Und führe mich in Versuchung

Wer glaubt, das Internet sei ein Hort des Wissens oder der Bildung, sollte sich mal mit einem Thema wie dem Manierismus der zweiten Schule von Fontainebleau auseinandersetzen. Oder ganz generell mit dem Einfluss der französischen Hofkunst auf die Flamen des 17. Jahrhunderts. Ein grosses, wichtiges Thema. Das Netz weiss nicht mehr, als ein x-beliebiges Kunstlexikon vom Ramsch. Die Suchfunktionen bringen nichts, Null, Nada, und Wikipedia ist ein schales Infobröckchen.

Und trotzdem hänge ich seit Wochen in jedem freien Moment im Netz über dieser Frage, suche nach Vergleichen, die ich nicht kenne, denn nichts anderes findet in meinem Kopf Platz. Schon seit Monaten. Seit Monaten denke ich an ein Paar aus dieser glanzvollen, grausamen und niederträchtigen Epoche, an einen Moment das Ruhe, der Zuneigung und der Liebe, eingefangen vor 400 Jahren und auf ein Stück Holz gebannt. Dann wohl lange vergessen, irgendwo im Dunkeln aufgehängt und jetzt bei einem Kunsthändler gelandet.

Da hängt es jetzt schon seit einem halben Jahr. Ich bin zufällig drübergestolpert, als noch nicht mal sicher war, dass es zu verkaufen ist. Dann stand ein Preis im Raum, der meine für Hofkunst etwas bescheidenen Mittel sprengen würde wie eine Kanonenkugel der Bartolomäusnacht einen Haufen Hugenotten. Dann kamen da viele vorbei, von denen ich sicher war, dass sie es kaufen würden; es gibt nicht oft die Gelegenheit, in Deutschland so etwas zu erwerben. Vielleicht haben die ihr Wissen nur aus dem Netz; jedenfalls blieb es zu meiner grossen Überraschung liegen. Und jetzt ist der Preis in Regionen, die es mir tatsächlich gestatten, darauf ein Gebot abzugeben. Ob es angenommen wird, weiss ich nicht.

Vielleicht liegt es am Sujet. Wer sich auskennt, weiss um die lockeren Sitten der Zeit, in der die Ehe dynastischen Überlegungen und der Sex einer für heutige Vorstellungen unfassbaren Promiskuität geschuldet war. Die Körperlichkeit der Kleidung, ihr Reichtum und die Offenheit der Gesten verraten alles, und das passt schlecht zur toitschen Vorliebe für kernseifesaubere Riemenschneider-Madonnen und die verklemmte Sexualität der Rokoko-Putti. Die Geisteshaltung der Dargestellten, für die ein fronverweigernder Bauer nur ein Stück Vieh war, das man zwischen amurösen Abenteuern abschlachtete, möchte ich mir keinesfalls zu eigen machen. Das Bild ist nur im Geschlechtlichen aufgeklärt und offen, aber allein die vibrierende Erotik kurz vor der Annahme des Liebessymbols macht es begehrenswert. Man beachte die Haltung der Finger und der Körper, die Lage der Hände, die Berührung, das sanfte Streicheln, die Blicke, diesen immer gleichen Moment zwischen Hoffnung und Erfüllung, der uns über die stinkenden Kleingötter und ihre Veführung von Fron, Ausgezehr und Entsagung erhebt.

Sonntag, 3. Juli 2005, 16:45, von donalphons | |comment

 
die kunstgeschichte ist eine der letzten google jungfern. ähnlich verhält es sich bei der suche nach informationen über designklassiker wie dem ersten mart stam freischwinger von 1926. spärlich spärlich...

ein ansatz wäre die belser stilgeschichte in 5 bänden. ein standartwerk in den meisten bibliotheken verfügbar. gibt es auch als cd-rom version (welche ich selber noch nicht benutzt habe).

für einen praktischen überblick, mit den wichtigsten verbindungen und biographien, reicht die reclam kunst-epochen reihe. leider spärlich bebildert...

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Man muss zugeben, dass auch die deutsche Kunstgeschichte der Zeit um 1600 nicht den Platz einräumt, die sie verdienen würde. Zum Glück kann ich in München auf eine gute Blbliothek zurückgreifen.

Übrigens: Alles, was mit Archäologie im Sinne einer Wissenschaft und nicht eines Infodrecksrülpsers bei SPON zu tun hat, ist auch höchst selten im Netz anzutreffen.

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die fingerstellung, besonders bei dem mann, ist ja -um das deutsche kifferwort nummer eins zu benutzen- krass!

ist das bild irgendwie verkleinert oder geschnitten?
bei der frau kommt es mir eher so vor, als ob sie sich vom manne weg lehne, also eigentlich gar nicht will.

das koennte dieses weibliche "nein, ich mag nicht" kurz vorm "nimm mich und zwar sofort" sein, aber kunsttechnisch wird dieses wegneigen eigentlich immer als Negativsymbol benutzt.

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Zu Hülf
Vielleicht könnte Dir Dr. Carsten-Peter Warncke vom Seminar für Kunstgeschichte der Uni Göttingen da weiterhelfen (Telefonbuch).

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@ bizwriter - nun hält er ihr aber das Blümelein unter die Nase. Auch die für die damalige Zeit etwas zu auffällige Tracht weist darauf hin, dass die Dame nicht ganz Unwillens sein dürfte. Der Mann drückt übrigens desweiteren mit seinem dick ringbewehrten, abgespreizten kleinen Finger aus, dass er durchaus bereit ist, luxuriösere Geschenke zu beschaffen. Bezeichnenderweise ist der Ring auf der gleichen Blickebene der Frau wie die Blume - was sie sieht, ist nicht genau zu sagen. Auch sein Schwert lässt gewisse Interpretationen zu.

Die Dame, das ist auf dem Photo nicht erkennbar, sitzt auf einem Klappsessell, daher die Haltung. Ich denke, die Art, wie sie auf den Uterus deutet und ebenfalls schon die Finger der linken Hand spreizt, sagt ebenfalls einiges aus.

Insgesamt ist es sicher im oberen Bereich der damaligen erotischen Darstellungen angesiedelt. Gut, Hans von Aachen wurde deutlicher, am Hofe Rudolfs gab es derbere Stücke, aber der nackert-penetrative Zeitgeist, dem der Palazzo Te seine Ausmalung verdankt, war damals schon vorbei. Man denke nur mal an den Skandal, den die in etwa zeitgleichen Lascivi von Carracci angerichtet haben. Recht viel mehr ging in der Zeit der Rekatholisierung nicht.

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Und was mich an der Handhaltung so augesprochen fasziniert ist, dass das Bild damit einer der Vorläufer "Beim ersten klaren Wort" von Max Ernst ist, der das Sujet keusch umdreht - sollte das jemals geklaut werden, so bin ich sicher einer der potenziellen Täter - wie auch bei dem hier.

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Oh, Max Ernst-Experte?

So einen suche ich gerade. Und zwar um diese Postkarte (http://fx3.org/blog/pix/050421_femme_femme_02.jpg) aus Godards “Une femme est une femme” (1961) zuzuordnen.

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Spätwerk, würde ich sagen - Ich werde gleich nachher mal in die Monographie schauen...

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Tja, warum findet Google nichts? Vermutlich doch, weil nichts da ist, was man finden kann. Der Premium-Content (hi, hi :-)) müßte von Fachleuten erst einmal ins Netz gestellt werden.

Das dem Netz oder Google anzulasten finde ich etwas merkwürdig. "Garbage in, garbage out" lautet ein alter Spruch in der Informatik. Solange die Fachleute das Netz nicht entdecken, bleibt es genau dabei.

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