Vor und nach Stradivari
Es ist nicht so, dass mir alle italienischen Städte gefallen. Rovereto ist klein und nichtssagend, Rom ist zu gross, zu laut und für das Gebotene viel zu teuer, eine Stadt ohne Lebensqualität, Genua hat der Hafen ruiniert und Mailand deprimiert mich schon bei der Anfahrt - kein Wunder, dass dort alle an den Lago Maggiore ziehen, wenn sie es sich leisten können.
Was uns zur Frage bringrt: Was fällt einem zu Cremona ein?
Die Geigenbauer.
Stradivari und Guarneri sind nun aber schon eine Weile nicht mehr am Leben, und ob deren Instrumente nun wirklich so toll wie ihr Ruf sind - wer weiss. Cremona jedenfalls hat am Domplatz eine wirklich schöne Bar. Das ist selten, normalerweise sind Bars an Hauptplätzen in Italien übelste Kaschemmen.
Die hier hat Stil. Was man von dem auf der anderen Seite liegenden Dom nicht sagen kann. Der nämlich leidet darunter, dass eine lombardische Fassade der Romanik im Laufer der Zeit aufgebohrt wurde. Gehen wir das mal durch:
Unten haben wir einen wenig gelungenen Säulengang der Renaissance, der keinen rechten Anschluss zu dem Mischmasch findet, den das Portal darstellt. Auf den romanischen Torlöwen stehen schlanke Säulen, die von einem gotischen Vordach mit Spitzbogen erdrückt werden - zu gross, zu spitz, viel zu hoch, und dann noch mit diesem Figurenklimbim in der Arkade, deren Höhe sich nicht an der Gestaltung des Gesamtkomplexes orientiert, sondern zwangsweise abgehackt wird, weil darüber die Rosette kommt. Unter dem Vordach kümmern dann die kleinen, romanischen Säulen und Torgewände des romanischen Baus, dessen kleiner Rundbogen unter der Überbauung völlig verloren ist. Dann ist es erst mal so, wie es sein soll, schwere lomabrdische Romanik mit Blendarkaden - und einem ehemals spitzen Giebel, auf dem sich nochmal die Renaissance haufenförmig setzen musste. Nach hinten hinaus wird es besser, aber drinnen...
Es ist halt Romanik. Die Säulen sind dick und kurz, die Gewölbe etwas schwer, in den Seitenschiffen blieb man recht niedrig, und im Hauptschiff, das man damals nicht wölbte, konnte man bedenkemlos in die Höhe gehen. Dann kam die Renaissance und pinselte schwarzgoldene Säulen an die Pfeiler und Scheinkuppeln in die Gewölbe. Das sieht so aus, als habe jemand mangels anderer Möglichkeiten Säulen und Kuppeln gepinselt, die wie gepinselte Kuppeln und Säulen aussehen - keine Illusion, nur schlechtes Kunsthandwerk, damit alles nach Renaissance aussieht. Weil unten jeder Zentimeter für Altar- und Grabmalschmodder begraucht wurde - über der gotischen Ausmalung im Übrigen, die den Dom nicht im mindestens zu einem schwarzen Loch werden liess, soviel dann auch zum "finsteren Mittelalter - hat man die Hauptwerke an den Wände des schmalen Mittelschiffes angebracht. Die eine Hälfte kann man schlecht erkennen, weil zu dunkel und zu weit oben, die andere Hälfte ist im Altarraum, den man nicht betreten kann. Die romanische Krypta soll toll sein, wegen der bin ich gekommen, aber die ist zu. Offen sind barocke Kapellen voller Goldkrempel. Selten hat mich ein Dom so enttäuscht. Er ist prunkvoll, aber schlecht gemacht.
Man kann sich an den romanischen Resten erfreuen, und die Torlöwen sind fraglos von besonderer Qualität. Vielleicht bin ich ein wenig ungerecht, aber wenn man von Parma kommt, und dort den Dom und das Baptisterium kennt, ist die gleiche Kombination in Cremona nicht im Mindesten vergleichbar. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, ich kann da sehr hartknäckig sein, aber nach anderthalb Stunden - wäre ich besser nach Parma gefahren.
Die Stadt selbst hat neben einigen Verbrechen des Faschismus - obige Versicherungspassage etwa hat ein Wandrelief, das zeigt, was für einen alten Block mit schäbigem Mittelalter man da weggeducet hat - zudem einen Hang zum 19. Jahrhundert. Also nicht nur Fassaden des 19. Jahrhunderts, die einem schon weite Teile von Florenz versauen können, sondern richtiges 19. Jahrhundert. Ganze Strassenzüge wurden hier neu gebaut. Und das nun ist eine Zeit, die Italien nie besonders gut kann. Das ist stets epigonenhaft, da will man krampfhaft Paris und London in Rom sein, und in Cremona fällt das leider besonders deutlich auf. Ich denke, das macht die Nähe zu Mailand.
Es gibt dort schöne Delikatessengeschäfte, aber keine Bordelle des fetten Magens wie in Verona oder Parma. Man kann dort einen Nachmittag verbringen, ein paar heruntergekommene Palazzi finden, die erzählen, was hätte sein können, aber insgesamt - bin ich froh, den leichten Regentag in Cremona gewesen zu sein. Es wäre schade gewesen, wenn ich diesen Tag an einem Ort verbracht hätte, der zu Sonnenschein und blauem Himmel passt.
Was uns zur Frage bringrt: Was fällt einem zu Cremona ein?
Die Geigenbauer.
Stradivari und Guarneri sind nun aber schon eine Weile nicht mehr am Leben, und ob deren Instrumente nun wirklich so toll wie ihr Ruf sind - wer weiss. Cremona jedenfalls hat am Domplatz eine wirklich schöne Bar. Das ist selten, normalerweise sind Bars an Hauptplätzen in Italien übelste Kaschemmen.
Die hier hat Stil. Was man von dem auf der anderen Seite liegenden Dom nicht sagen kann. Der nämlich leidet darunter, dass eine lombardische Fassade der Romanik im Laufer der Zeit aufgebohrt wurde. Gehen wir das mal durch:
Unten haben wir einen wenig gelungenen Säulengang der Renaissance, der keinen rechten Anschluss zu dem Mischmasch findet, den das Portal darstellt. Auf den romanischen Torlöwen stehen schlanke Säulen, die von einem gotischen Vordach mit Spitzbogen erdrückt werden - zu gross, zu spitz, viel zu hoch, und dann noch mit diesem Figurenklimbim in der Arkade, deren Höhe sich nicht an der Gestaltung des Gesamtkomplexes orientiert, sondern zwangsweise abgehackt wird, weil darüber die Rosette kommt. Unter dem Vordach kümmern dann die kleinen, romanischen Säulen und Torgewände des romanischen Baus, dessen kleiner Rundbogen unter der Überbauung völlig verloren ist. Dann ist es erst mal so, wie es sein soll, schwere lomabrdische Romanik mit Blendarkaden - und einem ehemals spitzen Giebel, auf dem sich nochmal die Renaissance haufenförmig setzen musste. Nach hinten hinaus wird es besser, aber drinnen...
Es ist halt Romanik. Die Säulen sind dick und kurz, die Gewölbe etwas schwer, in den Seitenschiffen blieb man recht niedrig, und im Hauptschiff, das man damals nicht wölbte, konnte man bedenkemlos in die Höhe gehen. Dann kam die Renaissance und pinselte schwarzgoldene Säulen an die Pfeiler und Scheinkuppeln in die Gewölbe. Das sieht so aus, als habe jemand mangels anderer Möglichkeiten Säulen und Kuppeln gepinselt, die wie gepinselte Kuppeln und Säulen aussehen - keine Illusion, nur schlechtes Kunsthandwerk, damit alles nach Renaissance aussieht. Weil unten jeder Zentimeter für Altar- und Grabmalschmodder begraucht wurde - über der gotischen Ausmalung im Übrigen, die den Dom nicht im mindestens zu einem schwarzen Loch werden liess, soviel dann auch zum "finsteren Mittelalter - hat man die Hauptwerke an den Wände des schmalen Mittelschiffes angebracht. Die eine Hälfte kann man schlecht erkennen, weil zu dunkel und zu weit oben, die andere Hälfte ist im Altarraum, den man nicht betreten kann. Die romanische Krypta soll toll sein, wegen der bin ich gekommen, aber die ist zu. Offen sind barocke Kapellen voller Goldkrempel. Selten hat mich ein Dom so enttäuscht. Er ist prunkvoll, aber schlecht gemacht.
Man kann sich an den romanischen Resten erfreuen, und die Torlöwen sind fraglos von besonderer Qualität. Vielleicht bin ich ein wenig ungerecht, aber wenn man von Parma kommt, und dort den Dom und das Baptisterium kennt, ist die gleiche Kombination in Cremona nicht im Mindesten vergleichbar. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, ich kann da sehr hartknäckig sein, aber nach anderthalb Stunden - wäre ich besser nach Parma gefahren.
Die Stadt selbst hat neben einigen Verbrechen des Faschismus - obige Versicherungspassage etwa hat ein Wandrelief, das zeigt, was für einen alten Block mit schäbigem Mittelalter man da weggeducet hat - zudem einen Hang zum 19. Jahrhundert. Also nicht nur Fassaden des 19. Jahrhunderts, die einem schon weite Teile von Florenz versauen können, sondern richtiges 19. Jahrhundert. Ganze Strassenzüge wurden hier neu gebaut. Und das nun ist eine Zeit, die Italien nie besonders gut kann. Das ist stets epigonenhaft, da will man krampfhaft Paris und London in Rom sein, und in Cremona fällt das leider besonders deutlich auf. Ich denke, das macht die Nähe zu Mailand.
Es gibt dort schöne Delikatessengeschäfte, aber keine Bordelle des fetten Magens wie in Verona oder Parma. Man kann dort einen Nachmittag verbringen, ein paar heruntergekommene Palazzi finden, die erzählen, was hätte sein können, aber insgesamt - bin ich froh, den leichten Regentag in Cremona gewesen zu sein. Es wäre schade gewesen, wenn ich diesen Tag an einem Ort verbracht hätte, der zu Sonnenschein und blauem Himmel passt.
donalphons, 01:55h
Freitag, 15. April 2011, 01:55, von donalphons |
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jeeves,
Freitag, 15. April 2011, 14:22
Allein schon die Säulen aus den Löwenrücken lassen mich erschauern (und ich habe keinerlei Ahnung von Architektur, nur meine Augen).
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berenike,
Freitag, 15. April 2011, 14:31
1. Auf der Liste der eher unerfreulichen Städte Italiens gehört für mich noch Florenz.
2. Die Krypta ist wirklich sehenswert!
2. Die Krypta ist wirklich sehenswert!
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donalphons,
Freitag, 15. April 2011, 17:03
Nun ja, wirklich dauerhaft würde ich hier auch nicht leben wollen. Man bleibe so lange, bis die Nachteile zu offensichtlich werden, dann ziehe man weiter. Und es gibt immer noch unschönere Ecken.
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usedomer,
Freitag, 15. April 2011, 15:28
Rovereto habe ich nur als Bahnhof in Erinnerung. Raus aus dem Zug und hinauf nach Folgaria. Und bei der Nennung dieses Namens bekomme ich prompt Appetit auf Pfaffenwürger.
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arboretum,
Freitag, 15. April 2011, 15:43
Der untere Teil der Domfassade gehört eindeutig dorthin. :-)
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euoe,
Freitag, 15. April 2011, 16:02
mehr davon
ein wirklich schöner Beitrag. Mir gefällt der Ansatz "was hätte aus dieser Stadt werden können", denn meistens ist sie es nicht. Und da die Säulenordnungen heute whs. nichtmal mehr im Architekturstudium im Lehrplan stehen (siehe Ihre Beiträge über Toscana-Bunker), freut mich die stilistische Diskussion sehr.
wäre es nicht auch ausführenswert, welche "Stützen" jeweils für den Bau bzw. Umbau verantwortlich zeichnen? In mancher Stadt kann man über diese Betrachtungsweise sehr viel über die Verfassung eben jener Stützen ablesen. Denn sie sind ja nicht aus dem nichts gekommen (mit ein paar kleinen Ausnahmen, über die wir brav und mit einem "da kann meine Generation doch nichts dafür" hinwegsehen).
wäre es nicht auch ausführenswert, welche "Stützen" jeweils für den Bau bzw. Umbau verantwortlich zeichnen? In mancher Stadt kann man über diese Betrachtungsweise sehr viel über die Verfassung eben jener Stützen ablesen. Denn sie sind ja nicht aus dem nichts gekommen (mit ein paar kleinen Ausnahmen, über die wir brav und mit einem "da kann meine Generation doch nichts dafür" hinwegsehen).
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donalphons,
Freitag, 15. April 2011, 16:49
Das Grundproblem ist, dass das Mittelalter aufgrund der langen Bauzeiten zumeist gar keinen Begriff der stilistischen Geschlossenheit kennt. Selbst die romanische Fassade ist erst zum Bauabschluss vorgeblendet, hinten an den Apsiden ist dalles nochmal älter. Die Frage ist vielleicht eher, wie so etwas durchgeführt wird. Da gibt es gute Beispiele wie den Mutschleraltar in Sterzing, bei dem zwischen Bildern und Fassung 300 Jahre liegen. Oder den Dom von Siena. Es ist nicht schlimm, dass man es macht, sondern wie man es hier gemacht hat.
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kopfgeburt,
Freitag, 15. April 2011, 16:35
Wäre denn nur Schönheit....
...auf dieser Welt - würden wir sie noch sehen?
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donalphons,
Freitag, 15. April 2011, 16:45
Nun, Schönheit ist auch nir gleich, und ich beschwere mich nicht: Cremona ist halt anders. Heute: Verona.
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maternus,
Freitag, 15. April 2011, 16:48
Dem Irrglauben, Rom ermangele es an Lebensqualität, kann nicht streng genug entgegengetreten werden. So. Nicht nur die christlichen Kirchen verströmen unter ihren Schäfchen reiche Gnade, auch die Aberhunderten ristoranti, trattorie, osterie, enotece ecc. sind das Wallfahrtsziel zahlloser Freunde der gepflegten oder einfachen, aber immer hochqualitativen Küche! Oft wartet nur wenige Schritte der von Touristenkarawanen ausgetretenen Pfade wahre Kleinodien. Und was für die Kulinarik gilt, kann natürlich auch über Kunst & Kultur gesagt werden. Gottseidank hat nicht alles, was der gesonderten Beachtung wert ist, beim Baedeker einen Stern oder einen Wikipedia-Eintrag..
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otaku1216,
Freitag, 15. April 2011, 18:38
Ja Rom hin, Rom her, ich fände ja einen letzten Bericht des Dons aus Tokio sehr reizend, seine Art die Dinge zu sehen bzw zu beschreiben, würde dem Ganzen ein ziemlich interessante Note geben, könnte man da die FAZ nicht anzapfen ? Ich meine solange es diese Stadt noch gibt...
http://www.ftd.de/politik/international/:live-ticker-zur-atomkatastrophe-in-japan-wind-weht-radioaktive-partikel-richtung-tokio/60039773.html
http://www.ftd.de/politik/international/:live-ticker-zur-atomkatastrophe-in-japan-wind-weht-radioaktive-partikel-richtung-tokio/60039773.html
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funzen,
Samstag, 16. April 2011, 11:32
@ otaku1216 wg. Tokio...
Ach, Tokio gabs schon mal 1945 dank Brandbomben und Curtis E. LeMay nicht mehr:
http://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Tokio#Wichtigste_B-29_Eins.C3.A4tze_gegen_Tokio.5B3.5D.5B2.5D.5B5.5D
Die wirkliche "interessante Note" dabei ist, das auch das dortige AKW am 10. August 1945 mit plattgemacht wurde.
Ich weiß nur nicht was daran so reizend sein soll.
http://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Tokio#Wichtigste_B-29_Eins.C3.A4tze_gegen_Tokio.5B3.5D.5B2.5D.5B5.5D
Die wirkliche "interessante Note" dabei ist, das auch das dortige AKW am 10. August 1945 mit plattgemacht wurde.
Ich weiß nur nicht was daran so reizend sein soll.
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