Unbenutzt

Es gibt einen Hof in Egweil, genauer, eine aufgegebene Landwirtschaft, ein ehemaliges Gehöft, das aber noch erhalten ist, mitsamt Obstbäumen in der Mitte, und davor steht ein Schild:

"Dumme rasen
Kluge warten
Weise gehen in den Garten"

Im Garten sind dann auch viele Sitzgelegenheiten, ein Trampolin und sehr oft auch Menschen. Es sieht ein wenig aus, wie eine Kulisse für einen französischen Sommerfilm.



Ich bin immer in Versuchung, dort anzuhalten und mir erzählen zu lassen, wie es zu diesem Schild an dieser stillen Seitenstrasse zwischen Egweil und Unterstall kam, weil es die Geschichten sind, die ich gern lese und auch schreibe - aber wenn man sie dann schreibt, verlieren sie irgendwie ein wenig ihren Zauber. Niemand zerstört den Fundkomplex so gründlich wie der Archäologe, niemand vernichtet das Geheimnis so umfassend wie der Jounalist. Eigentlich wollte ich wenigstens das Gedicht in dier FAZ aufschreiben, aber noch nicht einmal dazu ist es gekommen.



Es gibt am Gardasee, nördlich von Salo, ein Schloss, das von 1943 bis 1945 der Amtssitz von Mussolini gewesen ist. Er war da nicht ganz freiwillig, denn in dieser Zeit war das Territurium bis hinunter nach Limone und Malcesine deutsch - man hatte sich in Berlin ein Eckerl des Landes gegönnt, wo die Zitronen blühen, und wollte von dort aus den Duce in der Nähe haben. Fährt man auf der Gardesana eantlang, ist zum See hin die Fassade des Schlosses, und zum Berg hin ein Barockgarten, und dazwischen eine Brücke. So eine zerschnittete Anlage, kleiner und natürlich auch bäuerlich, steht an der B16 in Bergheim auf der ersten Juraanhöhe: Der Hof weist in Richtung Donau, und der Garten, auf der anderen Strassenseite, in die Hügel.



Und auf der Strasse dazwischen rasen sich die Neuburger zu Tode. Hinter Bergheim ist eine langgezogene Linkskurve bergab, hinter der eine der grössten linearbandkeramischen Siedlungen in Bayern im Acker liegt: Das animiert zum Gasgeben. Dort pflügte vor 20 Jahren eine Bekannte mit ihrem Auto hinein. Sie hat es überlebt, ging in die Medien über die Deutsche Journalistenschule, machte Karriere bei den Privaten, wurde vielleicht etwas zu alt und moderiert heute mitunter Events der Raiffeisenbanken. Dumme rasen, Kluge warten...



Warum kommen sie nicht zu uns, fragen mich manche, die mich abwerben wollen. Warum planst Du nicht strategisch den nächsten Karriereschritt. Dumme rasen. Die Bäume in diesem Garten sind teilweise sehr alt und schon etwas morsch, man muss sie stützen, damit sie die Last ihrer Früchte tragen können, und alle 40, 50 Jahre braucht es auch einen neuen Zaun. Kluge warten. Ich glaube, es gibt einen Zwischenweg zwischen den bedingungslosen, zwangsbeglückenden "Gesellschaftskünstlern" und den nicht minder verabscheuungswürdigen Totaloptimierern, und mögen jeden Tag Tausende an diesem Garten vorbeirasen: Ich halte an und freue mich darüber. Manche wundern sich, warum den radikal Effektiven und den asozialen Umverteilern jeder Coleur so viel Ablehnung und Hass entgegenschlägt: Der eine sieht hier die Rendite durch Baugrund, der andere möchte nicht Zuschneiden oder den Zaun streichen, sondern ein Recht, sich die Äpfel zu holen. Und dazwischen sind die vielen, zufriedenen Menschen, die nur in den Garten wollen.



Sie sind deshalb nicht spiesig, und noch nicht mal weise. Aber sie sind auch nicht so dumm, wie manche das gern hätten. Und deshalb wollen sie keine Gentechnik, keinen Bankenstaat, keine dritte Startbahn und kein BGE. Was sie hier wollen, sind Geschwindigkeitsbegrenzer in der Strasse, für die Katzen und die Kinder.

Mittwoch, 22. August 2012, 00:51, von donalphons | |comment

 
Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen. (Oscar Wilde)

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"was sie wollen ..."
... und einen Garten mit Apfelbaum.

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Bengalisch in Bayern
"Dumme rennen
Kluge warten
Weise gehen in den Garten"

ist von Rabindranath Thakur.
Auf Kitschpostkarten in den 80ern gerne
auch "Tagore" genannt.

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