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Donnerstag, 29. Januar 2009

Der bezaubernde Berg

Vor fast genau einem Jahr war ich am Tegernsee, habe mir die Wohnung angeschaut und gesagt: Die ist es. Es gibt Entscheidungen, von denen weiss man einfach, dass sie richtig sind. Und obwohl "billig" nicht das richtige Wort für den Kauf war, gab es keinen Augenblick des Bedauerns.



Was mir hier aufgefallen ist: Ich kann besser nachdenken. Besonders, wenn ich den Berg vor dem Haus besteige. Inzwischen kenne ich hier oben jeden Stein und alle Sträucher, es ist immer noch schön, die Luft ist sensationell gut, und besonders in den Tagen nach frischem Schneefall fühle ich mich wie inmitten einer Grisaillemalerei der burgundischen Hofschule um 1410, man lese nach bei "Der Herbst des Mittelalters".

Es ist seltsam, was einem in dieser grandiosen und fremdartigen Welt so alles einfällt. Ich suchte nach einem Ansatz, nach etwas, woran man eine Idee aufhängen konnte, aber es ist nicht so einfach am See, wo man nicht viel wirklich Nachhaltiges erlebt. Die naheliegenden Dinge - Ausrutschen auf dem Eis unter dem Neuschnee, Knochenbruch, Erfrieren - sind nicht so angenehm, aber die Gedanken schweifen, und die Erinnerung...

Das war 2004. Im April. Da hatte ich einen Termin in München, zu dem ich aus Berlin anreiste. Mein Gegenüber war einer der bekanntesten Vertreter der Private Equity Branche. Manche halten ihn für ein Genie, und tatsächlich gehen auf sein Konto einige Husarenstücke, die man bewundern kann, wenn man BWL studiert und hofft, später mal nicht als Sachbearbeiter zu enden. Die Streiche hatten meistens ein dickes Ende für seine Geschäftspartner, aber er verliess die Trümmerfelder ohne jeden Kratzer, um neu zu beginnen und andere Bereiche in Schutt zu legen. Was ich an ihm bewundert habe, war seine Enthaltsamkeit - niemand, der ihn nicht kannte, hätte diesen zurückhaltenden Menschen auf seinem gebraucht bei Ebay gekauften Bürostühlen als das eingeschätzt, was er war - und die Kunst, in einer Welt zu überleben, in der alle anderen zum Sterben verdammt sind. Die Fähigkeit, der eine zu sein, der immer davonkommt, sich den Staub vom Anzug wischt, sich an den Rechner setzt und das nächste Projekt angeht, ohne eine Sekunde der Unsicherheit.

Wir sassen also auf den nicht allzu geschmackvollen Stühlen mit dem zerkratzten Leder und sprachen über GmbH-Gründung in Deutschland, und die Bürokratie und ihre Unzumutbarkeit für Firmen. Warten Sie, sagte er, ich muss Ihnen etwas zeigen. Er stand auf, ging zu einem Aktenschrank, und holte einen Bündel Papiere heraus. Das sei allein schon der Papierwust, den ihm der Staat zumute dafür, dass er nur einen Gärtner auf Minijob-Basis beschäftige. Damit müsse er sich auseinandersetzen. Damit. Und das. Und hiermit auch noch. Jenes müsse er nachweisen. Für einen Minijob. Das auch noch. Das dauere. Und es dauerte auch. Er redete sich in Rage über die Ineffektivität des Systems, das ihn zwinge, sich mit sowas auseinanderzusetzen.



Da war also jemand, den man getrost als Superreichen bezeichnen konnte. Jemand, zu dem man praktisch keinen Zugang bekommt, der drei Schichten Untergebene hat, um mit aufdringlichen Schwätzern und nervenden Kunden umzugehen. Eine Person, die sich perfekt abschirmen kann, aber dann... Da gehen einem so Sachen durch den Kopf. Warum machen sie es nicht einfach auf Rechnung? Warum ein Minijob? Wegen der paar lumpigen Euro? Ich kannte - was nicht schwer war, er hatte es auch gegenüber den Medien nicht verheimlicht - in etwa sein Vermögen: In der halben Stunde, die er wie ein Tier im Käfig durch das Büro lief, verdiente er durch Zinsen auf sein Vermögen mehr, als sein Gärtner im ganzen Jahr.

Am Ende wurden wir wegen eines seiner Untergebenen nicht das, was man als "handelseinig" bezeichnen könnte. In all den Stunden bei ihm habe ich trotzdem so einiges gelernt, und ausserdem fast fünf Jahre später die Idee, an der sich alles andere entwickelt. Es hat sich für mich gelohnt. Ich bin im Zauberwald. Und er vergeudet seine Lebenszeit vielleicht noch immer sinnlos über ein paar Formularen.

(Diesmal habe ich sogar ein Video von einem Teil der Abfahrt. Mal schaun, ob ich es hoch bekomme)

Edit:



Sehr langsames owirutschn, weil der Neuschnee die Strecke sehr ausgebremst hat - man sieht ja, wie die Kufen im Schnee versinken. Allerdings konnte ich wenigstens die Kamera in der linken Hand halten. Wenn ich da normalerweise über dem blanken Eis runterwildschweine, wäre die Filmerei nicht zu empfehlen. Die Strecke ist in etwa der Waldweg auf der Karte.

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Mittwoch, 28. Januar 2009

Ich erhebe hiermit Anspruch auf die Schöpfung

des Begriffs

"World Economic Scrotum", wahlweise auch "World Economic Skrotum". Wir sind zwar bekanntlich alle Graubündner, aber noch lang nicht in Davos.

Und für alle anderen hat die New York Times einer herz-zer-reissenden Beitrag über die schweren Leiden der Frauen und Freundinnen erfolgloser Banktypen.

Edit: Die New York Times ist einem Fake aufgesessen - ich damit bedauerlicherweise nicht minder.

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Die passende Tasse Tee

Wie man weiss, konnte ich am Wochenende nicht widerstehen, und habe mehr gekauft, als sinnvoll gewesen wäre. Zumal sechs einzelne Teller, so hübsch sie auch sein mögen, kaum zu verwenden sind.

Wie es nun aber das Schicksal haben wollte, kam am Wochenende auch ein lang ersehntes Paket an, voller Limogesporzellan, mit goldener Bemalung und rosa Blumengirlanden. Auch etwas, das ich unbedibgt haben musste, obwohl es ein reines Kaffeeservice ohne Teller war. Und nun stellt sich heraus, dass die Teller ohne Tassen gar nicht so schlecht zu den Tassen ohne Teller passen.



Dazu ein Stück Kuchen aus einer feinen, alteingesessenen Konditorei, und noch etwas anderes, dessen kulturgeschichtliche Einordnung vom Berge Sinai bis zu modernen Steuerkriminellen sich bei der FAZ findet. Noch etwas Arsen in den Tee?

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Dienstag, 27. Januar 2009

SUVs verbieten: Das beste aller Konjunkturprogramme

Gut, nicht gleich verbieten. Aber eine knallige Sondersteuer auf diese Dreckschweine der Landstrasse, auf den Abschaum, auf dem der CEO rutscht, für die Cretins der Geschäftswagenbetrüger. Hier am Tegernsee sind so viele rollende Scheisshaufen unterwegs, dass es allein schon aus ästhetischen Gründen eine dringende Aufgabe der Politik ist, jedes dieser Monster jährlich mit, sagen wir mal 7.000 Euro zu belangen. Wenn sie diese optische und umweltfördernde Abgabe zahlen, sollen sie damit weiterfahren dürfen - mit dem Aufkleber "Ich bin ein Volldepp" auf der Heckklappe.

Und wenn nicht? Dann sinkt der Blechhaufen auf praktisch Null. Vielleicht kann man sie an die Brüder im Geiste verkaufen: Russische Oligarchen mit Finanzproblemen, ölpreisgeschüttelte Saudis oder Analphabeten aus Dresden, dem bayerischen Wald und Österreich. Ja, die Besitzer hätten einen knalligen Wertverlust zu verschmerzen. Aber nachdem SUV-Fahrer zu 99,99645% exakt die Grosskotze sind, die der Hype vor der Krise hervorgebracht hat, ist es nur gerecht, wenn sie jetzt auch automobil zurückgestutzt werden.

Von einer Wertvernichtung kann man hier nicht sprechen: Auch Atomraketen, Kernkraftwerke und Politiker werden nicht benutzt, bis sie auseinanderfallen, sie werden trotz mancher Lobbyistenträne zerlegt, rückgebaut und in Brüssel eingelagert. Das Ende der SUVs beschleunigt dafür die Produktionszyklen, ja, wir dürfen durch die allradentriebene Kastration schlechter Fahrer - kein echter Automobilist würde sich mit so einem Bleianker abgeben - mit Hoffnung auf die deutsche Automobilproduktion (ohne Opel, natürlich) blicken.

Denn nach der Enthodung werden diese Leute sofort wieder Autos kaufen. Keine SUVs mehr, sondern etwas, das auch was hermacht, aber nicht so teuer im Unterhalt ist. Auf alle Fälle wird es etwas mit Prestige sein, denn wenn man schon so geschmacklos ist, ein SUV zu kaufen, ist man sicher auch blöd genug, sich in der Krise für ein Nuttenflitscherl hoch zu verschulden. Den Autobauer freut das natürlich, er kann die Produktion anheben, und nur Zyniker würden behaupten, mein Plan sei vom Umstand getrieben, dass meine Heimat dergleichen Wägen ausspuckt, wie Rüsselsheim Arbeitslose.



Der Blick vom Seecafe auf den See wird wieder frei. Die Auftragsbücher werden voller. Die Strassen werden schöner. Arschlocher riskieren eindlich wieder einen sauberen Zweiteingang, wenn sie einen Unfall bauen - und bei SUV-Vorbesitzern würde ich auch dafür plädieren, Autos ohne Sicherheitsgurte zu erlauben, was sich allerdings nicht auf die Population auswirken würde - ich jedenfalls glaube nicht, dass SUV-Fahrer noch sowas wie zeugungsfähig sind. Es gibt nur Vorteile bei diesem meinem Vorschlag.

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Empfehlung heute - Elefantendung

in braun und stinkend, wird bei Maternus ausgiebig besprochen.

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Montag, 26. Januar 2009

Gipfelsturm

1622 Meter über Null.



Grossbild

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Sonntag, 25. Januar 2009

Langsam wird es kritisch

Ja, auch mit dem Platz. Gestern etwa habe ich mal wieder die Frage "Art Deco oder viktorianisch" gestellt, und die Antwort wird mich von einer Last des Besitzes befreien, die - am besten erkläre ich das mit den Worten einer Verkäuferin aus Leeds, die auf meine Einlassung, schon 40 davon zu besitzen, mit "Wow! You must like cleaning!!" antwortete.

Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist meine zunehmende Feigheit, Dinge zu benutzen, die ich mag. Bisher waren es vor allem Familien- und Erbstücke, die ich nicht durch Unachtsamkeit verlieren will. Es bleibt so wenig übrig, man hat kein Recht, es zur Gaudi oder am Tisch mit Leuten, die keine Achtung haben, zu ruinieren. Also steht vieles in einer Vitrine und wird nie, oder nur sehr selten benutzt. Auch, wenn frühere Generationen es auch nicht nutzten; nicht aus Rücksicht, sondern aus Missachtung und Gründen der aufwendigen Reinigung. Aber jetzt gibt es einen Fall von grösserer Verachtung - und noch mehr Vorsicht.



Diese Teller sind ungefähr 200 Jahre alt und stammen laut Stempel aus einem der besten Häuser des Pariser Porzellanhandels, W. Toy in der Rue de la Chaussee d´Antin. Sie imitieren chinesische Motive der famille rose Malerei, die im 18. Jahrhundert aus China importiert wurde. Die Goldbemalung ist auf dem Porzellan und nicht eingebrannt; entsprechend sensibel muss man mit diesen Tellern umgehen. Sprich: Von ihnen essen sollte man heute noch seltener, als barockes Besteck verwenden. Der ideale Aufenthaltsort ist die Vitrine oder als Kunsthandwerksobjekt an der Wand. Nur habe ich gleich sechs Stück davon. Das hängt man nicht mal so eben auf, ein Stück mag hübsch sein, sechs Stücke sind etwas viel.

Verkauft wurden sie für 3 Euro das Stück; ein Preis, der die mangelnde Wertschätzung überdeutlich ausdrückt. Was ich mich in solchen Fällen gleich nach dem Kaufimpuls immer frage: Interessiert das die Besitzer nicht? Schauen sie nicht mal im Internet nach, was es sein könnte, bevor sie es in einem Waschkorb dem Trödler geben? Gibt es da keine Geschichte dazu? Wir befinden uns mit diesen Exemplaren in einem sozialen Umfeld, von dem man glauben sollte, es hätte Spuren hinterlassen, so sehr unterschied sich die Käuferschicht von dem, was damals "normale Menschen" ausmachte. Im Guten, wie im Schlechten. Wer immer beim Essen vor 200 Jahren die Ornamente zerkratzte, war Teil des obersten Promille der Gesellschaft. Gibt es keine Grosstanten mehr, die davon erzählen? Ist es den Menschen egal, woher sie kommen, und was früher war?



Nicht allen, natürlich - etwa denen, die keine Geschichte haben und gerne eine hätten (Achtung FAZ-Link). Ich fühle mich dann immer etwas verloren unter Leuten, die zum fetten Pelz lila Handtaschen, Schuhe und Hosen tragen und kaufen, was in den Weg kommt, und ein wenig dumm, etwas zu besitzen und es nicht verwenden zu können. Manchmal endet die Jagd über dem feuchten Boden in Pfaffenhofen im Triumpf, aber diesmal ist es eher ein gewisses Bedauern und Unwohlsein, über das ich vielleicht noch ein wenig werde nachdenken müssen.

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Sonntag, 25. Januar 2009

Aus dem Leben eines Probloggers

Als ich letzte Woche in Frankfurt war, bin ich danach noch mit Freunden unterwegs gewesen. Die ganz, ganz zahme Version dessen, was wir dort gesagt haben, findet sich jetzt formschön an der Blogbar.

(Lustigerweise sind zwei der bestverdienensten Profiblogger, die ich kenne, extrem nette und gar nicht internetkranke Werbefeinde und ausserdem der Überzeugung, dass Profibloggen nach Berliner Art nichts werden kann)

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Stahleis

Normalerweise habe ich Bilder vom Aufstieg. Aber heute wollte ich nur ankommen. Ankommen bedeutet: Volle Konzentration. Immer. Bei jedem Schritt. Jede Rampe ist ein schräges, stahlhartes Eisfeld. Die Leute tragen ihre Schlitten wieder nach unten, weil es zwischen Bäumen und Stacheldraht fast so gefährlich wie bei Verdun ist. Und mitten im Wald, auf der Alternativstrecke, ist es auch nur teilweise besser. Dafür ist es teilweise der Aufstieg in einen gefrorenen Wassersturz.



Normalerweise habe ich auch Bilder von der Abfahrt. Ich bin gefahren. Aber der Reibungswiderstand der Stahlkufen auf dem Eis ist so gut wie nicht existent. Bevor die Kamera auch nur in die richtige Position gebracht ist, ist die Geschwindigkeit viel zu hoch, um sich auf etwas anderes als das fahren einzulassen. Fahren heisst bremsen. Bremsen heisst allerdings nur die Beschleunigung reduzieren. Das Geräusch der Schuhe auf dem darunter fliegendem Eis ist wie aus einem Horrorfilm. Sobald ich den Rodel anhebe und sich die Kufen hinten ins Eis fräsen, ist es die Tonkulisse einer Autojagd über Pässe, wenn Blech auf Felsen reibt. Das dauert nur Sekunden. Hier sind es lange Minuten, sehr, sehr lange Minuten. Die Kurven nehme ich an den steilsten Stellen, damit die Fliehkraft die Kufen in das Eis drückt. Beim Aufstieg hat es eine Frau ganz aussen probiert, wo die Kurve flach ist. Das war keine gute Idee.

Unten dann das Auto. Einsteigen, anlassen, losfahren. Auf der Strasse ist kein Eis. Aber bei jeder Lenkbewegung schreit das Adrenalin, dass das Eis nicht halten könnte. Es dauert, es dauert bis nach dem Bad, bis die Vision weg ist, was eigentlich geschieht, wenn die Kufen in einer wirklich gefährlichen Kurve nicht mehr greifen. Es war heute verdammt unschön, das fünf Kilometer lange, 8% steile Eisband zwischen den Bäumen. Ankommen ist alles. Und das Geräusch habe ich immer noch in den Ohren.

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Freitag, 23. Januar 2009

Alt

Ausgegangen. Unterhalten. Natürlich nicht abgelehnt, als Leute fragten, ob hier noch Platz wäre. Die Nichtigkeit ihrer Gespräche erduldet, die Einfallslosigkeit, das Verstummen, und dann das Lauschen. Das Einmischen. Du lieber Himmel, ich bin nicht kleinlich, man muss sich nicht mit knapper Verbeugung vorstellen, zumal das "mein Vater" ohnehin unverkennbar in eine bestimmte Richtung wies. Dieses Grosstun am anderen, nachdem das eigene Gespräch versandete. Die billige Provokation. Ich habe mir über das Wesen des bayerischen Abiturs nie dünkelhafte Illusionen gemacht, aber inzwischen müssen die auf dem Niveau von Bremen angekommen sein. Studiert natürlich an der Elitehochschule. Und kennt sich voll aus. Hat alles beim Praktikum bei einem Billigkaffeeröster gelernt. Er weiss das, sie haben das in seiner Gruppe mit Leuten von der WHU besprochen, die sehen das auch so. Ich gehe heim und kann mich des Wunsches nicht ganz enthalten, sein verkorxxxtes Ego beim VZ inklusive unfeiner Gruppen ... aber das wäre nicht nett.



Iris ruft nochmal an. Wir fühlen uns hübsch alt, mit unserer Verachtung aber gleichzeitig auch sehr jung, denn so alt wie die Dummheit sind wir dann doch nicht. Mein Eindruck, dass er sie angemacht hat, war richtig, offensichtlich, weil seine modisch gesträhnte Emmentalerpiercingbekanntschaft - Drängelnachwuchs gewollt östlicher Verortbarkeit, sie nennen es Jugendkultur - mit ihrer vernieteten Plastiktasche Prada nichts entgegen zu setzen hatte. Das kennen sie, darauf fahren sie ab. Natürlich langt man auch später, im hohen Alter noch daneben, man bleibt anfällig für Angebote, das wird unvermeidlich sein, aber das macht nicht jeden unter 30 zum unwiderstehlichen Adonis, schon gar nicht mit dem Suffadernrot im Gesicht. Wahrscheinlich brüllt er jetzt in der letzten Disco auf Ossinchen ein, die sich an ihrem Piercing zupft, oder Strähnchen zwirbelt, und glaubt, das sei die grosse Welt, mit dem Affen im Keller, der den Alten mal erklärt hat, was da so abgeht, in der Wirtschaft, und danach machen sie Wiedervereinigung von zu viel Aftershave und diesem muffligen Parfum, das sicher ein teures Geschenk war und dennoch hohl wie Äther nach einer kalten Nacht auf der vergeblichen Suche nach einem Taxi riecht.

Und der heilige Burnster ist auch schon hübsch alt.

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Tanz den Lothar

Esst Euren Kuchen hebt Eure Gabeln
ab in die Vorstadt geht jetzt zu Susi und tanzt den Karl den Grossen
und jetzt den Karl den Kahlen und jetzt den Karl den Dicken
und jetzt die Langobarden und jetzt auch noch den Pippin
und jetzt Achtdreiundvierzig und die Reichsteilung
tanzt das Lotharingen, und nicht mehr das Berlin,
Tanzt den Lothar, tanzt neue Grenzen
bewegt das Geld zum Schweizer Franken
Tanzt den Lothar.

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Donnerstag, 22. Januar 2009

Nachruf

Ich habe in den letzten Tagen nicht gut und nicht viel geschrieben. Weil ich zunehmend widerwillig etwas anderes schreiben musste, was ich eigentlich hasse. Einen Nachruf für ein Buch. Wenn ich einmal sterbe, ist mein letzter Wunsch: Haltet Euer Maul, verschwindet, raus mit Euch, geht feiern, ihr könnt nichts mehr tun, ich kriege es nicht mehr mit, und irgendwann ist es auch für Euch zu spät. Alles, nur kein Nachruf.

Aber egal. Es ist ja keiner gestorben, es geht nur um eine Webseite.

Dotcomtod - wir tanzten auf ihren Gräbern

Die Geschichte von Dotcomtod ist in Jahren gerechnet kurz. Gegründet wurde das Portal für exitorientierte Unternehmensmeldungen von drei Berliner Freunden, die unter den Namen Lanu, Joman und Boo agierten, im Jahre 2001. Beteiligte täuschen sich leicht; die meisten "fühlen", dass Dotcomtod mit dem Niedergang der namensgebenden Dotcoms im April 2000 startete, aber tatsächlich verbreitete sich die Nachricht dieses Projekts zuerst auf der Fachmesse CeBit 2001, also ein Jahr nach dem Beginn der Krise des Neuen Marktes. Drei Jahre später wurde Dotcomtod wegen rechtlicher Probleme und innerer Querelen unter den Beteiligten abgeschaltet. Ein langes Dasein - war es nicht.

Aber was für ein Dasein! Dotcomtod war das erste, von Nutzern gestaltete Internetmedium, das es geschafft hat, in Deutschland der professionellen Konkurrenz über lange Zeit die Schau zu stehlen und die Kompetenz zu vermitteln, die andere nicht hatten oder haben wollten. Ein Haufen käuflicher Hypemedien zum Thema New Economy ging in diesen Jahren unter, grosse mMedienhäuser machten Millionenverluste, aber die kostenlose, nicht kommerzielle Webseite Dotcomtod hörte nicht auf, Nachrichten zu veröffentlichen, die sich sehr oft, zu oft als wahr herausstellten: Entlassungsrunden und panische Geldgeber, Pleiten und verbrannte Milliarden. Es war ein täglich geschriebenes Worst Case Szenario. Die meisten Firmen, die dort Eingang fanden, verliessen es später als knallroter, insolventer Exit, und das einzige, was von ihnen blieb, waren Erfolgspunkte für den erfolgreichen Autor, der die Pleite verkündete. Um es brutal, aber ehrlich zu sagen: Sie krepierten, damit Dotcomtod leben konnte. Es musste ihnen schlecht gehen, damit die Autoren ihren Spass hatten. Dieser gnadenlose Zugang zum Gegenstand der Berichterstattung war angesichts der sonst weit verbreiteten Unterstützung von Firmen durch die Medien einzigartig.

Im Kern war Dotcomtod noch nicht mal eine Nachrichtenseite wie sein amerikanisches Vorbild, sondern ein Spiel. Wer sich dort anmeldete, suchte sich einen Tarnnamen wie "Peter H.", "Che2001" oder "Q.". Als solcher konnte er dort Meldungen über den Niedergang von Firmen schreiben: Für eine normale Meldung gab es 20, für eine Insolvenz 100 Punkte. Ziel war es, so viele Punkte wie möglich zu sammeln, um damit auf die Topliste der besten Sentinels - so der Name der Mitglieder - zu kommen. Zu Beginn hatte Dotcomtod ein kleines Problem, weil es nur möglich war, andernorts bereits veröffentlichte Nachrichten abzuschreiben. Recht schnell wurde dann aber die Kategorie Insider eingeführt und belohnt: Von da an konnte man auch die Dinge schreiben, die nicht in den Medien standen. Die Insiderberichte machten aus einer Sammelstelle für schlechte Nachrichten die gefürchtete Hinrichtungsstelle, die der Welt sorgsam verheimlichte Schieflagen aufzeigte.

Es gab viele, die daran ein Interesse hatten. Die New Economy ging nicht in Ehrlichkeit und Einsicht unter, sondern mit einer bis dahin in der Wirtschaftsgeschichte nicht gekannten Blase aus Lügen, Verrat, Betrug und Abzockerei. Der Börsenhype hatte viele Milliarden in den Markt gepumpt, jeder wollte dabei sein, und alle hatten den Wunsch, noch schnell zu kassieren. Unfertige Firmen legten am Neuen Markt völlig überbewertete Börsengänge hin, es gab Kriminelle wie im Fall Comroad und pervers überzogene Zukunftsversprechen wie bei Intershop. Die berufliche Existenz vieler schnell angeworbener Journalisten hing davon ab, dass es mit dem goldenen Zeitalter weiter gehen würde. Die Rechnung bezahlt haben die ausgetricksten Kleinanleger, die ausgebeuteten Praktikanten, die Angestellten, die auf vermeintliche Berufe der Zukunft gesetzt und damit eine sichere Anstellung verloren hatten. Die New Economy erschuf ein Ungleichgewicht beim Reichtum und der Wahrnehmung der Realität. Manche hatten einfach keine Lust auf Lügen, PR und Täuschung. Die gingen dann zu Dotcomtod. Nicht, weil sie Dotcomtod unbedingt mochten. Es gab einfach keine andere Alternative.

Es war diese Kombination aus Fachwissen und zentraler Anlaufstelle, die Dotcomtod zu einem Selbstläufer machte. Dotcomtod war der Ort, an dem man schreiben und diskutieren konnte, was andernorts verboten war. Bei Dotcomtod sah man das wahre Ausmass der Krise, nicht nur die geschönte Version der Medien. Man hat den Schreibern oft Sozialneid oder Rachegelüste nachgesagt. Soweit ich die Sentinels jedoch kenne, waren es Leute, die irgendwann einfach nicht mehr die Lügen ertragen haben. Es waren Berater und Firmengründer, Designer und PR-Schreiber, Programmierer und Studenten. Man hätte die Sentinels nehmen und mit ihnen ein vorzügliches Team für ein Startup bilden können. Vielleicht war Dotcomtod das letzte Projekt, in dem all das Positive der New Economy - die Aufgeschlossenheit, die Motivation, die Gemeinsamkeit - noch einmal spürbar war. Eine Utopie der New Economy, als sie längst morsch, verfault und schimmlig war.

Natürlich war der Ton bei Dotcomtod nicht das, was man als angemessen oder fair bezeichnen würde. Die Beiträge waren schonungslos, brutal, laut und voller Schadenfreude. Der Tod mancher Firmen wurde über Wochen und Monate begleitet, erhofft und ersehnt. Man kann es zynisch nennen, aber was an den technisch-unmenschlichen Begriffen der Medien - wie etwa "Marktbereinigung" oder "Reorganisation" - besser als Pleite oder Entlassungsorgien sein soll, wurde von den Medien nie hinreichend erklärt. Die schuldigen Unternehmer, die nur zu leicht gute Presse für das nächste unverantwortliche Hypeprojekt bekamen, konnten bei Dotcomtod nicht mit Schonung rechnen. Es war das publizistische Rennen zwischen den auftoupierten Pudeln der Häuser Burda, Holtzbrinck, Turi und G+J, und den Wölfen der freien Wildbahn. Es war ein Rennen über eine lange Strecke, aber das, was heute die allgemeine Meinung über die New Economy ist - eine entsetzliche Fehlentwicklung durch unverantwortliche Zocker und Versager - stand mit vielen Meldungen zuerst bei Dotcomtod.

Bis zum Ende blieb Dotcomtod eine Pflichtseite für alle, die in diesem Bereich tätig waren. Das Problem war jedoch der Erfolg: Mit dem Sterben der Dotcoms, mit dem Untergang der schönen, neuen Wirtschaftswelt und der Flucht seiner Protagonisten in die Old Economy wurde das Betätigungsfeld zunehmend eng. Die Erkenntnis, dass die meisten Firmen Müll waren und der Nemax nie wieder steigen würde, hatte sich allgemein durchgesetzt. Der Mainstream hatte die Botschaft von Dotcomtod akzeptiert, hakte das Thema ab und wandte sich neuen Themen zu: Dem Boom der Banken, den sensationellen Eigenkapitalrenditen, der deutsche Export, der Aufstieg Irlands, Osteuropas und der Schwellenländer. All das, was gerade in der nächsten, identisch gestrickten Blase zusammenbricht.

Nach rechtlichen Problemen und internen Querelen über die Verantwortlichkeit wurde Dotcomtod 2004 von einem Gründer gegen den Wunsch vieler Mitarbeiter abgeschaltet, und der Nachfolger Boocompany ist trotz einiger aufgedeckter Skandale nie mehr so erfolgreich gewesen. Manche Sentinels gingen eigene Wege. Für ein paar Jahre war Dotcomtod der Ort, an dem man im Netz gewesen sein musste. Es war eine wilde, laute und zügellose Party gegen die etablierten Medien, es war hochgradig erfolgreich und hat seinen Teil dazu geleistet, die New Economy zu beenden. Dotcomtod hat am Ende bestimmt, was der Nachwelt an Wissen über diese Zeit erhalten bleibt. Das ist mehr, als viele lasche, vergängliche Postillen von sich behaupten können.

Medien müssen auch irgendwann sterben. Aber wenn sie schon sterben müssen, dann nur so, wie Dotcomtod. Wir haben auf ihren Gräbern getanzt. Die Legende von den wilden Tagen der Wölfe auf der kotztütenblauen Seite lebt weiter. Eine Webseite mit php und Leuten, die die Wahrheit sagen wollen, reicht aus.

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Frage an die Techniker

Gibt es eine Möglichkeit, bei Google Maps Flächen zu markieren?

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