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Montag, 4. Juli 2005

Ein Sommer wie bei Eric Rohmer

Die Kaltmamsell erzählt vom Sommer vor vielen Jahren, und darüber, dass ihre Mutter in einer Firma gearbeitet hat, die wiederum in unserem Stammhaus in der Zeit ihr Geschäft hatte. Was für uns ein gemeinsamer Spielplatz wurde, schliesslich wohnte ich in diesem Haus, wobei damals natürlich niemand wissen konnte, auf welchen verschlungenen Wegen das wieder zusammenführen würde.

Von dem Geschäft blieb nichts übrig ausser einem hässlichen Vordach, unter dem früher die Teppichbodenrollen gelagert waren - in den typischen Farben der 70er jahre, die sich bei uns bleiern bis in die Mitte der 80er Jahre hinzogen. Heute würde man das vielleicht schon wieder schick finden; es kann gut sein, dass manches der damaligen Kitschdesigns in Buddhismus-Orange und Signalgrün heute wieder für kurzlebige Designeinrichter in Berlin Mitte produziert wird. Aber schon Ende der 70er Jahre waren die besseren Familien der Stadt zu glatt verputzten Wänden und Terrakottafliessen gewechselt, und die Firma, der die Fläche bei uns zu klein wurde, zog in die Vorstadt, wo sie irgendwann verschwand.



Geblieben ist also wenig - bei mir im Dachstuhl steht aber noch diese Kiste hier, mit sauber verpackten, groben Tapeten aus dem späten 70ern, grüngrauweisslich und fasrig, keine Ahnung, warum die hier vergessen wurden. Aber so ist das nun mal in grossen alten Häusern - man denkt, vielleicht braucht man es nochmal, man hat da oben ja auch den nötigen Platz, also wird es dort eingelagert und vergessen, bis jemand dazu eine Geschichte erzählt und man sich wieder daran erinnert. Und wer weiss, vielleicht in 70 Jahren, wenn ich schon lange tot bin, vielleicht wird die verstaubte Kiste von jemandem gefunden, der sein Glück nicht fassen kann, originale Tapeten aus der Zeit der Revolte, und sein Zimmer damit tapezieren wird, und alle Frauen werden zu ihm kommen und ihn für seine Stilsicherheit bewundern.

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Den Gerhard hassen

oder nicht hassen, das ist hier (und auch bei mir ab und zu) die Frage. In der Regel reicht ein Blick in den Merkelschen Gesichtsersatzhautsack, um die Frage per Vergleich zu beantworten.

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Sonntag, 3. Juli 2005

Und führe mich in Versuchung

Wer glaubt, das Internet sei ein Hort des Wissens oder der Bildung, sollte sich mal mit einem Thema wie dem Manierismus der zweiten Schule von Fontainebleau auseinandersetzen. Oder ganz generell mit dem Einfluss der französischen Hofkunst auf die Flamen des 17. Jahrhunderts. Ein grosses, wichtiges Thema. Das Netz weiss nicht mehr, als ein x-beliebiges Kunstlexikon vom Ramsch. Die Suchfunktionen bringen nichts, Null, Nada, und Wikipedia ist ein schales Infobröckchen.

Und trotzdem hänge ich seit Wochen in jedem freien Moment im Netz über dieser Frage, suche nach Vergleichen, die ich nicht kenne, denn nichts anderes findet in meinem Kopf Platz. Schon seit Monaten. Seit Monaten denke ich an ein Paar aus dieser glanzvollen, grausamen und niederträchtigen Epoche, an einen Moment das Ruhe, der Zuneigung und der Liebe, eingefangen vor 400 Jahren und auf ein Stück Holz gebannt. Dann wohl lange vergessen, irgendwo im Dunkeln aufgehängt und jetzt bei einem Kunsthändler gelandet.

Da hängt es jetzt schon seit einem halben Jahr. Ich bin zufällig drübergestolpert, als noch nicht mal sicher war, dass es zu verkaufen ist. Dann stand ein Preis im Raum, der meine für Hofkunst etwas bescheidenen Mittel sprengen würde wie eine Kanonenkugel der Bartolomäusnacht einen Haufen Hugenotten. Dann kamen da viele vorbei, von denen ich sicher war, dass sie es kaufen würden; es gibt nicht oft die Gelegenheit, in Deutschland so etwas zu erwerben. Vielleicht haben die ihr Wissen nur aus dem Netz; jedenfalls blieb es zu meiner grossen Überraschung liegen. Und jetzt ist der Preis in Regionen, die es mir tatsächlich gestatten, darauf ein Gebot abzugeben. Ob es angenommen wird, weiss ich nicht.

Vielleicht liegt es am Sujet. Wer sich auskennt, weiss um die lockeren Sitten der Zeit, in der die Ehe dynastischen Überlegungen und der Sex einer für heutige Vorstellungen unfassbaren Promiskuität geschuldet war. Die Körperlichkeit der Kleidung, ihr Reichtum und die Offenheit der Gesten verraten alles, und das passt schlecht zur toitschen Vorliebe für kernseifesaubere Riemenschneider-Madonnen und die verklemmte Sexualität der Rokoko-Putti. Die Geisteshaltung der Dargestellten, für die ein fronverweigernder Bauer nur ein Stück Vieh war, das man zwischen amurösen Abenteuern abschlachtete, möchte ich mir keinesfalls zu eigen machen. Das Bild ist nur im Geschlechtlichen aufgeklärt und offen, aber allein die vibrierende Erotik kurz vor der Annahme des Liebessymbols macht es begehrenswert. Man beachte die Haltung der Finger und der Körper, die Lage der Hände, die Berührung, das sanfte Streicheln, die Blicke, diesen immer gleichen Moment zwischen Hoffnung und Erfüllung, der uns über die stinkenden Kleingötter und ihre Veführung von Fron, Ausgezehr und Entsagung erhebt.

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Dirt Picture Contest - Nicht für die Schule,

sondern für das Leben verschmutzen wir: Die Kombination aus alter Ost-Architektur und neuer West-Malerei, in Verbindung mit gesamtberlinslummischer Finanzkatastrophe gibt dem nachwuchs schon mal eine gute Vorstellung der Realität, die sie erwarten wird.



Davor wird ein Kindergarten rückgebaut. Das Bild ist schon ein paar Monate alt - vermutlich ist da inzwischen noch mehr gebröckelt. Irgendwann wrd das Grafitti den kaputten Putz festigen. Wenn es dann noch steht - bald bin ich leider in der Lage, persönlich vorbeizuschauen.

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Samstag, 2. Juli 2005

Leserversuch

Am Anfang stand das Wort "Grossraumdisco" von Mark793. Er meinte damit dieses Blog hier, und es hat eigentlich nur etwas bestätigt, was mir schon länger im Kopf herumging: Dass in diesem kleinen Punkrockclub viel anders geworden ist. Zumindest war es mal als kleiner Punkrockclub gedacht, und es hat auch eine Weile ganz prächtig so funktioniert. Das war in der Zeit vor dem Winter, bevor hier die grossen Sprünge bei den Nutzerzahlen kamen. Ich hatte beim Lesen mancher Kommentare und vom Hörensagen her den Eindruck, dass eine gewisse verzcihtbare Klientel hier täglich reinschaute. Leute, mit denen ich noch nicht mal auf dem gleichen Friedhof begraben sein möchte. Sickos, die das hier als Feindbeobachtung lesen - hey, wenn ich Euch für ein Arschloch halte, lese ich Eure Blogs nicht, so einfach ist das, Ihr Pfeifen.

Die Begründung für den hohen Traffic muss nicht monokausal sein, gab auch andere Erklärungen - etwa der aggressive Tonfall, das ständige Herumhacken auf Berlin, jede Woche ein Eklat, all das könnte Leser anziehen, meinten verschiedene Leute. Als ich Berlin dann verlassen habe, war es Zeit für ein Experiment, Codewort "Leservergraulung". Im Kern steht die Frage: Was passiert in so einer Grossraumdisco, in die Leute über Monate wegen der immer gleichen Musik kommen, wenn der DJ ein anderes Programm fährt? Was geschieht, wenn statt dem Dreck auf den Strassen Empiremöbel ins Zentrum rücken, wenn der Hass einer gewissen Zufriedenheit weicht, wenn der Autor seine Lebenswirklichkeit radikal umstellt, vom Beobachter des riesigen Slums Berlin, das jeder kennt, hin zum Rückkehrer in eine kleine Stadt und zu ihren oberen 10.000, einer Klasse, die keine Ahnung von Blogs hat? Und was passiert, wenn die Leser nicht dreimal täglich gross und dazwischen mit Kommentaren gefüttert werden, sondern nur einmal am Abend mit einem längeren Text, wenn der klassische Cyberslacker längst vor der Glotze hängt?

Was also machen Leser, wenn sie statt einer fiesen TAZ plötzlich eine mitunter gemeine Version der World of Interior erhalten? Wie reagieren Zuhörer, wenn die massenkompatible Morningshow ausfällt und statt dessen am Abend die wüstesten Szenen der italienischen Opera Buffa gesendet werden? Nach der klassischen Medientheorie müssten die allermeisten wohl abspringen, und die Cyberslacker mit den RSS-Feeds, die jeden Morgen hier ihr Bröckchen holen, müssten verschwinden.

Nach fünf Wochen habe ich tatsächlich etwa ein Viertel des Traffics unter der Woche verloren; am Wochenende ist weniger als 20%. Was definitiv eingebrochen ist, ist der morgendliche und frühnachmittägliche Besuch, den man relativ leicht mit Postings steuern kann. Das dürften vor allem die RSS-Cyberslacker gewesen sein, die nur kommen , wenn etwas los ist. Um die tut es mir, offen gesagt, nicht wirklich leid, genausowenig wie um die 50 oder mehr Leute, die dann weniger über die Blogger.de Startseite kommen. Ein Teil des Rückgangs ist sicher auch dem Wetter geschuldet - es wäre ein bedenkliches Zeichen des Geisteszustands der Leserschaft, wenn ihnen bei diesem Bombenwetter nicht manchmal was Besseres als Blogs lesen einfallen würde. Es gibt etwas weniger Kommentare, aber im Schnitt etwas gehaltvollere Debatten. Die Verlinkung hat nachgelassen - wohl eine Folge davon, dass vielen Bloggern zu den neuen Themen nichts einfällt. Kein Problem, im Gegensatz zu manch anderen schätze ich die Bedeutung der Verlinkung in der Blogosphäre ohnehin nicht als besonders wichtig ein. Echte Relevanz entsteht meines Erachtens durch die schwer analysierbare qualifizierte Leserschaft. Die Leute, die so oder so kommen, und nicht, weil es gerade modern oder Hype oder Skandal oder die durch Kleinbloggersdorf getriebene Sau oder verlinkt ist - btw, einen Link beim Neuköllner Schrottquellenverbreiter zu bekommen ist ähnlich relevant wie ein gekritzelter Name an der Wand eines Autobahnklos.

Qualifizierte Leserschaft: Etwa drei Viertel der Leser lassen sich aber weder durch längere Texte noch durch geänderte Zeiten oder neue Themen oder meine Abwesenheit oder das Fehlen von Krawall davon abhalten, das hier zu lesen. Sie kommen einfach so, egal wann und wie ich schreibe, auch, wenn es mal komplex ist oder einfach nur arroganter Scheiss - und das entspricht schon wieder eher meiner Vorstellung von einem Punkrock-Schuppen. Und wenn das so ist, kann ich auch mit dem immer noch recht hohen Traffic leben.

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Freitag, 1. Juli 2005

Sehr zu empfehlen - Jan Graf Potockis Sierra Morena

Die Zeit um das Ende der napoleonischen Herrschaft scheint eine grosse Zeit für Autoren gewesen zu sein, die eine Verpflichtung empfanden, mit einer Kugel in den Kopf ihrem Dasein ein Ende setzen zu müssen. Nachdem Modeste schon auf das traurige Schicksal Kleists hingewiesen hat, möchte ich nicht darauf verzichten, einen anderen Selbstmörder dieser Epoche vorzustellen: 1815 erschoss sich in seinem letzten kleinen Hause der dem Wahnsinn verfallene Jan Graf Potocki, der Legende nach mit einer silbernen, geweihten Kugel, denn er hatte Angst, ein Werwolf zu sein.

Ein wahrhaft erstaunliches Ende für einen grossen Aufklärer. Potocki war ein polnischer Adliger, der seine Bildung, seinen Stil und seine literarischen Vorbilder vor allem im Frankreich der Diderots, der Voltaires, der Le Sages und der Mirabeaus suchte. Er war Diplomat, Forscher, Universalgelehrter, Reisender, und nebenbei auch noch Verfasser eines Buches, das neben den Gefährlichen Liebschaften und der Philosophie im Boudoir in den Zeiten der französischen Revolution die Epoche der Aufklärung noch einmal in allen Facetten zusammenfasst: Die Abenteuer in der Sierra Morena, ein Buch, das in keiner neu zu errichtenden Bibliothek fehlen darf.



Was Potocki über de Sade und Laclos erhebt, ist der Verzicht auf die allzu starke Konzentration auf Sex; vielmehr vermengt er die unterschiedlichen Methoden der Aufklärungsliteratur zu einem stimmigen, auf über 800 Seiten höchst charmanten und unterhaltsamen Roman. Gespräche, ineinander verschachtelte Rahmenhandlungen, kurze Exempla und gelehrte Disputation wechseln einander ab, verwoben in eine Mischung aus Schelmenroman, Abenteuergeschichte und Novellenzyklus. Ganz nebenbei vermittelt er Philosophie und Freidenkertum, erklärt die Sinnlosigkeit und das Versagen von Religionen und Moral, und entwirft eine leichte, delikate Ethik der Freude, irgendwo zwischen Epikur, Aristipp von Cyrene und einem lebensbejahenden Hedonismus.

Vor dem Leser wird eine Schatzkammer an schillernden Personen ausgebreitet, das Helden und Schurken umfasst, leichtsinnige Frauen und schwerdumme Betschwestern, stolze Herzoginnen und verdammte Giftmörderinnen, Räuber und Bischöfe, Meuchelmörder und Ordensritter, Geister und Kabbalisten, Liebende und Heuchelnde, Vizekönige, Scheichs, Juden, Christen, Schiiten, Sunniten und Atheisten, den ewigen Juden und zwischen all den Schichten ein unendliches Gestrüpp von Hass, Gier, Liebe, Treue, Verrat, Freundschaft und niedrigster Heimtücke. Nichts ist diesem vorgeblichen Bericht über 66 Tage in der Sierra Morena aus der Feder eines gewissen Alphonso van Worden fremd.

Potocki hat die Aufklärung nicht so konsequent und radikal auf die Spitze argumentiert wie de Sades Boudoirphilosophie, und seine verschachtelten Geschichten sind bei weitem nicht so raffiniert wie Laclos Liebschaften. Er ist nicht radikal neu und besinnt sich aller von ihm geachteten Vorgänger. Dennoch, trotz der vielen Zitate, für die man sich bestens in der Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts auskennen sollte, ist das Buch jedermann leicht verständlich. Es hinterfragt den abendländisch-christlichen Unwertekanon, umtänzelt mit feinem Florett die staubigen Lügen und Vorurteile der Kultur des Hasses und der Lügen, und versetzt dem Moloch - gegen den zu kämpfen auch heute in Zeiten von Volksbibel und geistlosem Papismus, von Merkel und Stoiber jedem aufgklärtem Menschen ein Anliegen sein sollte - viele kleine, tödliche Stiche in den stinkenden Eingeweide, so dass am Ende nichts zurückbleibt als ein helles Rokokolachen der Ethik über dem faulenden Kadaver der Dummheit.

Ich denke, wer in den Urlaub fährt, vielleicht sogar auf den Spuren einer Grand Tour in den Süden wandelt, sollte sich die drei Bücher besorgen und auf dem Weg lesen. Laclos erklärt vorbildhaft, wie einfach man sich den ewigen Mysterien der Frauen und Männer gewinnbringend nähern kann, de Sade gibt das nötige Wissen für eine Nacht der Freuden, und Potocki kann das ethische Rüstzeug für ein aufgeklärtes Gespräch am nächsten Morgen liefern.

Ich wage zu behaupten, dass Kenner dieser drei Werke eigentlich keine schlechten Menschen sein können. Und ja, natürlich ist es kein Zufall, dass mein Roman so viele Kapitel hat, wie Potockis Roman Tage.

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VW-Skandal? Find ich super!

Na da schau an: Möglicherweise Schmiergelder bei den Zulieferern von VW. Ausgerechnet. Ein Stück fast normale Wirtschaft, von der ich ja privat eine gar nicht so schlechte Meinung habe. Kartelle, Preis- und Regionalabsprachen sowie relativ feste Preise sind die nicht immer schlechten Folgen - wer mal erlebt hat, wie superbilliger Stahlbau mit italienischem Eisen und drei billigen Subunternehmern mit 2 Euro Jobbern aus dem Balkan nach 10 Jahren aussieht, versteht vielleicht, was ich meine.

Nun also VW. Hehe. Ausgerechnet. Wo die doch 2001/2 mit ihren tollen Geschichten über ihren internen b2B-Marktplatz die sterbenden Dotcom-Gazetten beliefert haben. Das sei alles so grossartig transparent, das helfe, die Kosten zu minimieren, wenn sich die Zulieferer eine virtuelle, unpersönliche Preisschlecht um jeden Auftrag liefern müssen. Wie fanden das die Hypeschreiber nicht toll, endlich mal ein funktionierender Marktplatz, wie haben sie gejubelt...

Und jetzt scheint das zumindest teilweise nur Humbug gewesen zu sein. Ich sag´s ja immer: Transparenz und vollkommen freie Märkte sind Gift für den Standort Deutschland. Es ging lange Zeit ohne den virtuellen Krempel, und men hat ihn auch nicht wirklich gebraucht. Die spannende Frage ist nur, wie Bestechung eigentlich an diesem angeblich bombensicheren System vorbei passieren kann... und warum man das überhaupt angeschafft hat, wenn es noch immer über das klassische Famiglia-System abgewickelt wurde.

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Freitag, 1. Juli 2005

Niemand hat es ihnen erzählt.

Was das ist, New Journalism. Maxim Biller kennen sie auch nicht, und Tempo ist ihnen kein Begriff. Vielleicht sowas wie MAD? Hunter S. Thompson sagt manchen vage etwas, und erst, als ich hier Fear and Loathung in Las Vegas erwähne, schnackelt es bei manchen. Das ist hart.

Irgendwas läuft in diesem Studium falsch. Diesem Studium, aus dem die Leute hervorgehen sollen, die ich später mal bewerten muss, deren Artikel bei mir landen. Natürlich ist Kommunikationswissenschaft eine Wissenschaft, in der es um Dinge wie Leserverhalten und Rezeptionsgewohnheiten geht. Und noch ein paar anderes Sachen, die aus keinen einen vernünftigen Schreiber macht. Aber so ein klein wenig Ahnung von der Revolution, die die 100 Zeilen Hass bedeutet haben, wäre den Leuten hier schon angemessen.



Es geht noch nicht mal um Blog oder Journalismus. Es geht nicht um Online-Werbung, Traffic und Marktpenetration. Es geht um die Freiheit, unmittelbar das zu tun und zu schreiben, was man will, im Gegensatz zu den zurchtgestutzten, kastrierten, Halbwirklichkeiten erlügenden Medien, diesem Drecksmoloch, dieser stinkenden Jauche der 4. Vergewaltigung, in der es nur noch wenig Raum gibt zwischen den Hirnficks der Zeit- und FAZ-Fäuletons und dem Infotainment-Rülpsern der RTLII-News, wo die Radischs und Schirmachers dieser inzestuös egoschwanzlutschenden Welt jeden Spass, jede Freude, jede Nichtsinnüberladenheit die Existenzberechtigung absprechen und auf der anderen Seite nur das gebracht wird, was Quote und Product Placement Fees bringt.

Dazwischen muss etwas neues entstehen, schnell, echt, subjektiv ehrlich, impulsiv und auf Augenhöhe mit den Lesern. Man kann es Blogs nennen, man kann über eine Renaissance des New Journalism debattieren, solange nur dem Infoabschaum und seinen obszönen Bizzrülpsern und PR-Stinkern etwas entgegengesetzt wird. Dass sie auch längst auf der anderen Seite versuchen, ihren Dreck zu verbreiten, liegt in der kranken Natur ihrer verkommenen Ekelbranche, aber ich denke nicht, dass sie ausser ihresgleichen Publikum dafür finden werden.

Im Limbo, in der Entwicklung noch darunter sind die Nachwachsenden, und sie haben die Freiheit, sich neben der Verwertung noch was anderes aufzubauen. Den vorgekauten Müll in ihrer privaten Publizistik beiseite zu lassen, über sich selbst zu schreiben oder was immer ihnen gefällt. Die Gargantua-Dimensionen der freien Form ausprobieren, ihre eigene Sache zu schaffen. Sie haben auch die Freiheit, es bleiben zu lassen, klar. Nur weil der eine will, muss der andere noch lange nicht. Und kann weitermachen mit dem Dienst nach Vorschrift, gerne auch mit 20 unbezahlten Überstunden.

Zu dumm nur, dass sich die Leser keine Vorschriften machen lassen. Da helfen auch keine Überstunden. Vielleicht hilft ihnen irgendwann auch einfach der Leidensdruck bei der Entscheidung. Früher musste man den als Journalist ertragen; heute kann man sich wehren. Blogs haben nichts zu verlieren – die Medien dagegen alles, ihr Monopol, damit ihre einzige Existenzberechtigung, ganz gleich, welche beknackte Jury der Bildergänzung Spiegel Online welche Preise verpasst.

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Mittwoch, 29. Juni 2005

Ficken in Zeiten der Bruthitze

Aus der Abteilung relevante Fragen, die niemand öffentlich stellt. Wo fickt man mit der neuen Eroberung bei mehr als 30 Grad?

Im Bett? Zu heiss, schlecht wegen der Schweissentwicklung jenseits von Blümchensex.

Auf dem Teppich zwischen zwei geöffneten Fenstern? Kurzfristig ok, langfristig zu hart und etwas niedrig.

Auf der neuen Klavierbank zwischen den Fenstern? Viel zu klein für längerfristige Aktionen. Auch nicht wirklich weich.

Trotzdem Bett und dann Dusche abwechselnd? Zu abgehackt, schräger Rythmus.

Auf der Dachterasse? Halbwegs blickdicht und kühl, aber schlecht bei Geräuschentwicklung.

Im Keller? Ich habe auch noch einen Keller aus Jurabruchsteinen, in dem früher Bier gekühlt wurde. Da hat es immer unter 20 Grad, niemand hört dich schreien: Leider ist das auch unvermeidlich, sei es nun wegen der Spinnen, den Ratten oder einfach dem Grabstein, den jemand mal hierher gebracht hat. Der dann auch als Unterlage herhalten müsste, auf dem Boden liegt der Schutt der Jahrhunderte.

Schwierig.

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Die Bäckermeistersgattin, der Autor, seine Kamera und ihr Verbleib

Du verlierst am Samstag deine Kamera beim Einkaufen in Berlin. Du lässt sie irgendwo offen liegen, denkst nicht mehr daran, gehst weiter, und erst, als Du am Abend zu Hause bist, fällt dir auf - sie ist weg. Am nächsten Montag machst du eine Tour durch alle Läden, fragst, bettelst, hinterlässt deine Telefonnummer, aber niemand kann sich an dich oder gar die Kamera erinnern. Du bist verzweifelt. Weniger wegen der Kamera, die nur zum Rumschleifen da war, als vielmehr wegen der darin befindlichen Karte. Es gibt da ein paar Bilder, von denen du keinesfalls willst, dass sie jemand sieht. Oder gar blogt. Du wartest zwei Wochen, zum Glück tauchen nirgendwo Bilder irgendwelcher Geliebter auf, aber zu deinem Pech bleibt die Kamera verschwunden, egal wie oft du bei den Läden anrufst. Wahrscheinlich steht das Ding längst irgendwo bei einem An- und Verkauf, und die Bilder machen die Runde bei einem Amateurbild-Zirkel. So ist das in Berlin.

Zum Glück vergisst du deine Kamera beim Bäcker in der Provinz. Du bemerkst es nicht, aber ein anderer Kunde sieht sie und gibt sie der Bäckermeistersgattin. Die weiss, dass hier nur wenige so neumodisches Zeug haben, und hat dich schon öfters mit so einem Ding gesehen. Naja, der war ja auch eine Weile in Berlin, unvorstellbar... Sie weiss natürlich, wer du bist und wo du wohnst. Also nimmt sie eine Rechnung, auf der ihre Telefonnummer noch als "Fernruf" steht, schreibt das hier drauf,



schickt eine Verkäuferin bei dir vorbei, die erst klingelt, und als du nicht da bist, den Zettel in deinen Briefkasten wirft. Du findest ihn um sieben Uhr, noch bevor du deine Kamera vermisst hast. Natürlich macht die Bäckermeistersgattin nochmal für dich auf und freut sich, dass sie es erraten hat. Du bist dir sicher, dass sie keines der Bilder gesehen hat, das Aufschluss über das skandalträchtige Liebesleben einer geschiedenen Tochter eines besseren Clans der kleinen Stadt geben könnte.

So ist das in der Provinz, wo jeder jeden kennt, besonders, er aus der richtigen Schicht kommt. Das ist die gute Version des menschlichen Abgrunds, der sich beim Pausenprosecco der hiesigen Konzertvereinigung auftut. Für die dich deine Eltern wieder angemeldet haben, aber das ist eine andere Geschichte.

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Dienstag, 28. Juni 2005

Ein Schild und seine Geschichte

Nach so vielen Dirt Pics und Photos von gescheiterten Fond-Immobilien hier mal ein Bild, das so oder ähnlich wahrscheinlich nur wenige Leser in Realität gesehen haben dürften:



Das ist kein Druckfehler, kein Photoshop, sondern nur eine nicht atypischer Erscheinung bei gewissen Modehäusern einer kleinen Boomtown - wer mehr wissen will, warum und wieso, einfach auf´s Bild klicken.

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8 Jahre ohne Internet

Und ohne Telefon. Das klingt jetzt vielleicht komisch für jemanden, der nur im Internet zu existieren scheint. Aber tatsächlich hatte ich in der kleinen Stadt, in der ich so zwischen 1/5 und 1/2 des Jahres und meist den ganzen Sommer verbringe, weder Telefon noch Netz. Ich rufe sowieso niemanden an, und es ist manchmal ganz gut, täglich nicht mehr als eine Stunde vor dem Netz zu hängen. Das geht, das geht locker, und hier spielt das Netz keine Rolle. Fax ist den Leuten allemal lieber, und am besten ist immer noch persönlich vorbeischauen, auf einen Ratsch, oder, wenn es Karten für den Konzertverein betrifft, eine kurze, förmliche Visite mit Vorführung der neuen Versace- ode MiuMiu-Kollektion. Internet homma ned. Sogar die Elitessen lernen hier noch mit Karteikarten, selbstbeschrieben.

Nur zwingen mich nun familiäre Verpflichtungen zu einem normalen Telefonanschluss, und da nehme ich halt auch gleich noch DSL Flat dazu. Eigentlich nur, weil auch noch andere im Haus das wollen, na gut, dann soll es eben sein. Und ausserdem können meine Eltern dann wieder dauerhaft ans Telefon, ohne dass ich es mit dem 56k-Modem bei ihnen daheim blockiere. Das sind, genau genommen, die familiären Verpflichtungen - der Wunsch, sich immer und jederzeit mit anderen stundenlang über das verkorkste Haus da hinten vom Sohn vom reichen ***** auszutauschen, der wohl zu viel "Vom Winde verweht" gelesen hat.

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Dienstag, 28. Juni 2005

Sehr zu empfehlen - Nachhaltigkeit

Der Journalist, der Berater und der Restaurator eines alten Hauses haben einiges gemeinsam: Sie wollen, wenn sie gut sind, wissen, was dahinter steckt. Das ist meist nicht einfach: Der Journalist wird ununterbrochen belogen, verarscht und betrogen; der Berater erlebt, wie die Schuld von einem zum anderen geschoben wird, während die Verdienste gehortet werden, und nur der Restaurator hat es mit einem Objekt zu tun, das seinem Auge nur wenig verbergen kann.

Allen dreien wird natürlich suggeriert, man habe nachhaltig gedacht, gearbeitet und gewirtschaftet, ganz gleich wie übel der Skandal, wie vergeblich jeder Rettungsversuch ist oder wie morsch es hinter der Fassade. Im schlimmsten Fall war man seiner Zeit vorraus und deshalb wäre es in Zukunft fraglos nachhaltig gewesen. Einem alten Haus ist die Zukunft egal, es hat schon viel Zukunft kommen und gehen sehen, in seinen Mauern wurde viel Unsinn erdacht und zu wenig Freude am hier und jetzt empfunden, und für wenige Häuser nördlich der Alpen trifft das mehr zu als dasjenige, für das der Verfasser dieses Blogs gerade all seine anderen Tätigkeiten zurückstellt. Dieser alte Brummer hier hat Aufklärer erlebt und Fanatiker, bei jedem Fick im Gebälk erschaudern die Geister von Generationen hier vielleicht noch hausender jesuitischer Memen, seine Bohlen haben junge Freidenker getragen und tote Völkermörder, und heute war es dann so weit: Wie sehen diese Bohlen eigentlich aus? Sind sie auch nach 405 Jahren noch nachhaltig?

Unten, in den vornehmen Stockwerken der Professores und ihrer Bibliotheca voller Abartigkeiten und Hass, später dann der Privatiers und Offiziere, war alles in Ordnung, doch hier oben, 15 Meter über der kleinen Stadt, war nur der Speicher. Wer weiss, ob man da nicht geschludert hat und gespart, ob hier die Zusammenarbeit zwischen hiesigen Zimmerleuten und welschen Baumeistern nicht geklappt hat, viele böse Überraschungen kann es da geben, in Würzburg, Pommersfelden, das Altmühltal hinunter bis ins Voralpenland erklingen in den oberen Geschossen die Schmerzensschreie der Besitzer, weil Feuchtigkeit, Schlamperei, billiges Material und der Holzwurm selbst Dachstühle des späten Barocks zu einer schwammigen, instabilen Masse hat werden lassen. Schräg gegenüber haben die Asams in dem damals zu diesem Komplex gehörenden Oratorium ein Dach hingepfuscht, das nach nur 250 Jahren kurz vor dem Einsturz stand. Das üben wir nochmal, Herr Asam. Wie auch immer, bleiben wir bei dem Unseren, weg mit dem Belag auf dem Boden, und:



Schön. Was sich schon weiter unten angedeutet hat: Intakte Balken aus dem Jahr 1600. 30 Zentimeter breit, 4 Zentimeter dick, Schädlingsbefall minimal, Abnutzung maximal 3 Millimeter, Abstand zwischen den Bohlen nicht mehr als 4 Millimeter - das heisst, maximal 2 Millimeter Schrumpfung in 405 Jahren. Grob gesagt: Bis hier oben etwas ausgetauscht werden muss, können nochmal mindestens 1000 Jahre Säcke geschleift und gestapelt werden. 1000 Jahre, das ist eine ziemlich lange Zeit. Die wilden Sexparties, die hier oben in den 50er und 60er Jahren stattfanden (davon später mehr) waren dagegen so gut wie keine Belastung. Hier oben wurden Vorräte untergebracht, dehalb sind unter den Bohlen auch noch Träger, und die sind 30 Zentimeter dick.

Natürlich ist das Holz nicht glatt. Da sind auch Äste drin. Die Balken sind nicht immer gleich breit, und 4 Millimeter Abstand wäre nach den Massstäben eines heutigen Laminatfussbodens unvorstellbar, ein Fall für eine Reklamation. Allerdings hätte man hier oben Laminat in den letzten 405 Jahren 10, 15 mal erneuern lassen müssen. Sprich rausschmeissen, neues Laminat kaufen und verlegen lassen. Die Gesellschaft Jesu war damals eine Bande durchgeknallter Fanatiker, gegen die ein heutiger islamischer Fundamentalist ein Musterbeispiel der Aufklärung ist, aber hier haben sie - durchaus aus Eigennutz natürlich - das ihren Schäfchen abgenommene Geld für etwas Besseres als die Unterdrückung Andersdenkender und obskure Riten ausgegeben.



Auch das hat sich natürlich erhalten. Dafür brauche ich ja auch den Raum als Bibliothek. Mit einem Giftschrank für solche Sachen. Sage bitte keiner, dass die Aufklärung dergleichen hat verschwinden lassen. Das Papier, auf dem diese Worte der Niedertracht gedruckt sind, hält wie die Bohlen viele Jahrhunderte, wenn alle Computer, auf dem dieser Text gerade erscheint, und alle Leser, und diejenigen, die sich nicht entblöden, von "totem Holz" zu schwätzen, und deren Kinder und Enkel längst zu Staub und Müll zerfallen sind.

Totes Holz oder Wollreste halten nun mal besser als toter Mensch. Und Nachhaltigkeit ist manchmal eben auch nur eine Sekundärtugend.

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Besuch aus der Berliner DrogenJugendszene

Hey Alter was geht ab bei Euch? Was? Hey krasses Beileid ich schwör, aber die 6 Wochen, die sitzt Du auf einer Backe ab. Ja, is klar dass die Lieferung nicht kommt, aber darum rufe ich an Mann. Ja, weisst, ich wollt sagen dass ich das jetzt nicht brauchen kann. Was? Willst Du fette Stiefelaktion oder was? Hey ich schwör ich vertrag alles, ja, ich schluck einen ganzen Container aus Riga und so, aber jetzt... Nein, Mann, der Stoff war echt ok, keine Frage, das ist es nicht. Nein Mann hör zu ey ich schwör Du sollst zuhören ja Du führst Dich auf wie so a Friseuse aus Vockerode ich schwör ja, ich will keine Extralieferung gratis echt nicht, und es ist auch nicht persönlich. Ich bin grad beim Don.. Na beim Don Alphonso der wo früher im Wedding die geilen Deals mit dem komischen alten Zeug gemacht hat... Richtig, genau bei dem Don. Jedenfalls ist der Don jetzt im Süden und macht Urlaub, da hab ich gesagt ich schau mal vorbei und frag ob er ein paar so Degasse braucht die wo bei uns vom Laster von der Staatsgemäldesammlung gefallen sind.. ja Mann. Der Don hat für mich vorin was zusammengekocht, hey voll krasse Wirkung ... hey Don, der Matze will wissen was das war... Matze? Also, Don sagt es war fett Fettucini mit Kräutersosse wo drin war so Zeug das wo ich nicht kannte. Heisst Thymian, Rosmarin und was extra heftiges was heisst Oregano - kennst Du das Zeug? Don sagte das kommt aus dem Vorderen Orient, krasse Hisbollah-Aktion, da machen die das Zeug, aber er baut das auf seinem Dachgarten selbst an. Und das hat eine Wirkung Mann. Ich sitze hier und hab die geilsten Dinger in den Augen. Krasser Stoff. Volle Visionen. Ahhhh.



Also ciao, Matze. Und wenn ich wieder da bin, versuch mal bei Murat dieses Oregano zu bekommen. Und wenn meine Tuss Dich im Knast besucht bist Du tot ich schwör.

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