und freute sich auch sehr über den Mercedes. Es gab sehr feine, wirklich feine Musik, die man so und unter Trachttragenden vielleicht gar nicht erwartet hätte, dazu schwiegen die Katakombenheiligen und voll war es, weil sie alle eingeladen hatten, wirklich alle und sogar der komische Typ da mit den Kameras war da, der sich damals in bester oberitalienischer Tradition durch das Unterholz in die Zona Rossa vorgearbeitet hat, in dem man sich dann kennenlernte. Man lernt Menschen halt manchmal unter komischen bedingungen kennen (Wea san nochad Sie? I bin vo da FAHDS Ah so.). Wir sind noch einmal davon gekommen, versichern wir uns gegenseitig dann im Gasthof. Das Wasser ist weg, aber die Ströme haben sich tief in die Erinnerung eingegraben, hier noch mehr als bei uns; was für mich das Erdbeben war, ist für sie der Fluss, der längst wieder Flaschengrün in seinem Bett schwappt.





Es hat etwas Tröstliches. Es ist eigentlich ein schönes Thema, trotz allem.

Abgesehen davon haben wir auch einen nicht ganz richtigen Begriff von "Katastrophe". Katastrophe ist oft, zu oft, was passiert, wenn der Mensch seinen Verstand beiseite lässt. Da sehe ich keinen Unterschid zwischen den Bankstern und den Überflutungsbereicher der Flüsse: Man muss halt die Grenzen kennen. Ob man sie hier dauerhaft lernen wird, weiss ich auch nicht, denn auch hier wollen sie bauen und die Grundstücke liegen nun mal in der Nähe des Flusses. Aber es ist immer noch besser hier als in Fukushima, wo man nicht wieder heiratet, sondern erst in vielen Jahren ansatzweise begreifen wird, was da wirklich geschah, und welche Folgen das haben wird. Niederbayern hatte Pech mit dem Fluss, aber Glück mit dem Atomstandort, das es bald nicht mehr sein wird. Gar nicht weit von hier wäre übrigens Wackersdorf. Und damit ein anderes Baudenkmal, das sogar die CSU in ihren Polyestertrachten gern vergessen würde. Ich kann es nicht vergessen, und wenn ich 100 Jahre alt werde.





Gut schaut Niederalteich aus. Das ist eine gute Nachricht, aber nach ein paar Monaten vollkommen egal, denn es gibt ja die NSA und Syrien und die britischen Totalitaristen und eben Fukushima mal wieder, aber das alles ist weit weg und alle interessieren sich eigentlich nur für die beiden Hauptpersonen, und wer sonst noch so da ist und etwas taugen würde, weil auch in Niederbayern ist es so wie überall: Der Mensch ist gut, owa d'Leid san schlecht. Heute mag ich sie und ihr an der Katastrophe geschärftes Bewusstsein. In ein paar Wochen wählen sie trotzdem wieder die Staatspartei, auch wenn nach dem Seehofer die nächsten Ökononimienazis daherkommen, die gleiche Brut wie in Frankfurt, nur eben in Trachtenjanker, und die Tore öffnen für Waffenfirmen, Energiekamarilla, GewerbeflächeninNaturschutzgebietenausweiser und sonstige Feinde der Schöpfung, für die es gar nicht genug Fluten geben kann.

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