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Sonntag, 1. Dezember 2019

Der Winter ist da

Gestern Nacht hier unten 5 Zentimeter Neuschnee, oben in den Höhen sicher so viel, dass man überlegen kann, die Rodel aus dem Keller hochzutragen. Zumal es in der Nacht auch ziemlich eisig ist.



Alle haben Angst, dass es ein Winter wie der Letzte wird, man hat auch vorgesorgt und alles schon bereit: Das ist an sich die beste Garantie, dass der Schnee bald geschmolzen ist, an Weihnachten mal wieder alles grün sein wird, und dann im April die Schneestürme durchziehen, gerne an Ostern. Für die Touristen ist das hässlich, für die hier Lebenden ist es egal. Einen Tag wollte ich bleiben, fünf bin ich schon wieder hier: Man versumpft und vergisst schnell die Welt da draussen, die bei diesem Wetter auch nur zögerlich gekommen ist. Die Cafes waren voll mit alten, reichen Menschen und ihren Krankengeschichten. Ich bin immer noch hingerissen von der sagenhaft guten, silbrigen Luft am See, die einen so herrlich leicht atmen lässt. Auch noch nach fast einem Dutzend Jahren.

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Donnerstag, 28. November 2019

Niemand nimmt gern Ratschläge von Gegnern an.

Aber ich würde mir, wenn ich obendrein gefragt werde, Geld zu geben, und gar nicht lange nachzudenken, vielleicht in einem Moment der Ruhe ein paar Gedanken machen. Nehmen wir einmal an, es gibt kein Internet, Selfies in der Wohnung, Digitalkameras. Alles, was man erfahren kann, ist entweder selbst gesehen oder gehört. So wie in den 80ern.

Nehmen wir weiter an, jemand hasst einen aus tiefster Seele, vielleicht, weil er etwas damit verdrängen will. Soziale Herkunft, sexuelle Vorlieben, Gesundheit, Privilegien, Beziehungen, Stellung, was auch immer. Es gibt da so viel. Immer wieder. Vielleicht ist es die Villa am See oder aber einfach der generelle soziale Druck der Kleinstadt, die man nicht erträgt.

Und das entlädt sich dann in kontinuierlichen Hassausbrüchen. Direkt. Brutal. Hemmungslos. Das gibt es bekanntlich wirklich, früher waren die Brutalitäten ja noch viel direkter als heute. Tatsächlich befördern so etwas kleine Orte ohne soziale Alternativen. Das klingt alles glaubhaft, oder? Für mich selbst übrigens auch, denn als Asthmatiker mit zwei falschen Füssen und JuSo im Bayern der 80er war vielleicht nicht ganz optimal aufgehoben. Aber egal. Es sind harte Zeiten, und man bekämpft sich bis aufs Blut. Wir hatten solche Typen. Das glaube ich jederzeit.

Aber was ich dann nicht begreife. Einfach, weil ich diese Typen kannte und niemals, unter gar keinen Umständen bei denen nach Hause gekommen wäre: Wie soll in so einer Konstellation eine Konfliktpartei in das Haus der anderen zu kommen, von einer Sammelleidenschaft erfahren, Bilder sehen, die man in so einer Gesellschaft nie herumerzählen würde, teilweise mit expliziter Nacktheit, Nagelbilder, Kreise, die andere verlachen, und die dann geschmacklos zu finden?

Denn über solche Bilder spricht man in der Provinz nicht, man bezieht sie in der Galerie und hält den Mund, weil die anderen es eh nicht verstehen würden. Und es gibt kein Medium, kein Facebook, kein Selfie, nichts, um sie zu vermitteln, nur diese eine angebliche Konfrontation. Wie passt genaue Kenntnis eines äusserst privaten Lebensbereiches zu einem gnadenlosen Konflikt?

Wenn es, sagen wir mal, die Bilder wirklich gibt – wenngleich erst deutlich später als den angeblichen Konflikt. Und nachweislich eine angebliche Konfliktpartei, die sie kennt und abwertend einschätzt. Kommen dann niemandem Zweifel, speziell, wenn den Erzähler bis vor 2 Tagen fast niemand kannte? Wenn seine Erzählung ansonsten genau das ist, was man hören will, plus noch mehr, weil es so gut passt. Sieht da niemand die „Red Flag“ bei der Kenntnis der Bilder? Wie kann so ein Gesamtsystem stimmen? Wie kommt man an die Adresse, durch den Garten, ins Haus, die Treppe hinauf? Was, wenn aus der ersten Erzählung weitreichende Folgen erwachsen? Risiken gar für Dritte, die sich darum drängen, Teil des Narrativs zu werden, das da so toxisch vorgetragen wird?

Und, nehmen wir einmal - nur theoretisch - an, der Erzähler wäre doch im Haus gewesen, und rund 30 Jahre später sähe er einfach eine gute Gelegenheit, mit seiner Geschichte Teil einer grossen, besseren Geschichte zu werden - was mag ihm wohl an seinen Zuhörern liegen?

Nun.

Und dann ist da plötzlich eine grosse Rettungsaktion.

Es ist ganz furchtbar, so schlimm, dass man gar nicht sagen kann, was eigentlich los ist, ganz böse rechte, dunkle Mächte sind beteiligt, und Lichtgestalten rufen auf, sie haben schon das eine geglaubt und jetzt glauben sie das andere schon wieder, weil es eben alles passt. Sie brauchen über 10.000 Euro, sie nehmen es auf allen Kanälen, ohne darüber nachzudenken: Wie ein angeblicher Todfeind eine Sammlung kennen kann, die nicht bekannt ist.

Gute Nacht. Morgen ist ein neuer Tag.

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Dienstag, 6. August 2019

Shitstorms überstehen.

Das Leben hat einen ganz langen Lauf. Und es gibt keine Garantie, dass jemand dauerhaft vorne ist. Was einen relativ sicher relativ lange vorne hält, ist dagegen eine intakte Familie, ein relativ hohes Vermögen mit Wohnungseigentum, und relative Gesundheit. Damit kommt man ziemlich sicher ziemlich gut durch. Und man hat Jahre, auf den Moment zu warten, da man es den anderen heimzahlen kann.



Ich habe das eher zufällig an der Bucht am See begriffen, nach meinem Abitur. Die 5., 6., 7., 8. und 9. Klassen waren ziemlich ätzend für jemanden, der nicht wie die anderen konnte, in der 10. und 11. kam ich in eine andere Klasse, und das hat enorm geholfen: Sobald keine Mädchen mehr in der Klasse sind, endet auch ein spezifisches Mobbing als Imponiergehabe vor Frauen. Dann habe ich noch die Kollegstufe abgesessen, wurde untauglich für den Bund, und hatte einen schönen Sommer. Die Quälgeister von früher verloren ihre Freundinnen, weil sie zum Bund mussten, begannen mit dem Saufen und Rauchen, waren weit weg und hatten Themen, die ich nie haben wollen würde: Ich bin Zivilist. Es war, als wäre eine Klaue aus dem Himmel hernieder gefahren, hätte die ganzen miesen Typen ergriffen und in eine Parallelwelt gezwungen. Was habe ich daraus gelernt? Man muss nur warten und sich verdeutlichen, dass es den anderen vielleicht auch nicht gut geht. Eine Art der zynischen Empathie, würde ich sagen.

Natürlich hatten wir auch Selbstmörder, und fast alle waren relative Aussenseiter, Mobbingopfer und Verfolgte des damaligen Schulsystems. Wenn sie es nicht getan hätten, wäre e Ihnen vergönnt gewesen, einige ihrer Gegner fallen zu sehen, und mitunter auch recht unschön: Es gibt keine göttliche Gerechtigkeit, sber hin und wieder den Moment, da hört man etwas, und sagt: Ach? Hebt kurz einen Mundwinkel an und schämt sich dann gleich dafür, aber so etwas passiert immer wieder, man muss nur warten und wissen, dass der öffentliche Hass der anderen auch nicht gerade ein Zeichen des guten Daseins ist. Und je mehr bei so einer Aktion mitwirken, desto eher sieht man auch den ersten unter die Räder kommen.

Schauen Sie, ich habe ja so einiges mitgemacht im letzten Jahr, da war im Netz auch sehr viel los, manche haben das explizit gefeiert und mein damaliges Blogfell schon geteilt. Daraus wurde dann natürlich nichts, weil Pöbeln im Netz keine Qualifikation ist, und mir geht es heute bestens und die anderen haben immer noch Geldsorgen massivster Art, und ihre wenig erbaulichen Lebensumstände. Die Welt war für mich definitiv ein Schritt nach vorn, die anderen sind nur ein Jahr älter. Der Wechsel war nicht schön - die Ankündigung der FAZ ereilte mich in einem Moment, da ich jemand pflegen musste und nicht mehr wirklich viele Reserven hatte - aber heute ist alles wieder gut. Man hat sich im Netz viele andere Opfer ausgesucht. Ich kann warten. Man muss beim Klettern immer daran denken, wiee es ist, wenn man wieder oben ankommt. Und den festen Glauben haben, dass es dieses oben gibt.



Obwohl ich gerade wegen des günstigen Kurses eine britische Kanne sehr billig bekommen habe, glaube ich, dass auch England sich wieder erheben wird. Solange es Chancen gibt, muss man sie nutzen, und daran denken, dass es nicht so schlimm bleiben wird. Da ist halt sowas in einem drin, das sich an kleinen, kleinsten Erfolgen hochziehen kann. Beim Rennradfahren muss man das lernen, die Regerneration am Berg, während man trotzdem weiter nach oben fährt. Das Provinzdasein macht das möglich, da lebt man doch deutlich entspannter und hat auch noch etwas anderes als das Netz all der Einsamen. Es kommen bessere Tage.

Und schlechtere für die anderen.

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Montag, 5. August 2019

Über Wahrheit

Irgendwann kommt raus, dass ich gar nicht Don Alphonso Porcamadonna heisse, nicht aus Palermo stamme und auch keine 363 Jahre alt bin. Und dann übersieht man auch, dass ich immer gesagt habe, dass ich a) mein Umfeld durch Verfremdung schütze und b) ein Grundrecht auf Unwahrheiten in Anspruch nehme. Bei einer neueren Zählung zum Beispiel hat sich herausgestellt, dass der Stadtpalast doch nur 54 statt 55 Räume hat. Der Einfachheit bleibe ich aber bei 55.



Es haben einige Leute zu der Doerry/Hingst-Geschichte wenig bis nichts gesagt, und das liegt nicht daran, dass sie Mlle Readon nicht kannten - tatsächlich hat sie wohl sehr viele Protagonisten der Szene getroffen. Es hat vermutlich auch damit zu tun, dass es die anderen weitaus mehr als mich betrifft, der ich nie behauptet habe, etwas anderes als eine Kunstfigur zu sein. Fehlende Wahrhaftigkeit, Verdichtung und Unkenntlichmachung gehören hier draussen wirklich dazu, und wie man nun durch die Wortmeldung aus der Denkmalstiftung erkennen kann, gibt es bei Marie Sophie eine weitere Ebene der Persönlichkeit, die mich offen gesagt kalt erwischt hat. Es ist insofern spannend, als bislang eine zeitliche und inhaltliche Lücke zwischen dem Readon-Blog und den - letztlich dem Spiegelbeitrag den nötigen Durchschlag bringenden - Biographien bei Yad Vashem lag. Wie schon gesagt, von diesen Biographien hat sie nie etwas erzählt und ich wüsste jetzt auch nicht, dass sie davon gegenüber anderen Bloggern gesprochen hätte. Das lief abseits der Realität hier draussen, aber parallel zu ihrem - wie auch immer gearteten - Tun bei der Stiftung.

So gesehen erscheint die Geschichte, die im Spiegel zu lesen war, nicht komplett, und sie bekommt ihre Dynamik nicht durch alle Fakten, sondern auch durch das Zusammenziehen dreier Ebenen: Das literarische Privatblog mit seinen Fiktionen, der Fehler, die im Blog erfundene Klinik in die Realität der Medien zu tragen, und dann letztlich noch die ganz alte, ganz grosse Dummheit mit Yad Vashem. Man fühlt beim Lesen irgendwie, dass eine Linie da war, an die die Fakten gehängt wurden, und ganz vorsichtig gesagt, fürchte ich, dass man so etwas mit vielen da draussen auch tun könnte. Bei mir sowieso - ich habe meine Geburtsurkunde aus Palermo bei einem Umzug verschlampt - aber auch bei vielen anderen bekannteren Personen, die diverse Lücken im Lebenslauf, aber nicht in den Blogs haben. Was bei dieser Geschichte fast völlig ausgeblieben ist, ist das Narrativ "Alter, weisser Mann jagt erbarmungslos verzweifelte Frau" - eigentlich ein Spezialgebiet von Spiegel, Bento, Zett und SZ. Keine Solidarität. Vielleicht Selbstschutz angesichts eigener Lücken? Die Angst, dass zu lautes Aufschreien den nächsten Verdacht auf einen selbst lenkt? Marie Sophie war nicht die einzige Labile da draussen.

Was mir das Leben leichter macht, ist die Knipserei - ich kann ziemlich gut belegen, dass ich wirklich dort war, woher meine Beiträge kommen, und was ich beschreibe, sieht man auch. Persönliches geht einfach nicht mehr, dazu sind die Risiken viel zu hoch, weniger für mich als vielmehr für die jeweiligen Bekannten, denen ein paar Gestalten da draussen sofort den Mob an den Hals hetzen würden. Aber vielleicht sollte man die Erkenntnis mitnehmen, dass mitunter die Recherche beendet ist, wenn alles für den Artikel schön genug ist. Und dass man besser das tut, was ich nun auch schon seit über 11 Jahren konsequent tue:

Keine Interviews, ausser man kennt die Leute.

Keine Phototermine.

Immer alles aufheben und keine Mails löschen. Der Bekannte von heute kann derjenige sein, der morgen entstellend zitiert.

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Sonntag, 28. Juli 2019

MlleReadOn, my Dear, read on.

Was ist Fake News? Eine Kliniktätigkeit erfinden, die es nie gegeben hat, und darüber einen Text zu schreiben, der so in den Zeitgeist passt, dass sich grosse Medien um einen reissen. Denn der Text behauptet, dass Migranten, die nach den Ausschreitungen von Köln kritisch betrachtet werden, selbst Opfer fehlender Aufklärung und Erziehung sind, und man das Problem ganz einfach durch intelligente Ansprache lösen kann. Der Text steht nicht für sich allein, es gibt derartige Kurse und es gibt Berichte darüber. Das kann man schon mal glauben.

Was ist eine dagegen von Bundesministern und Medien unterstützte Aktion? Etwa, wenn sich nach dem gleichen Köln intersektionelle Feministinnen zusammentun und die Aktion „Ausnahmslos“ gründen, bei der dann prompt radikale Figuren wie Angela Davis und Judith Butler unterschreiben, und die behauptet, Übergriffe seien ein männliches Problem, weshalb man über Männer und nicht über die Herkunft reden sollte. Das wurde in führenden Medien so weitergereicht, kein jubelnder Journalist hat sich bislang davon distanziert, die skandalöse Umdeutung eines Massenverbrechens zugunsten der versagenden Regierung gilt bis heute als Wahrheit.

Als Wahrheit kann man in den gleichen Medien, die sich heute von der Fake News der erfundenen Sexualaufklärung distanzieren, nachlesen, dass die geöffneten Grenzen zu einem kleinen Wirtschaftswunder führen könnten, die Flüchtlinge dereinst die Renten zahlen würden, Migranten nicht krimineller als Deutsche in der gleichen sozialen Lage wären, und letztlich sogar mitunter, als sich das alles so nicht manifestierte, dass es gar keine Grenzöffnung gegeben habe. Die fraglichen Autoren/Aktivisten durften Vorträge halten und in Ministerien arbeiten, wurden bei Stiftungen herumgereicht und hielten bei der Re:Publica umjubelte Reden. Ich habe damals dagegen angeschrieben und wurde dafür recht hart angegangen, und wenn ich etwas aus dieser Zeit gelernt habe, dann ist es das: Wenn nur genügend Leute so dreist lügen, wie es den Herrschenden gefällt, gibt es keine Selbstreinigungskraft, die Lügen später richtig zu stellen. Was es dagegen gibt, ist das Statuieren von Exempeln, um sich zu reinigen, wenn es nicht anders geht. Beispielsweise am Fälscher Claas Relotius. Und an einer Frau, die weitgehend andere Sichtweisen als ich hatte, und, wenn man es nüchtern betrachtet, lediglich eine in der Szene mittelbekannte Bloggerin gewesen ist.

Diese Frau lernte ich nach einem Beitrag über die Stiftung von Anetta Kahane – eine Person, die nach ihrer Zeit als Stasi-IM heute als Menscherechtsaktivistin bei Wikipedia neu erfunden wurde - im Internet kennen, als jemand ihr Blog in den Kommentaren verlinkte. Ich habe wie viele andere den Beitrag dann auch verbreitet, sie mailte mich an, und so kamen wir ins Gespräch. Über Loden; genau genommen begann es mit Lodenkleidung, die bei uns ab und zu bei speziellen Terminen gebraucht verkauft wird. Sie sagte, sie wünschte sich einen Lodenmantel für das raue Klima in Irland, und ich hatte das Glück, ein paar hübsche Damenmäntel zu finden und ihr zu schicken. Von da an ging es eben so, wie es meistens geht, wenn Blogger einander etwas besser kennen: Die jeweiligen Blogs traten in den Hintergrund, man sprach mehr miteinander. Das ging so weit, dass ich überhaupt nicht bemerkte, wie sie unter anderem Namen Artikel über ihren angeblichen Sexualaufklärungunterricht schrieb. Ich wusste davon aus den Mails, aber nur sehr am Rande. Und so sehr ich auch nachdenke: Das Thema Judentum kam nur marginal vor.

Dafür sprachen wir oft über Thomas Mann und darüber, dass er an meinem Wohnort seine Sommerfrische abhielt, und auch etliche Bücher schrieb – Herr und Hund zum Beispiel versteht man nur, wenn man hier die Landschaft kennt. Man kann auf den Spuren der Familie Mann den Hirschberg besteigen und seine Aufenthaltsorte in Bad Tölz besichtigen. Man fühlt bei uns tatsächlich noch etwas das Flair des frühen 20. Jahrhunderts. Ich habe sie eingeladen, hierher zu kommen, und zu verweilen, wie man das halt so macht, wenn man den Eindruck hat, der andere würde vielleicht gern kommen, mag das aber nicht artikulieren: Die Frau, die in einem Beitrag des Spiegels als Fälscherin mit Drang nach öffentlicher Anerkennung dargestellt wird, war mir gegenüber eher schüchtern, eindeutig dezent, sehr wohlerzogen und mit dem rücksichtsvollen Verhalten gesegnet, das einen annehmen lassen kann, ein Besuch wäre sicher eine nette Sache. Nur bräuchte sie halt noch einen freundlichen Stups. Es hat sich zeitlich nicht ergeben, die Einladung jedoch stand für diesen Sommer.

Getroffen haben wir uns trotzdem, und zwar im Januar 2018 in Berlin. Zwei mal, und wie es der Zufall haben will, einen Tag vor und einen Tag nach der Verleihung des Goldenen Bloggers, bei dem sie zur „Bloggerin des Jahres“ wurde, ein Titel, der jenseits der Szene in etwa so bedeutend ist wie Spargelkönigin von Adelshausen. Am Tag davor lernte ich im Grosz eine durchaus unterhaltsame Frau kennen, die nicht wirklich zur Darstellung passt, sie würde ganz in einer jüdischen Familiengeschichte aufgehen. Was sie erzählte – und wir redeten über Gott und die Welt und darüber, dass die Tarte Tatin hier nur ein gebratener Apfel, aber keine Tarte Tatin war, und dass es dem Ober hoch anzurechnen ist, dass er Damen korrekt aus dem Mantel hilft – war schlüssig und, oberflächlich betrachtet, in sich kongruent. Man sehe mir nach, dass ich zwar als Journalist kritisch, aber als Privatmensch wohlwollend bin: Ich will einen schönen Abend und nicht nach der Verabschiedung googeln, was ich alles so herausfinden kann. Extravagente Geschichten über Partner beispielsweise nehme ich einfach so hin: Man wird da oft angelogen, sei es, weil die betreffende Frau damit klar machen will, sie sei vergeben und an Sex nicht interessiert (dem Vernehmen nach soll Angraberei bei Twitterbekanntschaften ein erhebliches Problem sein), sei es, weil eine gewisse Beschönigung der eigenen Beziehung nun mal dazu gehört. Man hat bei Twitterleuten schon fliegende Beziehungswechsel gesehen, da bleibt einem der Mund offen stehen, an so einem Sinneswandel wäre beinahe einmal ein Grossprojekt gescheitert. Wie auch immer, sie konnte so eloquent erzählen, wie sie auch schrieb, und ein anderer Verdacht, der nicht nur bei ihr ab und zu im Raum stand – das Blog sei gar nicht von einer Frau verfasst – war damit ausgeräumt. Damals gab es noch die grosszügige Regelung, dass ich Gastautoren bei der FAZ einladen konnte: Ich habe ihr das gesagt. Sie bedankte sich für das Angebot und kam nie mehr darauf zurück.

Das zweite Treffen war nach dem Goldenen Blogger, bei dem es, höflich gesagt, nicht nur schöne Szenen gab. Manche Teilnehmer sind langjährige frühere Bekannte, die sich auf der Veranstaltung mehr oder weniger offen von mir distanzieren wollten, und – das ist jetzt eine Ironie der Geschichte: eine Anwesende erzählte ihr eine sehr negative Geschichte über mein angeblich früheres Verhalten, das die gleiche Anwesende mir selbst auch schon einmal über einen anderen Bekannten erzählt hatte. Eine Moderatorin einer Sendung von Funk rief zu meiner Person ein sehr unschönes Wort in den Raum, und generell fühlte sich die Frau, die als durchtriebene Öffentlichkeitsarbeiterin in eigener Sache dargestellt wurde, eher abgeschreckt von Neid und Missgunst in dieser Szene. Sie hat das gespürt, was auch ansonsten offensichtlich war: Manche fanden ihre Arbeit toll und bewunderten die Beharrlichkeit, mit der sie an den damals in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel jeden Tag eine Postkarte schrieb. Andere hielten sich für besser und wären gern Preisträger anstelle der Preisträgerin geworden. Bloggen ist, das darf ich als Angehöriger der Szene sagen, ein entsetzlicher Sumpf der Eitelkeiten mit sehr vielen Protagonisten, die ein deutlich überpositives Bild von sich selbst haben: Für einen Aussenseiter kann das, zusammen mit dem Marketing der Veranstaltung, durchaus eine abschreckende Wirkung haben. Ansonsten sprachen wir vor allem darüber, ob man mit Rechten reden dürfte, oder nicht.

Danach wären ihr alle Tore offen gestanden, zumal sie die fraglos richtigen Einstellungen hatte: Zu Flüchtlingen, zur Migration, zum Tempolimit, und bei der Gelegenheit sind wir auch öffentlich im Netz zusammengerumpelt, weil ich nun mal gern die Möglichkeit habe, schnell zu fahren, und sie wenig begeistert von meiner Sportwagenliebe war. Was ich damit ausdrücken will: Sie hat sich bei mir nicht angebiedert. Sie hat auch sonst nach meinem Wissen keine Journalisten gedrängt, ihre Geschichten zu nehmen. Sie drängte nicht nach vorne, sie zeigte auch recht offen einen gewissen Widerwillen gegen tagesaktuelle Publizistik. In einem Metier, in dem jeder denkt, er hätte Anrecht auf einen Leitartikel oder wenigstens eine gebührenfinanzierte Lebensversorgung, war die Haltung eher ungewöhnlich. Von irgendwelchen Unterlagen bei Yad Vashem war nie die Rede. Da war einfach eine offene, wohlerzogene und zuvorkommende Frau, die eher behutsam in Bekanntschaften ging und sehr aufmerksam war, und mitfühlend sein konnte. Das ist nicht nur mein Eindruck, sondern auch der von anderen Bloggern, die sie näher kannten. Stolz war sie natürlich auch – auf ihre Stelle in Irland und darauf, dass sie mit dem abseitigen Thema „Kunstgeschichte als Brotbelag“ einen Internethit gelandet hat, auf den viele Agenturen lange warten müssten.

Zurückblickend habe ich die vage Vermutung, dass sich diese Frau mit dem Erfolg im letzten Jahr von den alten – wie wir heute wissen – Erfindungen frei geschrieben hat, vielleicht, weil sie gemerkt hat, dass sie auch ohne diesen Kontext gut ankommt und neu beginnen kann – der mutmasslich erfundene Tod des irischen Freundes mag ein Hinweis sein. Sie hatte ein erhebliches literarisches Talent und vielleicht inzwischen auch eines für Wahrheiten, und wenn es die Causa Relotius nicht gegeben hätte, und nicht diese erfundene Flüchtlingsaufklärung in Ostdeutschland, die andere Medien verbreiteten, hätte man das alles in etwa so sehen können: Einsame Frau mit Borderlinetendenz, die sich in Irland nicht wohlfühlt, erfindet sich eine Biographie und Familiengeschichte, um sich interessant zu machen, wird in einer wenig relevanten Szene bekannt und will aus naheliegenden Gründen nicht, dass ihr angesichts erster eigener Erfolge die alten Konstrukte um die Ohren fliegen. Natürlich ist das unschön, aber eine andere Dimension als Relotius, der wirklich nach vorne wollte. Was der Spiegel mit Trophäenbild, Skandalisierung, zweisprachigem Artikel und Konzentration auf zwei brisante Punkte – Familiengeschichte und Flüchtlingshilfe - daraus gemacht hat, ist etwas ganz anderes. Knallharte Aufklärung sollte das sein, nachdem der Spiegel das in eigener Sache wegen Relotius selbst machen musste. Es war die Zerstörung der Reputation, eine internationale Vorführung der Person, die zur einer der wichtigsten Bloggerfiguren gemacht wurde, weiter zum Shitstorm im Netz, natürlich auch Diskreditierung der Bloggerszene, gefolgt vom der panischen Aberkennung eines völlig irrelevanten Preises durch die Veranstalter, Panikreaktionen bei der Betroffenen, Versuche, das Uneinfangbare noch einmal einzufangen, und dann das Verstummen gegenüber Bekannten, die bei ihr nachfragtren. Und jetzt ist sie nach Angaben der Irish Times gestorben.

Es kann immer mal passieren, dass man jemanden auf dem ganz falschen Fuss erwischt. Ein ehemaliger Internetunternehmer wirft mir vor, ich hätte ihn bei Dotcomtod nahe an den Selbstmord gebracht – dabei habe ich die Meldung zu seiner Firma gar nicht geschrieben. Ich habe mal sehr banal über einen Hashtag geschrieben, den zwei Personen aufbrachten – die eine hat ihn zuerst erwähnt, aber die andere hat ihn gross gemacht. Weil ich das so beschrieb, hat die Ersterwähnerin einen Feldzug gegen mich gestartet und versucht, die Medien auf mich zu hetzen, weil ich Schuld an ihrer desolaten psychischen Verfassung sei. Später versuchte sie, ein anderes Portal auch noch zu verklagen. Erst vor ein paar Wochen wurde mir bekannt, dass eine Gastautorin bei der FAZ, die damals vor Selbstbewusstsein nur so strotzte, in Wirklichkeit wohl eine schwere Krise hatte, die mit ein Grund für ein öffentliches und später juristisches Ausrasten gewesen sein mag. Man kann in die Menschen nicht hinein schauen, und im Internet ist es nochmal deutlich schwerer als im echten Leben. Ich habe aus meinen Fehlern insofern gelernt, als dass ich für niemanden den Kopf mehr hinhalte und nur noch mein eigenes Ding mache. Aber nichts davon kann man mit dem vergleichen, was der Spiegel da mit der – meines Erachtens – Privatperson MlleReadOn gemacht hat. Alle, mit denen ich darüber gesprochen habe, hatten Angst, „sie könnte sich etwas antun“. Alle haben das gefühlt. Der Spiegel hatte die Fakten, aber kein Gefühl.

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Dienstag, 16. April 2019

Was tun, wenn’s brennt?

Ein paar Antworten auf Fragen zum Brand der Notre Dame.

Ist es ein Anschlag?

Sehr wahrscheinlich nicht. Das Feuer brach dort aus, wo restauriert wurde – im oberen Bereich des Daches. Ohne die Lage in Paris jetzt zu kennen: Normalsterbliche kommen gar nicht an solche Stellen, die sind immer gut gesichert. Und in Dombauhütten kennt jeder jeden. Der Gedanke, dass jemand da hinauf kommt um Feuer zu legen, ist ziemlich abseitig.

Wenn man eine Kirche wirklich verbrennen lassen will, sollte man ausserdem nicht das Feuer oben machen, wo es sich langsam nach unten frisst, sondern unten, wo es schnell nach oben geht. Der Kamineffekt ist da der Freund der Feuerteufels.

Diese kostbarsten Kunstschätze!!!!!!!

Die wurden bei der grossen Säuberung im 18. Jahrhundert vernichtet, wenn es um die mittelalterlichen Glasfenster und Innenausstattung ging. Damals wirkte die Kirche zu dunkel, also wurden die alten Glasfenster entfernt und durch normales Glas ersetzt, während die Kirche weiss getüncht wurde. Weitere schwere Schäden entstanden bei den Revolutionen 1794 und 1830; von der alten Inneneinrichtung ist fast nichts mehr da. Die Figuren von Monstern an der Fassade, die der Normalsterbliche so kennt, stammen wie die meisten Buntgläser, Dachreiter und Teile des Dachstuhls aus dem 19. Jahrhundert. Bedeutend ist Notre Dame wegen der Grundprinzipien der gotischen Architektur, die hier im Chor weitgehend entwickelt wurden - und später im Mittelalter und Rokoko noch einmal deutlich verändert wurden. Um diesen Kunstschatz Notre Dame wirklich zu verstehen, braucht man schon etwas Vorbildung – ich würde vermuten, 99% der Menschheit haben die nicht.

Man kriegt das nie wieder so hin!!!!!!!!!

Was genau bitte? Den Zustand um 1300? 1500? 1850? Damit fängt es schon an, man wird sich überlegen müssen, welchen Zustand man da restaurieren will. Ich hoffe, sie nutzen die Gelegenheit und rasieren ein paar romantisierende Zutaten des 19. Jahrhunderts wie den Dachreiter, und halten sich an den Zustand der letzten gotischen Bauphase – auch wenn das manchen heute gar nicht so toll gefallen wird. Den Dachreiter nennen manche übrigens "Vierungsturm" - das ist nicht wirklich zutreffend, ein Vierungsturm wäre eine genauerte Überhöhung über dem Zusammentreffen von Längs- und Querschiff. Was da eingestürzt ist, ist ein nach oben gezogener Teil der Dachkonstruktion. In der französischen Gotik gibt es die Türme nur in Ausnahmefällen.

Das Dach selbst ist nun wirklich kein Drama – es gibt genug Spezialisten im Denkmalschutz, die das können, zumal das Dach von Notre Dame wegen des schmalen Hauptschiffs jetzt weder sonderlich komplex noch gross war: Der Dachstuhl über dem Hauptschiff der relativ frühen Notre Dame war 100 Meter lang und 13 Meter breit, der Dachstuhl des spätgotischen Ingolstädter Münsters überspannt die gesamte Hallenkirchem und ist 89 Meter lang und 37 Meter breit: Eine fast dreimal so grosse Fläche und ein mehr als sechs mal so grosses Volumen. Es ist sicher eine Frage des Geldes. Aber ein niedergebrannter Dachstuhl ist etwas, mit dem sich Kirchen immer wieder abfinden mussten.

Da liegen Trümmer im Inneren!!!!!!!!!!!!!!!!!

Ja, das ist die Folge der Schwerkraft, es fallen Steine auch runter. Die bisher bekannten Bilder zeigen aber, dass die Rippen – also die Elemente, über die der Druck auf die Pfeiler abgeleitet werden – gehalten haben. Was eingebrochen ist, sind die Füllung der Gewölbe mit besonders gemagerten Backsteinen. Kurzer Exkurs: Jedes Gewölbe erzeugt Druck nach aussen, und je schwerer es ist, desto grösser ist der Druck, der abgefangen werden muss. Deshalb hat man im Mittelalter spezielle Backsteine verwendet, um Gewölbe zu mauern: Mit sehr viel beim Brand verschwindenden Stroh im Lehm, um das Gewicht der Steine zu reduzieren. Deshalb sind die zwar leicht, aber auch empfindlich für das Eindringen von Wasser. Wenn da etwas draufstürzt und der Stein durch Wasser Gewicht aufnimmt, kann so eine Gewölbeabdeckung schon mal durchbrechen. Aber das alles, ohne dass die tragende Struktur der Streben und Pfeiler beschädigt wird - für moderne Menschen ist das vergleichbar mit dem Unterschied zwischen echtem, belastbaren Mauerwerk und Rigips, mit dem man Räume abtrennt. Das ist auch der Unterschied von Romanik und Gotik: In der Romanik ist das Gewölbe noch Teil der Tragstruktur, in der der Gotik ist es nur noch Füllung. Wenn selbst der Backstein in der Spätphase der Gotik zu teuer wurde, hat man schon mal bemalte Holzplatten hinter die Rippen gesetzt. Das ganze Mittelalter ist weitaus weniger mystisch, als man heute gerne glaubt. Und man kriegt die Steine meistens auch wieder in die Decke, wenn man will.

Ein Wort noch zu den Rosetten:

Die sind kunstgeschichtlich fraglos wichtig, weil der behauene Stein – also der Rahmen – eine Stilstufe der Hochgotik definiert, und mit ein paar anderen Kirchen in Frankreich in Europa grossen Einfluss hatte. Die Glasfenster darin sind, wie schon gesagt, mehrheitlich aus der Zeit der grossen Restaurierung im 19. Jahrhundert. Und die oberen Rosetten, hinter denen es im Querschiff gebrannt hat, sind zwar auch bedeutend, waren aber vom Kirchenschiff aus nie zu sehen, weil sie sich über dem Gewölbe befanden. Da war also nie Glasmalerei.

Zusammengefasst:

Es ist schlimm, und es gibt auch wirklich viel Grund zur Trauer und Bestürzung. Es hätte aber sehr viel schlimmer kommen können, und die Feuerwehr hat in Paris offensichtlich eine gute Strategie des kontrollierten Niederbrennens gehabt. Man darf nicht übersehen: Was sich in Rauch, Feuer und Asche auflöst, kann unten nichts mehr zerschlagen. Wer was tun will, spendet Geld an seine Freiwillige Feuerwehr und verbreitet im Netz keinen bildungsfernen Unsinn oder Verschwörungstheorien.

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Donnerstag, 21. März 2019

Aus FAZ wird taz? Nein. Aber.

Am 6. März 2018 entstand ein Hashtag im Netz: #AusFAZwirdtaz. Damals hat sich die FAZ entschlossen, drei Blogs aus der Schirrmacherzeit nicht mehr weiter zu führen: Digital Pausen von Hans Ulrich Gumbrecht und meine beiden Blogs Stützen der Gesellschaft und Deus Ex Machina. Meine Blogs waren mit Abstand die beliebtesten Blogs bei der FAZ, und die offizielle Begründung war, dass man nun lieber mehr neue Formate machen würde. Der damals nicht ganz neue Onlinechef Carsten Knop hatte es nach seiner Amtsübernahme nicht für nötig befunden, mit mir über die Blogs und ihre Optionen zu sprechen, insofern war die Einstellung erwartbar – aber im Netz verbreitete sich, angestachelt durch abwertende Bemerkungen einiger Mitarbeiter der FAZ und eine misslungene Firmenkommunikation die These, die FAZ hätte mich wegen meiner politischen Sichtweisen entlassen.

https://twitter.com/akrobok/status/971050413377163267

Ich konnte damals wenig tun: Nach der Verkündigung war Herr Knop für mich und den Versuch, eine tragbare Sprachregelung zu finden, schlichtweg nicht erreichbar, während die FAZ ohne mein Zutun die Nachricht im Netz verbreitete. So machte das Gerücht die Runde, und ich musste Presseanfragen abwimmeln, die wissen wollten, was da nun an den Behauptungen dran war. Rückblickend ist es so, dass sich das Feuilleton unter dem Herausgeber Kaube weiter entschirrmacherte und Knop andere Schwerpunkte mit fest angestellten Autoren anstelle der alten, frei arbeitenden Blogger setzt. Jetzt, nach der Entlassung des Herausgebers Holger Steltzner und einer auch nicht eben glücklichen Kommunikation, ist der Hashtag ausFAZwirdtaz wieder da, und mit ihm die Angst, die FAZ könnte nach links driften. Als Ex-Insider kann ich das vielleicht ein wenig einordnen.

https://twitter.com/faznet/status/1096372554258878464

Zuerst einmal muss man die Hierarchie der FAZ verstehen. Es gibt keinen Chefredakteur, sondern an der Spitze die Herausgeberkonferenz, in der sich die Herausgeber intern abstimmen und als redaktionelle Leiter der Zeitung FAZ ihre Linie gegenüber dem wirtschaftlich verantwortlichen Verlag der FAZ und der die ganze Konstruktion tragenden FAZIT-Stiftung festlegen. Diese Herausgeberkonferenz wiederum ist mythenumschlungen, und traditionell ist es so, dass ihre Ratschlüsse zwar verkündet, aber nicht immer erklärt und hinterfragt werden: Wenn die Herausgeber zu einer Entscheidung gekommen sind, tragen sie die Folgen auch gemeinsam in „das Haus“. Man sagt übrigens, wenn man dazu gehören will, nicht, dass man etwas in der FAZ tut, man tut es einfach „im Haus“. Und wenn etwas schief geht, dann sagen auch leitende Personen schon mal „der Saftladen“, aber meistens ist dann auch jemand anwesend, der daran erinnert, dass das Haus neben der New York Times eine der besten Zeitungen der Welt ist. Das sagen Herausgeber, Ressortleiter schauen es sich ab und Redakteure, die nicht wissen, dass manche freien Mitarbeiter mit Herausgebern privat befreundet sind, versuchten mit dieser Phrase gern, einen einzuschüchtern. Was andere Medien schreiben oder tun, hat einen nicht sonderlich zu interessieren, denn was ist und was exististiert, verdankt seine Existenz allein dem Umstand, dass es in der FAZ steht. So war jedenfalls noch bei meinem Eintritt ins Haus – man wird da nicht bei der FAZ angestellt, man tritt ins Haus ein – bei einigen noch die Denkweise. Und wer aus dem Haus austritt, der hört auch auf zu existieren – die Sticheleien, die der frühere Feuilletonchef und jetzige Kölner Kulturkorrespondent Patrick Bahners hin und wieder in meine Richtung verbreitet, sind eigentlich nicht Stil des Hauses.

https://twitter.com/wulfschmiese/status/1107914834652393474

Womit wir eigentlich schon bei der Frage sind, was so ein Herausgeber eigentlich tut. Nun, er steht über seinem Bereich, wie ein mittelalterlicher Fürst über seinem Herrschaftsgebiet steht. Die Ordnung ist klar vorgegeben, der Herausgeber bestimmt, meistens mit einem kleinen Leitungsstab, oft aber auch impulsiv und ohne Rücksprache, was in seinem Bereich gilt. Mein Eintritt zum Beispiel war so eine Entscheidung jenseits eines Konsenses: Die FAZ hatte Blogs, die nicht funktionierten, und nach dem Scheitern des Reading Rooms als Diskussionsplattform für Bücher drohte das nächste Scheitern. Also schaute sich Frank Schirrmacher nach einem externen Blogger um, und berief mich an allen Strukturen vorbei. Die Rache des Hauses war jemand, der sich übergangen fühlte und die Information vorab bei Peter Turi durchstach – und wenn Sie jetzt glauben, das sei doch etwas intrigant: Ja. Vieles bei der FAZ erinnert an einen wechselvollen Roman aus feudalistischen Zeiten. Die Struktur bringt es mit sich, dass der Widerspruchsgeist oft nicht stark ausgeprägt ist; Frank Schirrmacher hat das einmal gezeigt, indem er in der Redaktionskonferenz bewusst einen völlig absurden Vorschlag machte, der trotzdem allgemein begrüsst wurde. So ist das im Haus, es ist alles etwas schwankend, man weiss nie genau, woran man ist, und jedes halbe Jahr musste ich eine grössere Intrige überstehen – gleichzeitig habe ich aber auch mit dafür gesorgt, dass einige Blogs bei der FAZ eingestellt wurden.

https://twitter.com/tknuewer/status/16945440308

Um mal ein plastisches Beispiel für so eine Intrige zu erzählen: Ich hatte in einem Beitrag eine korrekt recherchierte, aber inzwischen veraltete information über ein Institut erwähnt. Dem Redakteur eines konkurrierenden Blogs und Redakteur wurde mein halber Fehler durch einen Moderedakteur zugesteckt, er bauschte das auf, und intervenierte bei Schirrmacher, während der in der Herausgeberkonferenz sass. Schirrmacher sagte ihm, er sollte dafür sorgen, dass ich das ändere, woraufhin mir der Redakteur eine lange, hämische Email schickte und mir sagte, er werde jetzt in Schirrmachers Auftrag dafür sorgen, dass der Beitrag verschwinde. Dann wandte er sich an den verantwortlichen Online-CvD und sagte ihm, es sei Wunsch des Herausgebers, dass der Beitrag offline genommen werde. Für mich sah es so aus, als hätte das Schirrmacher gewünscht, weshalb ich kündigte. Dummerweise hatte der Redakteur aber die Hinweismail seines Tipgebers auch an Schirrmacher mitgeschickt, und im Abgleich zwischen mir und Schirrmacher zeigte sich dann schnell, dass der Redakteur offensichtlich eine Herausgeberwunsch vorgetäuscht hatte, wo es keinen gab. Ich zog die Kündigung zurück, fuhr nach Italien und bekam dort einen Anruf von der Sekretärin, der Herausgeber hätte von diesem Redakteur nun noch eine Mail erhalten – er würde gerne auf eine sehr luxuriöse Pressereise nach Monte Carlo gehen. Aber der Herausgeber wüsste ja, dass ich in der Nähe war – was überhaupt nichts stimmte, Mantua-Monte Carlo ist eine weite Strecke – und es wäre doch ganz wunderbar, wenn ich diesen Termin anstelle des Redakteurs übernehmen könnte, ich sei da doch sicher auch kompetent - was ebenfalls nicht stimmte. Also fuhr ich nach Monte Carlo, und das passiert halt im Haus, wenn man es wagt, Herausgeberwünsche zu erfinden, die es nicht gibt. Und bitte: Mit Politik haben diese Intrigen überhaupt nichts zu tun, der fragliche Beitrag war sogar dezidiert links.

https://twitter.com/HugoMuellerVogg/status/1107765433292210178

Insofern: Man darf nicht glauben, dass die Herausgeber mit ihren Redaktionen eine Maschine betätigen, die dann 1:1 tut, was sie letztlich wollen. Noch nicht einmal Herausgeberkonferenzbeschlüsse sind unumstösslich: Als es um das Leistungsschutzrecht ging, habe ich mit einem anderen freien Autoren erfolgreich darauf gedrungen, auch Gegenstandpunkte in der FAZ veröffentlichen zu können. Es hing manchmal wirklich einfach von der Tagesform ab, Herausgeber geben Nachts um 3 Aufträge, die sie einen Tag später nicht mehr geben würden, sie verteilen Gunstbeweise und lassen fallen, und was sie wirklich planen, verstehen viele erst, wenn es zu spät ist: Der Ablösung von Patrick Bahners als Chef des Feuilletons und die Berufung von Nils Minkmar war so ein Fall. Der tiefere Grund, warum Leute im Haus nach einer Weile wirklich nur noch sehen, was im Haus ist, und warum ich mich selbst auch viel mehr darauf eingelassen habe, als ich wollte, ist einfach die Selbstbezogenheit der Mitarbeiter und die Ergebenheit in einer Struktur, die einerseits klar ist, und andererseits dennoch tückisch und von vielfältigen Konfliktlinien durchzogen. Man muss sich darauf einlassen, wenn man überleben und vielleicht auch noch eine besondere Stellung haben will. Mit der Medienkrise wurde das alles noch schlimmer. Mir wurde vorher gesagt, ich hielte es mit Schirrmacher keine vier Wochen aus – es kam letztlich alles ganz anders. Man weiss es vorher einfach nicht.

https://twitter.com/alvar_f/status/1051119421157191682

Gewisse Erlebnisse bei der FAZ würde ich eher dem extremen Arbeitspensum als der Überzeugung von Herausgebern zuschreiben, wie etwa der letztlich gescheiterte Versuch, mit Sobooks eine Kooperation für digitale Bücher einzugehen. Mit dem Internet ist es noch schlimmer geworden: Ich habe einmal einen Beitrag geschrieben, bei dem ich mir selbst nicht sicher war, und vorher bei allen Instanzen gefragt, ob das in Ordnung ist. Alle Instanzen sahen kein Problem. Erst nach 48 Stunden nach der Publikation ist dann jemand aufgefallen, dass das Thema in dieser Form schon sehr neben der Blattlinie liegt, aber was sollte man dann noch machen? So etwas passiert. Es passierte bei mir und es passierte, als es für eine Sensationsnachricht über Gauland keine Aufnahme gab. Eine freie Mitarbeiterin eines Blogs gab sich im akademischen Betrieb als „Blog-Redakteurin der FAZ“ aus, was erst nach einer Weile aufgefallen ist. Die FAZ ist ein grosses Haus, manchmal verlässt man sich auf die falschen Menschen, Fehler passieren überall, und gleichzeitig arbeiten da sehr gute Menschen: Meine Erfahrung ist, dass man fast alles bringen konnte, wenn man es nur gut und interessant argumentiert hat. Die Binnenpluralität der gegensätzlichen Meinungen in den verschiedenen Ressorts war sehr wohl gewünscht.

https://twitter.com/nminkmar/status/567330124379734018

Das soll jetzt, um wieder über „Aus FAZwirdtaz“ zu sprechen, vorbei sein, weil mit Holger Steltzner ein profilierter Kritiker der EU, des Euro und der Regierung gehen muss. Ich möchte da an diesen Beitrag hier erinnern, den der Politikherausgeber Berthold Kohler auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise geschrieben hat – im Haus als „Zonenwachtelkommentar“ bekannt, der doch recht deutlich aufzeigte, dass hier die FAZ aus dem bislang gepredigten Mainstream ausscherte. Hätten die Herausgeber wirklich Konzessionen an die grosse Koalition machen wollen, hätten sie als Schirrmachers Nachfolger eigentlich Nils Minkmar bestimmen müssen, der am ehesten auch den Schirrmacherweg weiter verfolgt hätte – statt dessen wurde Minkmar zum Europakorrespondenten und verliess das Haus dann ganz, wie auch die als Nachfolgekandidatin gehandelte Literaturchefin Felicitas von Lovenberg. Vor der Einstellung meiner Blogs gingen auch noch andere, die man sicher nicht einem konservativen Spektrum zuordnen würde. Der eher linke, zwischenzeitlich geförderte Redakteur Stefan Schulz - der mit seinem Buch Redaktionsschluss eine seltene, aber auch für mich nicht nachvollziehbare Abrechnung mit der FAZ geschrieben hat – verliess das Haus schon bald nach Schirrmachers Tod.

https://twitter.com/Schmidtlepp/status/550000442516971520

Antonia Baum schreibt inzwischen für die Zeit, der Krach beim Ausscheiden von Johanna Adorjan ging auch durch die Medien, und die Beschwerden von Autorinnen des Blogs „10 vor 8“, die selbst intern merhfach über die Stränge geschlagen haben, unter anderem mit einem Brief an die Herausgeber gegen meine Person, sind auch allgemein bekannt. Ich sehe da einfach keinen Bezug zur politischen Einstellung der Autoren. Was man der FAZ vorwerfen könnte, ist eine Verflachung der Meinung im Feuilleton, weil die Schirrmacher Boys gingen, entlassen wurden oder kaum mehr Einfluss haben. Der Höhepunkt der Entschirrmacherung war 2018 die Präsentation der Biographie über Schirrmacher von Michael Angele im Feuilleton. Die Gebliebenen reiten ihre Steckenpferde wie das Bierblog weiter. Es wurde deutlich unpolitischer, das Feuilleton macht wieder Bücher, Filme, Wissenschaft und ab und an einen Genderbeitrag. Gleichzeitig bekam der Bereich der Wirtschaft im Onlineauftritt erheblich mehr Raum, der Onlinechef selbst kommt auch aus der Wirtschaft – bis zur Entlassung von Holger Steltzner kann man beim besten Willen nicht sagen, er hätte mit seinen konservativen Sichtweisen zu wenig Raum gehabt.

https://twitter.com/Mama_arbeitet/status/1107248330751574017

Nimmt man das Feuilleton als Vergleich, sollte man also mit dem Hashtag #ausFAZwirdtaz noch etwas warten. Wäre es wirklich so, dann wird man das bei der Neubesetzung sehen. So etwas wie die „Schirrmacher Boys“ gibt es auch in den anderen Ressorts, und falls die Grundlage der Entlassung im privaten Bereich liegt, wäre es kein Problem, die politische Steltznerlinie mit einem seiner lautstärkeren Leute aus dem Leitungskreis weiter zu führen. Die Berufung eines Leisetreters, der seine Aufgabe in Börsenkursen, Sartups und Derivaten sieht, und die Wirtschaft so in ihr Bett zurück führt, wie Kaube das mit dem Feuilleton gemacht hat, wäre erst dann ein Hinweis auf inhaltliche Differenzen, wenn in der Folge Mitarbeiter verschwinden. Es ist kein Geheimnis, dass die Gründung der wirtschaftsliberalen Professoren-AfD um Lucke nach dem scheinbaren Untergang der FDP von manchen FAZ-Mitarbeitern nicht ablehnend zur Kenntnis genommen wurde – würden die sich nun einen anderen Arbeitsplatz suchen, könnte man schon ins Grübeln kommen. Im Netz liest man Spekulationen, der Kopf Steltzners könnte nach Jahren des Zerwürfnisses zwischen Merkel-CDU und FAZ so eine Art Morgengabe für die Wiederannäherung sein. Ich glaube das definitiv nicht, denn so ein Vorgehen wäre ein Zeichen der Schwäche, das sich in diesem Haus mit seinem Selbstverständnis niemand freiwillig leisten würde. Man darf auch nicht übersehen, dass die weithin kritisierten, rechtskonservativen Gastbeiträge wie etwa durch Gauland in der Politik erschienen sind. Bei denen Netzaktivisten, die normalerweise an der FAZ als Hort des rechten Bösen herumzetern, würde das ohnehin nichts ändern, denn die kaufen das Blatt nicht. Und jenseits von politischen Spekulationen: Der Umgang der FAZ mit Entlassenen ist nicht gerade auf Beifall der Publikumsfamilie ausgerichtet.

https://twitter.com/HugoMuellerVogg/status/1107642662134472704

Ein gutes Zeichen für die FAZ ist es nicht, denn die unerwarteten Wechsel im Herausgebergremium waren schon nach Hugo Müller-Vogg und Frank Schirrmacher für die Beteiligten dem Vernehmen nach anstrengend, und haben viel Unruhe in die Zeitung gebracht. Aus FAZ wird deshalb nicht taz, aber für das Selbstverständnis des Hauses als Solitär in der Presselandschaft ist das Zerwürfnis, das in jeder normalen Zeitung auf Ressortleiterebene ein gewöhnlicher Vorgang wäre, ein kleiner Abschied von der gewohnten Stabilität. Sollte die Neubesetzung länger als ein paar Wochen dauern, sollte etwa wie nach Schirrmachers Tod gar ein komissarischer Leiter eingesetzt werden, der für eine längere Übergangszeit Steltzners Posten übernimmt und restrukturierend tätig wird, indem altbekannte Gesichter degradiert oder verschoben werden, müsste man sich wirklich auf den Beton vor der Hellerhofstrasse legen und lauschen, ob da nicht das ein oder andere Gräslein in eine unerwartete Richtung wächst. Für die FAZ bleiben die grossen Probleme aber die nachlassende Abonenntenzahl sowie die Neuausrichtung des Geschäftsmodells auf das Internet. Auch der neue Herausgeber wird etwas liefern müssen, für das andere gern zahlen. Und der taz geht es auch ohne Konkurrenz schon recht elend.

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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 3. Februar 2019

Esterhazy

Erst Türkenbekrieger, dann Säkularisierungsprofiteure, letztlich Schnittenbenenner. Was für eine historische Karriere.


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